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OGH vom 17.12.2008, 9ObA164/08w

OGH vom 17.12.2008, 9ObA164/08w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling und Dr. Hopf sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Erwin Blazek und Mag. Michael Zawodsky als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Kristina H*****, vertreten durch Dr. Harald Burmann ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Bernhard Wörgötter, Rechtsanwalt in St. Johann in Tirol, wegen 1.169 EUR brutto zuzüglich 181,90 EUR netto sA und Ausstellung eines Dienstzeugnisses (Streitwert 2.180 EUR; Revisionsinteresse 2.180 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 15 Ra 65/08h-17, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 48 Cga 125/07h-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zur Formulierung von Wertungen in Dienstzeugnissen keine jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege. Den dabei gebrauchten Wendungen komme aber insbesondere in Zeiten der globalen Vernetzung durch das Internet eine sich rasch wandelnde Bedeutung zu (§ 502 Abs 1 ZPO). Die Revisionswerberin schloss sich dieser Begründung der Zulässigkeit der Revision an und rügte, das Berufungsgericht habe das vorliegende Dienstzeugnis in einzelne Wörter „zerpflückt" und diese mit irgendwelchen in den „unendlichen und unkontrollierten Weiten des Cyberspace" aufgefundenen „Geheimcodes" verglichen, über deren Existenz keine Feststellungen getroffen worden seien. Die Revisionsgegnerin bestritt demgegenüber das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage und beantragte die Zurückweisung der Revision der Beklagten.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Zurückweisung der ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Nach dem hier anzuwendenden § 1163 Abs 1 ABGB (siehe auch die Regelung des Zeugnisses nach § 39 AngG) besteht bei Beendigung des Dienstverhältnisses ein Anspruch des Dienstnehmers auf Ausstellung eines Dienstzeugnisses über die Dauer und Art der Dienstleistung. Eintragungen und Anmerkungen im Zeugnis, durch die dem Dienstnehmer die Erlangung einer neuen Stelle erschwert wird, sind unzulässig. Der Dienstgeber ist nur verpflichtet, ein „einfaches" Dienstzeugnis über Dauer und Art der Dienstleistung auszustellen; es besteht kein Anspruch des Dienstnehmers auf ein „qualifiziertes" Dienstzeugnis mit Werturteilen des Dienstgebers über Leistung und Führung im Dienst (siehe dazu die grundlegende Untersuchung von Runggaldier/Eichinger, Arbeitszeugnis 52, 54 mwN; 9 ObA 185/99t; 8 ObA 217/00w; RIS-Justiz RS0029978 ua). Die Hauptfunktion des Dienstzeugnisses besteht in seiner Verwendung als Bewerbungsunterlage im vorvertraglichen Arbeitsverhältnis. Es dient dem Stellenbewerber als Nachweis über zurückliegende Dienstverhältnisse und dem präsumtiven Dienstgeber als Informationsquelle über die Qualifikation des Bewerbers (9 ObA 205/98g; RIS-Justiz RS0111190 ua). Das Dienstzeugnis hat daher vollständig und objektiv richtig zu sein; die Formulierung ist allerdings dem Dienstgeber vorbehalten (9 ObA 185/99t; 8 ObA 217/00w ua). Das Dienstzeugnis soll dem Dienstnehmer die Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes erleichtern (Spenling in KBB² § 1163 ABGB Rz 1 ua). Die Ausstellung eines den tatsächlichen Arbeitsleistungen des Arbeitnehmers nicht entsprechenden „Gefälligkeitszeugnisses" verstößt gegen die Wahrheitspflicht und ist daher unzulässig (Runggaldier/Eichinger aaO 99;Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 39 Rz 16; Reissner in ZellKomm § 39 AngG Rz 28 ua).

Andererseits ist aber nach § 1163 Abs 1 letzter Satz ABGB auch jeder Hinweis unzulässig, der die Erlangung einer neuen Stellung erschwert („Erschwerungsverbot"). Das Dienstzeugnis darf daher - auch nicht indirekt - Angaben enthalten, die objektiv geeignet wären, dem Dienstnehmer die Erlangung einer neuen Dienststelle zu erschweren (8 ObA 217/00w; RIS-Justiz RS0030868 ua). Das Versehen des Dienstzeugnisses mit „Geheimcodes", die potenzielle Dienstgeber über (tatsächliche oder vermeintliche) Unzulänglichkeiten des Dienstnehmers informieren sollen, ist unzulässig (Runggaldier/Eichinger aaO 80;Eichinger, Anforderungen an den Inhalt eines Dienstzeugnisses, RdW 1995, 347 [348]; Holzer aaO § 39 Rz 19 ua). Die Formulierung darf daher auch nicht „zwischen den Zeilen" ein für den Dienstnehmer negatives Gesamtbild durchblicken lassen (Gahleitner in Löschnigg, AngG8 § 39 Rz 9; Arb 11.314 ua). Werturteile, soweit sie für den Dienstnehmer nicht zweifelsfrei günstig sind, dürfen nicht in das Dienstzeugnis aufgenommen werden (vgl Gahleitner aaO § 39 Rz 12; Gerhartl, Probleme des Dienstzeugnisses, ASoK 2008, 413 [415] ua). Der Grundsatz der Zeugniswahrheit findet somit im Erschwerungsverbot eine Grenze (Eichinger, RdW 1995, 347 [348]). Im Einzelfall können daher Wahrheitspflicht und Erschwerungsverbot dazu führen, dass nur ein einfaches Dienstzeugnis in Betracht kommt (vgl Runggaldier/Eichinger aaO 99;Gerhartl, ASoK 2008, 413 [416] ua).

Die Vorinstanzen gelangten unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung und Lehre zur rechtlichen Beurteilung, dass das von der Beklagten nach der fristlosen Entlassung der Klägerin ausgestellte Dienstzeugnis gegen das Erschwerungsverbot verstößt. Strittig ist dabei in erster Linie die Formulierung, dass die Klägerin alle ihr übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit" erledigt habe. Da die Beklagte nicht die bestmögliche positive Formulierung „zur vollsten Zufriedenheit" verwendet habe, könne eine Abwertung der Klägerin nicht ausgeschlossen werden. Das gegenständliche Dienstzeugnis könne daher nicht bedenkenlos als positive Bewertung der Klägerin qualifiziert werden.

Der Oberste Gerichtshof wies bereits zu 9 ObA 185/99t darauf hin, dass die Frage, ob die in einem Dienstzeugnis enthaltene, über das gesetzliche Mindesterfordernis hinausgehende Tätigkeitsbeschreibung durch ihre Akzentuierungen als Negativbeurteilung aufgefasst wird, keine erhebliche Rechtsfrage bildet. Eine normierte einheitliche „Zeugnissprache" gibt es nicht; die Formulierung des Dienstzeugnisses ist dem Dienstgeber vorbehalten. Der Frage, wie im konkreten Einzelfall eine Formulierung subjektiv verstanden werden kann, kommt daher keine erhebliche Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zu.

Der vorliegende Fall bietet keinen Grund, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Von einer unvertretbaren Beurteilung des Berufungsgerichts kann keine Rede sein. Dass die Wendung „zur vollsten Zufriedenheit" in Dienstzeugnissen gebräuchlich ist, bezweifelt auch die Revisionswerberin nicht. Ihrem Einwand, eine Steigerung von „voll" ergebe „keinen Sinn" und „sei nach der Grammatik absolut unrichtig", steht die bei Dienstzeugnissen tatsächlich gehandhabte Praxis, die in dieser Formulierung durchaus eine Relevanz sieht, entgegen. Im Übrigen ist es zwar richtig, dass Komparativ- und Superlativformen bei jenen Adjektiven unüblich sind, die bereits einen höchsten oder geringsten Grad bezeichnen. Dennoch werden aber auch solche Adjektive gelegentlich gesteigert (zB das Adjektiv „voll" in „zu meiner vollsten Zufriedenheit" in einem Dienstzeugnis), wenn der höchste oder geringste Grad noch verstärkt werden soll (Duden, Richtiges und gutes Deutsch6 945). Gerade in der „Zeugnissprache" spielen Superlative eine besonders große Rolle (Cerwinka/Knell/Schranz, Dienstzeugnisse 49). Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, das gegenständliche Dienstzeugnis sei nicht zweifelsfrei günstig für die Klägerin, ist daher jedenfalls vertretbar (vgl Gahleitner aaO § 39 Rz 12; Trattner, Das Dienstzeugnis und sein Inhalt, ASoK 2008, 144 [145]; Gerhartl, ASoK 2008, 413 [416]; Cerwinka/Knell/Schranz aaO 26; ARD 5937/12/2008 ua). Für dieses Kalkül müssen, entgegen der Rüge der Revisionswerberin, die „unendlichen und unkontrollierten Weiten des Cyberspace" nicht bemüht werden. Die Beklagte hat aber nicht nur gegen das Erschwerungsverbot verstoßen; der Inhalt eines Dienstzeugnisses hat auch wahr zu sein (8 ObA 217/00w ua). Nach den Verfahrensergebnissen kann keine Rede davon sein, dass die Klägerin alle ihr übertragenen Aufgaben „zur vollen Zufriedenheit" erledigt hat. Das Gegenteil war der Fall, weshalb die Klägerin - nach den unbekämpft gebliebenen Ergebnissen des erstgerichtlichen Verfahrens - auch zu Recht wegen beharrlicher Verletzung ihrer Pflichten nach § 82 lit f GewO 1859 entlassen wurde. Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ausstellung eines einfachen Dienstzeugnisses besteht daher zu Recht.

Mangels erheblicher Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision der Beklagten, ungeachtet ihrer Zulassung durch das Berufungsgericht, zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerin hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels ausdrücklich hingewiesen (RIS-Justiz RS0035962 ua).