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OGH vom 24.09.2019, 8Ob14/19w

OGH vom 24.09.2019, 8Ob14/19w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. R*****, vertreten durch Bollmann & Bollmann Rechtsanwaltspartnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei U***** AG, *****, vertreten durch DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 49.999,96 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 60/18g-22, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist ausschließlich die vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob die Präklusivfrist des § 11 Abs 7 KMG (alt), nunmehr § 22 Abs 7 KMG 2019, die kurze Verjährungsfrist des § 1489 ABGB verdrängt.

1. Das Berufungsgericht hat sich zur Begründung seiner Entscheidung auf die Erkenntnisse 10 Ob 88/11f, 6 Ob 16/13s und 8 Ob 26/16f gestützt. Die Beklagte argumentiert dagegen, dass die hier zu beurteilende Problematik in diesen Entscheidungen keine Relevanz gehabt habe bzw die Entscheidungen keine oder nur eine unzureichende Begründung aufweisen.

Richtig ist, dass in der Entscheidung 10 Ob 88/11f aufgrund des Ablaufs der (damals noch) fünfjährigen Frist des § 11 Abs 7 KMG (idF vor der KMG Novelle 2005) die Frage, inwieweit durch diese Bestimmung die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB verdrängt wird, nicht entscheidungsrelevant war. Dessen ungeachtet hat der Oberste Gerichtshof dazu Stellung genommen und ausgeführt, dass es sich nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung um eine Präklusivfrist handle. Da § 11 Abs 7 KMG eine besondere Frist für Ansprüche der Anleger nach dem KMG vorsehe, sei davon auszugehen, dass (auch) diese Vorschrift als lex specialis die allgemeinen Verjährungsregeln des § 1489 ABGB verdränge. Damit wurde eine Parallele zur zuvor behandelten Verjährungsfrist nach § 44 AktG und § 275 UGB gezogen. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass auch wenn die Haftung auf eine andere Grundlage, etwa culpa in contrahendo gestützt werde, die Haftungsbegrenzung und die spezielle Präklusivfrist des § 11 KMG analog angewendet werden müsse, um Wertungswidersprüche zu vermeiden.

In der Entscheidung 6 Ob 16/13s wurde unter Bezugnahme auf die Entscheidung 10 Ob 88/11f ausgeführt, dass der Umstand, dass nach § 11 Abs 8 KMG Schadenersatzansprüche aus der Verletzung anderer gesetzlicher Vorschriften oder aus der Verletzung von Verträgen von der Geltendmachung von Ansprüchen nach § 11 Abs 1 und 2 KMG unberührt bleiben, nicht bedeute, dass damit die Präklusivfrist unbeachtlich sei, wenn Kern des Vorwurfs die mangelhafte Prospektkontrolle sei. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei die Verjährungsfrist des § 275 UGB für Schadenersatzansprüche gegen den Abschlussprüfer eine objektive, von der Kenntnis des Schadens und des Schädigers unabhängige Frist, die die Fristen des § 1489 ABGB verdränge (RIS-Justiz RS0128616); dies gelte auch für die Frist des § 11 Abs 7 KMG (10 Ob 88/11f). Diese Objektivität sei aber nur auf die Fälle fahrlässiger Schadensverursachung durch den Abschlussprüfer beziehungsweise den Prospektkontrollor anzuwenden; für die vorsätzliche Schadenszufügung im Sinn auch eines einfachen Vorsatzes, ohne dass die Voraussetzungen der zweiten Variante des § 1489 Satz 2 ABGB vorlägen, sei die Verjährungsfrist eine subjektive (10 Ob 58/12w; RS0128616). Es komme somit auf den Zeitpunkt der Kenntnis von Schaden und Schädiger an. Allerdings werde im Unternehmensgesetzbuch nur die Verjährungsfrist geregelt und der Fristbeginn offen gelassen („Ansprüche […] verjähren in 5 Jahren“), während § 11 Abs 7 KMG bezüglich des Fristbeginns objektiv an ein bestimmtes Ereignis anknüpfe („Ende des prospektpflichtigen Anbots“); eine Anknüpfung nach subjektiven Maßstäben scheide somit hier aus.

Damit bestätigte diese Entscheidung die Rechtsauffassung, dass § 11 Abs 7 KMG wie § 275 Abs 5 UGB auszulegen ist und die Fristen des § 1489 ABGB – jedenfalls in Fällen fahrlässiger Schadensverursachung – verdrängt.

Die Entscheidung 8 Ob 26/16f geht (richtig) davon aus, dass in 10 Ob 88/11f ausgesprochen worden sei, dass die Frist des § 11 Abs 7 KMG – und zwar für sämtliche Prospekthaftungsansprüche, selbst wenn sie auf eine allgemein zivilrechtliche Haftung gestützt werden sollten – bei fahrlässiger Schadensverursachung die Fristen des § 1489 ABGB verdrängt, wobei zur Begründung auf die Rechtsprechung zur Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB für Schadenersatzansprüche gegen den Abschlussprüfer verwiesen und die ihr zugrunde liegenden Überlegungen für übertragbar erklärt wurden.

Weder ist es daher richtig, dass zu der hier zu behandelnden Problematik noch keine Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs vorliegt, noch dass diese nicht begründet ist.

2. Richtig ist, dass diese Rechtsprechung von der überwiegenden Literatur abgelehnt wird (Zivny, Kapitalmarktgesetz²,§ 11 Rz 166; Karollus, Haftung bei der Veräußerung von Wertpapieren, in Welser [Hrsg], Ausgewählte Fragen zur Rechtsnatur der Veräußerung, Anlegerschutz, Prospekthaftung und Verjährung nach dem Recht der CEE-Staaten [2017] 17 ff; Spitzer,RdW 2017, 407 ff; Kalss in Kalls/Oberhammer, 2015, Gutachten für den 19. ÖJT, Band II/I, Anlegeransprüche – kapitalmarktrechtliche und prozessuale Fragen, 64; Artmann, VbR 2014/25; Schopper/Walch, ÖBA 2013, 418; Welser, ecolex 1992, 301). Argumentiert wird dabei im Wesentlichen mit dem am Interesse des Kapitalmarkts orientierten Zweck der Regelung und einer sonst ungerechtfertigten Besserstellung des Anlegers gegenüber anderen Schadenersatzberechtigten.

Auch die Revision beruft sich auf den Zweck des Gesetzes. Der Gesetzgeber habe nach den Materialien eine – von subjektiven Umständen unabhängige – absolute zeitliche Begrenzung vorsehen wollen. Durch die Präklusion solle der Marktteilnehmer im Interesse des Kapitalmarkts Klarheit darüber erhalten, ob noch Ansprüche gestellt werden könnten.

Dieser Zweck lässt jedoch entgegen der Ansicht der Beklagten keinen Rückschluss darauf zu, ob neben § 11 Abs 7 KMG die von Kenntnis von Schaden und Schädiger abhängige dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB gelten soll oder ob der Gesetzgeber mit der (nach der ursprünglichen Rechtslage) relativ kurzen absoluten Frist von fünf Jahren nicht eine abschließende Regelung beabsichtigte.

Berücksichtigt man die weitergehenden Einschränkungen der Möglichkeit, Ansprüche geltend zu machen, verbunden mit unterschiedlichen Haftungsmaßstäben und einer Beschränkung der Höhe des Anspruchs bei nicht vorsätzlichem Handeln, lässt sich daraus vielmehr ableiten, dass es sich hier um einen eigenständig gestalteten Schadenersatzanspruch („eine Art Haftung für culpa in contrahendo“ – RV 147 BlgNR 18. GP 21), mit einer auch eigenständigen Frist für die Geltendmachung handelt, die „sowohl der Absicherung der Anleger als auch der Haftenden“ dient (RV 147 BlgNR 18. GP 21).

Auch die nachfolgende Verlängerung der Präklusivfrist des § 11 KMG auf zehn Jahre „aus Verbraucherschutzgründen“ (RV 969 BlgNR 22. GP 6), zeigt, dass der Schutz des kurzlebigen Kapitalmarkts keineswegs einziger Zweck des Gesetzgebers war. Insoweit mag es sein, dass die Präklusivfrist des § 11 Abs 7 KMG nach ihrer ursprünglichen Konzeption mit fünfjähriger Laufzeit eher dazu diente, eine Sicherheit für Emittenten zu schaffen und dieses Ziel bei 10-jähriger Laufzeit und Nichtanwendbarkeit der kurzen Verjährungsfrist des § 1489 ABGB nicht mehr im selben Umfang verwirklicht wird. Dass die ursprüngliche Frist aber ausschließlich einer Besserstellung der Emittenten diente, ohne gleichzeitig einen Ausgleich auch für die Anleger zu schaffen, lässt sich der Entstehungsgeschichte nicht entnehmen. Auch Spitzer (RdW 2017, 407 [410]) meint, dass es zur alten Rechtslage (gemeint fünfjährige Präklusivfrist) nicht zu beanstanden gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber auf die subjektive Frist verzichtet hätte. Ein solcher Verzicht bedarf aber nicht notwendigerweise einer ausdrücklichen Anordnung, vielmehr kann darauf auch durch die Nichtanordnung der Parallelgeltung im Kontext der Gesamtregelung geschlossen werden.

Eine Änderung dieser Auslegung nur aufgrund der Verlängerung der Frist „aus Verbraucherschutzgründen“ lässt sich nicht rechtfertigen.

Im Übrigen würde eine Parallelgeltung des § 1489 ABGB nicht dazu dienen, den „Schwebezustand bei Prospekthaftungsanssprüchen im Interesse des Kapitalmarkts zu begrenzen“ und Klarheit darüber zu schaffen, ob Ansprüche bestehen oder nicht (in diesem Sinn aber Schopper/Walch, ÖBA 2013, 418), da im Regelfall vor Ablauf der Präklusivfrist nicht bekannt sein wird und nicht beurteilt werden kann, welche Anleger aufgrund welchen Wissensstands von Schaden und Schädiger noch nicht verjährte Ansprüche haben und noch geltend machen können.

3. Ebenfalls nicht richtig ist in diesem Zusammenhang, dass nach dem Konzept des österreichischen Rechts die dreijährige Verjährungsfrist und der Fristenlauf ab Kenntnis des Berechtigten als Regelfall konzipiert ist. Vielmehr ist die lange Verjährungszeit gemäß § 1479 ABGB die Regel (RS0086687 [T1]). Nach § 1478 Satz 2 ABGB beginnt die Verjährung, sobald das Recht an sich schon hätte ausgeübt werden können. Der Lauf der Verjährungsfrist setzt daher nach dieser Bestimmung dann ein, wenn der Geltendmachung des Anspruchs kein rechtliches Hindernis entgegensteht und damit die objektive Möglichkeit zu klagen gegeben ist. Subjektive, in der Person des Berechtigten liegende Hindernisse oder tatsächliche Erschwerungen schieben den Beginn der Verjährung nicht hinaus. Diese Regel gilt grundsätzlich für alle Verjährungsfristen. Soweit das Gesetz keine Ausnahmen macht, hat daher die Kenntnis des Berechtigten vom Bestehen des Anspruchs oder der Person des Verpflichteten keinen Einfluss auf den Beginn der Verjährung (8 ObA 105/03d mwN uvs).

Richtig ist, dass in § 1489 ABGB für die Verjährung von Schadenersatzansprüchen grundsätzlich eine solche Ausnahme besteht. Neben dieser Regelung kennt aber etwa das Gesellschaftsrecht an zahlreichen Stellen die fünfjährigen Verjährungsfristen als lex specialis, die auch meist als objektive Fristen ausgestaltet sind (vgl Dellinger/Told, in Zib/Dellinger, UGB § 275 Rz 74; Dehn, Die Haftung des Abschlussprüfers nach § 275 HGB [nF], ÖBA 5/02 [388]). So ist gerade die auch in den Vorentscheidungen gesehene Parallele zu § 275 UGB, der Haftung des Abschlussprüfers, für die eine objektive Verjährungsfrist von fünf Jahren vorgesehen ist, zu § 11 KMG, der unter anderem ebenfalls eine Haftung von Abschlussprüfern normiert, offenkundig. Zu § 275 Abs 5 UGB (damals noch HGB) hat der Oberste Gerichthof in 10 Ob 24/04h ausgeführt: „§ 275 HGB wird als Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB zum Schutz der geprüften Gesellschaft vor Vermögensschäden beurteilt. Dennoch verkürzt § 275 Abs 5 HGB die für Schadenersatzansprüche allgemein geltende (objektive) Verjährungsfrist des § 1489 ABGB (30 Jahre) ganz erheblich und lässt die Verjährung auch dann eintreten, wenn der Geschädigte (in diesem Zeitraum) keine Kenntnis von Schaden und Schädiger erlangt hatte (...). Zugleich nimmt § 275 HGB eine Beschränkung der Haftung des Abschlussprüfers auch der Höhe nach vor. Die Gesamtregelung ergibt einen vom Gesetzgeber verbindlich normierten Mindeststandard (…).“

In der Entscheidung 1 Ob 35/12x wurde zudem herausgestrichen, dass die fünfjährige Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB nicht in jedem Fall eine Verschlechterung der Rechtsposition des Dritten bedeute. Würde der Schaden und der Schädiger frühzeitig erkannt, stehe dem Geschädigten eine im Vergleich zur dreijährigen Verjährungsfrist des § 1489 erster Fall ABGB längere Frist zur Verfügung, um seine Ansprüche geltend zu machen.

Dafür, die Regelung des KMG anders auszulegen, weil es sich um eine Präklusivfrist und nicht um eine Verjährungsfrist handelt, gibt es keine überzeugenden Argumente. Nicht alle Präklusivfristen sind gleichmäßig zu behandeln. Es ist eine differenzierende Behandlung nötig und in jedem Einzelfall festzustellen, ob überhaupt und welche Regeln über die Verjährung anzuwenden sind, wobei vor allem auf den Sinn und Zweck des Gesetzes abzustellen ist (RS0034500).

Die Argumente zur Verjährungsfrist des § 275 Abs 5 UGB treffen auch auf § 11 Abs 7 KMG zu, weshalb die Vorentscheidungen zutreffend davon ausgegangen sind, dass es sich auch bei dieser Frist um eine lex specialis handelt, die die Frage, wie lange Ansprüche geltend gemacht werden können, abschließend regelt.

Weder die Revision noch die verschiedenen Stellungnahmen in der Literatur, die überwiegend vor der Entscheidung 8 Ob 26/16f datieren und zu keiner Änderung der Judikatur geführt haben, vermögen Bedenken an dieser Rechtsmeinung zu wecken.

Dazu kommt, dass der Gesetzgeber sich in Kenntnis der bestehenden Judikatur und Lehre im Rahmen der Neukodifikation des KMG (vgl § 22 Abs 7 KMG 2019) zu keiner Änderung der Regelung veranlasst gesehen hat.

5. Da daher die Berufungsentscheidung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs steht, war die Revision zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0080OB00014.19W.0924.000

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