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OGH vom 27.03.2002, 9ObA68/02v

OGH vom 27.03.2002, 9ObA68/02v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Univ. Doz. Dr. Bydlinski sowie die fachkundigen Laienrichter Dipl. Tzt. Ulrike Zimmerl und Franz Gansch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Akhtar M*****, vertreten durch Dr. Georg Grießer ua, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Ö*****partei, ***** vertreten durch Siemer-Siegl-Füreder & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert EUR 21.801,85), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 369/01w-34, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 19 Cga 252/00t-24, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.189,44 (darin EUR 198,24 an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der beklagten Partei seit dem als Raumpflegerin im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Gemäß dem Bescheid des Bundessozialamtes Wien, Niederösterreich, Burgenland vom ist sie rückwirkend mit als begünstigte Behinderte im Sinne des BehEinstG anzusehen. Bei einem Arbeitsunfall am hatte die Klägerin einen Bruch des 6. Halswirbels und an der rechten Schulter einzelne Faserrisse erlitten, weshalb sie sich seither im Krankenstand befunden hatte. Die beklagte Partei sprach mit Schreiben vom die Entlassung aus, die unter anderem damit begründet wurde, dass die Klägerin durch ihre Arbeitsunfähigkeit auf nicht absehbare Dauer ihre dienstlichen Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen könne und der beklagten Partei daher eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden könne. Am erklärte die Klägerin ihre Arbeitsbereitschaft. Sie hat mittlerweile keine Schmerzen an der Halswirbelsäule mehr, nur mehr eine gewisse Bewegungseinschränkung. Körperliche Beanspruchung mit schwerer Hebe- und Trageleistung ist der Klägerin nicht möglich. Die vor ihrer Verletzung von ihr durchgeführten Tätigkeiten sind ihr wieder möglich. Auf den Unfall zurückzuführende Krankenstände sind für die Zukunft nicht zu erwarten.

Im Revisionsverfahren ist nur noch die Frage strittig, ob der Entlassungsgrund des § 27 Z 2 AngG zum Zeitpunkt der Entlassungserklärung erfüllt war.

Die auf Feststellung des Fortbestehens des Dienstverhältnisses über dem hinaus gerichtete Klage war in beiden Instanzen erfolgreich. Das Berufungsgericht vertrat die Rechtsauffassung, dass der genannte Tatbestand eine dauernde, nicht bloß vorübergehende Dienstunfähigkeit erfordere, die zwar nicht immerwährend, bzw nicht mehr behebbar sein müsse, aber auf unabsehbare Zeit vorliegen müsse. Nach der höchstgerichtlichen Judikatur komme es auf die Ursache der dauernden Dienstunfähigkeit nicht an, sodass grundsätzlich auch eine durch Krankheit oder Unglücksfall bedingte Dienstunfähigkeit die Entlassung rechtfertigen könne. Die Dienstunfähigkeit müsse jedoch auf einem körperlichen oder geistigen Zustand beruhen, der die Bewältigung der vereinbarten oder angemessenen Dienstleistungen überhaupt oder zumindest für eine nicht absehbare Zeit nicht mehr erwarten lasse. Abgesehen davon, dass im vorliegenden Fall die Wiedererlangung der Dienstfähigkeit zwar noch nicht datumsmäßig bestimmt, aber sehr wohl absehbar gewesen sei, seien auch deshalb strengere Maßstäbe anzulegen, weil es sich bei der Klägerin um eine begünstigte Behinderte handle. In Anlehnung an § 121 Z 2 ArbVG könne eine Dienstunfähigkeit, die insgesamt nicht länger als sechs Monate dauere, nicht zur Entlassung berechtigen. Den Arbeitgeber treffe damit auch kein "unzumutbares Risiko", da es grundsätzlich ein Essentiale des Entlassungsrechts darstelle, dass den Arbeitgeber das Risiko einer unberechtigten Entlassung treffe; auch medizinisch gesehen seien bei einer krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit von weniger als einem Jahr Prognosen wesentlich leichter möglich. Da die Voraussetzungen des § 8 Abs 4 BehEinstG auch als Mindeststandard für die Entlassung angesehen werden müssten, habe der Arbeitgeber darüber hinaus auch nachzuweisen, dass der begünstigte Behinderte trotz seiner Zustimmung an einem anderen geeigneten Arbeitsplatz ohne erheblichen Schaden nicht weiter beschäftigt werden kann, was die beklagte Partei nicht getan habe.

Da das Berufungsgericht die maßgebliche Rechtsfrage richtig gelöst hat, reicht es aus, auf die Begründung der Berufungsentscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 27 Z 2 AngG liegt ein wichtiger Grund, der den Dienstgeber zur vorzeitigen Entlassung berechtigt, insbesondere vor, wenn der Angestellte unfähig ist, die versprochenen oder die den Umständen nach angemessenen Dienste zu leisten. Nach ständiger Judikatur muss es sich dabei um eine "dauernde", nicht bloß vorübergehende Dienstunfähigkeit handeln, die von so langer Dauer ist, dass dem Arbeitgeber nach den Umständen des Falles eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann (RIS-Justiz RS0029336, Arb 10.108, 11.144, RdW 1987, 268, RdW 1991, 23, DRdA 1994, 320 uva). Die Auffassung der Revisionswerberin, dass auf den subjektiven Eindruck abzustellen sei, den der Dienstgeber von der Situation habe, steht sowohl mit dem Wortlaut als auch dem erkennbaren Zweck der Bestimmung im Widerspruch. Schon das Berufungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die subjektive Einschätzung des Arbeitgebers nicht von Bedeutung sein kann, sondern die Frage, ob ein Entlassungstatbestand erfüllt ist, stets nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen ist (so schon 9 ObA 146/87; siehe auch RIS-Justiz RS0029107). Die von der beklagten Partei gewünschte Auslegung ist mit der gesetzlichen Interessenabwägung, eine vorzeitige Beendigung eines Dienstverhältnisses nur dort zuzulassen, wo der Weiterbestand tatsächlich für den Dienstgeber unzumutbar ist, nicht vereinbar. Es erscheint daher denkunmöglich, einen Entlassungsgrund schon bei jedem längeren Krankenstand immer dann anzunehmen, wenn der Dienstgeber nur die subjektive Fehlvorstellung hat, dass der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit nicht wieder arbeitsfähig wird. Es obliegt vielmehr dem Dienstgeber, sich über den zu erwartenden Heilungsverlauf ausreichend zu informieren, widrigenfalls er das Risiko eingeht, dass sich die Entlassung als unberechtigt erweist.

Da die beklagte Partei gar nicht behauptet, dass zum Zeitpunkt der Entlassungserklärung auch objektiv eine "dauernde" Dienstunfähigkeit im Sinne der zitierten Judikatur zu erwarten gewesen wäre und die Klägerin auch weniger als fünf Monate nach Beginn ihres Krankenstandes wieder dienstbereit und -fähig gewesen ist, kann - ohne dass auf die unzulässigen Neuerungen zum derzeitigen Gesundheitszustand der Klägerin eingegangen werden muss - dahingestellt bleiben, ob erst bei einer (objektiv beurteilten) Krankenstandsdauer von mehr als sechs Monaten im Regelfall eine "dauernde Arbeitsunfähigkeit" angenommen werden darf. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.