OGH 09.09.2008, 10Ob68/08k
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Dr. Elfriede Kropiunig und Dr. Michael Kropiunig, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei Wilhelm S*****, Pensionist, *****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Michael Augustin, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 150/08p-90, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Akt wird dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, seine Entscheidung durch den Ausspruch zu ergänzen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands 4.000 EUR, allenfalls auch 20.000 EUR übersteigt.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Das Erstgericht gab dem Begehren auf Räumung einer im Mehrheitseigentum des Klägers stehenden Wohnung statt. Das Räumungsbegehren stützte der Kläger darauf, dass dem Beklagten aufgrund eines Notariatsakts vom die Dienstbarkeit der Wohnung auf Lebensdauer eingeräumt worden sei, er jedoch zur sofortigen Auflösung dieses Dauerschuldverhältnisses berechtigt sei, weil ihm und den übrigen Miteigentümern und Hausbewohnern durch das unleidliche Verhalten des Beklagten ein weiteres Zusammenleben mit dem Beklagten unzumutbar sei.
Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Eine Bewertung des Entscheidungsgegenstands unterblieb.
Der Beklagte erhob gegen diese Entscheidung eine „außerordentliche Revision". Über dieses Rechtsmittel kann derzeit nicht entschieden werden.
Offenbar im Hinblick auf § 502 Abs 5 Z 2 ZPO hat das Berufungsgericht einen Ausspruch über den Wert des Entscheidungsgegenstands gemäß § 500 Abs 2 Z 1 ZPO unterlassen. Dabei hat es jedoch nicht berücksichtigt, dass Räumungsklagen nur dann der Regelung des § 502 Abs 5 Z 2 ZPO unterfallen, wenn es sich um „unter § 49 Abs 2 Z 5 JN fallende Streitigkeiten" handelt. Eine solche Streitigkeit liegt jedoch nicht vor, hat doch der Kläger sein Klagebegehren nicht auf die Beendigung oder Auflösung eines Bestandvertrags oder eines sonstigen Vertrags im Sinne der genannten Vorschrift der JN gestützt, sondern sich darauf berufen, dass er aufgrund des unleidlichen Verhaltens des Beklagten zur vorzeitigen Auflösung des dem Beklagten vertraglich auf Lebensdauer eingeräumten Wohnrechts berechtigt sei. Ein Benützungsverhältnis aufgrund einer persönlichen Dienstbarkeit des Wohnungsrechts ist aber kein Bestandvertrag, weshalb hier auch keine privilegierte (Bestand-)Streitigkeit im Sinn des § 502 Abs 5 ZPO vorliegt (vgl 7 Ob 152/99z).
Ohne einen entsprechenden Bewertungsausspruch des Berufungsgerichts kann somit nicht beurteilt werden, ob eine außerordentliche Revision überhaupt in Betracht kommt. Das Berufungsgericht wird daher den unterlassenen Bewertungsausspruch nachzuholen haben. Sollte es aussprechen, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands zwar 4.000 EUR, nicht aber 20.000 EUR übersteigt, wird es zweckmäßigerweise den als „außerordentliche Revision" bezeichneten Schriftsatz des Beklagten gleichzeitig als Antrag nach § 508 Abs 1 ZPO zu behandeln und darüber abzusprechen haben, ob der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision abgeändert (§ 508 Abs 3 ZPO) oder der Antrag gemeinsam mit der Revision zurückgewiesen (§ 508 Abs 4 ZPO) wird. Im Falle der Abänderung des Zulässigkeitsausspruchs bzw einer Bewertung des Entscheidungsgegenstands mit einem 20.000 EUR übersteigenden Betrag sind die Akten - im ersten Fall unter Berücksichtigung des § 508 Abs 5 ZPO - wieder dem Obersten Gerichtshof vorzulegen (vgl 1 Ob 199/05d ua).
Entscheidungstext
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johann S*****, vertreten durch Dr. Elfriede Kropiunig und Dr. Michael Kropiunig, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei Wilhelm S*****, vertreten durch den Sachwalter Dr. Michael Augustin, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Räumung, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Leoben als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 150/08p-90, den Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision der beklagten Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass dingliche und obligatorische Wohnungsrechte ganz allgemein und damit auch im familiären Bereich wie jedes andere Dauerschuldverhältnis aus wichtigen Gründen aufgelöst werden können (vgl 8 Ob 569/92; 4 Ob 189/99v; 9 Ob 233/01g ua; RIS-Justiz RS0018813). Es wurde auch bereits darauf hingewiesen, dass von der Auflösung der Anspruch des Wohnungsberechtigten auf Vergütung des Geldwerts des Wohnrechts unberührt bleibt (4 Ob 189/99v mwN). Voraussetzung für eine Auflösung ist insbesondere, dass einem Teil die Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses nicht mehr zumutbar ist. Ein solcher wichtiger Auflösungsgrund wird zu bejahen sein, wenn ein gedeihliches Zusammenleben der Vertragspartner nicht mehr möglich ist, wobei dem überwiegend Schuldlosen das Lösungsrecht zukommt. Gründe, mit denen bei Vertragsabschluss bereits gerechnet werden musste, können prinzipiell nicht herangezogen werden (vgl Binder in Schwimann, ABGB3 § 1118 Rz 17 f mwN). Die Auflösung eines Dauerschuldverhältnisses aus wichtigem Grund ist das „äußerste Notventil". Es ist ein strenger Maßstab anzulegen, ob ein wichtiger Grund für die Auflösung vorliegt; die Gründe müssen entsprechend gewichtig sein (4 Ob 189/99v; 9 Ob 233/01g jeweils mwN; RIS-Justiz RS0018813).
Die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts durch das Berufungsgericht steht im Einklang mit dieser Rechtsprechung (vgl insbesondere den ähnlich gelagerten Sachverhalt in der Entscheidung 8 Ob 569/92). Zweifellos ist auch im vorliegenden Fall dem Beklagten ein erhebliches Interesse am Weiterbestand seines Wohnungsrechts zuzuerkennen. Dem steht gegenüber, dass die von ihm gesetzten, auf seiner Geisteskrankheit beruhenden und vom Erstgericht umfangreich festgestellten Verhaltensweisen objektiv einen unerträglichen Eingriff in die Rechte des Klägers als Liegenschaftseigentümer darstellen. Auf seiner Seite liegt nach dem festgestellten Sachverhalt kein relevantes vertragswidriges Verhalten vor. Auch wenn der Umstand der Unzurechnungsfähigkeit des Beklagten zumindest in der Weise berücksichtigt werden muss, dass das Verhalten einer geisteskranken Person nicht unter allen Umständen ebenso unleidlich ist wie ein gleichartiges Verhalten einer vollkommen zurechnungsfähigen Person, stellt auch eine Geisteskrankheit keinen Freibrief für ein unleidliches Verhalten dar (vgl 3 Ob 576/85 mwN). Die fehlende Vorwerfbarkeit des Verhaltens schließt daher nach der Rechtsprechung die Annahme der Unzumutbarkeit nicht aus (9 Ob 233/01g mwN). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen hat sich seit dem Abschluss des Notariatsakts vom , insbesondere aber seit dem Jahr 1992, das Verhalten des Beklagten unvorhersehbar wesentlich verschlechtert. Wie der Oberste Gerichtshof ebenfalls in der Entscheidung 8 Ob 569/92, bereits ausgesprochen hat, kann selbst die Kenntnis der Unleidlichkeit eines Wohnungsberechtigten dem Erwerber nicht schaden, weil er grundsätzlich auch gegenüber einer solchen Person Anspruch auf ungestörte Nutzung seines Eigentums hat. Die Vorinstanzen haben eine Abwägung des Bestandinteresses des Beklagten und des Auflösungsinteresses des Klägers im Sinne der dargelegten Ausführungen vorgenommen und dem Interesse des Klägers eine größere Beachtlichkeit zugemessen. Diese stets von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängige Beurteilung ist in der Regel einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof nicht zugänglich, es sei denn, es läge ein Fall einer unvertretbaren Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vor. Ein derartiger Fall wird jedoch vom Revisionswerber nicht dargetan. Eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt somit nicht vor (vgl 9 Ob 233/01g ua; RIS-Justiz RS0042834).
Zusatzinformationen
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Rechtsgebiet | Zivilrecht |
ECLI | ECLI:AT:OGH0002:2008:0100OB00068.08K.0909.000 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
FAAAD-88708