OGH vom 04.05.2006, 9Ob36/06v

OGH vom 04.05.2006, 9Ob36/06v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen 1. Andreas Ghosen A*****, geb , und 2. Daniel A*****, geb , beide *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters Ramez A*****, vertreten durch Rathauscher Sumper Rechtsanwältinnen in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 628/05m-U10, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 1 P 297/02i-U4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Dem Beteiligten, der sich trotz Aufforderung nach § 185 Abs 3 AußStrG aF, RGBl 1854/208, nicht geäußert und damit keine eigenen Tatsachenbehauptungen aufgestellt hatte, war es schon bisher nach ständiger Rechtsprechung verwehrt, dem Sachverhalt, von dem das Gericht bei seiner Entscheidung im Hinblick auf dessen Schweigen ausgehen durfte, im Rekurs neue, davon abweichende Tatsachenbehauptungen entgegenzuhalten (Fucik, AußStrG² [MTA] 166; 1 Ob 715/79, SZ 52/155; 1 Ob 2092/96w; 6 Ob 176/00a; RIS-Justiz RS0006783, RS0006941 ua). Die neue Säumnisvorschrift nach § 17 AußStrG - auf den vorliegenden Revisionsrekurs ist bereits das neue AußStrG, BGBl I 2003/111, anzuwenden, weil das Datum der Entscheidung erster Instanz nach dem liegt (§ 203 Abs 7 AußStrG) - beschränkt sich nicht mehr wie § 185 Abs 3 AußStrG aF, dem sie nachgebildet ist (vgl Zangl, ÖJZ 2005/7), auf Verfahren in Vormundschafts- und Kuratelsangelegenheiten (III. Hauptstück des AußStrG aF), sondern sie rückte in die Allgemeinen Bestimmungen des AußStrG (I. Hauptstück) vor. Die Möglichkeit der "Säumnisentscheidung" wurde damit verallgemeinert (Fucik/Kloiber, AußStrG § 17 Rz 1).

Nach § 17 AußStrG kann das Gericht eine Partei unter Setzung einer angemessenen Frist auffordern, sich zum Antrag einer anderen Partei oder zum Inhalt der Erhebungen zu äußern, oder die Partei zu diesem Zweck zu einer Vernehmung oder Tagsatzung laden. Lässt die Partei die Frist ungenützt verstreichen oder leistet sie der Ladung nicht Folge, so kann das Gericht annehmen, dass keine Einwendungen gegen die Angaben der anderen Partei oder gegen eine beabsichtigte Entscheidung auf der Grundlage des bekannt gegebenen Inhalts der Erhebungen bestehen. Die Aufforderung zur Äußerung sowie die Ladung haben einen Hinweis auf diese Rechtsfolge zu enthalten und sind wie eine Klage zuzustellen. Gegen eine solche Fristsetzung oder Ladung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig. Die Gesetzesmaterialien erläutern zu § 17 AußStrG, dass sich der vormalige § 185 Abs 3 AußStrG aF hervorragend bewährt habe, durch die Rechtsprechung in einem dem Untersuchungsgrundsatz angemessenen Umfang konturiert worden sei und sich somit als im Sinn eines schlanken, beschleunigten Verfahrens und damit im Sinn des Art 6 EMRK eines in angemessener Frist abgeführten Verfahrens als verallgemeinerungsfähig erwiesen habe. Auch mit dem neuen § 17 AußStrG sollen Verfahrensverzögerungen durch die Passivität einer Partei so weit wie möglich ausgeschlossen werden (vgl RV 224 BlgNR 22. GP 33 f).

Nachdem sich der Vater in erster Instanz zum Antrag seiner Kinder auf Unterhaltsfestsetzung trotz Fristsetzung und Belehrung über die Rechtsfolgen nach § 17 AußStrG durch das Erstgericht nicht geäußert hatte, stellte er erstmals im Rekurs gegen die erstgerichtliche Unterhaltsfestsetzung verschiedene gegenläufige Tatsachenbehauptungen auf; die Nichtäußerung habe auf einem Missverständnis beruht. Auf diese neuen Tatsachenbehauptungen ging das Rekursgericht unter Hinweis auf § 17 AußStrG nicht ein, was der Vater in seinem Revisionsrekurs beanstandet. Richtig ist, dass schon nach früherer, durch die Rechtsprechung zu § 10 AußStrG aF konkretisierter Rechtslage im Verfahren außer Streitsachen grundsätzlich Neuerungserlaubnis bestand. Die Möglichkeit von Neuerungen ist nun in § 49 - nicht § 46, wie der Revisionsrekurswerber mehrfach behauptet, - AußStrG geregelt, wobei dessen Abs 2 und 3 Einschränkungen der Neuerungserlaubnis vorsehen. Wenn diese Einschränkungen im Vergleich zum alten Gesetzestext weiterreichend erscheinen mögen, schreiben sie doch nur die bisherige Rechtsprechung fest, der die Gesetzesmaterialien unter Berufung auf das dort näher zitierte Schrifttum attestieren, dass sie den Bedürfnissen der Praxis und nicht zuletzt dem Beschleunigungsgedanken und dem Gedanken der Mitwirkungspflicht, der Wahrheits- und der Vollständigkeitspflicht der Parteien Rechnung trug (RV 224 BlgNR 22. GP 48). Für "nova reperta" - also Tatsachen und Beweismittel, die schon zur Zeit der Fassung des Beschlusses erster Instanz vorhanden waren, - besteht nach § 49 Abs 2 AußStrG eine ausdrückliche Einschränkung der Neuerungserlaubnis darin, dass sie dann nicht zu berücksichtigen sind, wenn sie von der Partei schon vor der Erlassung des Beschlusses vorgebracht hätten werden können, es sei denn, es handelt sich bei der Unterlassung des Vorbringens in erster Instanz um eine „entschuldbare Fehlleistung" der Partei. Schon die bisherige Rechtsprechung ging davon aus, dass Neuerungen nur insoweit zu beachten sind, als ein entsprechendes Tatsachenvorbringen in erster Instanz „nicht möglich" war (Fucik aaO 23;3 Ob 30/03p; 4 Ob 185/03i; 8 Ob 62/04g; RIS-Justiz RS0006897 ua).

In den Fällen des § 17 AußStrG geht es hingegen nach den Gesetzesmaterialien, wie schon bisher in den Fällen des § 185 Abs 3 AußStrG aF (6 Ob 176/00a; RIS-Justiz RS0006783 ua), weiterhin nicht an, dass eine Partei, nachdem sie sich in erster Instanz nicht geäußert hat - ohne dass dies wegen eines Wiedereinsetzungsgrunds restituiert wurde (vgl dazu schon die Judikatur des LGZ Wien zu § 185 Abs 3 AußStrG aF in EFSlg 47.375, 55.838, 82.983 ua) -, nunmehr ihr Vorbringen im Rekurs nachtragen könnte (RV 224 BlgNR 22. GP 49; Fucik/Kloiber aaO § 49 Rz 7). Da die versäumte Äußerung nach § 17 AußStrG (auch im Fall „entschuldbarer Fehlleistung") bei Fortschreibung der bisherigen Rechtsprechung nicht als zulässige Neuerung im Rekurs nachgeholt werden kann, kommt in derartigen Fällen allenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 21 AußStrG (die im Wesentlichen dem vormaligen § 17 AußStrG aF entspricht) in Betracht (vgl auch Burgstaller in Jabornegg, HGB-Kommentar, § 18 FBG Rz 21), wenn die Säumnis auf einem „minderen Grad des Versehens" beruht (und auch die übrigen Voraussetzungen nach § 21 AußStrG iVm §§ 146 ff ZPO gegeben sind).

Gründe, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen, werden vom Revisionsrekurswerber nicht aufgezeigt. An ihr ist daher weiterhin festzuhalten. Die Rechtslage ist damit insofern auch völlig klar (vgl schon 6 Ob 148/05s ua), betonen doch bereits die Gesetzesmaterialien, dass mit der Neuregelung nur die bisherige Rechtsprechung festgeschrieben wurde. Mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen (§ 71 Abs 2 AußStrG).

Mit ihrem unzulässigen Antrag auf Bewilligung der vorläufigen Vollstreckbarkeit nach § 44 Abs 1 AußStrG (vgl Fucik/Kloiber aaO § 44 Rz 3) - er kann jedoch als Anregung, von Amts wegen tätig zu werden, gedeutet werden - sind die Minderjährigen auf die vorliegende Entscheidung zu verweisen.