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OGH vom 30.05.2012, 8ObA21/12i

OGH vom 30.05.2012, 8ObA21/12i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger und Mag. Wolfgang Kozak als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** H*****, vertreten durch Dr. Gerhard Hiebler Dr. Gerd Grebenjak, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei H***** E***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Anton Cuber, Rechtsanwalt in Graz, wegen 70.840 EUR brutto sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Ra 89/11d 21, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben als Arbeits- und Sozialgericht vom GZ 23 Cga 66/10p 15, teilweise abgeändert wurde (Revisionsinteresse 21.948,50 EUR brutto sA), in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es insgesamt lautet:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 70.840 EUR brutto samt 8,38 % Zinsen aus 42.072,50 EUR seit sowie aus 1.668,50 EUR seit , aus 6.708 EUR seit , aus 2.325 EUR seit , aus 6.708 EUR seit , aus 2.325 EUR seit , aus 6.708 EUR seit und aus 2.325 EUR seit binnen 14 Tagen zu zahlen.

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 11.994,89 EUR (darin enthalten 1.789,49 EUR USt und 1.258 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 2.851,20 EUR (darin enthalten 475,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 2.623,68 EUR (darin enthalten 221,28 EUR USt und 1.296 EUR Pauschalgebühren) bestimmten Kosten der Revision binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war vom bis bei der Beklagten zuletzt als Fertigungsleiter beschäftigt. Im Februar 2009 wurde das Unternehmen vom bisherigen Eigentümer, mit dem der Kläger befreundet war, verkauft. Auch nach diesem Zeitpunkt hielt der Kläger seine freundschaftlichen Kontakte zum Voreigentümer aufrecht. Im Jahr 2009 kam es bei der Beklagten zu einem Auftragsrückgang und zu einem 50%igen Personalabbau. Am wurde der Kläger entlassen. Ihm wurde vor allem ein Treffen mit dem Voreigentümer auf dem Gelände seines Lehrlingsausbildungsunternehmens zum Vorwurf gemacht. Ein Entlassungsgrund konnte dem Kläger was im Revisionsverfahren nicht mehr strittig ist aber nicht nachgewiesen werden. Nach der Entlassung war der Kläger rund zwei Monate lang arbeitslos. Mit übernahm er als Geschäftsführer und Eigentümer den Lehrlingsausbildungsbetrieb, den zuvor der Voreigentümer der Beklagten geführt hatte.

Im Vorprozess erhob der Kläger am eine Entlassungsanfechtungsklage. Mit Schriftsatz vom erhob er dazu ein Eventualbegehren auf Zahlung entlassungsabhängiger Ansprüche. In der Verhandlung vom zog der Kläger die Anfechtungsklage im Vorprozess mit der Begründung zurück, dass in Bezug auf die Sozialwidrigkeit eine Änderung eingetreten sei. Die Beklagte stimmte der Klagszurückziehung zu, worauf diese mit Beschluss vom vom Gericht zur Kenntnis genommen wurde.

Im vorliegenden Verfahren begehrte der Kläger mit Klage vom Kündigungsentschädigung (unter Anrechnung eines Eigeneinkommens), Urlaubsersatzleistung und „Urlaubsersatzleistung zur Kündigungsentschädigung“ sowie gesetzliche Abfertigung. Er sei unberechtigt entlassen worden. Auf den Anspruch auf Kündigungsentschädigung sei § 1497 ABGB analog anzuwenden.

Die Beklagte entgegnete, dass die Entlassung berechtigt erfolgt sei. Jedenfalls sei die begehrte Kündigungsentschädigung verfristet. Aufgrund der Zurückziehung der Klage im Vorverfahren habe diese als nicht eingebracht gegolten. Aus diesem Grund sei die Unterbrechungswirkung iSd § 1497 ABGB weggefallen.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Die Entlassung des Klägers sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die geltend gemachten Ansprüche seien auch nicht verfallen, weil die Entlassungsanfechtung analog zu § 1497 ABGB die Frist zur gerichtlichen Geltendmachung der Ansprüche im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis unterbreche. Dies sei für den Fall der Abweisung der Anfechtungsklage bereits bejaht worden. Für den Fall der Klagszurückziehung könne nichts anderes gelten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und sprach dem Kläger 48.891,50 EUR sA zu; das Mehrbegehren (Kündigungsentschädigung und „Urlaubsersatzleistung zur Kündigungsentschädigung“ für die ersten drei Monate iSd § 34 AngG) wies es ab. Die Entlassung des Klägers sei zwar nicht gerechtfertigt gewesen. Die geltend gemachten Ansprüche seien allerdings zum Teil iSd § 34 AngG verfristet. Nach dieser Bestimmung müssten Ersatzansprüche aus der vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses binnen einer Frist von sechs Monaten gerichtlich geltend gemacht werden. Eine Unterbrechung der Präklusiv- bzw Verfallsfrist werde von der Rechtsprechung auch für den Fall bejaht, dass der Arbeitnehmer die Entlassung zunächst gemäß § 106 ArbVG anfechte. Dies sei auch für jene Fälle sinnvoll, in denen ein Anfechtungsbegehren abgewiesen werde. Im vorliegenden Fall liege jedoch eine andere Situation vor, weil der Kläger die Anfechtungsklage samt Eventualbegehren zurückgezogen habe, anstatt eine Klagsänderung auf ein Leistungsbegehren zu beantragen. Nach § 237 Abs 3 ZPO habe die Zurücknahme der Klage zur Folge, dass diese als nicht angebracht anzusehen sei, weshalb die Unterbrechungswirkung rückwirkend entfallen sei. Aus diesem Grund seien die Ansprüche des Klägers auf Kündigungsentschädigung und „Urlaubsersatzleistung zur Kündigungsentschädigung“ für die ersten drei Monate, die bereits mit dem Entlassungstag fällig geworden seien, verfallen. Bei später fällig werdenden Ansprüchen beginne die Präklusivfrist jedoch erst mit dem jeweiligen Fälligkeitstag. Die Abfertigung sei von § 34 AngG überhaupt nicht erfasst. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil Gründe dafür nicht zu erkennen seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers, die auf eine Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichts abzielt.

Mit ihrer durch den Obersten Gerichtshof freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte die Beklagte, das Rechtsmittel des Klägers zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision zulässig, weil sich die Beurteilung des Berufungsgerichts zur Unterbrechungswirkung (iSd § 1497 ABGB) der Anfechtungsklage nach §§ 105 f ArbVG als korrekturbedürftig erweist. Die Revision ist dementsprechend berechtigt.

1. Im Revisionsverfahren ist nur mehr die Frage der Verfristung der vom Berufungsgericht abgewiesenen Ansprüche strittig. Der Kläger beruft sich auf die Unterbrechungswirkung (iSd § 1497 ABGB) der Anfechtungsklage im Vorprozess. Die Klage „auf deklarative Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses“ unterbreche die Verjährungsfrist sowie die Ausschluss- bzw Verfallsfrist für die daraus abgeleiteten Ansprüche. Er beruft sich in dieser Hinsicht auf die Entscheidung 9 ObA 102/94.

2. Der Hinweis des Klägers auf eine Feststellungsklage ist verfehlt. Bei der Anfechtungsklage nach §§ 105 f ArbVG handelt es sich um eine Rechtsgestaltungsklage . Die Anfechtungsbefugnis ist ein besonderes Recht der Belegschaft, das auf die Mitgestaltung bei der Entscheidung des Arbeitgebers über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtet ist. Die Belegschaft wirkt auf diese Weise an der Willensbildung des Arbeitgebers mit. Gegebenenfalls kann sie das Klagerecht auch dem Arbeitnehmer selbst überlassen.

Hinsichtlich der Unterbrechungswirkung (iSd § 1497 ABGB) einer (gehörig fortgesetzten: RIS Justiz RS0034765; Madl , ABGB ON 1.01 § 1497 Rz 30 und 31) Feststellungsklage ist in der Judikatur anerkannt, dass ein vom Dienstnehmer erhobenes Begehren auf Feststellung des Fortbestands des Dienstverhältnisses die Verjährung in Bezug auf Beendigungsansprüche nicht unterbricht (RIS Justiz RS0118906; 9 ObA 118/10h; R. Madl , ABGB ON 1.01 § 1497 Rz 20 und 21). Eine solche Frage stellt sich im Anlassfall allerdings nicht.

3.1 In der E 9 ObA 102/94 wurde in einer vergleichbaren Konstellation wie im Anlassfall ausgesprochen, dass der auf die Anfechtung der Entlassung gemäß § 106 Abs 2 ArbVG gerichtete Vorprozess insofern von Bedeutung sei, als § 1497 ABGB auch auf die arbeitsrechtlichen Fallfristen analog anzuwenden sei. So unterbreche etwa die Klage auf Feststellung des aufrechten Bestands des Arbeitsverhältnisses die Verjährungs- oder Ausschluss- bzw Verfallsfrist für die daraus abgeleiteten Ansprüche. Werde ein Arbeitnehmer ungerechtfertigt entlassen, so könne er sich im Hinblick auf die auflösende Wirkung der Entlassung darauf beschränken, Ersatzansprüche (Kündigungsentschädigung) geltend zu machen. Sei die ungerechtfertigte Auflösung iSd § 105 Abs 3 Z 2 ArbVG sozial ungerechtfertigt erfolgt, so stehe ihm nach Maßgabe der betriebsverfassungsrechtlichen Voraussetzungen die Möglichkeit offen, eine rechtsgestaltende Anfechtungsklage auf Unwirksamkeit der Lösungserklärung zu erheben. Wolle man die analoge Unterbrechungswirkung gemäß § 1497 letzter Satz ABGB nur für den Fall einer Klagsstattgebung (Rechtsgestaltung) gelten lassen, so hätte der Arbeitnehmer keine Ansprüche aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mehr, die vom Verfall betroffen sein könnten, weil das Arbeitsverhältnis trotz der wirkungslos gewordenen Auflösungserklärung ohnehin weiter bestehe und ihm daher insbesondere kein Anspruch auf Abfertigung zustehe, ein allfälliger Urlaubsrest noch in natura verbraucht werden könne und etwa Jahresremunerationen noch nicht fällig seien. Mache der Arbeitnehmer aber seinen Anspruch auf Abfertigung, Urlaubsentschädigung, Kündigungs entschädigung udgl rechtzeitig geltend, so könne er nicht im Widerspruch dazu gleichzeitig verlangen, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses für wirkungslos zu erklären, da diese Ansprüche das Ende des Arbeitsverhältnisses voraussetzten. Daraus folge, dass die analoge Anwendung des § 1497 ABGB für diese Ansprüche gerade für jene Fälle sinnvoll sei, in denen ein Anfechtungsbegehren abgewiesen werde; der Arbeitnehmer wäre ansonsten gezwungen, einander ausschließende widersprüchliche Ansprüche gleichzeitig geltend zu machen.

3.2 Die zitierte Entscheidung enthält zwei zentrale Aussagen. Zum einen soll die Unterbrechungswirkung iSd § 1497 ABGB nicht an die Klagsstattgebung geknüpft sein, sondern auch für die Abweisung des Klagebegehrens gelten. Zum anderen soll sich die Unterbrechungswirkung auch auf Beendigungsansprüche im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis beziehen.

Für den besonderen Fall der Anfechtungsklage iSd §§ 105 f ArbVG erweisen sich diese Grundsätze als sachgerecht. Nur auf diese Weise kann vermieden werden, dass der Arbeitnehmer widersprüchliche Klagsbehauptungen aufstellen und daraus unterschiedliche Ansprüche ableiten muss. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass bis zum Untergang des Anfechtungsrechts die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht endgültig wirksam geworden ist und daher auch die beendigungsabhängigen Ansprüche nur schwebend begründet sind. Mit Rücksicht auf den Umstand, dass die Anfechtungsbefugnis ein Recht der Belegschaft darstellt, kann auch nicht die Erhebung eines Eventualbegehrens zwingend verlangt werden. Wird der Anfechtungsstreit vom Betriebsrat selbst geführt, so wäre ein solches Begehren überhaupt ausgeschlossen.

Aus diesen Gründen gelangt der erkennende Senat zum Ergebnis, dass im Fall der Erhebung einer Anfechtungsklage nach den §§ 105 f ArbVG die Unterbrechungswirkung iSd § 1497 ABGB auch für Beendigungsansprüche bis zum Abschluss des Anfechtungsprozesses andauert. Dies gilt auch für den Fall der Klagsabweisung und ebenso für eine Zurückziehung der Anfechtungsklage, zumal dadurch die Unterbrechungswirkung lediglich verkürzt wird. Aufgrund der Unterbrechungswirkung bereits der Anfechtungsklage ist auch nicht schädlich, wenn der Arbeitnehmer im Anfechtungsprozess auch ein (abgewiesenes oder zurückgezogenes) Eventualbegehren (vgl RIS Justiz RS0118906) erhoben hat. Es ist bereits gesicherte Rechtsprechung, dass die Bestimmung des § 1497 ABGB nicht nur auf Verjährungsfristen, sondern auch auf Ausschlussfristen des Arbeitsrechts (analog) anzuwenden ist (RIS Justiz RS0029716).

4. Zur Revision des Klägers wird noch darauf hingewiesen, dass entgegen seiner Ansicht der auf Abgeltung des während einer fiktiven Kündigungsfrist entstandenen Urlaubs gerichtete Ersatzanspruch nicht aus § 10 UrlG, sondern aus § 29 AngG abgeleitet wird (8 ObS 11/11t mwN; vgl auch RIS Justiz RS0028710).

5.1 Zusammenfassend ergibt sich:

Eine Anfechtungsklage nach §§ 105 f ArbVG unterbricht die Verjährungsfrist sowie die Ausschluss- bzw Verfallsfrist für die aus dem Arbeitsverhältnis abgeleiteten Ansprüche einschließlich der Beendigungsansprüche. Die Unterbrechungswirkung iSd § 1497 ABGB dauert bis zum Abschluss des Anfechtungsprozesses an und gilt auch für den Fall der Klagsabweisung oder einer Klagszurückziehung, und zwar auch dann, wenn der Arbeitnehmer ein Eventualbegehren zur Anfechtungsklage erhoben hat.

5.2 Nach diesen Grundsätzen kann sich der Kläger auf die Unterbrechungswirkung (iSd § 1497 ABGB) der Anfechtungsklage im Vorprozess berufen. Dementsprechend sind auch die Kündigungsentschädigung und die „Urlaubsersatzleistung zur Kündigungsentschädigung“ für die ersten drei Monate, die bereits mit dem Entlassungstag fällig wurden, nicht verfristet.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung durch den Obersten Gerichtshofs somit nicht stand. In Stattgebung der Revision war das angefochtene Urteil daher im Sinn einer Klagsstattgebung abzuändern. Bei den vom Kläger geltend gemachten Beträgen handelt es sich um Bruttobeträge; die Zinsstaffel konnte aus der Entscheidung des Berufungsgerichts übernommen werden.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO iVm § 2 ASGG.