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OGH vom 19.01.2021, 10ObS154/20z

OGH vom 19.01.2021, 10ObS154/20z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und KR Karl Frint (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei C*****, vertreten durch Mag. Rainer Ebert Mag. Gerhard Holzer Rechtsanwälte GesbR in Hollabrunn, gegen die Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wochengeld, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom , GZ 8 Rs 21/20x18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits und Sozialgericht vom , GZ 9 Cgs 337/18d11, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin ist seit 2011 als Angestellte beschäftigt. Anlässlich der Geburt ihres ersten Kindes am nahm sie eine Karenz bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres des Kindes in Anspruch. Von bis bezog sie Wochengeld und von bis Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens. Anlässlich einer zweiten Schwangerschaft wurde der als voraussichtlicher Geburtstermin festgestellt. Der Frauenarzt der Klägerin stellte am ein fachärztliches Zeugnis nach § 3 Abs 3 Mutterschutzgesetz (MSchG) aus („vorzeitiger Mutterschutz“). Die Klägerin übermittelte dem Krankenversicherungsträger dieses Zeugnis am .

[2] Die ursprünglich beklagte Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse) lehnte mit Bescheid vom den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Wochengeld mit der Begründung ab, dass zum Zeitpunkt des Eintritts des individuellen Beschäftigungsverbots am keine aufrechte Krankenversicherung mehr bestanden habe.

[3] In ihrer dagegen gerichteten Klage brachte die Klägerin vor, die Voraussetzungen einer „Frühkarenz“ seien bereits am vorgelegen.

[4] Das verpflichtete die Beklagte – ausgehend von einer bis aufrechten Krankenversicherung – zur Zahlung des Wochengeldes im gesetzlichen Ausmaß.

[5] Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Seiner rechtlichen Beurteilung zufolge habe die Krankenversicherung mit Ablauf des letzten Tages des Kinderbetreuungsgeldbezugs geendet. Der Versicherungsfall der Mutterschaft sei im Sinn des § 120 Z 3 ASVG erst mit Ausstellung des fachärztlichen Zeugnisses am eingetreten. Dass Leben oder Gesundheit von Mutter und Kind bereits zu einem früheren Zeitpunkt gefährdet gewesen wären, gehe daraus nicht hervor. Die Revision wurde zur Klärung der Frage zugelassen, ob der Versicherungsfall der Mutterschaft bei Vorliegen eines ärztlichen Zeugnisses bereits zu einem Zeitpunkt vor dessen Ausstellung als eingetreten gelte, wenn nachgewiesen werde, dass die Voraussetzungen für die Ausstellung bereits zu einer früheren Zeit vorgelegen seien.

[6] Die – beantwortete – Revision der Klägerin ist entgegen diesem nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

[7] 1. Es ist unstrittig, dass der Anspruch der Klägerin auf Wochengeld den aufrechten Bestand der Krankenversicherung zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls der Mutterschaft voraussetzt, was mit Ende des Bezugs von einkommensabhängigem Kinderbetreuungsgeld am nicht mehr der Fall war. Unterschiedlicher Ansicht sind die Parteien nur zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalls im Sinn des § 120 Z 3 Satz 2 ASVG.

[8] 2.1 Nach § 120 Z 3 zweiter Satz ASVG gilt der Versicherungsfall der Mutterschaft bei Dienstnehmerinnen und Bezieherinnen einer Leistung (unter anderem) nach dem KBGG in jenem Zeitpunkt und für jenen Zeitraum als eingetreten, in dem im Einzelfall bei „echten“ Dienstnehmerinnen nach § 4 Abs 2 ASVG aufgrund eines fachärztlichen, arbeitsinspektionsärztlichen oder amtsärztlichen Zeugnisses nachgewiesen wird, dass das Leben oder die Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung oder Aufnahme der Beschäftigung gefährdet werde.

[9] 2.2 Die näheren Bestimmungen über die Ausstellung, Form und den Inhalt des Freistellungszeugnisses sind gemäß § 3 Abs 3 MSchG vom Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz durch Verordnung festzulegen (§ 3 Abs 3 Z 3 MSchG).

[10] 2.3 Das nach der Mutterschutzverordnung (MSchV) ausgestellte ärztliche Zeugnis beinhaltet eine Wissenserklärung des Arztes über das Vorliegen einer Gefährdung (10 ObS 66/20h). Form und Inhalt des Zeugnisses regelt § 4 MSchV. Nach § 4 Abs 2 MSchV ist für das dem Sozialversicherungsträger vorzulegende Freistellungszeugnis das in der Anlage enthaltene Formular 1 zu verwenden. Dieser Vordruck enthält unter anderem die in § 3 Abs 3 MSchG geregelte Bescheinigung der Gefährdung.

[11] 3.1 Die Klägerin vertritt in der Revision den Standpunkt, dass das Gesetz nicht ausschließlich schriftliche Bestätigungen und Zeugnisse verlange, sondern auch ein mündliches Zeugnis einer nach § 3 MSchV berechtigten Person genüge. Als solches mündliches Zeugnis sieht sie die Angaben des als Zeugen vernommenen Frauenarztes der Klägerin an, wonach seine Patientin schon mit Juli 2018 in „Frühkarenz“ gehen hätte können und er bereits zu diesem Zeitpunkt eine entsprechende schriftliche Bestätigung ausstellen hätte können. Nach Ansicht der Klägerin ist der Versicherungsfall deshalb bereits im Juli 2018 eingetreten.

[12] 3.2 Dieses Argument zur Gleichwertigkeit eines mündlichen ärztlichen Zeugnisses steht mit der eindeutigen Gesetzeslage nicht in Einklang. Der Begriff eines ärztlichen Zeugnisses in § 120 Z 3 zweiter Satz ASVG ist schon nach dem allgemeinen Sprachgebrauch als schriftliche Bestätigung über das Vorliegen einer Gefährdung zu verstehen. Das Freistellungszeugnis muss nach § 4 MSchV bestimmten Form- und Inhaltserfordernissen entsprechen, um das Bestehen der Gefährdung zu dokumentieren: So hat der bestätigende Arzt nach § 4 Abs 2 MSchV ein bestimmtes Formular zu verwenden.

[13] 3.3 Der behandelnde Facharzt der Klägerin hat am eine Gefährdung im Sinn des § 3 Abs 3 MSchG bestätigt. In der Regel wird damit das Bestehen der Gefährdung ab dem Ausstellungszeitpunkt dokumentiert (10 Ob 66/20h mwN). Eine von diesem Grundsatz und der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts abweichende Auslegung dieser Urkunde, dass mit dieser der Eintritt der Gefährdung bereits zu einem früheren Zeitpunkt bestätigt werden sollte, behauptet die Revisionswerberin nicht.

[14] 3.4 Ist – so wie hier – der Gesetzeswortlaut eindeutig, begründet es keine erhebliche Rechtsfrage, wenn der Oberste Gerichtshof zu einer bestimmten Norm noch nicht Stellung genommen hat (RIS-Justiz RS0042656).

[15] 3.5 Die Revision, die keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung aufzeigt, ist somit zurückzuweisen.

[16] 4. Anhaltspunkte für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus der Aktenlage.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00154.20Z.0119.000

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