VfGH vom 17.12.1982, B220/81
Sammlungsnummer
9596
Leitsatz
EStG 1972; denkunmögliche Anwendung des § 34
UStG 1972; Ausschluß der analogen Anwendung des § 6 Z 10 auf Nichtblinde - nicht denkunmöglich und nicht gleichheitswidrig
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid, soweit mit ihm Einkommensteuer für die Jahre 1977 bis 1979 vorgeschrieben wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden. In diesem Umfang wird der Bescheid aufgehoben.
Im übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer betreibt eine Tabaktrafik. Er ist querschnittgelähmt.
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, NÖ und Bgld. vom wurde dem Beschwerdeführer für die Jahre 1977 bis 1979 Umsatzsteuer, Einkommensteuer und Gewerbesteuer vorgeschrieben.
Die Behörde folgte der Meinung des Beschwerdeführers, die in seiner Trafik getätigten Umsätze seien in - analoger - Anwendung des § 6 Z 10 des Umsatzsteuergesetzes 1972, BGBl. 223 (UStG 1972), steuerfrei, nicht und begründete dies wie folgt:
"Nach § 6 Z 10 UStG 1972 sind von den unter Abs 1 Z 1 und 2 fallenden Umsätzen die Umsätze der Blinden steuerfrei, wenn sie nicht mehr als drei sehende Arbeitnehmer beschäftigen und ... Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH sind Befreiungsbestimmungen stets eng auszulegen ( Zl. 1067/76). Darnach ist ein Analogieschluß betreffend die Befreiungsbestimmung des § 6 Z 10 UStG auf Nichtblinde, die jedoch durch ein Gebrechen den Blinden in der Behinderung in keiner Weise nachstehen, unzulässig. Die Berufung war daher in diesem Punkt als unbegründet abzuweisen."
Der Beschwerdeführer besitzt in N. ein Zweifamilienhaus mit einem Erdgeschoß und einem Obergeschoß. In dieses Haus ließ er einen elektrischen Personenaufzug einbauen. Die belangte Berufungsbehörde erkannte die dafür aufgewendeten Kosten in der Höhe von etwa S 260.000,- nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 des Einkommensteuergesetzes 1972, BGBl. 440 (EStG 1972), an. Sie begründete dies damit, daß die Aufwendungen für den Aufzug in den Jahren 1977, 1978 und 1979 Vermögensumschichtungen darstellten, da nach der Verkehrsauffassung das Haus durch den Einbau des Aufzuges - auch wenn er für den Beschwerdeführer durch seine Körperbehinderung motiviert war - eine Wertsteigerung erfahren hat.
2. Gegen diesen Bescheid vom wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides, hilfsweise die Abtretung der Beschwerde an den VwGH beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat eine Gegenschrift erstattet, in der sie begehrt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
4. Der VfGH hat aus Anlaß der vorliegenden Beschwerde von Amts wegen gemäß Art 140 Abs 1 B-VG die Verfassungsmäßigkeit des § 6 Z 10 UStG 1972 geprüft und mit Erk. vom G27/82 diese Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
II. Der VfGH hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. a) Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des VfGH (zB VfSlg. 8823/1980) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
b) Mit dem angefochtenen Bescheid werden dem Beschwerdeführer Steuern vorgeschrieben. Der Bescheid greift daher in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des VfGH (zB VfSlg. 8776/1980) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2. Zur Nichtanerkennung der Aufzugskosten als außergewöhnliche Belastung iS des § 34 EStG 1972:
Bei der - unter dem Gesichtspunkt des vorliegenden Beschwerdefalles - verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des § 34 EStG 1972 könnte der Beschwerdeführer im Eigentumsrecht nur durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein.
Zwar sind nach der Judikatur des VwGH (zB VwSlg. 5376 F/1979, und Z 513/79) - der der VfGH nicht entgegentritt - solche Aufwendungen, die eine Vermögensumschichtung bewirken, nicht als außergewöhnliche Belastung iS des § 34 EStG 1972 anzuerkennen; handle es sich um Aufwendungen für ein Haus, so liege kein verlorener Aufwand vor, wenn die Aufwendung geeignet ist, den Wert des Objektes auf Dauer zu erhöhen; die Motive für die Aufwendungen haben außer Betracht zu bleiben.
Die Behörde hat jedoch - auch unter Zugrundelegung dieser Rechtsprechung des VwGH - das Gesetz denkunmöglich vollzogen, wenn sie die Meinung vertritt, daß die für den Einbau des Aufzuges im Zweifamilienhaus des Beschwerdeführers aufgewendeten Beträge eine Wertsteigerung dieses Hauses bewirkt haben. Ein solches einstöckiges Haus erfährt nämlich dann, wenn es über einen Aufzug verfügt, keine Werterhöhung; vielmehr stellt das Vorhandensein eines Aufzugs, der nur Raum wegnimmt und laufende Kosten verursacht, eher eine Wertverminderung dar. Die Wahrscheinlichkeit, daß ein potentieller Käufer in ähnlicher Weise wie der Beschwerdeführer körperbehindert ist und daher einen Aufzug dringend benötigt, ist derart gering, daß dieser Fall vernachlässigt werden kann.
Die Behörde hat daher den Beschwerdeführer dadurch, daß sie Kosten für den Einbau des Aufzugs nicht als Belastung iS des § 34 EStG 1972 anerkannt hat, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Eigentumsrecht verletzt. Der angefochtene Bescheid war daher, soweit mit ihm im Instanzenzug Einkommensteuer für die Jahre 1977 bis 1979 festgesetzt werden, als verfassungswidrig aufzuheben.
Der VfGH hatte nicht zu untersuchen, ob und in welchem Umfang sich der Umstand, daß hier der Aufwand für den Aufzug denkunmöglich als Vermögensumschichtung anzusehen ist, für die Berechnung der Höhe der Steuer vom Einkommen auswirkt.
3. Zur Nichtanerkennung der Umsatzsteuerbefreiung nach § 6 Z 10 UStG 1972:
Der VfGH hat mit dem oben unter I.4. zitierten Erk. vom - ausgehend davon, daß dem § 6 Z 10 UStG 1972 der von der Behörde angenommene Inhalt zukommt, daß nämlich die analoge Anwendung dieser Bestimmung auf nicht blinde, körperlich schwerstbehinderte Personen ausgeschlossen ist - dargetan, daß diese Vorschrift nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt.
Es trifft daher der Vorwurf des Beschwerdeführers nicht zu, die Behörde hätte dieser Bestimmung fälschlicherweise dadurch einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt, daß sie sie auf ihn nicht angewendet hat.
Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Behörde Willkür geübt hätte. Derartiges behauptet auch der Beschwerdeführer nicht.
Er ist sohin im Gleichheitsrecht nicht verletzt worden.
Bei der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit des angewendeten Gesetzes könnte der Beschwerdeführer im Eigentumsrecht nur durch eine denkunmögliche Gesetzesanwendung verletzt worden sein. Ein solcher Vorwurf kann der Behörde aber nicht gemacht werden. Auch in dieser Hinsicht bringt der Beschwerdeführer nichts vor.
Es ist daher auch keine Verletzung des Eigentumsrechtes feststellbar.
Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat also nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in einem Recht verletzt wurde.
Die Beschwerde war daher in diesem Umfang abzuweisen.