OGH vom 22.05.1997, 10ObS116/97z

OGH vom 22.05.1997, 10ObS116/97z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtsachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Bauer und Dr.Steinbauer als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Paul P*****, Lehrer, ***** vertreten durch Dr.Georg Hesz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Josefstädterstraße 80, 1081 Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom , GZ 7 Rs 38/97b-34, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluß des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom , GZ 15 Cgs 145/95p-31, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Der Rekurswerber hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht hat den Antrag des Klägers auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionsfrist abgewiesen.

Als bescheinigt nahm es an:

Die Kanzleikräfte versehen in der Kanzlei des Klagevertreters jede einlangende Entscheidungsausfertigung mit einem Eingangsstempel, legen die Entscheidung zum zugehörigen Akt, ermitteln das Ende der Rechtsmittelfrist, machen dieses mit rotem Stift auf der Entscheidungsausfertigung ersichtlich und tragen die Rechtsmittelfrist mit "Vortermin" (= zwei bis drei Wochen vor Ablauf der Rechtsmittelfrist) und "Fixtermin" (= letzter Tag der Rechtsmittelfrist) in den Kanzleikalender ein. Danach wird der Akt dem Klagevertreter vorgelegt. Dieser befand sich vom 11.7. bis auf Urlaub, ohne daß ein Vertreter bestellt gewesen wäre. Am langte das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien vom in der Kanzlei ein. Die Sekretärin Christa T***** trug auf der Urteilsausfertigung und im Kanzleikalender den letzten Tag der Revisionsfrist mit ein. Sie bezog unrichtigerweise die Gerichtsferien mit ein. Danach deponierte sie den Akt auf einem Bord, auf dem in chronologischer Reihenfolge alle während der urlaubsbedingten Abwesenheit des Klagevertreters einlaufenden Poststücke mit den zugehörigen Akten bis zur Rückkehr aufbewahrt wurden. Der Klagevertreter arbeitete diese Akten in der ersten Woche nach seiner Urlaubsrückkehr auf. Dabei sah er auch den gegenständlichen Akt durch und ordnete die Ablage des Aktes bis zum Vortermin für die Revision an. Erst anläßlich des Diktates der Revision bemerkte der Klagevertreter die unrichtige Fristenberechnung.

Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß das Nichtbemerken der unrichtigen Fristenberechnung bei der Bearbeitung des Aktes nach der Urlaubsrückkehr eine Fehlleistung darstelle, die bei einem qualifizierten Parteienvertreter nicht mehr dem Bereich der leichten Fahrlässigkeit zugerechnet werden könne.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichtes (§ 508a ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Der gegen diese bestätigende Entscheidung gerichtete Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Rekursbeschränkung des § 528 Abs 1 und Abs 2 Z 2 ZPO nach § 47 Abs 1 ASGG nicht anzuwenden ist und an deren Stelle sinngemäß die Bestimmungen des § 46 Abs 1 ASGG treten. Da es sich hier um ein Verfahren über wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen handelt, ist der Rekurs an den Obersten Gerichtshof nach § 47 Abs 2 ASGG auch bei Fehlen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig (10 ObS 238/94 mwN).

Der Revisionsrekurs ist aber nicht berechtigt.

Die im Revisionsrekurs neuerlich vorgebrachte, vom Rekursgericht verneinte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§§ 528a, 510 Abs 3 ZPO). Feststellungen, die aufgrund von Schlußfolgerungen gewonnen werden, sind nicht aktenwidrig (Kodek in Rechberger ZPO Rz 4 zu § 503 mwN).

Im Sinne des nach § 2 Abs 1 ASGG auch in Sozialrechtssachen anzuwendenden § 146 Abs 1 ZPO ist einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozeßhandlung verhindert und durch die Versäumung von dieser Prozeßhandlung ausgeschlossen wurde, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Daß der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Da die ZPO diesbezüglich nicht unterscheidet, ist die zitierte Bestimmung über die Partei auch auf deren Bevollmächtigte zu beziehen (10 ObS 238/94 mwN).

Der Wiedereinsetzungswerber und sein Vertreter dürfen nicht auffallend sorglos gehandelt haben, also die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihnen nach ihren persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht extrem außer acht und etwas unbeachtet gelassen haben, was im konkreten Fall jedem leicht einleuchten mußte; dies ist dann der Fall, wenn einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden. Dabei ist an rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige oder bisher noch nie an gerichtliche Verfahren beteiligte Personen. War die Versäumung voraussehbar und hätte sie durch ein der Partei zumutbares Verhalten abgewendet werden können, dann ist die Wiedereinsetzung zu verweigern (EvBl 1987/94; RZ 1989/69, RZ 1991/54 und 60; 10 ObS 201/93, 10 ObS 238/94).

Wenn auch eine einmaliges Versehen durchaus einem sonst sorgfältigen Menschen unterlaufen kann, insbesondere wenn, bedingt durch außergewöhnliche Umstände, eine Ausnahmesituation vorliegt, die an ihn über das gewöhnliche Maß hinausgehende Anforderungen stellt (9 ObA 174/95), so ist im vorliegenden Fall die mangelnde Kontrolle der durch die Sekretärin eingetragenen Frist nicht auf irgendeine Ausnahmesituation zurückzuführen, die nicht einmal behauptet wurde, sondern auf ein Versehen des rechtskundigen Parteienvertreters, der sich jedoch in seinem Antrag nur auf einen Fehler der sonst tüchtigen und zuverlässigen Sekretärin berief.

Richtig ist, daß bei der fehlerhaften Eintragung des letzten Tages der Revisionsfrist nicht beachtet wurde, daß in Arbeits- und Sozialrechtssachen die Rechtsmittelfrist durch Gerichtsferien nicht verlängert wird. Ausschlaggebend für die Versäumung der Revisionsfrist war hier nicht die unrichtige Eintragung dieser Frist durch die Sekretärin und die verspätete Vorlage durch sie, sondern der Umstand, daß der Klagevertreter die während seines Urlaubes angefallenen Akten, darunter auch den gegenständlichen, nach seiner Rückkehr selbst durchsah, ihm aber der unrichtige Fristenvormerk nicht auffiel, er den Akt unverbessert der Sekretärin zurückgab und diese dann unter Wahrung des unrichtig eingetragenen Termines ihn verspätet dem Klagevertreter wieder vorlegte.

Da der Klagevertreter seinen Kanzleibetrieb so organisiert hat, daß zwar die Fristen von der Sekretärin vorgemerkt werden, er sich aber die Durchsicht der in seiner Abwesenheit angefallenen Akten vorbehielt, kann ihm die unrichtige Vornahme des Fristenvormerkes durch die Sekretärin nicht entschuldigen noch durfte er in diesem Falle auf die Richtigkeit des Vormerkes vertrauen.

Eine Durchsicht der Akten hätte keinen Sinn und wäre entbehrlich, wenn der Akt bloß nach der Rückkehr vom Urlaub der Sekretärin zur Wiedervorlage zum Vortermin zurückgegeben wird, ohne irgendeine Kontrolle vorzunehmen.

Es ist daher davon auszugehen, daß das Übersehen des unrichtigen Fristenvormerkes durch einen erfahrenen und qualifizierten Parteienvertreter, dessen Fristenüberwachung zu den wichtigsten Organisationsaufgaben einer Rechtsanwaltskanzlei gehört, durch eine zumutbare Kontrolle vermieden hätte werden können und daher das Maß des minderen Grades des Versehens überschreitet. Eine Ausnahmesituation wurde weder behauptet noch drängt sich eine solche aufgrund des bescheinigten Sachverhaltes auf.

Der Kostenausspruch beruht auf § 154 ZPO.