OGH vom 25.05.2011, 8ObA28/11t
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Rolf Gleißner und Franz Kisling als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei E***** S*****, vertreten durch Ainedter Trappel, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei b***** GmbH *****, vertreten durch Riedler Nader, Rechtsanwälte in Linz, wegen Anfechtung einer Entlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 12 Ra 102/10x 16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom , GZ 11 Cga 136/10z 12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.976,94 EUR (darin enthalten 329,49 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war vom bis bei der b***** GmbH Co KG beschäftigt, und zwar zuletzt Niederlassungsleiter mit Personalhoheit. In dieser Funktion war er leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG. Vom bis war er sodann als Gebietsverkaufsleiter mit Sonderverwendung bei der Beklagten beschäftigt. Am wurde er entlassen.
Der Kläger begehrte, die ihm gegenüber ausgesprochene Entlassung wegen Sozialwidrigkeit für unwirksam zu erklären. Aus seiner Funktion als Niederlassungsleiter sei er Ende Februar 2010 ausgeschieden. Bei der Beklagten habe er keine leitende Funktion innegehabt. Die ihm gegenüber erhobenen Vorwürfe seien nicht gerechtfertigt. Aufgrund seines Alters und seiner Sorgepflichten sei die Entlassung sozialwidrig.
Die Beklagte entgegnete, dass der Kläger als leitender Angestellter iSd § 36 Abs 2 Z 3 ArbVG zur Anfechtung der Entlassung nicht legitimiert sei. Davon abgesehen sei die Entlassung begründet. Im Rahmen der Entsendung des Klägers an ein Schwesterunternehmen in der Schweiz sei es zu wiederholten Übergriffen seitens des Klägers gekommen. Nach seiner Entlassung seien auch schon frühere Übergriffe hervorgekommen. Die Entlassung sei auch nicht sozialwidrig.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Für die Anfechtung einer Kündigung oder Entlassung sei vorausgesetzt, dass der Arbeitnehmer seit mindestens sechs Monaten im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehöre, beschäftigt sei. Diese Voraussetzung sei beim Kläger nicht gegeben.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Zeiten in nicht durch § 3 AVRAG verbundenen Unternehmen seien nicht zusammenzurechnen. Ohne einheitliche Unternehmensführung in der Art eines Einheitsunternehmens gelte dies auch für Zeiten, die bei unterschiedlichen Unternehmen innerhalb eines Konzerns zurückgelegt würden. Außerdem müsse in der sechsmonatigen Wartezeit ein Beschäftigungsverhältnis iSd § 36 Abs 1 ArbVG vorliegen, das nicht unterbrochen sein dürfe. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Zusammenrechnung von Konzerndienstverhältnissen und zur Einrechnung von Dienstverhältnissen iSd § 36 Abs 2 ArbVG in die sechsmonatige Wartefrist eine Klarstellung des Höchstgerichts wünschenswert erscheine.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, mit der er die Stattgebung seiner Anfechtungsklage anstrebt.
Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, dem Rechtsmittel der Gegenseite den Erfolg zu versagen.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig, weil zur Frage der Erfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG (iVm § 106 Abs 2 leg cit) bei einem vorangehenden Beschäftigungsverhältnis iSd § 36 Abs 2 ArbVG eine Klarstellung durch das Höchstgericht geboten erscheint. Die Revision ist aber nicht berechtigt.
1. Die vom Kläger geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor. Zu der in der Revision angesprochenen einheitlichen Unternehmensleitung bzw Führung der Unternehmensgruppe wie ein Einheitsunternehmen hat der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren kein Vorbringen erstattet. Die in der Berufung aufgeworfene Frage, ob die frühere Dienstgebergesellschaft sowie die Beklagte Teil desselben Unternehmens (innerhalb eines Konzerns) sind, betrifft - abgesehen vom ebenfalls unzureichenden Vorbringen - die rechtliche Beurteilung. Sämtlichen hier erwähnten Fragestellungen kommt für die Entscheidung der Rechtssache letztlich auch keine Bedeutung zu.
2.1 Der Kläger steht auf dem Standpunkt, dass für die Inanspruchnahme des (hier) Entlassungsschutzes nach § 106 Abs 2 iVm § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG eine sechsmonatige Beschäftigung im Betrieb (gleichgültig in welcher Funktion) sowie das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft iSd § 36 Abs 1 ArbVG allein im Zeitpunkt der Entlassung genügten. Es sei nicht erforderlich, dass der Anfechtende im Zeitpunkt der Entlassung sechs Monate lang als Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG beschäftigt gewesen sei. Zudem vertritt der Kläger die Ansicht, dass ein „Unternehmen“ iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG in mehrere juristische Gesellschaften untergliedert sein könne und Beschäftigungszeiten in diesem (Konzern-)Unternehmen zusammenzurechnen seien.
2.2 In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass für den II. Teil des ArbVG, der die gesetzliche Betriebsverfassung behandelt, nicht der allgemeine Arbeitnehmerbegriff iSd § 1151 ABGB, sondern der besondere Arbeitnehmerbegriff des § 36 ArbVG maßgebend ist (RIS Justiz RS0050959). Der auf diese Weise definierte personelle Geltungsbereich des II. Teils des ArbVG bildet die Grenze für den allgemeinen Kündigungs- und Entlassungsschutz. Vertretungsbefugte Organmitglieder einer juristischen Person sowie leitende Angestellte (§ 36 Abs 2 Z 1 und 3 ArbVG) sind daher nicht zur Kündigungs bzw Entlassungsanfechtung gemäß §§ 105 f ArbVG berechtigt ( Strasser in Strasser/Jabornegg/Resch , ArbVG § 36 Rz 3).
In der Revision führt der Kläger zur Sechsmonatsfrist nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG selbst aus, dass „der Arbeitnehmer“ bereits sechs Monate im Betrieb oder Unternehmen, dem der Betrieb angehört, beschäftigt sein muss, um die Beendigung des Dienstverhältnisses durch den Dienstgeber wegen Sozialwidrigkeit anfechten zu können. Der Wortlaut, auf den sich der Kläger beruft, verknüpft die Sechsmonatsfrist mit der Arbeitnehmereigenschaft. Daraus ist eindeutig abzuleiten, dass in die Berechnung der Sechsmonatsfrist nur Zeiten einzubeziehen sind, in denen der Arbeitnehmer als Arbeitnehmer iSd § 36 ArbVG beschäftigt war. Zeiten der Beschäftigung als vertretungsbefugtes Organmitglied oder leitender Angestellter sind hingegen nicht zu berücksichtigen ( Strasser aaO Rz 3).
2.3 In der Rechtsprechung ist weiters anerkannt, dass der Kündigungs- und Entlassungsschutz nur einem Arbeitnehmer zukommt, der seit wenigstens sechs Monaten im Unternehmen beschäftigt ist (RIS Justiz RS0051746), sowie dass es sich bei der Sechsmonatsfrist um eine Wartezeit handelt (9 ObA 177/08g). Die Wendung „seit sechs Monaten“ spricht eindeutig für einen andauernden Zustand. Da nur Zeiten als Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG Berücksichtigung finden können, muss die Wartezeit mit solchen Beschäftigungszeiten ausgefüllt sein. Die hier relevante besondere Arbeitnehmereigenschaft muss demnach während der gesamten Wartezeit und - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht nur im Zeitpunkt der Kündigung oder Entlassung bestehen.
Der an die Innehabung eines Arbeitsplatzes anknüpfende Kündigungs- und Entlassungsschutz soll einem Arbeitnehmer erst nach einer bestimmten Mindestdauer zur Verfügung stehen (vgl 8 ObA 204/02m). Schutzwürdig ist nur der „einfache Arbeitnehmer“. Nach dem Zweck der in Rede stehenden sozialen Schutzbestimmung verliert ein Arbeitnehmer, der auf die Arbeitgeberseite wechselt, die betriebsverfassungsgesetzliche Schutzwürdigkeit und scheidet daher aus dem Kündigungs und Entlassungsschutz aus. In diesem Fall ist es nur konsequent, dass der Arbeitnehmer, der zum Organ einer juristischen Person oder zum leitenden Angestellten bestellt wurde, nicht auf frühere Zeiten als „einfacher Arbeitnehmer“ zurückgreifen kann. Für solche Personen beginnt daher nach dem allfälligen Wegfall ihrer Ausnahmestellung die sechsmonatige Wartezeit neu zu laufen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom , 85/01/0219 (RdW 1988, 326), im gegebenen Zusammenhang ausgesprochen, dass Zeiten, in denen eine Person nicht als Arbeitnehmer iSd II. Teils des Arbeitsverfassungsgesetzes anzusehen ist, nicht in die Sechsmonatsfrist des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG einzurechnen seien, sowie dass eine bereits zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung ununterbrochen andauernde Arbeitnehmereigenschaft iSd § 36 Abs 1 ArbVG Tatbestandsvoraussetzung des Kündigungsschutzes sei. Dieses Ergebnis stimmt mit der vom erkennenden Senat vertretenen Auffassung überein.
2.4 Der Kläger kann sich auch nicht auf die Entscheidung 9 ObA 208/88 berufen. Der dortige Kläger war handelsrechtlicher Geschäftsführer der dortigen Beklagten. Vor der Entlassung wurde er dienstfrei gestellt und von seiner Funktion als Geschäftsführer enthoben. Im Verfahren vertrat er den Standpunkt, es komme auf die Arbeitnehmereigenschaft im Zeitpunkt der Entlassung an; zu diesem Zeitpunkt sei er nicht mehr Geschäftsführer gewesen. Der Oberste Gerichtshof verneinte die Stichhaltigkeit dieses Einwands mit der Begründung, dass der Kläger bis zur Dienstfreistellung und Enthebung als Geschäftsführer auf Arbeitgeberseite tätig gewesen und eine Änderung bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses nicht eingetreten sei. Auch in seiner Eigenschaft als abberufener und vom Dienst suspendierter Geschäftsführer sei der Kläger nicht Arbeitnehmer iSd § 36 ArbVG gewesen.
Richtig ist, dass diese Entscheidung die weitere Überlegung enthält, dass „eine andere Beurteilung dieses Dienstverhältnisses etwa dann gerechtfertigt wäre, wenn der Kläger nach dem Widerruf der Bestellung zum Geschäftsführer tatsächlich als einfacher Angestellter weitergearbeitet hätte oder hätte weiterarbeiten sollen“. Diese Aussage bezieht sich aber nur auf die Frage, ob der Kläger bei Beendigung des Dienstverhältnisses Arbeitnehmer iSd § 36 ArbVG war oder nicht. Die sechsmonatige Wartefrist war nicht Gegenstand der höchstgerichtlichen Erwägungen. Die Entscheidung enthält - entgegen der Ansicht des Klägers daher auch keine Aussage dahin, dass für den Kündigungs bzw Entlassungsschutz die Arbeitnehmereigenschaft iSd § 36 ArbVG lediglich im Zeitpunkt der Kündigung oder Entlassung genügen würde.
3.1 Zusammenfassend ergibt sich: Der Kündigungs und Entlassungsschutz nach §§ 105 und 106 ArbVG kommt ausschließlich den Arbeitnehmern iSd § 36 Abs 1 ArbVG zu. In die Berechnung der sechsmonatigen Wartezeit des § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG sind nur Zeiten einzubeziehen, in denen der Arbeitnehmer als Arbeitnehmer iSd § 36 Abs 1 ArbVG beschäftigt war. Für vertretungsbefugte Organmitglieder einer juristischen Person oder leitende Angestellte iSd § 36 Abs 2 ArbVG beginnt mit dem Wegfall ihrer Ausnahmestellung die sechsmonatige Wartezeit neu zu laufen.
3.2 Die Ansicht des Klägers, dass es für die Erfüllung der Wartezeit nach § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG nur auf eine sechsmonatige Beschäftigung im Unternehmen, gleichgültig in welcher Funktion ankomme, erweist sich als unrichtig. Allfällige Zeiten des Klägers als „einfacher Arbeitnehmer“ iSd § 36 Abs 1 ArbVG bei seiner früheren Dienstgebergesellschaft könnten schon aufgrund der nachfolgenden Bestellung zum leitenden Angestellten nicht berücksichtigt werden. Auf die Einbeziehung solcher Zeiten hat sich der Kläger auch gar nicht berufen. Auf die Frage, ob Beschäftigungszeiten in den verschiedenen Konzernunternehmen für die Erfüllung der in Rede stehenden Wartezeit zusammenzurechnen sind, kommt es nicht mehr an.
Die Entscheidung der Vorinstanzen steht mit diesen Grundsätzen im Einklang. Der Revision war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 58 Abs 1 ASGG.