OGH vom 29.01.2015, 9ObA135/14i

OGH vom 29.01.2015, 9ObA135/14i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer und Dr. Hargassner sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Harald Kohlruss als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Dr. D***** S*****, vertreten durch Dr. Christoph Naske, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei DI P***** I*****, vertreten durch Dr. Rainer Kornfeld, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1.373,65 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 10 Ra 43/14p 14, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom , GZ 27 Cga 49/13t 10, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wie folgt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 1.070,26 EUR samt 4 % Zinsen seit binnen 14 Tagen zu zahlen.

2. Das auf Zahlung von weiteren 303,39 EUR samt 4% Zinsen seit gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.

3. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 751,42 EUR (darin 125,24 EUR USt) bestimmten Prozesskosten zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 274,23 EUR (darin 45,70 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 188,62 EUR (darin 31,44 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war beim Beklagten vom bis als Patentanwaltsanwärterin mit einem Monatsgehalt von 3.450 EUR brutto, 14 mal jährlich, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis war kein Kollektivvertrag anwendbar.

Die Klägerin verbrauchte im ersten Arbeitsjahr 2010/2011 21 Arbeitstage Urlaub, im zweiten Arbeitsjahr 2011/2012 35 Arbeitstage Urlaub und im dritten (begonnenen) Arbeitsjahr (vom bis ) keinen Urlaub. Der Beklagte rechnete die Urlaubstage nach dem Kalenderjahr ab. Die Klägerin erhielt jeweils jährliche auf das Kalenderjahr bezogene Urlaubsaufzeichnungen. Beiden Parteien war während des Dienstverhältnisses nicht bekannt, dass das Urlaubsgesetz als Urlaubsjahr grundsätzlich das Arbeitsjahr vorsieht. Bei der Vereinbarung des Urlaubs für und , bis und bis (insgesamt 12 Arbeitstage) war den Parteien nicht bewusst, dass sie damit einen „Urlaubsvorgriff“ auf das nächste Urlaubsjahr machen würden. Eine Vereinbarung über den Urlaubsvorgriff wurde nicht getroffen. Hätte die Klägerin gewusst, dass es sich bei dem vereinbarten Urlaub für das Jahr 2012 teilweise um einen Urlaubsvorgriff handelt, der auf den Urlaubsanspruch des nächsten Urlaubsjahres angerechnet werden würde, hätte sie den letzten (Lern-)Urlaub nicht genommen.

Während ihres Krankenstands vom bis wurde die Klägerin vom Beklagten gekündigt und von Beendigung des Krankenstands bis zum Ende der Kündigungsfrist () dienstfrei gestellt. Die Parteien trafen keine Vereinbarung, wonach die Klägerin ihre Sonderzahlungen im vollen Ausmaß auch für Zeiten erhalten sollte, in denen sie den halben oder keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankenstand hat.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten 1.373,65 EUR brutto, bestehend aus restlicher Urlaubsersatzleistung (1.070,26 EUR) und restlichen Sonderzahlungen für das Jahr 2012 (303,39 EUR).

Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Die Klägerin habe mit Ausnahme von 6,15 Arbeitstagen, für die sie eine Urlaubsersatzleistung erhalten habe, den gesamten Urlaub verbraucht. Bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung im Jahr 2011 sei auch der Klägerin klar gewesen, dass sie damit einen Urlaubsvorgriff auf das Urlaubsjahr 2012/2013 nehme. Da der Beklagte der Klägerin zusätzlich Urlaub für eine Prüfungsvorbereitung, die Prüfung und einen Umzug gewährt und Ausbildungskosten für einen Kurs übernommen habe, sei das Begehren der Klägerin zudem sittenwidrig. Die Klägerin berücksichtige bei der Berechnung der Sonderzahlungen nicht, dass ihr für einen Zeitraum von 4 Wochen nur das halbe Entgelt an Entgeltfortzahlung im Krankenstand und damit auch nur der halbe Sonderzahlungsanspruch zustehe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs sei zulässig. So wie die Urlaubsübertragung vollziehe sich auch der Urlaubsvorgriff von selbst. Für den Zeitraum der Entgeltfortzahlung im Krankenstand, in dem der Klägerin nur das halbe Entgelt gebühre ( bis ), stünden Sonderzahlungen nur zur Hälfte zu.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Insbesondere § 10 UrlG, der auf den Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses abstelle, zeige, dass der Gesetzgeber im laufenden Arbeitsverhältnis von einem automatischen Übertrag von zu viel oder zu wenig verbrauchten Urlaub ausgehe. Eine unrichtige Vorstellung der Klägerin darüber, dass ein Urlaubsvorgriff auf den Urlaubsanspruch des nächsten Urlaubsjahres angerechnet werden dürfe, sei ein bloßer Irrtum über Rechtsfolgen und daher ein unbeachtlicher Motivirrtum. Da Sonderzahlungen nach herrschender Rechtsprechung mangels abweichender Vereinbarung nicht für entgeltfreie Zeiten gebührten, seien Sonderzahlungen für Zeiträume der halben Entgeltfortzahlung nach § 8 Abs 1 AngG entsprechend zu aliquotieren. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht ausdrücklich zur Frage der Höhe der Sonderzahlungen im Zeitraum eines bloß halben Entgeltfortzahlungsanspruchs Stellung genommen habe.

In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Klägerin die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt in seiner Revisionsbeantwortung , die Revision der Klägerin zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig; sie ist auch teilweise berechtigt, weil die Vorinstanzen die Frage des Urlaubsvorgriffs unrichtig beurteilt haben.

1. Zur Urlaubsersatzleistung:

Nach herrschender Rechtsprechung und Lehre ist ein Urlaubsvorgriff zulässig, bedarf aber einer Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien (9 ObA 235/00z = SZ 73/178 = DRdA 2001/43 [ Cerny ]; Reissner in ZellKomm² § 4 UrlG Rz 31; Cerny , UrlG 10 § 4 Erl 6; Vogt in Mazal/Risak , Das Arbeitsrecht, System und Praxiskommentar Kap XII Rz 140; vgl RIS Justiz RS0077520; RS0077513). Durch den Urlaubsvorgriff soll der Arbeitnehmer die Gelegenheit erhalten, einen Teil des ihm erst im folgenden Jahr gebührenden Urlaubs bereits vorweg zu verbrauchen. Er soll damit im Endergebnis nicht mehr an Urlaub erhalten, als ihm von Gesetzes wegen zusteht; die zeitliche Verteilung soll aber zu seinen Gunsten verändert werden (vgl § 12 UrlG). Ein Arbeitgeber, der vereinbarungsgemäß einen Urlaubsvorgriff gewährt, leistet damit einen Vorschuss auf eine erst künftig entstehende Verpflichtung (9 ObA 235/00z).

Eine „automatische“ Anrechnung eines „vorgezogenen“ Urlaubs auf den erst im nächsten Urlaubsjahr entstehenden Urlaubsanspruch findet ohne entsprechende Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien nicht statt. Das Urlaubsgesetz sieht zwar die Möglichkeit der Übertragung eines nicht verbrauchten Urlaubsanspruchs auf das nächste Urlaubsjahr vor (vgl § 4 Abs 5 UrlG;9 ObA 77/01s; 9 ObA 117/08h; Kuderna , UrlG² § 4 Rz 34; Cerny , UrlG 10 § 4 Erl 28), nicht aber den einseitigen „Übertrag“ von zu viel verbrauchten Urlaubstagen. Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus den Regelungen über die Urlaubsersatzleistung nach § 10 UrlG. Der Urlaubsverbrauch wird erst durch die besondere Vereinbarung der Parteien zum Urlaubsvorgriff. Im zu beurteilenden Sachverhalt fänden sich allerdings weder Anhaltspunkte für eine ausdrückliche noch schlüssige Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs. Beide Parteien wussten bei Abschluss der Urlaubsvereinbarung im Jahr 2011 für weitere 12 Arbeitstage (die Parteien gehen übereinstimmend von einer Urlaubsberechnung nach Arbeitstagen aus) im Urlaubsjahr 2011/2012 gerade nicht, dass die Klägerin in diesem Urlaubsjahr 2011/2012 nur mehr einen offenen Urlaubsrest von 6 Arbeitstagen hatte. Da es dem Beklagten nicht gelungen ist, die Vereinbarung eines Urlaubsvorgriffs nachzuweisen und ihn diesbezüglich die Beweislast trifft, muss daher davon ausgegangen werden, dass der Beklagte der Klägerin im Urlaubsjahr 2011 einen über den Mindestanspruch des § 2 Abs 1 UrlG hinausgehenden zusätzlichen Urlaub ohne Vorgriff und Anrechnung auf den der Klägerin im nächsten Urlaubsjahr gebührenden Urlaub gewährt hat. Davon, dass der Beklagte der Klägerin, wenn auch in anderem Zusammenhang, zusätzlichen Urlaub gewährte, geht im Übrigen auch der Beklagte aus. Der Klägerin steht somit gemäß § 10 Abs 1 UrlG für den im dritten (Rumpf )Arbeitsjahr ( bis ) neu entstandenen, aber zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verbrauchten Urlaub von rund 12 Arbeitstagen eine Urlaubsersatzleistung von 2.195,44 EUR zu. Unter Berücksichtigung der vom Beklagten geleisteten Urlaubsersatzleistung von 1.125,18 EUR steht der Klägerin noch ein restlicher Betrag an Urlaubsersatzleistung von 1.070,26 EUR zu.

Im Begehren der Klägerin auf Urlaubsersatzleistung kann entgegen der Ansicht des Beklagten keine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen des Beklagten erkannt werden (vgl RIS-Justiz RS0113653; RS0045886). Gegen die guten Sitten verstößt nur, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft, also aller billig und gerecht denkenden Menschen widerspricht (RIS Justiz RS0022920; RS0022866 [T4]). Dies ist in Bezug auf die von der Klägerin beantragte Urlaubsersatzleistung nach dem festgestellten Sachverhalt nicht der Fall.

2. Zur Sonderzahlung:

Dass die Klägerin überhaupt einen Sonderzahlungsanspruch hat, ist zwischen den Parteien nicht weiter strittig. Nach herrschender Rechtsprechung gebühren mangels abweichender Vereinbarung Sonderzahlungen allerdings nicht für Zeiten, für die keine Pflicht zur Entgeltzahlung besteht (RIS Justiz RS0030306). Sonderzahlungen als eine Form aperiodischen Entgelts gebühren daher regelmäßig nicht für Zeiten nach Ausschöpfung des Entgeltfortzahlungsanspruchs im Fall der Krankheit gemäß § 8 Abs 1 AngG (§ 2 Abs 1 EFZG), allerdings nur sofern nicht ein Kollektivvertrag oder eine andere, auf das jeweilige Arbeitsverhältnis einwirkende Norm Gegenteiliges anordnet (RIS-Justiz RS0030306 [T15]).

Im gegenständlichen Fall haben die Parteien keine Vereinbarung über die Gewährung von Sonderzahlungen auch während des entgeltfreien Krankenstands abgeschlossen. Unstrittig wirkt im vorliegenden Fall auch keine Norm, die Gegenteiliges vorsieht auf das Arbeitsverhältnis ein. Ein Kollektivvertrag ist wie schon erwähnt nicht anwendbar.

Besteht somit ein Entgeltfortzahlungsanspruch in voller Höhe, hat der Arbeitnehmer auch Anspruch auf die Sonderzahlungen in voller Höhe. Fällt der Entgeltfortzahlungsanspruch zur Gänze weg, gebühren auch keine Sonderzahlungen. Es ist daher nur sachgerecht, wenn der Arbeitnehmer in dem Entgeltfortzahlungszeitraum, in dem er nur mehr Anspruch auf das halbe Entgelt hat (§ 8 Abs 1 letzter Satz und Abs 2 AngG bzw § 2 Abs 1 letzter Satz EFZG), auch nur die halbe Sonderzahlung erhält ( Schrank , Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht 147 f; vgl Rabl in Reissner , AngG § 16 Rz 49; Rauch , Sonderzahlungen für entgeltfreie Zeiten, ASoK 2006, 20).

Das Argument der Klägerin, Sonderzahlungen würden bei der Bemessung des Krankengelds keine Rolle spielen, weshalb es bei Aliquotierung der Sonderzahlungen zu einer vom Gesetzgeber nicht gewünschten Einkommensreduktion käme, trifft nicht zu. Gemäß § 125 Abs 3 ASVG sind Sonderzahlungen durch einen entsprechenden Zuschlag zum Krankengeld zu berücksichtigen. Gerade daraus wird gefolgert, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass für die Dauer des Krankengeldbezugs keine Sonderzahlungen zu leisten sind, weil es sonst zu einem sachlich problematischen Doppelbezug käme (9 ObA 2047/96m; 9 ObA 151/09k ua; Schrank , Sonderzahlungen bei entgeltfreien Krankenständen, ecolex 1995, 193 [196]; Marhold in Marhold/Burgstaller/Preyer , AngG § 16 Rz 38 mwN). Genau dieses Argument spricht aber auch für die Halbierung der Sonderzahlung in dem Entgeltfortzahlungszeitraum, in dem der Arbeitnehmer nur mehr einen Anspruch auf das halbe Entgelt hat.

Der Revision der Klägerin war daher teilweise Folge zu geben und dem Klagebegehren hinsichtlich der Urlaubsersatzleistung mit 1.070,26 EUR sA stattzugeben. Bezüglich der restlichen Sonderzahlung von 303,39 EUR sA bleibt es bei der Abweisung.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 43 Abs 1, 50 ZPO. Die Klägerin hat mit rund 78 % ihres Begehrens obsiegt, weshalb ihr 56 % der Prozesskosten aller drei Instanzen zuzusprechen waren. Für die Verhandlung am gebührt ein Verdienst von 174,15 EUR.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:009OBA00135.14I.0129.000