OGH vom 16.04.2020, 10ObS148/19s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und ADir. Gabriele Svirak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei DI E*****, vertreten durch Mag. Peterpaul Suntinger, Rechtsanwalt in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, wegen Familienzeitbonus, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 6 Rs 46/19k-14, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Bezeichnung der Beklagten war gemäß § 23 Abs 1 und § 538t Abs 1 ASVG von Amts wegen auf „Österreichische Gesundheitskasse“ zu berichtigen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Anspruch des Klägers auf Familienzeitbonus gemäß § 2 Familienzeitbonusgesetz (BGBl I 2016/53, FamZeitbG) für den Zeitraum von bis .
Der Kläger beantragte am den Familienzeitbonus, wobei er den errechneten Geburtstermin mit und noch keinen Bezugszeitraum angab.
Am kam die Tochter des Klägers zur Welt, die aufgrund von Komplikationen noch am Tag der Geburt in stationäre Behandlung aufgenommen wurde. Am erhielten die Eltern die Nachricht, dass die Tochter am aus der stationären Pflege entlassen werde. Der Kläger teilte seinem Arbeitgeber mit, dass er die Familienzeit ab in Anspruch nehmen werde. Damit war der Arbeitgeber einverstanden.
Bis zum verschlechterte sich aber der Gesundheitszustand der Tochter, sodass diese weiterhin bis in stationärer Pflege bleiben musste. Der Kläger trat dennoch die mit dem Arbeitgeber vereinbarte Freistellung vom Dienst in der Zeit von bis an, um sich seiner Familie widmen zu können. Ab dem verbrachte der Kläger mindestens vier Stunden täglich bei seiner Tochter in der Klinik.
Den exakten Zeitraum für die Inanspruchnahme des Familienzeitbonus – von bis – gab der Kläger am gegenüber der Kärntner Gebietskrankenkasse bekannt, indem er das ursprüngliche Antragsformular, das ihm zurückgesandt worden war, ergänzte.
Der Kläger, die Mutter des Kindes und die Tochter sind seit am gemeinsamen Familienwohnsitz gemeldet.
Mit vom wies die Kärntner Gebietskrankenkasse den Antrag des Klägers auf Zuerkennung des Familienzeitbonus für den Zeitraum von bis mit der Begründung ab, dass kein gemeinsamer Haushalt im Sinn des Familienzeitbonusgesetzes vorgelegen sei.
Das wies das Klagebegehren auf Gewährung des Familienzeitbonus für den Zeitraum von bis ab. Vom Bestehen eines gemeinsamen Haushalts des Klägers mit seiner Tochter im Sinn des § 2 Abs 1 Z 4 iVm § 2 Abs 3 FamZeitbG könne erst ab dem ausgegangen werden. Der verbleibende Zeitraum bis unterschreite den gesetzlichen Mindestbezugszeitraum des § 3 Abs 2 FamZeitbG, Familienzeitbonus könne jedoch nicht anteilig gewährt werden. § 2 Abs 3a FamZeitbG idF BGBl I 2019/24 sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar.
Das gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es billigte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichts. Dass der Gesetzgeber mit der Schaffung des § 2 Abs 3a FamZeitbG den Anspruch auf Familienzeitbonus für bestimmte Konstellationen ab einem bestimmten Zeitpunkt erweitert habe, könne nicht zu einer Verletzung des Vertrauensgrundsatzes zum Nachteil des Klägers führen. Eine zeitliche Differenzierung bei den Anspruchsvoraussetzungen von Versicherungsleistungen durch eine Stichtagsregelung sei grundsätzlich nicht gleichheitswidrig. Es stehe in der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers festzulegen, ab wann eine neue, den Versicherten begünstigende Bestimmung zu gelten habe und unter welchen Voraussetzungen sie zur Anwendung komme. Die Revision sei mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
In seiner zeigt der Kläger keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Zur zutreffenden rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichts (§ 510 Abs 3 ZPO) ist lediglich ergänzend auszuführen:
1.1 Der Anspruch auf Familienzeitbonus eines Vaters für sein Kind ist (ua) an die Voraussetzung geknüpft, dass der Vater, das Kind und der andere Elternteil im gemeinsamen Haushalt leben (§ 2 Abs 1 Z 4 FamZeitbG) und sich der Vater im gesamten von ihm gewählten Anspruchszeitraum in Familienzeit befindet (§ 2 Abs 1 Z 3 FamZeitbG; 10 ObS 109/18d SSV-NF 32/67).
1.2 Ein gemeinsamer Haushalt im Sinn des § 2 Abs 3 FamZeitbG liegt nur dann vor, wenn der Vater, das Kind und der andere Elternteil in einer dauerhaften Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft an derselben Wohnadresse leben und alle drei an dieser Adresse auch hauptwohnsitzlich gemeldet sind, wobei eine bis zu zehn Tagen verspätet erfolgte Hauptwohnsitzmeldung des Kindes an dieser Wohnadresse nicht schadet. Eine „dauerhafte Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft“ liegt gemäß § 2 Abs 3 FamZeitbG dann vor, wenn eine Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft tatsächlich aufgenommen wird und dies in der Absicht geschieht, sie auf Dauer zu führen. Eine dauerhafte Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft kann daher bereits ab dem ersten Tag vorliegen (10 ObS 50/19d). Wird in diesem Sinn eine Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft nach Verlassen des Krankenhauses nach der Geburt tatsächlich und mit der Absicht, sie auf Dauer zu führen, aufgenommen, so schadet ein späterer unvorhersehbarer, erforderlicher stationärer Krankenhausaufenthalt (nur) des anderen Elternteils während der Familienzeit des Vaters dem Anspruch auf Familienzeitbonus nicht (10 ObS 147/19v).
1.3 Im vorliegenden Fall wurde nach der dargestellten Rechtsprechung eine dauerhafte Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft der Eltern und des Kindes erst der Entlassung des Kindes aus der stationären Behandlung, daher erstmals am begründet. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass dem Kläger kein Anspruch auf Familienzeitbonus gebührt, weil sich die Familienzeit (§ 2 Abs 1 Z 3 und Abs 4 FamZeitbG) und der beantragte Bezugszeitraum nicht decken und die Familienzeit kürzer ist als der Bezugszeitraum. Eine anteilige Auszahlung hat der Gesetzgeber ebenso ausgeschlossen wie eine spätere Änderung des Anspruchszeitraums (10 ObS 101/19d).
2.1 Der Revisionswerber stellt nicht in Frage, dass die Bestimmung des § 2 Abs 3a FamZeitbG idF BGBl I 2019/24 erst mit in Kraft trat und für Geburten nach dem , daher nicht im vorliegenden Fall gilt (§ 12 Abs 3 FamZeitbG). Die von ihm behauptete Verfassungswidrigkeit „der Bestimmungen in § 2 FamZeitbG“ in der im vorliegenden Fall noch anwendbaren Fassung BGBl I 2016/53 liegt auch nach Ansicht des erkennenden Senats nicht vor, weshalb die Anregung des Revisionswerbers auf Anrufung des Verfassungsgerichtshofs nicht aufzugreifen ist (so bereits 10 ObS 101/19d).
2.2 Von einem „Härtefall“ (vgl dazu das vom Revisionswerber zitierte Erkenntnis des VfGH G 228/09 ua) kann hier deshalb nicht gesprochen werden, weil § 3 Abs 2 und 3 FamZeitbG vorsieht und ermöglicht, den Antrag innerhalb eines Zeitraums von 91 Tagen ab der Geburt zu stellen (vgl dazu 10 ObS 125/19h) und den beantragten Anspruchszeitraum innerhalb eines Rahmens von 91 Tagen ab Geburt zu wählen (was beispielsweise im vorliegenden Fall nach den Bestimmungen des Familienzeitbonusgesetzes den Beginn der Familienzeit auch erst mit ermöglicht hätte). Dabei wird nicht übersehen, dass die Inanspruchnahme der Familienzeit die Unterbrechung der Erwerbstätigkeit und damit in der Regel entsprechendes Einvernehmen mit dem Arbeitgeber voraussetzt.
3. Da die Entscheidungen der Vorinstanzen mit der höchstgerichtlichen Rechtsprechung übereinstimmen, ist die außerordentliche Revision mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:010OBS00148.19S.0416.000 |
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