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OGH vom 31.05.2011, 10ObS51/11i

OGH vom 31.05.2011, 10ObS51/11i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Rotraut Leitner (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, Rumänien, vertreten durch Dr. Georg Minichmayr, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert Stifter Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Elternrente, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 24/11w 13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 31 Cgs 70/10m 6, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten der Rekursbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am geborene Kläger ist der Adoptivvater der bei einem Arbeitsunfall am in Österreich tödlich verunglückten S*****. Die Adoptivtochter des Klägers war zur Unfallszeit als Arbeiterin in Österreich beschäftigt und verdiente ca 1.200 EUR netto monatlich. Der Kläger ist rumänischer Staatsbürger und hat ebenfalls ungefähr drei Jahre lang in Österreich gearbeitet. Er bezieht derzeit Pensionsleistungen aus Rumänien, Spanien und Österreich in einer nicht festgestellten Höhe. Er ist verheiratet, lebt aber mit seiner Ehegattin nicht im gemeinsamen Haushalt. Die Ehegattin des Klägers arbeitet in Spanien. Sie erbringt keine Unterhaltsleistungen an den Kläger, wohl aber für den im Jahr 1993 geborenen gemeinsamen Sohn, der derzeit in Rumänien die 11. Schulstufe besucht und mit dem Kläger im gemeinsamen Haushalt in Rumänien lebt. Die Ehegattin des Klägers bezahlt ca 300 bis 400 EUR monatlich an Unterhalt für den gemeinsamen Sohn.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Allgemeine Unfallversicherungsanstalt den Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Elternrente aus der Unfallversicherung nach der am verstorbenen Adoptivtochter mit der Begründung ab, dass für Wahleltern kein Anspruch auf Elternrente bestehe und beim Kläger überdies aufgrund des Bezugs von Pensionsleistungen aus mehreren Staaten eine Bedürftigkeit nicht vorliege.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage mit dem sinngemäßen Begehren auf Gewährung der Elternrente im gesetzlichen Ausmaß. Aus § 219 ASVG ergebe sich kein Ausschluss der Wahleltern vom Anspruch auf Elternrente. Ein solcher Ausschluss wäre gleichheits und damit verfassungswidrig. Seine Adoptivtochter habe durch monatliche Zahlungen in Höhe von 300 bis 400 EUR wesentlich zu seinem Lebensunterhalt beigetragen. Aufgrund seines geringen Einkommens, fehlenden Vermögens und seiner Sorgepflicht für den mj Sohn sei er auch bedürftig iSd § 219 ASVG.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete ein, die Adoptiv bzw Wahleltern seien im § 219 ASVG nicht ausdrücklich genannt und gehörten daher nicht zum anspruchsberechtigten Personenkreis. Die Adoptivtochter des Klägers habe auch nicht dessen Lebensunterhalt überwiegend bestritten. Schließlich liege beim Kläger Bedürftigkeit iSd § 219 ASVG nicht vor, weil er über einen mehrfachen Pensionsbezug und über einen Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Gattin verfüge.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Nach seiner Rechtsansicht finde die Bestimmung des § 219 Abs 1 ASVG über die Gewährung einer Elternrente nur auf leibliche Verwandte Anwendung. Adoptiveltern hätten daher keinen Anspruch auf Elternrente, da das Gesetz die Adoptiveltern ausdrücklich anführe, wenn es sie erfassen wolle (vgl §§ 4 Abs 1 Z 3, 19 Abs 1 Z 2 oder 252 Abs 1 ASVG). Da der Kläger kein leiblicher Verwandter der verstorbenen Versicherten, sondern deren Adoptivvater gewesen sei, habe er keinen Anspruch auf Gewährung der Elternrente.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers dahin Folge, dass das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde. Es vertrat abweichend vom Erstgericht die Rechtsansicht, dass auch die Adoptiveltern bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nach § 219 Abs 1 ASVG Anspruch auf Elternrente hätten. Da das Erstgericht das Vorliegen dieser weiteren Anspruchsvoraussetzungen bisher nicht geprüft habe, erweise sich das Verfahren als ergänzungsbedürftig.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil zur Frage, ob auch Adoptiveltern Anspruch auf Elternrente nach § 219 Abs 1 ASVG haben, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Gegen diesen Aufhebungsbeschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss im Sinne einer Wiederherstellung des klagsabweisenden Ersturteils abzuändern.

Der Kläger beantragt in seiner Rekursbeantwortung, dem Rechtsmittel der beklagten Partei keine Folge zu geben und den angefochtenen Beschluss im Sinne einer vollinhaltlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Rekurswerberin macht geltend, Adoptiveltern hätten keinen Anspruch auf Gewährung einer Elternrente nach § 219 Abs 1 ASVG. Der nach dieser Bestimmung anspruchsberechtigte Personenkreis müsse wie auch sonst in den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen der §§ 4 Abs 1 Z 3, 19 Abs 1 Z 2 und 252 Abs 1 ASVG ohne weiteres klar und eindeutig bestimmbar sein. Es könne daher der Ansicht des Berufungsgerichts, der Kreis der Anspruchsberechtigten nach § 219 Abs 1 ASVG sei auch nach dem ABGB zu prüfen und zu erweitern, nicht gefolgt werden.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

1. Wird der Tod der versicherten Person wie im vorliegenden Fall durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht, so gewährt das ASVG Hinterbliebenen der versicherten Person (Geld )Leistungen. So gebührt gemäß § 214 ASVG dem, der die Kosten der Bestattung getragen hat, ein Teilersatz der Bestattungskosten. Der hinterbliebene und der geschiedene, frühere Ehegatte bzw Partner haben unter den Voraussetzungen des § 215 ASVG Anspruch auf Witwen (Witwer )rente. Auch Kinder der versicherten Person sind in den Versicherungsschutz miteinbezogen. Der Kinderbegriff richtet sich nach § 252 ASVG. Ihnen gebührt gemäß § 218 ASVG eine Waisenrente. Nur in der Unfallversicherung nach dem ASVG sind auch Renten für bedürftige Eltern (Großeltern) und unversorgte Geschwister des Versicherten vorgesehen, sofern der Verstorbene ihren Lebensunterhalt überwiegend bestritten hat (§ 219 ASVG).

2. Nach § 219 Abs 1 ASVG haben bedürftige Eltern (Großeltern) und unversorgte Geschwister des Versicherten, dessen Tod durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit verursacht wurde, Anspruch auf Eltern bzw Geschwisterrente von zusammen jährlich 20 vH der Bemessungsgrundlage, wenn der Versicherte ihren Lebensunterhalt überwiegend bestritten hat. Die Formulierung „bedürftige Eltern (Großeltern)“ findet sich bereits in der Stammfassung des ASVG (BGBl 1955/189). Nach den Gesetzesmaterialien (RV 599 BlgNR 7. GP 67) entspricht § 219 ASVG einem in der Praxis hervorgetretenen Bedürfnis insofern, als er außer bedürftigen Aszedenten auch unversorgten Geschwistern einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente zuerkennt. Mit dem ASVG wurde daher die Geschwisterrente eingeführt, wogegen die bis dahin in Geltung gestandene Bestimmung des § 593 RVO nur die Aszedentenrente gekannt hat (vgl OLG Wien SSV 6/126). Die Elternrente soll somit an die Stelle der bisher vom versicherten Kind gewährten Unterstützung treten und dem bedürftigen Elternteil die Grundlage für die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bieten (vgl Tarmann Prentner in Sonntag , ASVG 2 § 219 Rz 1).

2.1 Unter den Namen „Eltern“ sind gemäß § 42 ABGB in der Regel alle Verwandten in der aufsteigenden Linie (= „Aszedenten“) zu verstehen. Verwandte der aufsteigenden Linie sind die Eltern, Großeltern, Urgroßeltern sowie die Adoptiveltern. Nach § 143 Abs 1 ABGB schuldet das Kind seinen Eltern und Großeltern unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse den Unterhalt, soweit der Unterhaltsberechtigte nicht imstande ist, sich selbst zu erhalten, und sofern er seine Unterhaltspflicht gegenüber dem Kind nicht gröblich vernachlässigt hat.

2.2 Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass gemäß § 182 Abs 1 ABGB mit der Bewilligung der Adoption ipso jure zwischen den Wahleltern (dem Wahlelternteil) und deren (dessen) Nachkommen einerseits und dem Wahlkind und dessen im Zeitpunkt der Adoptionsbewilligung vorhandenen und künftigen minderjährigen Nachkommen andererseits eine dem ehelichen Eltern Kind Verhältnis entsprechende familienrechtliche Beziehung entsteht. Mit der Adoption ist das Wahlkind daher den ehelichen Abkömmlingen gleichgestellt. Die kraft Gesetzes bestehenden familienrechtlichen Beziehungen vermögensrechtlicher Natur (Unterhalt, Ausstattungsanspruch) zwischen Wahlkind und seinen (bei Adoption minderjährigen) Nachkommen einerseits und den leiblichen Eltern und deren Verwandten andererseits erlöschen hingegen gemäß § 182a Abs 1 ABGB nicht. Sie treten nur gegenüber den Rechtsbeziehungen zum Annehmenden im Rang zurück (§ 182a Abs 3 ABGB). Der Unterhaltsanspruch der leiblichen Eltern steht daher dem der Wahleltern nach ( Schwimann in Schwimann , ABGB 3 § 182a Rz 1 ff mwN).

2.3 Da der Zweck des § 219 Abs 1 ASVG, wie bereits erwähnt, unter anderem darin liegt, den infolge des Todes des Versicherten weggefallenen Unterhaltsanspruchs des Verwandten der aufsteigenden Linie gegen diesen zu ersetzen, und die Elternrente ganz allgemein an die Stelle der bisher vom Kind gewährten Unterstützung treten und dem bedürftigen Elternteil die Grundlage für die Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts bieten soll, haben nach zutreffender Rechtsansicht des Berufungsgerichts auch Adoptiveltern Anspruch auf Elternrente, weil das Kind durch die Adoption die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes des Annehmenden erlangt und daher wie ein eheliches Kind zum Unterhalt gegenüber den Adoptiveltern verpflichtet ist.

2.4 Soweit die Rekurswerberin darauf verweist, dass beispielsweise in den sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen der §§ 4 Abs 1 Z 3, 19 Abs 1 Z 2 und 252 Abs 1 ASVG ausdrücklich Wahleltern bzw Wahlkinder angeführt seien, während dies im Falle des § 219 Abs 1 ASVG nicht der Fall sei, hat ebenfalls bereits das Berufungsgericht mit Recht darauf hingewiesen, dass der Begriff „bedürftige Eltern (Großeltern)“ bereits aus der Stammfassung des ASVG (BGBl 1955/189) stammt und der Vorrang des Unterhaltsanspruchs der Adoptiveltern gegenüber dem Wahlkind vor jenem der leiblichen Eltern erst durch die Neuordnung des Rechts der Annahme an Kindes Statt (BGBl 1960/58) geschaffen wurde. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch wenn durch die Gleichstellung aufgrund des § 182 Abs 1 ABGB eine umfassende, sämtliche Rechtsbereiche einschließlich des öffentlichen Rechts erfassende Gleichstellung noch nicht bewirkt wird Adoptivkinder im sozialversicherungs und steuerrechtlichen Bereich leiblichen Kindern weitgehend gleichgestellt sind ( Barth/Neumayr in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 182 Rz 4 mwN). Auch im Bereich der Hinterbliebenenleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung werden beispielsweise beim Teilersatz der Bestattungskosten (§ 214 ASVG) oder beim Anspruch auf Waisenrente (§ 218 iVm § 252 Abs 1 Z 1 ASVG) Wahlkinder den leiblichen Kindern gleichgestellt. Es ist auch für den Bereich der Elternrente nach § 219 ASVG kein Grund ersichtlich, die Adoptiveltern schlechter zu stellen als die leiblichen Eltern. Es kann daher dem Gesetzgeber auch nicht zugesonnen werden, dass er eine solche Schlechterstellung normieren wollte. Daher ist die Formulierung „bedürftige Eltern (Großeltern)“ im § 219 Abs 1 ASVG auch im Hinblick auf den verfassungsgesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verfassungskonform so auszulegen, dass davon auch Adoptiveltern erfasst sind.

3. Gemäß § 26 Abs 2 IPRG sind die Wirkungen der Annahme an Kindes Statt und damit auch allfällige Unterhaltsansprüche (vgl 1 Ob 7/05v mwN) nach dem Personalstatut des Annehmenden zu beurteilen. Dies ist im vorliegenden Fall das rumänische Recht, da der Kläger als Annehmender rumänischer Staatsbürger ist. Auch nach rumänischem Recht ist das Heimatrecht des Adoptierenden auf die Wirkungen der Adoption, insbesondere die Beziehungen zwischen Annehmenden und Adoptierten, anzuwenden. Auch im rumänischen Recht begründet die Adoption ein Abstammungsverhältnis des Adoptierten zum Annehmenden mit allen Wirkungen einer leiblichen Abstammung, während das Abstammungsverhältnis des Adoptierten zu seinen leiblichen Eltern mit der Adoption endet (vgl Bergmann/Ferid/Henrich , Internationales Ehe und Kindschaftsrecht 184. Lfg, Rumänien 22 und 35). Nach Art 86 des rumänischen Familiengesetzbuchs vom (abgedruckt bei Bergmann/Ferid/Henrich , Internationales Ehe und Kindschaftsrecht, Rumänien 36 l) besteht unter anderem auch zwischen Adoptierenden und Adoptierten eine Unterhaltspflicht.

4. Ausgehend von der dargelegten Rechtslage gehört daher auch der Kläger als Adoptivvater der bei einem Arbeitsunfall tödlich verunglückten Versicherten zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 219 Abs 1 ASVG. Der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts zur Klärung des Vorliegens der weiteren Voraussetzungen für einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Elternrente ist daher zu bestätigen.

Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Rekursbeantwortung beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.