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VfGH vom 21.06.1993, B2022/92

VfGH vom 21.06.1993, B2022/92

Sammlungsnummer

13461

Leitsatz

Keine denkunmögliche Annahme des Vorliegens eines Spekulationsgeschäftes bei der Vorschreibung von Einkommensteuer; keine Bedenken gegen die Verlängerung des Veräußerungszeitraumes von fünf auf zehn Jahre für Spekulationsgeschäfte im EStG 1988; keine Verletzung des Vertrauensschutzes; kein rückwirkender Eingriff in wohlerworbene Rechte; Unbedenklichkeit der Übergangsbestimmung für die Besteuerung von Veräußerungsgewinn im EStG 1988

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. § 30 Abs 1 Z 1 lita des Einkommensteuergesetzes 1972, BGBl. 440/1972, idF des Bundesgesetzes BGBl. 520/1981, verstand unter Spekulationsgeschäften bei Grundstücken und Rechten, die den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes über Grundstücke unterlagen, Veräußerungsgeschäfte, bei denen der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als fünf Jahre betrug.

Die gleiche Bestimmung des Einkommenssteuergesetz 1988, BGBl. 400/1988 (im folgenden: EStG 1988), erhöhte diese Frist auf zehn Jahre und § 120 leg.cit. ordnet an, daß die §§30 und 31 für Veräußerungsvorgänge nach dem gelten.

2.1. Der Beschwerdeführer, ein in Österreich beschränkt steuerpflichtiger Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland, hatte im Jahre 1981 Miteigentumsanteile an einem in Österreich gelegenen bebauten Grundstück erworben; aus deren Verkauf waren ihm 1989 und 1990 Teilbeträge des Erlöses zugeflossen. Nachdem das Finanzamt Salzburg hievon Kenntnis erlangt hatte, nahm es nach Vorhalt das Verfahren hinsichtlich der Einkommensteuer für 1989 und 1990 gemäß § 303 Abs 4 BAO wieder auf, wertete unter Berufung auf § 30 Abs 1 Z 1 lita EStG 1988 die genannten Einkünfte als Spekulationseinkünfte und schrieb dem Beschwerdeführer hiefür Einkommensteuer vor.

2.2. Die dagegen erhobene Berufung wurde mit Bescheid des Berufungssenates I als Organ der Finanzlandesdirektion für Salzburg mit der Begründung abgewiesen, die Steuerpflicht werde bei Spekulationsgeschäften mit Grundstücken erst durch deren Veräußerung ausgelöst; im Zeitpunkt der Veräußerung (im Jahre 1989) sei bereits das EStG 1988, welches auf einen Zeitraum von zehn Jahren zwischen Anschaffung und Veräußerung abstelle, in Kraft gestanden. Diese zehnjährige Frist werde hier unterschritten.

3. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof "wegen materieller Rechtswidrigkeit", der Sache nach wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art 5 StGG und Art 1 des ersten Zusatzprotokolls zur EMRK, gegebenenfalls wegen Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, weshalb die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.

Begründet wird die Beschwerde damit, nach dem EStG 1972 (fünfjährige Spekulationsfrist) sei die Steuerpflicht des Beschwerdeführers bei einem allfälligen Verkauf seines Liegenschaftsbesitzes erloschen. "Die rückwirkende Erfassung von Vorgängen, die bereits einmal steuerfrei waren", bewirke eine Verfassungswidrigkeit. Durch das EStG 1988 seien nicht die Voraussetzungen für die Steuerfreiheit, sondern die Voraussetzungen für die Steuerpflicht geändert worden. Eine "bereits einmal zugestandene Steuerfreiheit" könne nach ständiger Rechtsprechung der Höchstgerichte einem Abgabepflichtigen nicht mehr rückwirkend genommen werden (Hinweis auf das Erkenntnis des ); alle vor dem erfolgten Anschaffungen von Grundstücken lägen außerhalb der Spekulationsfrist und seien damit steuerfrei (Hinweis auf das Erkenntnis VfSlg. 12509/1990). Würden demgegenüber an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen geknüpft, durch welche die Rechtsposition eines Steuerpflichtigen für die Vergangenheit verschlechtert werde, verstoße dies gegen den Gleichheitsgrundsatz, da die Normunterworfenen durch einen derartigen Eingriff in ihrem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht würden und besondere Umstände eine derartige Rückwirkung nicht verlangten. Entweder sei deshalb das Gesetz gleichheitswidrig, was trotz des Umstandes, daß der Beschwerdeführer Fremder sei, aufzugreifen sei, oder es liege ein in die Verfassungssphäre reichender, das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzender Eingriff vor. Die nachträgliche Anknüpfung steuerlicher Folgen an früher verwirklichte Tatbestände nehme den Normunterworfenen die Möglichkeit, über ihr Vermögen im Vertrauen auf die Rechtslage zu verfügen.

4. Die Finanzlandesdirektion Salzburg als belangte Behörde dieses verfassungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in welcher sie die bekämpfte Entscheidung verteidigt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Die Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. § 30 Abs 1 Z 1 lita des EStG 1988 stellt in Zusammenhalt mit § 120 leg.cit. keine rückwirkende Festsetzung einer steuerlichen Belastung dar:

1.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10337/1985, 10362/1985, 11470/1987) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte, oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.

1.2. Daß die belangte Behörde bei Bescheiderlassung die Rechtsgrundlage denkunmöglich angewendet habe, kann ernsthaft nicht behauptet werden. § 120 EStG 1988 ordnet in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise an, daß ua. § 30 für Veräußerungsvorgänge nach dem gilt, und es ist völlig unbestritten, daß hier die Veräußerung des Grundstückes nach diesem Zeitpunkt erfolgte. Im Hinblick auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes kommt eine Auslegung im Sinne der Auffassung der Beschwerde derart, daß hinsichtlich jedes Grundstückserwerbes vor dem die nach dem EStG 1972 in Geltung gestandene Spekulationsfrist von fünf Jahren maßgeblich sei, nicht in Betracht. Jedenfalls liegt dem angefochtenen Bescheid keine denkunmögliche Rechtsanwendung zugrunde.

1.3.1. Es ist auch offenkundig, daß der angefochtene Bescheid nicht ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist. Der Verfassungsgerichtshof hegt aber aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften, insbesondere teilt er nicht jene in der Beschwerde vorgetragenen.

Wie der Verfassungsgerichtshof insbesondere in seinem Erkenntnis VfSlg. 12186/1989 unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargetan hat, ist das Vertrauen in die Rechtsordnung unter bestimmten Voraussetzungen durch den Gleichheitssatz geschützt. Daher können gesetzliche Vorschriften gegen diesen verstoßen, weil und insoweit sie die im Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage handelnden Personen nachträglich belasten. Das kann bei schwerwiegenden und plötzlich eintretenden Eingriffen in erworbene Rechtspositionen, auf deren Bestand der Normunterworfene mit gutem Grund vertrauen konnte, zur Gleichheitswidrigkeit des belastenden Eingriffs führen; im genannten Erkenntnis heißt es dann weiter:

"Abgabengesetze fordern nämlich vom Staatsbürger Geldleistungen, die zu entrichten sind, wenn bestimmte Tatbestände verwirklicht werden. Deshalb orientieren sich Steuerpflichtige bei ihren Dispositionen (auch) an den jeweils geltenden Steuergesetzen. Soweit nun Steuertatbestände an Handlungen steuerliche Belastungen knüpfen, an die im Zeitpunkt der Handlung selbst entsprechende Rechtsfolgen nicht geknüpft waren, werden jene Steuerpflichtigen, die im Vertrauen auf die seinerzeitige (rückwirkend geänderte) Rechtslage disponiert haben, in diesem Vertrauen enttäuscht.

Aus den Grundgedanken der oben skizzierten Judikatur zur Gleichheitsbindung rückwirkend in Kraft gesetzter Vorschriften und zum Vertrauensschutz in seiner Wirkung gegenüber dem Gesetzgeber und der Verwaltung sowie aus einer Bedachtnahme auf die oben dargelegten Konsequenzen der rückwirkenden Einführung von belastenden Steuervorschriften ergibt sich, daß gesetzliche Vorschriften, die (nachträglich) an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen knüpfen und dadurch die Rechtsposition der Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtern, zu einem gleichheitswidrigen Ergebnis führen ..., wenn die Normunterworfenen durch einen Eingriff von erheblichem Gewicht in einem berechtigten Vertrauen auf die Rechtslage enttäuscht wurden und nicht etwa besondere Umstände eine solche Rückwirkung verlangen (etwa indem sie sich als notwendig erweisen, um andere Gleichheitswidrigkeiten zu vermeiden)."

An dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof in der Folge festgehalten (vgl. insbesondere die Erkenntnisse VfSlg. 12416/1990, 12688/1991, ); sie ist auch hier - zumal auch die Beschwerde nichts gegen sie vorträgt und keine neuen Gesichtspunkte hervorgekommen sind - beizubehalten.

1.3.2. Die Beschwerde stützt sich zwar ausdrücklich auf diese Rechtsprechung, gibt sie aber nicht nur unvollständig wieder, sondern verkennt auch den Inhalt der dem Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften, wenn sie vermeint, ihnen komme rückwirkende Kraft zu. Entgegen dieser Auffassung knüpft § 30 Abs 1 Z 1 lita iVm.

§120 EStG 1988 nicht an Steuertatbestände Steuerbelastungen, an welche im Zeitpunkt der Handlung entsprechende Rechtsfolgen nicht geknüpft waren, und es werden nicht an früher verwirklichte Tatbestände steuerliche Folgen geknüpft und dadurch die Rechtspositionen der Steuerpflichtigen mit Wirkung für die Vergangenheit verschlechtert. Der maßgebliche Besteuerungstatbestand besteht hier nämlich entgegen der Auffassung der Beschwerde nicht im Ankauf des Grundstückes; vielmehr ist der steuerpflichtige Tatbestand im Verkauf des Grundstückes zu erblicken. Der genannten Rechtsvorschrift kommt folglich rückwirkende Kraft nicht zu. Wie etwa Thienel zutreffend und in dieser Beziehung im Einklang mit der dargestellten Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ausgeführt hat, kann von einer Rückwirkung nur dann gesprochen werden, wenn der Geltungsbereich einer Rechtsvorschrift auch auf Sachverhalte erstreckt wird, die sich vor seiner Erlassung (zur Gänze oder teilweise) verwirklicht haben (s. Thienel, Vertrauensschutz und Verfassungsrecht (1990), 19 f.; vgl. auch derselbe, Art 49 B-VG und die Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereiches von Bundesgesetzen, ÖJZ 1990, 161 ff. (169 ff.)).

Entgegen der Auffassung der Beschwerde liegt hier nicht nur keine Rechtsvorschrift vor, der rückwirkende Kraft zukommt, im Gegenteil: es bestand hier eine Legisvakanz von mehr als fünf Monaten, da das EStG 1988 am im Bundesgesetzblatt kundgemacht wurde, sein § 30 jedoch gemäß § 120 erst für Veräußerungen nach dem gilt.

Im übrigen läuft die Auffassung der Beschwerde im Ergebnis darauf hinaus, daß dem Gesetzgeber ein Eingriff in die Rechtsposition der Normunterworfenen überhaupt verwehrt wäre und infolgedessen Gesetzesänderungen nur im Sinne der Verbesserung derselben zulässig erschienen. Dies würde aber auf eine weitgehende Beseitigung des von der Verfassung dem Gesetzgeber zugewiesenen rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes hinauslaufen. Eine solche, mit der Verfassung nicht vereinbare Auffassung liegt aber keineswegs der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu Grunde; vielmehr stellt diese ausdrücklich ua. auf den Schutz des Vertrauens gegen Eingriffe von erheblichem Gewicht durch rückwirkende Gesetzesänderungen ab.

Die von der Beschwerde vorgebrachten Bedenken gegen die dem Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften sind deshalb nicht begründet. Der Verfassungsgerichtshof vermag aber auch nicht zu erkennen, daß diese Regelungen aus anderen, von der Beschwerde nicht vorgetragenen Gründen verfassungswidrig wären. Sie bewegen sich innerhalb des dem Gesetzgeber zukommenden rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes. Weder der Gleichheitssatz noch eine andere Verfassungsvorschrift verbietet es dem Gesetzgeber, eine Spekulationsfrist zu verändern. Ein besonderer Grund für die Annahme des Vorliegens einer verfassungsrechtlich unzulässigen Enttäuschung eines berechtigten Vertrauens der Rechtsunterworfenen ist hier (anders als im Falle der Prüfung einer Verordnung laut dem Erkenntnis des ) nicht erkennbar.

Der Verfassungsgerichtshof sieht sich deshalb nicht veranlaßt, in eine Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von § 120 EStG 1988 einzutreten.

1.4. Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

2. Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden wäre.

3. Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften (s. oben II.1.3.) ist es auch ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

4.1. Die Beschwerde war deshalb als unbegründet abzuweisen, antragsgemäß jedoch gemäß Art 144 Abs 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten.

4.2. Diese Entscheidung konnte gemäß § 19 Abs 4, erster Satz, und Z 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.