OGH vom 19.12.2001, 9ObA174/01f

OGH vom 19.12.2001, 9ObA174/01f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Maria M*****, Raumpflegerin, *****, vertreten durch Dr. Thomas Stampfer und Dr. Christoph Orgler, Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, Josef-Pongratz-Platz 1, 8010 Graz, vertreten durch Dr. Helmut Destaller ua, Rechtsanwälte in Graz, wegen Kündigungsanfechtung (Streitwert S 300.000), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 47/01p-17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 9 Cga 26/00y-12, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S

13.725 (darin S 2.287,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Rechtliche Beurteilung

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und Aktenwidrigkeit (§ 503 Z 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor; diese Beurteilung bedarf keiner Begründung (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO). Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Sozialwidrigkeit der Kündigung zutreffend verneint. Es reicht daher insofern aus, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung hinzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend und klarstellend ist den Ausführungen der Revisionswerberin Folgendes entgegenzuhalten:

Bei der Lösung der Frage, ob eine Kündigung sozial ungerechtfertigt ist (§ 105 Abs 3 Z 2 ArbVG), muss vorerst ohne Rücksicht auf andere Anfechtungsvoraussetzungen und ohne Koppelung mit anderen Tatbeständen oder Tatbestandsmerkmalen geprüft werden, ob durch sie wesentliche Interessen des betroffenen Arbeitnehmers beeinträchtigt werden (Arb 10.755; DRdA 1989/24 [Floretta]; RdW 1996, 332; RIS-Justiz RS0051640, RS0051746). Für diese Umstände ist der anfechtende Arbeitnehmer behauptungs- und beweispflichtig (Arb 10.874; RdW 2001/250; RIS-Justiz RS0051640). Dieser Nachweis ist der Klägerin nicht gelungen.

In die Untersuchung, ob durch eine Kündigung wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt werden, sind nicht nur die Möglichkeit der Erlangung eines neuen, einigermaßen gleichwertigen Arbeitsplatzes bzw der damit verbundene Einkommensverlust einzubeziehen; es ist vielmehr auf die gesamte wirtschaftliche und soziale Lage des Arbeitnehmers abzustellen (Kuderna, DRdA 1975, 9 [11 ff]; Schwarz in Cerny/Haas-Laßnigg/Schwarz, Arbeitsverfassungsrecht Bd 3, § 105 Erl 20; Arb 10.755; DRdA 1989/24 [Floretta]; DRdA 1992/53 [Mosler]; DRdA 1994/20 [Trost]; wbl 1999/369; 9 ObA 197/00m; RIS-Justiz RS0051703, RS0051741, RS0051806, RS0110944 ua), sodass im vorliegenden Fall neben der (in Erfüllung gegangenen) Prognose (RdW 1997, 299; RIS-Justiz RS0051772), dass es für die Klägerin kein Problem sei, einen neuen Arbeitsplatz zu erlangen, wenn auch unter Umständen Abstriche beim Einkommen hingenommen werden müssen, auch das Fehlen von Schulden und Sorgepflichten der Klägerin und das vergleichsweise höhere Einkommen ihres Ehegatten zu berücksichtigen sind.

Das Tatbestandsmerkmal der Beeinträchtigung wesentlicher Interessen iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG hat die primäre Funktion, den Kündigungsschutz jenen Arbeitnehmern zu gewähren, die auf ihren Arbeitsplatz zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes angewiesen sind (RdW 1994, 253); auf die Beibehaltung des konkreten Arbeitsverhältnisses kann es dabei - ungeachtet der Vorteile einer längeren Betriebszugehörigkeit - nicht ankommen (wbl 1999/369). Eine finanzielle Schlechterstellung genügt entgegen der Auffassung der Revisionswerberin nicht (ZASB 2001, 33), es sei denn, sie erreicht ein solches Ausmaß, dass sie - unter Berücksichtigung aller Faktoren - eine fühlbare, ins Gewicht fallende Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Lage zur Folge hat (Kuderna, DRdA 1975, 9 [12]; DRdA 1992/53 [Mosler]). Gewisse Schwankungen in der Einkommenslage muss nämlich jeder Arbeitnehmer im Laufe des Arbeitslebens hinnehmen (Kuderna, DRdA 1975, 9 [12]; ZAS 1994/4; ARD 5001/13/99); dabei ist nicht auf starre Prozentsätze bei den Einbußen abzustellen (vgl Schwarz aaO § 105 Erl 20; 9 ObA 261/98t).

Werden der Klägerin wie im vorliegenden Fall verschieden hohe, auf dem Arbeitsmarkt voraussichtlich zu erzielende Einkommen prognostiziert, darf bei der Prüfung der Sozialwidrigkeit nicht einfach auf das geringste Einkommen gerade jenes Arbeitsplatzes abgestellt werden, weil dieser mit dem Fahrrad erreichbar ist. Entgegen der Annahme der Revisionswerberin genügt nicht schon die Beeinträchtigung von Interessen schlechthin, sondern es müssen wesentliche Interessen des Arbeitnehmers beeinträchtigt sein (Kuderna DRdA 1975, 9 [10]; dies hat auch in Bezug auf den Arbeitsort zu gelten, der nicht schon allein deshalb als unzumutbar auszuscheiden ist, weil er nicht wie bisher mit dem Fahrrad erreichbar ist (vgl 9 ObA 231/94).

Die Berücksichtigung auch des Einkommens des Ehegatten des gekündigten Arbeitnehmers entspricht grundsätzlich der ständigen Rechtsprechung (Arb 10.755; DRdA 1991/3 [Schwarz]; DRdA 1994/29 [Eypeltauer]; ARD 4966/3/98; RIS-Justiz RS0051703, RS0051845). In diesem Zusammenhang ist aber klarstellend festzuhalten, dass es sich auch dabei nur um einen von mehreren Faktoren handelt, der im Rahmen der gebotenen Gesamtprüfung bei der Sozialwidrigkeit zu berücksichtigen ist, dem aber kein Vorrang gegenüber anderen Aspekten beigemessen werden darf. Es kommt vielmehr immer darauf an, alle sozialen Umstände zueinander in Beziehung zu setzen und insgesamt eine Beurteilung vorzunehmen (Schwarz aaO § 105 Erl 20; wbl 1999/369). Wegen der notorischen Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern (vgl Wirtschafts- und sozialstatistisches Taschenbuch 1999, Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 237 ff) ist das Einkommen der Ehegatten gekündigter Arbeitnehmerinnen im Rahmen der Gesamtprüfung der Sozialwidrigkeit abstellend auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu gewichten, um nicht allenfalls auf diesem Weg eine Diskriminierung der Frauen bei der Beendigung der Arbeitsverhältnisse auf Grund des Geschlechts herbeizuführen (vgl § 2 Abs 1 Z 7 GlBG), indem ihnen im Endeffekt durch eine zu wenig differenzierende Einbeziehung der familiären Situation ein geringerer Kündigungsschutz als Männern zuteil wird (vgl Schwarz, DRdA 1984, 69 [78 f]; Schwarz aaO § 105 Erl 20; Smutny/Mayr, GlBG 310). In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass Art 2 Abs 1 Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207/EWG ausdrücklich anordnet, dass der Grundsatz der Gleichbehandlung beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf (Eichinger, Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsausbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, in Oetker/Preis, Europäisches Arbeits- und Sozialrecht, EAS, B4200 RdNr 39).

Das soziale und familiäre Umfeld darf sohin nicht nach einem einheitlichen Maßstab berücksichtigt werden; es kommt vielmehr auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles an (Eichinger, Die Frau im Arbeitsrecht 339). Der Grad der wirtschaftlichen Absicherung eines Arbeitnehmers außerhalb seines Arbeitsverhältnisses kann ein unterschiedlicher sein. Dabei kann auch eine Rolle spielen, ob und inwieweit Unterhaltsansprüche in aufrechter Ehe vom Ehegatten des gekündigten Arbeitnehmers tatsächlich erfüllt werden oder nur bei gleichzeitiger Betreibung der Auflösung der Ehegemeinschaft durchsetzbar sind (Trost in DRdA 1994/20). Aber auch für derartige, die Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten unter Umständen einschränkende Aspekte ist zu beachten, dass sie vom behauptungs- und beweisbelasteten Arbeitnehmer dargetan werden müssen (Arb 10.874; RdW 2001/250; RIS-Justiz RS0051640). Dies ist im vorliegenden Fall nicht geschehen.

Da jede Kündigung die Interessen eines Arbeitnehmers beeinträchtigt und damit soziale Nachteile verbunden sind, müssen zusammenfassend Umstände vorliegen, die über das normale Maß hinaus eine Kündigung für den Arbeitnehmer nachteilig machen (wbl 1999/369; RIS-Justiz RS0051727, RS0051753). Derartige Gründe liegen hier insgesamt unter Bedachtnahme auf die festgestellte wirtschaftliche und soziale Gesamtsituation der Klägerin nicht vor. Da somit der Anfechtungsgrund einer Beeinträchtigung wesentlicher Interessen nicht gegeben ist, ist auf die Frage des Vorliegens eines Ausnahmetatbestandes im Sinne des § 105 Abs 3 Z 2 lit b ArbVG (Betriebsbedingtheit der Kündigung) nicht mehr einzugehen (ZAS 1992/9 [Pircher]). Die Kündigung der Klägerin ist nicht sozialwidrig.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.