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OGH vom 14.09.2021, 8Ob100/20v

OGH vom 14.09.2021, 8Ob100/20v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekurgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Tarmann-Prentner, Mag. Korn, Dr. Stefula und Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Insolvenzsache des Schuldners H*****, vertreten durch Mag. Clemens Krabatsch, Rechtsanwalt in Wels, über den Revisionsrekurs des Schuldners gegen den Beschluss des Landesgerichts Wels als Rekursgericht vom , GZ 21 R 161/20f-132, mit dem der Rekurs des Schuldners gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Vöcklabruck vom , GZ 15 S 47/17d-123, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und dem Rekursgericht die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

[1] Mit Beschluss vom (ON 53) leitete das Erstgericht nach Nichtannahme des Zahlungsplans im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Schuldners das Abschöpfungsverfahren ein.

[2] Über Antrag einer Gläubigerin stellte das Erstgericht mit Beschluss vom das Abschöpfungsverfahren vorzeitig ein. Dieser Beschluss wurde dem bestellten Treuhänder, dem Vertreter des Schuldners und dem Vertreter der Gläubigerin jeweils am sowie den beiden weiteren Gläubigern individuell zugestellt. Eine Veröffentlichung in der Insolvenzdatei unterblieb zunächst und wurde erst am vorgenommen.

[3] Ab brachte der Schuldner einen Rekurs gegen den Beschluss auf vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens ein.

[4] Das Rekursgericht wies den Rekurs als verspätet zurück. Der Beschluss über die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens sei nach § 211 Abs 4 IO öffentlich bekanntzumachen. Die Rekursfrist beginne daher grundsätzlich bereits mit dem Tag nach der Einschaltung in die Insolvenzdatei. In der Lehre werde teilweise vertreten, dass in solchen Fällen der Beschluss vor der öffentlichen Bekanntmachung nicht wirksam sei und daran eine individuelle Zustellung nichts ändere. Demgegenüber sei jedoch davon auszugehen, dass die ursprünglich unterlassene Bekanntgabe des Beschlusses in der Insolvenzdatei dadurch heile, dass der Beschluss schon früher individuell zugestellt worden sei. Damit beginne die Frist für die Rekurserhebung mit dieser individuellen Zustellung. Davon ausgehend sei der Rekurs des Schuldners verspätet.

[5] Den Revisionsrekurs ließ das Rekursgericht zu, da auch die Ansicht vertreten werden könnte, entscheidend für den Beginn der Rechtsmittelfrist sei ausschließlich die Veröffentlichung des Beschlusses in der Insolvenzdatei.

[6] Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs des Schuldners mit dem Antrag, den Beschluss des Rekursgerichts aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung aufzutragen.

[7] Der Revisionsrekurs ist aus den vom Rekursgericht genannten Gründen zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[8] 1. Nach § 257 Abs 2 IO (früher: § 174 Abs 2 KO) treten, wenn neben der öffentlichen Bekanntmachung eine besondere Zustellung vorgeschrieben ist, die Folgen der Zustellung schon durch die öffentliche Bekanntmachung ein, auch wenn die besondere Zustellung unterblieben ist. Daher wird die Rechtsmittelfrist bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung durch Aufnahme in die Insolvenzdatei in Lauf gesetzt, und zwar unabhängig davon, ob eine individuelle Zustellung erfolgt ist (RISJustiz RS0065237; RS0110969). Ob eine individuelle Zustellung oder eine Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung zu wählen ist, bestimmt zwingend das Gesetz (RS0105980).

[9] Für die vorzeitige Einstellung des Abschöpfungsverfahrens sieht § 211 Abs 4 die öffentliche Bekanntmachung vor.

2.Bereits Pollak in Bartsch/Pollak3, S 30 Anm 58, verweist darauf, dass nach dem Wortlaut des Gesetzes, „so treten die Folgen der Zustellung schon durch die öffentliche Bekanntmachung ein“, an den regelmäßigen Fall gedacht sei, dass die öffentliche Bekanntmachung früher als die individuelle Zustellung geschehe. Der Zweck des Gesetzes sei aber, die Wirkungen der zugestellten Beschlüsse einheitlich in einem für jeden Beteiligten erkennbaren Zeitpunkt eintreten zu lassen. So entspreche es dem Sinne des § 174 KO anzunehmen, dass bei nebeneinander laufender öffentlicher Bekanntmachung und individueller Zustellung lediglich der Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung entscheide, möge die individuelle Zustellung früher oder später geschehen sein.

Konecny (in Insolvenzdatei: Neue/auffallende Rechtsprobleme, ÖJZ 2002, 492 ff) führt aus, dass die öffentliche Bekanntmachung in der Insolvenzdatei Zustellung bedeute. Diese sei erforderlich, damit die Entscheidung den Verfahrensbeteiligten gegenüber wirksam werde. Wo eine öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben sei, erfolge die Rechtswirkungen auslösende Zustellung ausschließlich durch die Aufnahme des Beschlusses in die Insolvenzdatei. Unterbleibe sie, dann treten die Entscheidungsfolgen nicht ein, die vom Konkursgericht getroffenen Anordnungen gelten nicht. Ein Zustellmangel sei selbst dann anzunehmen, wenn eine individuelle Zustellung erfolgt sei.

[12] Zugleich stelle sich aber die Frage, ob dieser Zustellmangel geheilt werden könne. Dafür sprächen die Materialien zu § 174 KO (vgl Kaiserliche Verordnung über die Einführung einer Konkursordnung, einer Ausgleichsordnung und einer Anfechtungsordnung samt Denkschrift [1914], 145), laut denen die besonderen Bestimmungen der KO über Zustellungen bloß neben diejenigen der Prozessordnung treten, welche wiederum weitgehend durch das ZustG ersetzt worden seien. Das ZustG sehe wiederum eine Heilung (§ 7 ZustG) durch tatsächliches Zukommen des zuzustellenden Beschlusses an den oder die Empfänger vor.

Pesendorfer (in KLS § 257 IO Rz 6 f) sieht den Zweck der Regelung, die die Zustellung an alle Beteiligten bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung als erfolgt ansieht, darin, die Beschlusswirkungen einheitlich zu einem für jeden Beteiligten erkennbaren Zeitpunkt eintreten zu lassen. Sei eine öffentliche Bekanntmachung vorgesehen, liege ein Zustellmangel vor, wenn nur individuell zugestellt worden sei. Dieser Mangel heile – in Durchbrechung des Grundsatzes der einheitlichen Rechtsmittelfrist – durch individuelle Zustellung (Zukommen iSd § 7 ZustG).

Stefula vertritt dagegen in seiner Kommentierung des § 123 IO, dass die individuelle Zustellung wegen der vorgeschriebenen öffentlichen Bekanntmachung für den Lauf der Rekursfrist ohne Bedeutung sei (Stefula in KLS § 123 IO Rz 15).

Schneider (Recht auf ein faires Verfahren und öffentliche Bekanntmachung im Insolvenzverfahren, ZIK 2015/53 mwN) hält am Grundsatz fest, dass die Rechtsmittelfrist nur durch die öffentliche Bekanntmachung zu laufen beginne. Ob daneben eine individuelle Zustellung vorgesehen sei, sei für die Fristauslösung irrelevant. Nur in Ausnahmefällen (etwa zur Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren) werde die Frist nicht durch die öffentliche Bekanntmachung ausgelöst.

Katzmayr (in Konecny, Insolvenzgesetze § 74 IO Rz 9 mwN) sieht in den Fällen, in denen eine öffentliche Bekanntmachung vorgeschrieben ist, die die Rechtswirkung auslösende Zustellung gemäß § 257 Abs 2 IO iVm § 256 Abs 1 IO ausschließlich durch Aufnahme des Beschlusses in die Insolvenzdatei als erfolgt an. Werde das Edikt nicht öffentlich bekanntgemacht, so sei der vom Insolvenzgericht gefasste Eröffnungsbeschluss auch nicht wirksam. Daran könne auch der Umstand nichts ändern, dass der Eröffnungsbeschluss bereits individuell zugestellt wurde.

[17] Auch Stumvoll (in Fasching/Konecny3 II/2 § 7 ZustG Rz 18/7 mwN) vertritt die Meinung, dass eine fehlerhafte öffentliche Zustellung wegen der Sondernorm des § 257 Abs 2 IO nicht iSd § 7 ZustG durch faktisches Zukommen heilen, sondern nur durch eine fehlerlose Neuveröffentlichung ex nunc saniert werden könne, sodass insoweit die individuelle Zustellung bedeutungslos bleibe. Das gelte auch für Fälle in denen nur die öffentliche Bekanntmachung unterblieben sei, während allen Beteiligten individuell zugestellt worden sei, was seine Rechtfertigung im gesetzlich angeordneten Vertrauensschutz für Veröffentlichungen in der Insolvenzdatei finde.

[18] Ebenso vertritt Deixler-Hübner (in Konecny, Insolvenzgesetze § 176 KO Rz 18 mwN), dass bei Missachtung der Vorschrift zur öffentlichen Bekanntmachung durch das Gericht der individuellen Zustellung an die Beteiligten keine rechtliche Wirkung zukomme, sodass die Zustellwirkungen ausschließlich an die – nachträglich nachgeholte – öffentliche Bekanntmachung geknüpft seien.

[19] Entgegen den Ausführungen des Rekursgerichts verweist sie zwar auch allgemein auf die Möglichkeit einer Heilung gesetzwidriger Zustellvorgänge durch tatsächliches Zukommen, jedoch hält sie zugleich ausdrücklich fest, dass, wenn die KO nebeneinander die individuelle Zustellung und jene durch öffentliche Bekanntmachung normiere, die Folgen der Zustellung bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung eintreten. Gesetzesintention sei dabei, dass die Beschlusswirkungen einheitlich zu einem für jeden Beteiligten erkennbaren Zeitpunkt eintreten. Dabei entscheide der Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung nicht nur dann, wenn dieser – wie in der Regel – früher, sondern auch, wen er aus bestimmten Gründen später erfolgen solle (Deixler-Hübner aaO § 174 KO Rz 2).

[20] 3. Nach der Rechtsprechung hat die öffentliche Bekanntmachung die Wirkung der Zustellung und setzt die Rechtsmittelfrist in Lauf (RS0036582). In 1 Ob 564/54 wurde dazu ausgeführt, dass die Rechtsmittelfrist gemäß § 174 Abs 2 KO von der öffentlichen Bekanntmachung für alle Beteiligten zu laufen beginnt, unabhängig davon, ob und wann die Zustellung an die Beteiligten selbst erfolgt ist.

[21] In der Folge wurde in zahlreichen Entscheidungen judiziert, dass die individuelle Zustellung nach der öffentlichen Bekanntmachung erfolgt und betont, dass die Zustellungwirkungen bereits mit der öffentlichen Bekanntmachung eintreten (vgl RS0036582).

[22] Zuletzt war in 8 Ob 83/19t der Fall zu beurteilen, dass eine öffentliche Bekanntmachung unterblieben, jedoch eine individuelle Zustellung an alle Beteiligten erfolgt war. Dazu wurde ausgeführt, dass ein Abweichen von der gesetzlich vorgeschriebenen Zustellart die – heilbare – Nichtigkeit der Zustellung bewirke.

[23] 4. Zum vorliegenden Sachverhalt wurde erwogen:

[24] § 257 Abs 2 IO sieht ausdrücklich vor, dass, wenn neben der öffentlichen Bekanntmachung eine besondere Zustellung vorgeschrieben ist, die Folgen der Zustellung „schon“ durch die öffentliche Bekanntmachung eintreten. Zweck dieser Regelung ist es, wie in der zitierten Literatur dargelegt, die Wirkung der Beschlüsse im Hinblick auf die Natur des Insolvenzverfahrens als Mehrparteienverfahren einheitlich in einem für jeden Beteiligten erkennbaren Zeitpunkt eintreten zu lassen. Dabei hat der Gesetzgeber auch in Kauf genommen, dass die individuelle Zustellung meist erst nach der öffentlichen Bekanntmachung erfolgt und sich damit faktisch die Zeit zur Ausführung des Rechtsmittels etwas verkürzt. Das wird aber wegen des unleugbaren Vorteils eines einheitlichen Beginns der Rechtsmittelfrist in Kauf genommen (vgl 8 Ob 231/98y).

[25] Diese Wertung des Gesetzes gilt aber ebenso für die Fälle, in denen einzelne individuelle Zustellungen ausnahmsweise vor der öffentlichen Bekanntmachung erfolgt sind. In diesen Fällen für den Beginn der Rechtsmittelfrist bei jedem Beteiligten darauf abzustellen, welche Zustellung zuerst wirksam geworden ist, würde dem Zweck des § 257 Abs 2 IO diametral entgegenlaufen. Wenn daher allein ausgehend vom Wortlaut „treten die Folgen schon durch die öffentliche Bekanntmachung ein“ die Auslegung vertretbar wäre, dass § 257 Abs 2 IO nur für jene Fälle gilt, in denen die öffentliche Bekanntmachung vor der individuellen Zustellung erfolgt, ergibt sich aus dem Zweck der Regelung, dass sie auch auf Konstellationen anzuwenden ist, in denen die öffentliche Bekanntmachung erst nach einer individuellen Zustellung erfolgt.

[26] Beginnen aber die Rechtsmittelfristen nach § 257 Abs 2 IO unabhängig von der individuellen Zustellung schon/erst mit der öffentlichen Bekanntmachung, stellt sich die Frage einer Heilung von Zustellmängeln durch Zukommen des Beschlusses letztlich nicht. Insoweit liegt auch kein Widerspruch zur Entscheidung 8 Ob 83/19t vor, da dort die Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels nicht zu beurteilen war, da ein Rechtsmittel zulässigerweise auch vor Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist erhoben werden kann (vgl RS0041748).

[27] 5. Für den konkreten Fall bedeutet das, dass der Rekurs des Schudners innerhalb von 14 Tagen nach der öffentlichen Bekanntmachung und damit innerhalb der Rechtsmittelfrist erfolgte. Er war daher entgegen der Rechtsauffassung des Rekursgerichts nicht verspätet. Dem Revisionsrekurs des Schuldners war daher Folge zu geben, die Entscheidung des Rekursgerichts aufzuheben und diesem die neuerliche Entscheidung unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufzutragen.

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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2021:0080OB00100.20V.0914.000

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