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VfGH vom 10.10.2003, B1768/02

VfGH vom 10.10.2003, B1768/02

Sammlungsnummer

17021

Leitsatz

Keine Verletzung der Religionsfreiheit und des Gleichheitsrechtes durch die Abweisung eines Antrags auf Feststellung der Ausnahme der entgeltlichen Seelsorgetätigkeit eines philippinischen Ehepaares für die Zeugen Jehovas vom sachlichen Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes; keine unsachliche Differenzierung zwischen gesetzlich anerkannten und anderen Religionsgemeinschaften

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob die beschwerdeführende Partei durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. § 1 des Bundesgesetzes, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 idgF, lautet - auszugsweise - wie folgt:

"Geltungsbereich

§1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§2) im Bundesgebiet.

(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf

a) Ausländer, denen in Österreich Asyl gewährt wurde (§1 Z 2 und § 2 des Asylgesetzes 1997 [AsylG], BGBl. I Nr. 76/1997);

b) Ausländer hinsichtlich ihrer wissenschaftlichen, pädagogischen, kulturellen und sozialen Tätigkeiten an Unterrichtsanstalten oder an Instituten wissenschaftlichen, kulturellen oder sozialen Charakters, die auf Grund eines zwischenstaatlichen Kulturabkommens errichtet wurden;

c) Ausländer hinsichtlich ihrer Tätigkeiten in diplomatischen oder berufskonsularischen Vertretungen oder in mit diplomatischen Vorrechten ausgestatteten zwischenstaatlichen Organisationen oder in ständigen Vertretungen bei solchen Organisationen oder hinsichtlich ihrer Tätigkeiten als Bedienstete solcher Ausländer;

d) Ausländer hinsichtlich ihrer seelsorgerischen Tätigkeiten im Rahmen von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften;

e) Ausländer hinsichtlich ihrer Tätigkeiten als Besatzungsmitglieder von See- und Binnenschiffen, es sei denn, sie üben eine Tätigkeit bei einem Unternehmen mit Sitz im Bundesgebiet aus;

f) [aufgehoben]

g) Ausländer hinsichtlich ihrer Tätigkeiten als Berichterstatter für ausländische Medien in Wort, Ton und Bild für die Dauer ihrer Akkreditierung als Auslandskorrespondenten beim Bundeskanzleramt sowie Ausländer hinsichtlich ihrer für die Erfüllung der Aufgaben dieser Berichterstatter unbedingt erforderlichen Tätigkeiten für die Dauer ihrer Notifikation beim Bundeskanzleramt;

h) [aufgehoben]

i) Ausländer hinsichtlich ihrer Tätigkeit als Honorarprofessoren, Gastprofessoren, Lektoren, Instruktoren, Lehrbeauftragte oder Vertragsassistenten an österreichischen Universitäten, an der Akademie der bildenden Künste oder an Kunsthochschulen;

j) Ausländer hinsichtlich ihrer Tätigkeit im Rahmen von Aus- und Weiterbildungs- oder Forschungsprogrammen der Europäischen Union;

k) [aufgehoben]

l) EWR-Bürger, drittstaatsangehörige Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers sowie drittstaatsangehörige Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der österreichische Staatsbürger bzw. der EWR-Bürger Unterhalt gewährt, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind.

(3)-(5) ..."

2. Die beschwerdeführende Partei, Jehovas Zeugen, ist eine religiöse Bekenntnisgemeinschaft iS des Bundesgesetzes über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften, BGBl. I Nr. 19/1998 (im Folgenden kurz: BekGG).

Mit Eingaben vom beantragte sie beim Arbeitsmarktservice Wien die Feststellung, dass die entgeltliche Seelsorgetätigkeit eines philippinischen Ehepaares im Rahmen des "Ordens der Sondervollzeitdiener" der beschwerdeführenden Partei vom sachlichen Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen ist.

Mit zwei - im Instanzenzug ergangenen - Bescheiden vom wies die Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien dieses Begehren als unbegründet ab.

Gegen diese - letztinstanzlichen - Bescheide richtet sich die vorliegende, auf Art 144 B-VG gestützte Beschwerde, worin die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (Art7 Abs 1 B-VG iVm Art 2 StGG, Art 9 iVm Art 14 EMRK) sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes (§1 Abs 2 litd AuslBG) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.

Begründend wird dazu - auf das Wesentliche zusammengefasst - ausgeführt, es sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, dass zwar Seelsorger ("oft verschwindend kleiner") anerkannter Kirchen und Religionsgesellschaften vom AuslBG ausgenommen sind, nicht aber auch Seelsorger anerkannter Bekenntnisgemeinschaften, die - wie im Fall der beschwerdeführenden Partei - erheblich größer seien als (manche der) anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und bei denen daher ein größerer Bedarf nach ausländischen Seelsorgern zur seelsorgerischen Betreuung ausländischer (der deutschen Sprache nicht mächtiger) Mitglieder gegeben sei.

Durch die angefochtenen Bescheide sei die beschwerdeführende Partei auch in ihrem Recht auf Freiheit der Religionsausübung verletzt worden:

Die seelsorgerische Betreuung ihrer Angehörigen sei dem Kernbereich des religiösen Wirkens einer Glaubensgemeinschaft zuzurechnen. Die in § 1 Abs 2 litd AuslBG normierte Beschränkung der Ausnahme auf "gesetzlich anerkannte Kirchen und Religionsgesellschaften" sei durch den Eingriffsvorbehalt des Art 9 Abs 2 EMRK nicht gedeckt. Weder handle es sich um eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme, noch diene sie einem der dort genannten Rechtsgüter.

Durch die angefochtenen Bescheide sei der beschwerdeführenden Partei auch die Möglichkeit genommen, ihren nicht Deutsch sprechenden Angehörigen die notwendige seelsorgerische Betreuung in derselben Weise zukommen zu lassen wie die anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften. Die sich daraus ergebende Benachteiligung anerkannter Bekenntnisgemeinschaften sei unsachlich und stehe somit überdies in Widerspruch zu Art 14 (iVm Art 9) EMRK.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. § 1 Abs 2 litd AuslBG bestimmt, dass die Beschäftigung von Ausländern als Seelsorger im Rahmen von "gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften" vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen ist. Diese bereits in der Stammfassung des AuslBG enthaltene und seit Inkrafttreten des AuslBG unverändert gebliebene Ausnahmebestimmung hat offenkundig lediglich solche Religionsgesellschaften im Auge, die nach den Bestimmungen des Gesetzes vom 20. Mai 1874, betreffend die gesetzliche Anerkennung von Religionsgesellschaften, RGBl. Nr. 68/1874 (Anerkennungsgesetz), anerkannt worden sind (oder bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits anerkannt waren).

Die Beschäftigung von Ausländern als Seelsorger im Rahmen einer "religiösen Bekenntnisgemeinschaft" iS des BekGG unterliegt demgegenüber dem AuslBG und setzt daher das Vorliegen eines entsprechenden Beschäftigungstitels (vgl. § 3 Abs 1 AuslBG) voraus.

2. Nach Art 9 Abs 1 EMRK hat jedermann (ua.) das Recht auf Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen, seine Religion einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Der Schutzbereich dieses Rechts schließt auch die Religionsausübung durch eine kirchliche oder religiöse Körperschaft ("ecclesiastical or religious body") ein (vgl. zuletzt EGMR , Z 27.417/95, Cha'are Shalom Ve Tsedek/Frankreich, Rz 72 = ÖJZ 2001, 775).

Art 9 Abs 2 EMRK normiert einen materiellen Gesetzesvorbehalt:

Demnach darf die Religionsfreiheit "nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind".

2.1. Die seelsorgerische Betätigung ist zweifellos vom Schutzbereich des Art 9 Abs 1 EMRK umfasst. In diesen Schutzbereich fällt demnach zwar auch das Beschäftigungsverhältnis eines Seelsorgers zu einer religiösen Bekenntnisgemeinschaft. Die vom Gesetzgeber in öffentlich-rechtlicher, aber auch in privatrechtlicher Hinsicht, insbesondere auf dem Gebiet des Arbeitsrechts, geschaffene Ordnung (wozu auch die Ordnung des Arbeitsmarktes hinsichtlich der Beschäftigung von Ausländern zählt) ist jedoch - wie mit Blick auf die in dieser Hinsicht bestehenden europäischen Rechtstraditionen nicht zweifelhaft sein kann - iS des Art 9 Abs 2 EMRK als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig zu beurteilen.

2.2. Durch eine solche Ordnung darf daher im Lichte des Art 9 Abs 2 EMRK jedenfalls auch die dem Staat zugewendete Seite der Tätigkeit religiöser Vereinigungen solchen Regelungen unterworfen werden. Soweit dem nicht - hier nicht zu erörternde - verfassungsrechtliche Schranken anderer Art entgegenstehen, kommt dem staatlichen Gesetzgeber in der Frage, ob und in welcher Weise er im Rahmen der von ihm geschaffenen normativen Ordnung religiös motivierte Tätigkeiten von dieser ausnimmt, ein weiter rechtspolitischer Spielraum zu.

Soll daher eine Person, die eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzt, als Seelsorger einer Bekenntnisgemeinschaft in einer Weise tätig werden, die an sich einem Bewilligungsregime - hier: nach dem AuslBG - unterliegt (andere, insbesondere auch ehrenamtliche Formen der Ausübung seelsorgerischer Tätigkeit sind ohnedies von keinem solchen Bewilligungsregime betroffen), so gebietet es keine Verfassungsbestimmung, ein solches Beschäftigungsverhältnis von diesem Regime auszunehmen.

3. Angesichts dessen bleibt zu untersuchen, ob dem Gesetzgeber aus gleichheitsrechtlicher Sicht entgegengetreten werden kann, wenn er insoweit zwischen anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften und religiösen Bekenntnisgemeinschaften iS des BekGG unterscheidet. Dies ist aus folgenden Gründen zu verneinen:

Die Unterscheidung zwischen gesetzlich anerkannten und nicht anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften ist durch Art 15 StGG verfassungsgesetzlich vorgegeben (vgl. 11.931/1988, S 690 mwN). Mit der Anerkennung erlangt die Kirche oder Religionsgesellschaft die im Gesetz näher beschriebene Stellung, die es ihr erlaubt, an der Gestaltung des staatlichen öffentlichen Lebens teilzunehmen. Da dieser Status bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen allen Kirchen und Religionsgesellschaften zuerkannt werden kann - und muss (VfSlg. 11.931/1988, S 692; vgl. auch - zu § 11 BekGG - VfSlg. 16.102/2001, S 188 ff) -, begegnet die Differenzierung zwischen gesetzlich anerkannten und anderen Gemeinschaften im hier gegebenen Zusammenhang als solche keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

4. Die behaupteten Rechtsverletzungen liegen somit nicht vor.

Das Beschwerdeverfahren hat auch nicht ergeben, dass die angefochtenen Bescheide die beschwerdeführende Partei in einem anderen, von ihr nicht geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt hätten. Ob die angefochtenen Bescheide aber in jeder Hinsicht dem Gesetz entsprechen, hatte der Verfassungsgerichtshof nicht zu beurteilen.

Die Beschwerde war daher abzuweisen und - antragsgemäß - dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abzutreten, ob die beschwerdeführende Partei durch die angefochtenen Bescheide in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

5. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs 4 erster Satz VfGG).