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OGH vom 19.05.2015, 10ObS49/15a

OGH vom 19.05.2015, 10ObS49/15a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter ADir. Brigitte Augustin (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*****, Deutschland, vertreten durch Mahringer Steinwender Bestebner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Vorarlberger Gebietskrankenkasse, Jahngasse 4, 6850 Dornbirn, vertreten durch Hoffmann Brandstätter Rechtsanwälte KG in Innsbruck, wegen Kinderbetreuungsgeld, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 11 Rs 4/15k 10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 20 Cgs 71/14k 6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Partei wird nicht Folge gegeben.

Text

Entscheidungsgründe:

Strittig ist allein die Frage, ob die Klägerin, die die sonstigen Voraussetzungen für die Gewährung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes aus Anlass der Geburt ihrer Tochter am erfüllt, „ in den letzten 6 Monaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes ... durchgehend erwerbstätig ... war“ (§ 24 Abs 1 Z 2 KBGG).

Die Klägerin war ab in einem bis befristeten Arbeitsverhältnis als Rezeptionistin in einem Hotel in ***** beschäftigt. Die Klägerin hat bis (einschließlich) gearbeitet. Der Versicherungsfall der Mutterschaft ist am eingetreten; ab diesem Tag hat die Klägerin Wochengeld bezogen.

Mit Bescheid vom lehnte die beklagte Vorarlberger Gebietskrankenkasse den Antrag der Klägerin vom auf Zuerkennung des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes im Zeitraum von bis ab. Um die Anspruchsvoraussetzungen für die begehrte Leistung zu erfüllen, hätte die Klägerin von bis beschäftigt sein müssen, weil gemäß § 902 Abs 2 ABGB das Ende einer Monatsfrist auf die Zahl falle, die dem Tag des Ereignisses entspreche, mit dem der Lauf der Frist beginne.

Das Erstgericht verpflichtete die beklagte Partei, der Klägerin einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß im Zeitraum von bis zu gewähren. Wenn bei einem Arbeitsverhältnis der erste Arbeitstag der sei, ende die relevante Sechs-Monats-Frist mit .

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und bestätigte das Ersturteil mit der Maßgabe, dass das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der Klägerin für den Zeitraum von bis einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, als dem Grunde nach zu Recht bestehend erkannt wurde; die beklagte Partei wurde verpflichtet, der Klägerin eine vorläufige Zahlung von 33 EUR täglich zu erbringen.

Abweichend von § 902 ABGB folge aus Natur und Zweck von laufzeitabhängigen Ansprüchen aus Dienstverhältnissen, dass schon der Dienstantrittstag einzurechnen sei. So ende beispielsweise auch ein am 5. März abgeschlossenes und auf ein Jahr befristetes Bestandverhältnis am 4. März des darauffolgenden Jahres; ein am 8. Juli begonnenes, auf sechs Monate befristetes Arbeitsverhältnis ende am 7. Jänner des Folgejahres. Bei der Fristrückrechnung gehe es um die sinngemäße spiegelbildliche Anwendung. Im Fall der Klägerin sei der erste Tag der Arbeitsleistung am in die Fristrechnung einzubeziehen. Das Versicherungsverhältnis beginne am ersten Arbeitstag mit Beginn dieses Tages. Der geforderte Sechs-Monats-Zeitraum sei durch die Beschäftigung bis einschließlich erfüllt, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld im begehrten Zeitraum erfüllt seien.

Die Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof noch nicht explizit zur Frage der Fristberechnung bei § 24 KBGG geäußert habe. Den Entscheidungen 10 ObS 5/14d und 10 ObS 103/14s ließen sich aber obiter verschiedene Berechnungsmethoden entnehmen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im klageabweisenden Sinn.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zum Zweck der Klarstellung zulässig, sie ist jedoch nicht berechtigt.

In ihrer Revision vertritt die beklagte Partei zusammengefasst den Standpunkt, dass sich aus der in § 24 Abs 2 enthaltenen Wortfolge „dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit“ das Ende dieser Frist mit dem Tag vor Beginn des Beschäftigungsverbots nach dem MSchG ergebe, hier daher mit . Bei einer Rückrechnung vom liege der Fristbeginn am . An diesem Tag habe die Klägerin aber keine in Österreich sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt. Die Bezugnahme des Berufungsgerichts auf die Dauer von Dienstverhältnissen sei verfehlt. Zu Recht sei der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 10 ObS 103/14s davon ausgegangen, dass der maßgebliche Zeitraum vor dem Beginn des Beschäftigungsverbots mit jener von bis gewesen sei. Damit sei die frühere Rechtsprechung (10 ObS 5/14d) weiterentwickelt worden.

Dieser Ansicht kann jedoch nicht gefolgt werden.

1. Der Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens setzt nach § 24 Abs 1 Z 2 KBGG voraus, dass der

„Elternteil in den letzten 6 Monaten unmittelbar vor der Geburt des Kindes, für das Kinderbetreuungsgeld bezogen werden soll, durchgehend erwerbstätig gemäß Abs. 2 war sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Kalendertagen nicht anspruchsschädigend auswirken“.

§ 24 Abs 2 KBGG definiert den Begriff der „Erwerbstätigkeit“ folgendermaßen:

„(2) Unter Erwerbstätigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes versteht man die tatsächliche Ausübung einer in Österreich sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit. Als der Ausübung einer sozialversicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit gleichgestellt gelten Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit während eines Beschäftigungsverbotes nach dem Mutterschutzgesetz 1979 (MSchG), BGBl. Nr. 221, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, sowie Zeiten der vorübergehenden Unterbrechung dieser zuvor mindestens 6 Monate andauernden Erwerbstätigkeit zum Zwecke der Kindererziehung während Inanspruchnahme einer Karenz nach dem MSchG oder Väter Karenzgesetz (VKG), BGBl. Nr. 651/1989, oder gleichartigen anderen österreichischen Rechtsvorschriften, bis maximal zum Ablauf des zweiten Lebensjahres eines Kindes.“

2. Aus einer Zusammenschau von § 24 Abs 1 Z 2 und Abs 2 KBGG ergibt sich in einem ersten Schritt, dass das Gesetz eine mindestens sechs Monate andauernde Erwerbstätigkeit fordert.

Die Klägerin hat ihre Erwerbstätigkeit unstrittig am aufgenommen; fraglich ist, ob sie bei einem Tätigkeitsende schon am eine sechsmonatige Erwerbstätigkeit absolviert hat oder erst bei einem Tätigkeitsende am .

3. Daraus erhellt, dass es hier nicht um eine „Frist“ im engeren Sinn geht, sondern um die Dauer einer Laufzeit (hier: der Dauer einer Erwerbstätigkeit). Damit kann in einem zweiten Schritt festgehalten werden, dass das an sich sowohl für den Bereich des Zivil und Handelsrechts als auch für den Bereich des Verwaltungsrechts einschlägige -Europäische Übereinkommen zur Fristenberechnung (BGBl 1983/254) keine Anwendung findet ( Aichberger Beig in Klang 3 § 902 Rz 21; im Grundsatz zustimmend Binder/Kolmasch in Schwimann/Kodek , ABGB 4 §§ 902 903 Rz 3 und 30); darüber hinaus kann auch die Thematik einer rückwärts berechneten Frist dahingestellt bleiben.

4. Im KBGG selbst ist keine Regelung zur Berechnung von Laufzeiten vorgesehen; es wird allerdings vor allem bei der Leistungsdauer häufig auf Laufzeiten Bezug genommen (zB „längstens bis zur Vollendung des 20. Lebensmonates des Kindes“). Tendenziell ist anzustreben, diese Laufzeiten sowohl bei den Anspruchsvoraussetzungen als auch bei der Leistungsdauer gleich auszulegen. Wenn also beispielsweise eine Zeitdauer von „sechs Monaten“ so zu verstehen ist, dass sie von (einschließlich) 8. Juli eines Jahres bis einschließlich des 8. Jänner des Folgejahres dauert, muss auch eine für die Dauer von „sechs Monaten“ gebührende Leistung von 8. Juli bis einschließlich 8. Jänner des Folgejahres zustehen.

Allgemein wird vertreten, dass eine Lücke bei der Berechnung von Fristen (und auch von Laufzeiten) auch im öffentlichen Recht unter Heranziehung der in den §§ 902 f ABGB niedergelegten Grundsätze zu füllen ist ( Kietaibl in ABGB ON 1.01 § 902 Rz 2 mwN).

5. Der Oberste Gerichtshof hat zu dem hier zu lösenden Problem bisher nicht unmittelbar Stellung nehmen müssen, sehr wohl aber obiter Aussagen zum Lauf des Sechs-Monats-Zeitraums getätigt.

5.1. In den Gründen der Entscheidung 10 ObS 5/14d (dort Punkt 3.2.) hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass der sechsmonatige Beobachtungszeitraum des § 24 Abs 2 KBGG bei der dortigen Klägerin infolge des am eingetretenen Beschäftigungsverbots mit begann.

5.2. Unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung 10 ObS 5/14d hat der Oberste Gerichtshof in den Gründen der Entscheidung 10 ObS 103/14s ausgeführt, dass im Fall eines Beschäftigungsverbots der sechsmonatige Beobachtungszeitraum des § 24 Abs 2 KBGG sechs Monate vor Beginn des Beschäftigungsverbots beginne. An anderer Stelle wird darauf hingewiesen, dass im Fall des Beginns des Beschäftigungsverbots am der sechsmonatige Zeitraum am beginnt, ohne dass dies für die Entscheidung in der Sache relevant gewesen wäre.

Aus dem expliziten Hinweis auf die Vorentscheidung 10 ObS 5/14d lässt sich aber ableiten, dass der Oberste Gerichtshof keine „Weiterentwicklung“ der Vorentscheidung in Bezug auf eine taggenaue Berechnung des Sechs Monats Zeitraums intendierte, zumal diese Frage für beide Entscheidungen nicht unmittelbar relevant war.

6. Bei Dauerrechtsverhältnissen geht die Rechtsprechung abweichend von § 902 ABGB davon aus, dass die (aus dem Rechtsverhältnis zu erbringende) Dauerleistung bereits am ereignisauslösenden Tag zu erbringen ist, weshalb dieser Tag in die Dauer einzubeziehen ist ( Reischauer in Rummel 3 § 902 Rz 5; siehe auch die Beispiele bei Binder/Kolmasch in Schwimann/Kodek , ABGB 4 §§ 902 903 Rz 3 und 30 ff). So ist bei laufzeitabhängigen Ansprüchen aus einem Dienstverhältnis der Dienstantrittstag einzurechnen ( Kietaibl in ABGB ON 1.01 § 902 Rz 13 mwN ), ebenso wie bei einer Langzeitpflege der erste Tag, an dem die Pflegeleistungen erbracht werden (10 ObS 56/91 = SSV NF 5/15). Dabei ist von Mitternacht des jeweiligen „ersten“ Tages an zu rechnen ( Kietaibl in ABGB ON 1.01 § 902 Rz 13); dies gilt auch für den Beginn des Versicherungsverhältnisses ( Zehetner in Sonntag , ASVG 6 [2015] § 10 Rz 2) .

7. Aus der Einbeziehung des ersten Tages der Leistungserbringung durch die Klägerin in ihrem befristeten Arbeitsverhältnis folgt für den vorliegenden Fall, dass der letzte Tag der Sechs Monats Frist der war. Da die Klägerin an diesem Tag noch gearbeitet hat, sind die Vorinstanzen zutreffend davon ausgegangen, dass sie die von § 24 Abs 1 Z 2 KBGG geforderte Voraussetzung erfüllt.

Der Revision der beklagten Partei ist daher ein Erfolg zu versagen.

8. Die im Revisionsverfahren erfolgreiche Klägerin hat keinen Kostenersatz angesprochen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00049.15A.0519.000