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OGH vom 28.03.2007, 9Ob14/07k

OGH vom 28.03.2007, 9Ob14/07k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Spenling, Dr. Hradil, Dr. Hopf und Dr. Kuras als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am verstorbenen Kurt ***** D*****, zuletzt *****, über den Revisionsrekurs der Noterbin Ursula H*****, vertreten durch Mag. Michael Raffaseder, Rechtsanwalt in Freistadt, gegen den Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 324/06w-26, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Mödling vom , GZ 2 A 97/05x-17, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Kurt ***** D***** verstarb am unter Hinterlassung eines Testamentes vom . In diesem setzte er seine Ehefrau Christine D***** zur Alleinerbin ein und verwies seine Tochter Ursula H***** und seinen Enkel Marco L*****, dessen Mutter eine weitere, bereits vorverstorbene Tochter des Erblassers war, auf ihre Pflichtteilsansprüche.

Die Witwe Christa D***** gab auf Grund des Testamentes eine bedingte Erbantrittserklärung ab.

Mit Schreiben vom meldete die D***** GmbH gegenüber der Verlassenschaft eine Forderung von EUR 21.355,27 an, welche sie wie folgt begründete: Der Erblasser habe in der Zeit vom März 2004 bis Februar 2005 eine Firmenpension erhalten. Die für 2004 anfallende Lohnsteuer sei von der D***** GmbH „verauslagt" worden und sollte vereinbarungsgemäß im zweiten und dritten Quartal 2005 gegenverrechnet werden. Daraus resultiere eine per Ende 2004 aushaftende Forderung an den Erblasser in Höhe von EUR 21.355,27. Die Noterbin Ursula H***** sprach sich gegen die Aufnahme dieser Forderung in die Passiven des zu errichteten Verlassenschaftsinventars aus und begehrte darüber eine Entscheidung im Sinn des § 166 Abs 2 AußStrG. Der Forderung liege lediglich eine Behauptung der D***** GmbH zu Grunde, ohne dass diese irgendwelche Beweismittel vorgelegt habe. Die Höhe der angemeldeten Forderung stellte die Noterbin mit dem Argument in Frage, dass die Höhe der angeblich vereinbarten Lohnsteuer bei Rückzahlungsforderung eine wesentlich höher zugrundeliegende Firmenpension bedinge, dies gehe auch aus den Aktiven des Inventars nicht hervor. Diesen Ausführungen schloss sich auch der andere Noterbe Marco L***** an. Das Erstgericht sprach aus, dass die Forderung der D***** GmbH in Höhe von EUR 21.355,27 als Passivum in das zu errichtende Inventar einzustellen sei. Das Inventar diene als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft, nämlich aller körperlichen Sachen und vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen im Todeszeitpunkt. Werde bestritten, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zähle, so habe das Gericht über die Aufnahme in das Inventar zu entscheiden (§ 166 Abs 2 AußStrG). Das Erstgericht erachtete das Forderungsschreiben der D***** GmbH für ordnungsgemäß und die darin zum Ausdruck gebrachte Forderung daher als bescheinigt. Ob die Forderung tatsächlich zu Recht bestehe oder nicht, sei im streitigen Rechtsweg zu klären.

Das von beiden Noterben angerufene Rekursgericht bestätigte den Beschluss des Erstgerichtes. Es stützte sich insbesondere auf die zu §§ 97, 105 AußStrG alt ergangene Rechtsprechung, welche im Wesentlichen auch auf die neue Rechtslage angewendet werden könne. Es sprach zunächst aus, dass ein Revisionsrekurs nicht zulässig sei, über die von der Noterbin Ursula H***** erhobene Zulassungsvorstellung änderte es seinen Ausspruch aber dahin ab, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig sei (§ 63 Abs 3 AußStrG). Eine erhebliche Rechtsfrage liege vor, da weder zu § 166 Abs 2 noch zu § 166 Abs 3 AußStrG Rechtsprechung bestehe. Der gegen die Entscheidung des Rekursgerichtes erhobene Revisionsrekurs der Noterbin Ursula H***** ist zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 166 Abs 1 AußStrG dient das Inventar als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), nämlich aller körperlicher Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Wertes im Zeitpunkt seines Todes. Wird gemäß § 166 Abs 2 AußStrG die Behauptung bestritten, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zählt, so hat das Gericht darüber zu entscheiden, ob diese Sache in das Inventar aufgenommen bzw ausgeschieden wird. Abs 3 bestimmt, dass Dritte verpflichtet sind zur Feststellung der Nachlasszugehörigkeit Zutritt zu den strittigen Gegenständen zu gewähren und deren Besichtigung und Beschreibung zu gestatten.

§ 167 Abs 1 AußStrG regelt zunächst die Bewertung beweglicher Sachen, Abs 2 diejenige unbeweglicher Sachen. § 167 Abs 3 AußStrG lautet:

„Schulden sind mit ihren ziffernmäßigen Rückständen samt Nebengebühren zum Todestag anzuführen, sofern dies ohne weitläufige Erhebungen und großen Zeitverlust möglich ist." Wenngleich § 167 AußStrG vordergründig Bewertungsregeln aufstellt, fällt gerade beim Wortlaut des Abs 3 auf, dass dieser in wesentlichen Teilen mit demjenigen der Vorgängerbestimmung des § 105 AußStrG alt übereinstimmt. Dort hieß es: „Wenn der Betrag und die Beschaffenheit der Verlassenschaftsschulden ohne weitläufige Verhandlungen und großen Zeitverlust in das Klare gesetzt werden kann, sollen auch diese in dem Inventar vorkommen und die Rückstände an den Zinsen derselben an schuldigen Steuern und anderen fortlaufenden Zahlungen bis zum Todestag des Erblassers berechnet werden. Dabei muss genau bemerkt werden, worauf sich die Angaben über jede einzelne Schuldpost gründen." Auch § 105 AußStrG alt wurde nicht als bloße Bewertungsvorschrift, sondern als Regelung dahin aufgefasst, dass Forderungen gegen die Verlassenschaft, deren Richtigkeit ohne weitläufige Verhandlungen oder großen Zeitverlust nicht feststellbar war, überhaupt nicht in das Inventar aufzunehmen waren (7 Ob 282/03a; 10 Ob 89/98f uva). Daraus ergab sich auch die Folge, dass ein Inventar in Ansehung der Passiva nie eine Vollständigkeitsgewähr zu bieten vermochte und der Verzeichnung der Passiva daher auch keine endgültige Bindung zukam (7 Ob 282/03a; 10 Ob 89/98f ua). Nach den Materialien zum neuen AußStrG (224 der Blg XXII. GP RV Erläut zu § 169) gab es für die Frage der Wirkung des Inventars rechtspolitisch zwei mögliche Optionen: Einerseits die Möglichkeit, dem Inventar eine gewisse Legitimation zuzuerkennen, bei der jede unrichtige Bewertung, weil sie ja über das bloße Abhandlungsverfahren hinaus wirkt, sofort und mit allen Mitteln des Untersuchungsgrundsatzes zu korrigieren ist; die andere, von der Rechtsprechung oft eingenommene Position, dass die Bewertung im Rahmen des Inventars überhaupt keine über das Verlassenschaftsverfahren hinausreichenden Rechtswirkungen haben soll. Der Gesetzesentwurf folgt der zweiten Variante, schlägt also vor, „dass hinsichtlich des Werts der aufgenommenen Sachen gar keine gerichtliche Entscheidungs- oder auch nur Bestätigungsfunktion eintreten soll. Für das Abhandlungsverfahren ist das Inventar mit der gewählten Bewertung jedenfalls bindend, wirkt aber nicht darüber hinaus. Wer aus der Unrichtigkeit der Bewertung im Verlassenschaftsverfahren Rechte ableiten will, der muss dies ohnehin im streitigen Verfahren tun, wie etwa der Gläubiger, der den Einwand der Erschöpfung der Nachlassaktiven entkräften will, oder der Noterbe im Rahmen einer Pflichtteilsergänzungsklage."

Diese Überlegungen führen dazu, dass auch § 167 Abs 3 AußStrG so auszulegen ist, dass Schulden dann in das Inventar aufzunehmen sind, wenn ihre ziffernmäßigen Rückstände samt Nebengebühren zum Todestag bekannt sind bzw soweit deren Anführung ohne weitläufige Erhebungen und großen Zeitverlust möglich ist. Kann das Verlassenschaftsgericht Rechtsgrund, Höhe und Fälligkeit einer Forderung unschwer feststellen, hat es diese in das Inventar als Passivum aufzunehmen. Es kann jedoch nicht Aufgabe des Verlassenschaftsgerichtes sein, über Einwendungen eines Beteiligten an sich für unbedenklich erachtete Forderungsanmeldungen mit weiteren Beweisen belegen zu lassen, zumal dies in der Regel ohne weitläufige Erhebungen nicht möglich wäre und es so im Ermessen Verfahrensbeteiligter stünde, regelmäßig die Aufnahme angemeldeter Forderungen in das Inventar zu verhindern. Eine solche Absicht kann jedoch dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden. Da das Forderungsschreiben der D***** GmbH, welches von den Vorinstanzen als unbedenkliche Urkunde erachtet wurde, die im § 167 Abs 3 AußStrG genannten Mindesterfordernisse aufweist, ist an der Rechtsauffassung des Rekursgerichtes nichts auszusetzen. Auch die Erwägungen der Revisionsrekurswerberin zu § 166 Abs 3 AußStrG überzeugen nicht. Diese Bestimmung regelt ihrem klaren Wortlaut nach die Mitwirkungspflicht dritter Personen beim physischen Zutritt zu strittigen Gegenständen bzw die Duldung deren Besichtigung und Beschreibung. Eine erweiterte Auskunfts- und Mitteilungspflicht dritter Personen ist daraus nicht abzuleiten.