TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VfGH vom 17.06.1997, B592/96

VfGH vom 17.06.1997, B592/96

Sammlungsnummer

14863

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Versagung eines Sichtvermerks für einen mit einer Österreicherin verheirateten Ausländer infolge denkunmöglicher Auslegung des Begriffs "EWR-Bürger"; Beschwerdeführer auch begünstigter Drittstaatsangehöriger

Spruch

I. Der Erstbeschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Erstbeschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit S 18.000,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

II. Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Erstbeschwerdeführer, ein rumänischer Staatsangehöriger, kam im Jahre 1990 als Asylwerber nach Österreich. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom wurde sein Asylantrag abgewiesen, bis erlaubte ihm ein Sichtvermerk den Aufenthalt im Bundesgebiet. Seit ist er mit der Zweitbeschwerdeführerin - einer österreichischen Staatsbürgerin - verheiratet. Ein am gestellter Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach dem Aufenthaltsgesetz wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom gemäß § 13 Abs 1 iVm. § 6 Abs 2 AufenthaltsG, BGBl. 466/1992, im Instanzenzug abgewiesen.

Am stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes "analog §§28 ff Fremdengesetz", BGBl. 838/1992 (im folgenden: FrG). Mit Bescheid vom wies die Bezirkshauptmannschaft Bregenz (im folgenden: BH Bregenz) diesen Antrag gemäß § 29 iVm. § 5 FrG unter Hinweis darauf ab, daß die Ehegattin des Erstbeschwerdeführers österreichische Staatsbürgerin sei; der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge seien österreichische Staatsbürger nicht vom Begriff "EWR-Bürger" des FrG umfaßt, sodaß der Erstbeschwerdeführer nicht als begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne der §§28 ff. FrG angesehen werden könne.

2. In der dagegen gerichteten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt.

3. Die BH Bregenz hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Darin führt sie aus, daß "die Erlangung eines aufenthaltsrechtlichen Status nach dem Fremdengesetz wie auch nach dem Aufenthaltsgesetz an dieselben Bedingungen geknüpft" sei. Da die Ehe der Beschwerdeführer bereits seit Dezember 1994 bestehe, sei mit der "Aufspaltung des Fremdenrechts in das Fremdengesetz bzw. Aufenthaltsgesetz und mit der damit verbundenen Unterscheidung zwischen EWR-Bürgern einerseits und österreichischen Staatsbürgern andererseits im konkreten Fall keine Schlechterstellung bzw. Diskriminierung von österreichischen Staatsbürgern gegenüber EWR-Bürgern" bzw. deren aus einem Drittstaat kommenden Angehörigen verbunden. Selbst wenn man der Auffassung der Beschwerdeführer folgen und die Zweitbeschwerdeführerin als EWR-Bürgerin im Sinne der §§28 ff. FrG behandeln wollte, wäre für den Erstbeschwerdeführer nichts gewonnen, weil auch Drittstaatsangehörige von EWR-Bürgern einen Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes vom Ausland aus zu stellen hätten. Der Erstbeschwerdeführer habe sich jedoch zum Zeitpunkt seiner Antragstellung unerlaubt im Inland aufgehalten. Die Umgehung der fremdenrechtlichen Bestimmung stelle aufgrund der Beispielswirkung auf andere Fremde einen Umstand dar, der die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde, sodaß die Erteilung des Sichtvermerkes gemäß § 29 Abs 2 FrG zu versagen wäre. Die belangte Behörde beantragt abschließend die - kostenpflichtige - Abweisung der vorliegenden Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1.1. Der angefochtene Bescheid gestaltet ausschließlich Rechte des Erstbeschwerdeführers, dessen Sichtvermerksantrag abgewiesen wurde; in die Rechtssphäre der Zweitbeschwerdeführerin, seiner Ehefrau, greift er nicht ein (vgl. ; , B417/90; , B3191/95, G1372/95); es fehlt ihr also die Legitimation zur Beschwerdeerhebung.

Die Beschwerde war daher insoweit zurückzuweisen.

1.2. Soweit die Beschwerde jedoch vom Erstbeschwerdeführer erhoben wird, erweist sie sich, da das Vorliegen von Prozeßhindernissen nicht behauptet wurde und solche auch nicht hervorgekommen sind, als zulässig (s. § 70 Abs 2 FrG).

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in das durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art 8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hat, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art 8 Abs 1 EMRK widersprechenden und durch Art 8 Abs 2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg. 11638/1988).

2.1. Die BH Bregenz stützt die Abweisung des Antrages auf Erteilung eines Sichtvermerkes auf § 29 FrG und begründet diese - ungeachtet der weiteren Ausführungen in der Gegenschrift, die hier unbeachtet zu bleiben haben, bloß - im wesentlichen damit, die Zweitbeschwerdeführerin sei als österreichische Staatsbürgerin nicht EWR-Bürgerin im Sinne der §§28 ff. FrG, der Erstbeschwerdeführer sei daher nicht begünstigter Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 29 FrG.

2.2. Die §§1 Abs 1, 28 und 29 FrG lauten:

"1. Teil. Begriffsbestimmungen

§1. (1) Fremder ist, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt.

(2)...

(3)...

(4)...

...

4. Teil. Sonderbestimmungen

für Einreise und Aufenthalt von EWR-Bürgern

Sichtvermerksfreiheit und

Aufenthaltsberechtigung von EWR-Bürgern

§28. (1) EWR-Bürger sind Fremde, die Staatsangehörige einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) sind.

(2) EWR-Bürger brauchen zur Einreise und zum Aufenthalt keinen Sichtvermerk.

(3) EWR-Bürger sind zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. EWR-Bürger, die nicht über ausreichende eigene Mittel zu ihrem Unterhalt oder über keine Krankenversicherung verfügen, die alle Risken abdeckt, sind nur zum Aufenthalt berechtigt, wenn sie der Behörde


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
eine Einstellungserklärung ihres Arbeitgebers oder eine Arbeitsbescheinigung vorlegen können oder
2.
nachweisen können, daß sie eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben oder
3.
nachweisen können, daß sie innerhalb eines Zeitraumes von sechs Monaten nach der Einreise begründete Aussicht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit haben oder
4.
nachweisen können, daß ihnen als Familienangehöriger eines zum Aufenthalt berechtigten EWR-Bürgers Unterhalt gewährt wird.

Aufenthaltsberechtigung von

Drittstaatsangehörigen

§29. (1) Angehörige von EWR-Bürgern, die zwar Fremde aber nicht EWR-Bürger sind (Drittstaatsangehörige), unterliegen der Sichtvermerkspflicht gemäß § 5.

(2) Sofern die EWR-Bürger zum Aufenthalt berechtigt sind, ist begünstigten Drittstaatsangehörigen (Abs3) ein Sichtvermerk auszustellen, wenn durch deren Aufenthalt nicht die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet wäre. Der Sichtvermerk ist mit fünf Jahren, in den Fällen der beabsichtigten Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den EWR-Bürger (§28 Abs 3 Z 3) jedoch mit sechs Monaten ab dem Zeitpunkt seiner Einreise zu befristen.

(3) Begünstigte Drittstaatsangehörige sind

1. Kinder bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres und Ehegatten;

2. Verwandte der EWR-Bürger in auf- und absteigender Linie oder ihre Ehegatten, sofern ihnen Unterhalt gewährt wird.

(4) Amtshandlungen im Zusammenhang mit der Erteilung von Sichtvermerken an begünstigte Drittstaatsangehörige sind von den Stempelgebühren und den Verwaltungsabgaben befreit."

2.3. Bemerkt wird zunächst, daß gegen § 28 FrG keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Denn die in dessen Abs 2 und Abs 3, erster Satz, enthaltenen Regelungen vermitteln den EWR-Bürgern, die nicht österreichische Staatsbürger sind, keine Rechte, die letzteren nicht ohnehin zukommen. Die weiteren Anordnungen des § 28 Abs 3 leg.cit. betreffen jedoch schon kraft der Begriffsumschreibung des § 28 Abs 1 FrG nur nicht-österreichische EWR-Bürger.

Die belangte Behörde mißt unter Berufung auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (s. -0132, , 94/18/0465-0472, 95/18/0128, , 95/21/1248) dem Begriff des "EWR-Bürgers" in § 28 FrG einerseits und jenem in § 29 FrG andererseits jeweils den gleichen Inhalt bei. Dies bedeutet offenkundig eine Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger gegenüber (in § 28 Abs 1 FrG "definierten") Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten des EWR mit Ausnahme Österreichs.

Für eine solche Schlechterstellung österreichischer Staatsbürger gegenüber ausländischen Staatsangehörigen läßt sich im konkreten Zusammenhang aber keinerlei sachliche Rechtfertigung finden (vgl. VfSlg. 13084/1992 mwH; s. auch den Prüfungsbeschluß des ). Vor allem wäre eine derart unterschiedliche Behandlung diskriminatorisch im Sinne des Art 14 iVm. Art 8 EMRK, da eine "objektive und vernünftige Rechtfertigung" dafür nicht ersichtlich ist, weil sie offenkundig kein legitimes Ziel verfolgt (vgl. EGM , Abdulaziz, EuGRZ 1985, 567 ff. (570), EGM , Inze, ÖJZ 1988, 177 f. (178), EGM , Darby, ÖJZ 1991, 392 ff. (392)).

Dies gilt umsomehr, als der Gesetzgeber auch bei Umsetzung des Gemeinschaftsrechts (hier: vor allem der Richtlinie 64/221/EWG, der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und der Richtlinie 68/360/EWG) jedenfalls insofern an bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben gebunden ist, als eine Umsetzung durch diese nicht inhibiert wird (was in der Lehre als "doppelte Bindung" des Gesetzgebers bei Umsetzung von Gemeinschaftsrecht bezeichnet wird; vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, 3. Aufl., Wien 1997, 98).

Zunächst scheint der systematische Zusammenhang des § 28 FrG dafür zu sprechen, daß der Begriff "EWR-Bürger" (mit Wirkung für den 4. Teil des FrG) auch in § 29 nicht ausdehnend interpretiert werden könnte. Dies würde jedoch zu einem verfassungswidrigen Ergebnis führen und läge auch nicht in der Intention des Gesetzgebers. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob man die Lösung in einer verfassungskonformen, den Begriff "EWR-Bürger" in § 29 FrG auf österreichische Staatsbürger erweiternden Interpretation sieht oder ob man annimmt, daß hinsichtlich österreichischer Staatsbürger eine - planwidrige - Lücke besteht, die in verfassungskonformer Weise zu schließen ist. Beides führt zum selben Ergebnis:

§ 29 FrG ist jedenfalls dahin auszulegen, daß die Aufenthaltsbewilligung von Drittstaatsangehörigen sämtlicher EWR-Bürger, also auch die Aufenthaltsbewilligung von Drittstaatsangehörigen österreichischer Staatsbürger, einheitlichen (begünstigenden) Regelungen unterworfen ist. Allein dies entspricht auch dem aus Art 8 iVm. Art 14 EMRK erfließenden Gebot, die in der EMRK festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung zu gewährleisten.

2.4. Indem die belangte Behörde dies verkannte und eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat, hat sie einen so schweren Fehler begangen, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist. Der Erstbeschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Bescheid sohin in dem durch Art 8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung

gründet sich auf § 88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von S 3.000,-- enthalten.

IV. Diese Entscheidung konnte

gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.