OGH vom 21.09.2006, 8ObA77/06s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling und Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andrea Komar und Dr. Lukas Stärker als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Grießer Gerlach Gahleitner, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Renate P*****, vertreten durch Robathin & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 30.552,13 netto sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Ra 23/06w-15, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Bei der Arbeitnehmerin wurde nach Ausspruch der Kündigung auf Grund eines - hier im Übrigen schon ein halbes Jahr - davor gestellten Antrages auf Feststellung der Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten im Sinne des § 2 BEinstG nach einem vorweg noch ablehnenden Bescheid der ersten Instanz schließlich von der Berufungskommission nach Verstreichen des Kündigungstermines die begünstigten Behinderteneigenschaft festgestellt. Die Arbeitnehmerin hat die Arbeitgeberin auch noch während der Kündigungsfrist von dem Antrag auf Zuerkennung der Behinderteneigenschaft verständigt. Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt allgemein ausgesprochen, dass es für den Eintritt der beschränkten Kündbarkeit nicht darauf ankommt, ob dem Dienstgeber die bescheidmäßige Feststellung der Zugehörigkeit des Dienstnehmers vor Ausspruch der Kündigung bekannt ist, sondern nur ob die Begünstigung im Zeitpunkt des Ausspruches bereits eingetreten war, und zwar auch dann, wenn dies erst auf Grund eines späteren Bescheides erfolgte (vgl allgemein RIS-Justiz RS0077684 mit zahlreichen weiteren Nachweisen, insb aber OGH 9 ObA 82/03d = Arb 12.369 = DRdA 2005/24). In der letztgenannten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof festgehalten, dass dann, wenn der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Ausspruches der Kündigung noch keine Kenntnis vom Antrag und der Zuerkennung der Behinderteneigenschaft hatte, es zwar nicht gerechtfertigt ist, dem Arbeitnehmer sofort ein Wahlrecht im Sinne eines Anspruches auf eine unter Berücksichtigung der Behinderteneigenschaft erhöhte Kündigungsentschädigung zuzubilligen, jedoch der Arbeitnehmer - auch entsprechend den Intentionen des BEinstG- die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses begehren kann. Die vorweg angenommene Verneinung des Anspruches auf eine Kündigungsentschädigung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass für den Anspruch auf Kündigungsentschädigung ja ein rechtswidriges Verhalten des Arbeitgebers vorausgesetzt werde, das hier erst dann eintreten könne, wenn der Arbeitgeber auch nach einer Erklärung des Arbeitnehmers hinsichtlich seiner Leistungsbereitschaft eine Weiterbeschäftigung ablehne. Genau das hat hier die Arbeitgeberin auch nach Verständigung von dem Antrag auf Zuerkennung der Behinderteneigenschaft während der Kündigungsfrist gemacht.
Soweit die Arbeitgeberin releviert, dass ihr nur die Möglichkeit offen stünde, das Risiko der Entgeltleistung zu tragen oder auch vor einer rechtskräftigen Zuerkennung der Behinderteneigenschaft bereits zu „submittieren" ist darauf hinzuweisen, dass sich mangels Arbeitsleistung der Entgeltanspruch ja nach § 1155 ABGB richtet und damit auch insbesondere zu prüfen wäre, inwieweit sich die Arbeitnehmerin nicht allenfalls das Einkommen aus anderweitigen Verwendungen, die auch von der Arbeitgeberin angeboten werden könnten, anzurechnen hätte (vgl dazu auch Rebhahn, Die Rechtslage während des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzprozesses, DRdA 1988, 16 ff; Krejci in Rummel ABGB3 § 1155 Rz 25; Pfeil in Schwimann ABGB3 § 1155 Rz 23, wobei hinsichtlich der mangelnden Vorwerfbarkeit der Beendigung als solcher auch auf die obgenannte Entscheidung zu 9 ObA 82/03d verwiesen werden kann). Mangels näherer Ausführung zu §§ 1155 ABGB bedarf es aber keines weiteren Eingehens auf diese Frage. Soweit die Klägerin releviert, dass sie nicht mit dem Risiko einer unrichtigen, vorweg die Behinderteneigenschaft verneinenden erstinstanzlichen Entscheidung belastet werden könnte und insoweit auch verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht werden könnten, ist darauf zu verweisen, diese unrichtige erstinstanzliche Entscheidung ja dem Rechtsstandpunkt der Klägerin, das eben keine Behinderteneigenschaft vorliegt, entsprochen hat. Allgemein ist in diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, dass die Entscheidung, ob eine Behinderteneigenschaft vorliegt, feststellenden Charakter hat (RIS-Justiz RS00110351 mwN etwa SZ 71/121; RIS-Justiz RS0110353 mwN etwa SZ 74/48 oder RIS-Justiz RS0110655 auch unter Hinweis auf den Charakter als „Statusentscheidung" - so zuletzt auch OGH 9 ObA 86/06x; Ernst/Haller BehinderteneinstellungsG6, 414). Der Umstand, dass diese Entscheidung nicht von den Gerichten, sondern von einer Verwaltungsbehörde zu treffen ist und die Gerichte dann daran gebunden sind sowie die Entscheidung des Gesetzgebers, die Wirkungen der Behinderteneigenschaft erst ab einem bestimmten Zeitpunkt, und zwar im Wesentlichen der Antragstellung eintreten zu lassen, wobei die Behinderteneigenschaft naturgemäß auch schon vorher vorliegen kann, wäre nur dann verfassungsrechtlich unter dem Aspekt des Art 6 MRK bedenklich, wenn man davon ausginge, dass dem Arbeitgeber bei der Feststellung der Behinderteneigenschaft Parteistellung einzuräumen wäre. Genau dies hat der Verfassungsgerichtshof aber in seinem Erkenntnis vom B 639/87 Slg 11.934 ganz allgemein verneint. Geht man mit dem Verfassungsgerichtshof aber davon aus, dass es sich bei der Frage der Feststellung der Behinderteneigenschaft - anders als bei der Frage der (nachträglichen) Zustimmung zur Kündigung (VfGH VfSlg 12.933) - ganz allgemein nicht um „die Sache" des Arbeitgebers im Sinne des Art 6 Abs 1 MRK handelt, so fehlt es schon an einem Ansatz, um im Sinne der Ausführungen der Arbeitgeberin in „ihrer Sache" durch eine rechtsirrig - im Übrigen auch im Sinne der Arbeitgeberin - die Behinderteneigenschaft verneinenden Entscheidung der ersten Instanz belastet zu sein. Die Behinderteneigenschaft wird ja auch im folgenden bloß festgestellt (s oben).
Weiters ist aber auch auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu verweisen, die gegenteilig davon ausgeht, dass es unter dem Aspekt des rechtsstaatlichen Prinzips nicht angeht, den Rechtsschutzsuchenden - hier die Arbeitnehmerin - generell einseitig mit allen Folgen einer potentiell rechtswidrigen behördlichen Entscheidung so lange zu belasten bis das Rechtsschutzgesuch endgültig erledigt ist (vgl dazu etwa VfGH VfSlg 13.305 oder VfGH VfSlg 12.683 ua). Genau dies würde aber eintreten, wenn man dem Rechtsstandpunkt der Arbeitgeberin folgt, dass die Behinderte für den Zeitraum bis zur endgültigen rechtsrichtigen Entscheidung nach einer rechtsirrigen erstinstanzlichen Entscheidung keinen Entgeltanspruch hätte.
Es ist nun im Ergebnis nicht zu übersehen, dass dem Arbeitgeber keine Möglichkeit offen steht, seine Einschätzung des mangelnden Vorliegens der Eigenschaft einer begünstigten Behinderten in einem behördlichen Verfahren durchzusetzen. Dies wurde aber vom Verfassungsgerichtshof auch unter Hinweis auf die in diesem behördlichen Verfahren zur Beurteilung anstehenden höchstpersönlichen Umstände aus der Sphäre des Behinderten als unter dem Aspekt des Art 6 Abs 1 EMRK unbedenklich eingestuft. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber auch in anderen Bereichen bei besonders geschützten Arbeitnehmergruppen vorgesehen hat, dass Arbeitgeberkündigungen ohne ein dem Arbeitgeber zurechenbares „Fehlverhalten" nachträglich unwirksam werden können, weil sich herausstellt, dass die Zugehörigkeit zu dieser besonders schutzwürdigen Arbeitnehmergruppe gegeben ist (vgl § 10 Abs 2 MSchG).