OGH vom 24.10.2019, 4Ob99/19s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat Hon.Prof. Dr. Brenn als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Priv.Doz. Dr. Rassi, MMag. Matzka und Mag. WesselyKristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) ***** E*****, vertreten durch die E*****, 2.) R*****, 3.) *****L*****, Deutschland, und 4.) K*****, Deutschland, alle vertreten durch Dr. Brigitta BraunsbergerLechner, Rechtsanwältin in Steyr, sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der klagenden Parteien Mag. A***** S*****, vertreten durch Rechtsanwälte Grassner, Lenz, Thewanger Partner in Linz, gegen die beklagten Parteien 1.) S***** I*****, 2.) J***** I*****, beide *****, und 3.) Z***** I*****, alle vertreten durch „SchmidbergerKassmannhuber-Schwager“ Rechtsanwalts-Partnerschaft in Steyr, wegen 36.375,71 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 29/19s18, mit dem das Urteil des Landesgerichts Steyr vom , GZ 9 Cg 7/18a13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:
„1. Das Hauptbegehren des Inhalts, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien 36.375,71 EUR samt Zinsen binnen 14 Tagen zu zahlen, wird abgewiesen.
2. Die beklagten Parteien sind schuldig, den klagenden Parteien die Sparbücher der U***** AG zu Sparbuch Nr. *****, Guthabensstand mit 10.736,20 EUR, Sparbuch Nr. *****, Guthabensstand mit 10.033,08 EUR, und Sparbuch Nr. *****, Guthabensstand mit 14.706,43 EUR, binnen 14 Tagen herauszugeben.
3. Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit 27.037,01 EUR (darin 3.087,32 EUR USt und 8.513,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten sowie der Nebenintervenientin die mit 6.781,74 EUR (darin 1.123,94 EUR USt und 38,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“
Text
Entscheidungsgründe:
Eine im Jahr 2016 Verstorbene hatte die klagenden Kirchen(-gemeinden) zu gleichteiligen Erben ihres Vermögens eingesetzt. Sie berief einen Notar zum Testamentsvollstrecker. In der Verlassenschaft befand sich auch eine Liegenschaft mit einem Haus. Das Gericht bestellte die Nebenintervenientin als Verlassenschaftskuratorin mit dem Auftrag, diese Liegenschaft zu verkaufen. Im Zuge des Verlassenschaftsverfahrens wurde unter anderem ein Sachverständigengutachten über den Verkehrswert der im Wohnhaus befindlichen Fahrnisse eingeholt. In seinem Gutachten gelangte der Sachverständige zum Ergebnis, dass die Fahrnisse wertlos seien. Die Verlassenschaftskuratorin und der Gerichtskommissär haben sich das Haus und die Liegenschaft nur „grob angesehen“. Erstere wollte mit den auf der Liegenschaft und im Haus befindlichen beweglichen Sachen nichts mehr zu tun haben. Die Beklagten, denen vom Makler gesagt wurde, dass das Haus so wie es sei, also ungeräumt, verkauft werden soll, kauften im Jahr 2017 gemeinsam diese Liegenschaft aus der Verlassenschaft. Ein direktes Gespräch zwischen der Verlassenschaftskuratorin und den Beklagten hatte davor nicht stattgefunden.
Der Kaufvertrag lautete in Punkt II. Kaufklausel:
„Die Verkäuferseite verkauft und übergibt an die Käufer und diese kaufen und übernehmen zu je einem Drittel die im Punkt I. beschriebene Liegenschaft samt Wohnhaus, und zwar mit allem tatsächlichen, rechtlichen und fest verbundenen Zubehör und mit allen Rechten und Pflichten, mit welchen die Verkäuferseite den Kaufgegenstand bisher besessen und benützt hat oder doch zu besitzen und benützen berechtigt war.“
Punkt VII. lautete ua:
„… Der Vertragsgegenstand wird von der Verkäuferseite nicht geräumt, sondern mit allen darin verbleibenden Fahrnissen übergeben. ...“
Die Beklagten verstanden unter dem Begriff „Fahrnis“ alle beweglichen Sachen unabhängig von deren Wert. Die Verlassenschaft wurde in der Folge den Klägerinnen je zu einem Viertel rechtskräftig eingeantwortet. Im Zuge der Räumung des Hauses entdeckten die Beklagten in der Schublade eines Tisches drei Sparbücher mit einer Einlage etwa in Höhe des Hauptklagebegehrens.
Die Klägerinnen begehrten von den Beklagten die Zahlung von 36.375,71 EUR, in eventu die Herausgabe der drei Sparbücher mit dem Gesamtguthaben in Höhe dieses Betrags. Die Sparbücher seien nicht Gegenstand des Kaufvertrags, sondern Teil des Nachlassvermögens und damit Eigentum der Verlassenschaft. Es sei bloß Hausrat mitverkauft worden, aber nicht etwaige noch im Haus vorhandene Urkunden über Sparguthaben. „Fahrnisse“ seien bewegliche Gegenstände, welche der Benutzung des Hauses dienten. Sparguthaben seien davon nicht umfasst.
Die Beklagten wandten ein, die Verkäuferseite habe großen Wert darauf gelegt, die Liegenschaft ungeräumt zu veräußern. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Kaufvertrags und nach dem Willen der Vertragsparteien hätten die Beklagten Eigentum an allen im Haus befindlichen Fahrnissen, so auch an den drei Kleinbetragssparbüchern erworben. Der Begriff „Fahrnis“ sei nicht mit jenem des „Liegenschaftszubehörs“ gleichzusetzen. Die Übertragung eines in einem Losungswort-Sparbuch enthaltenen Guthabens erfolge durch Übergabe des Sparbuchs. Die Mitübertragung des Losungsworts sei in einem Verlassenschaftsverfahren nicht möglich; der Vorleger des Sparbuchs könne sein Verfügungsrecht über die Spareinlage auch anderweitig nachweisen.
Das Erstgericht wies die Klage im Haupt- und Eventualbegehren ab. Es qualifizierte die Sparbücher als bewegliche Sachen. Ein beweglicher Gegenstand sei eine Fahrnis, unabhängig vom Wert. Die Kaufvertragsparteien hätten dem Begriff „Fahrnis“ auch diesen Erklärungswert beigemessen. Sie hätten die Liegenschaft samt dem darauf befindlichen Haus inklusive aller Fahrnisse unabhängig von deren Wert verkaufen bzw kaufen wollen. Die drei mit Losungswort versehenen und jeweils einen Guthabensstand unter 15.000 EUR aufweisenden Sparbücher seien Kleinbetragssparbücher und damit Inhaberpapiere. Der Erwerb solcher Spareinlagen erfolge nach sachenrechtlichen Grundsätzen, das heißt nach den für die Übereignung beweglicher Sachen geltenden Regeln. Sparbücher seien so zu übergeben, dass der Übernehmer in die Lage gesetzt werde, die Forderung daraus geltend zu machen, wozu auch die Bekanntgabe des Losungswortes zähle. Allerdings könne nach § 31 Abs 3 BWG die Angabe des Losungsworts auch durch den Nachweis des Verfügungsrechts über die Sparurkunde substituiert werden. Da die Beklagten rechtsgültig Eigentum an der Liegenschaft inklusive den darauf befindlichen Fahrnissen erworben hätten, seien sie in die Lage versetzt, ihr Verfügungsrecht über die Sparbücher nachweisen zu können und die Übertragung sei rechtswirksam. Die Beklagten seien somit Eigentümer der Sparbücher geworden.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Kleinsparbücher mit Losungswort seien echte Inhaberpapiere, die grundsätzlich durch Übergabe und Mitteilung des Losungsworts ins Eigentum des Übernehmers übertragen würden. Könne der Inhaber eines Kleinbetragssparbuchs das Losungswort nicht nennen, habe er seine materielle Berechtigung nachzuweisen. Nach dem Wortlaut des gegenständlichen Kaufvertrags sei Kaufobjekt nicht nur die Liegenschaft samt Haus und fest verbundenem oder zugeordnetem Zubehör, sondern alle dort verbliebenen Sachen, ohne dass es auf eine Zubehöreigenschaft ankäme. Dies könne nur dahin ausgelegt werden, dass sämtliche auf der Liegenschaft befindlichen Fahrnisse, sei es Kleidung der Verstorbenen, Hausrat, Schmuck, Gemälde oder Urkunden
– wie die Sparurkunden –, unabhängig von ihrem Wert umfasst seien. Die Unkenntnis des Losungsworts schade dem Eigentumserwerb der Beklagten nicht, da sie Inhaber der Sparurkunden seien und ihr Verfügungsrecht über die Spareinlage durch einen wirksamen Kaufvertrag nachweisen könnten. Der Kaufvertrag sei auch nicht sittenwidrig, weil es der Verlassenschaftskuratorin frei gestanden wäre, vor Veräußerung der Liegenschaft samt allen darauf befindlichen Fahrnissen eine nicht nur oberflächliche Sichtung der zu verkaufenden Gegenstände vorzunehmen.
Die Klägerinnen machen in ihrer außerordentlichen Revision geltend, das Berufungsgericht habe in krasser Verkennung der Auslegungsgrundsätze ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt, da es eine bloß am Wortlaut haftende Auslegung vorgenommen habe, die überdies falsch sei, weil es dem Begriff der „Fahrnis“ eine semantische Bedeutung beigemessen habe, die ihm nicht zukomme. Außerdem müsse jedem redlichen Erklärungsempfänger klar sein, dass der Verkäufer eines Hauses allfällige im Haus aufbewahrte oder versteckte Sparbücher nicht mitverkaufen möchte. Es gebe auch kein schützenswertes Interesse der Beklagten an der Auslegung des Begriffs „Fahrnis“ im Sinne der Vorinstanzen. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Differenzierung zwischen Groß- und Kleinsparbücher sei im Hinblick auf die Interessen der Parteien rein willkürlich.
Die Beklagten beantragen mit ihrer – ihnen vom Obersten Gerichtshof freigestellten – Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, in eventu, dieser nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist zulässig und berechtigt.
1. Bei der Auslegung von Verträgen ist ausgehend vom Wortlaut der Vereinbarung die Absicht der Parteien zu erforschen (RIS-Justiz RS0044358). Lässt sich – wie hier – ein vom objektiven Erklärungswert abweichender übereinstimmender Wille der Parteien nicht feststellen (RS0017915 [T28], RS0017834), so ist der Vertrag unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs (RS0017817 [T3], RS0017902) und der Übung des redlichen Verkehrs (RS0017781) so auszulegen, wie er für einen redlichen und verständigen Empfänger zu verstehen war (RS0113932).
2.1. Vor Vertragsabschluss fand zwischen den Vertragsparteien kein Gespräch statt. Die Äußerungen des vertragserrichtenden Notars sind den Klägerinnen nicht zuzurechnen, weil dieser von den Beklagten (nur) mit der Vertragserrichtung beauftragt worden war und nicht als Vertreter der Verlassenschaft bzw der Klägerinnen auftrat. Für die Beurteilung der Frage, ob die Sparbücher zum Kaufgegenstand gehörten, kommt es damit allein auf die Auslegung des Kaufvertrags an.
2.2. Nach Punkt II. des Kaufvertrags wird die Liegenschaft samt Wohnhaus mit allem tatsächlichen, rechtlichen und fest verbundenen Zubehör übergeben. Mit dem Begriff „Zubehör“ wird das Inventar angesprochen, das zum gewöhnlichen Gebrauch des Hauses dient (vgl RS0009949; RS0003765). Punkt VII. des Kaufvertrags, wonach der Vertragsgegenstand nicht geräumt, sondern mit allen darin verbleibenden Fahrnissen übergeben wird, steht mit Punkt II. des Kaufvertrags im sachlichen Zusammenhang. Dementsprechend besteht der Regelungsinhalt des Punktes VII. darin, dass der Vertragsgegenstand von der Verkäuferseite nicht geräumt wird. Durch den Zusatz „sondern mit allen darin verbleibenden Fahrnissen übergeben“ soll dieser Regelungsinhalt erklärt, aber nicht geändert werden. Nach diesem Vertragspunkt sollte sich die Verkäuferseite somit die Räumung, die mit Arbeit und Kosten verbunden war, ersparen; die Verlassenschaftskuratorin wollte mit den als wertlos begutachteten Fahrnissen nichts mehr zu tun haben. Das Ersparen der Räumung kann sich nur auf das Zubehör im Sinn des Inventars, nicht aber auf Geld oder Sparbücher beziehen. Auch die Beklagten mussten aufgrund der offenbaren Wertlosigkeit der Fahrnisse davon ausgehen, lediglich wertloses oder geringwertiges Mobiliar gekauft zu haben. Mit dem Begriff „Fahrnisse“ in Punkt VII. des Kaufvertrags sind bei redlicher Vertragsauslegung damit nur jene beweglichen körperlichen Sachen (vgl dazu Helmich in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 293 Rz 1; Kisslinger in Klang³ § 293 ABGB Rz 6; Hofmann in Schwimann/Kodek4§ 293 ABGB Rz 1) gemeint, die vom Sachverständigen als wertlos beurteilt wurden. Die in Rede stehenden, zunächst verborgen gebliebenen Sparbücher zählen jedoch nicht dazu.
Im Übrigen wird auch nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zwischen Fahrnissen bzw Inventar und Geld unterschieden. Zum Inventar gehören beispielsweise Möbel oder Bilder (6 Ob 266/11b [2.5 mwN]) und alles, was der fortdauernden Bewohnung dienlich ist, nicht aber Bargeld, Wertpapiere oder andere Pretiosen, weil sie nicht dem fortdauernden Gebrauch der Liegenschaft gewidmet sind (vgl RS0009949; RS0003765). Auf die am Sicherungszweck des § 1101 ABGB orientierte Auslegung des Begriffs „Fahrnisse“ im Zusammenhang mit dem gesetzlichen Bestandgeberpfandrecht (vgl dazu 3 Ob 1/69 = SZ 42/7; Höllwerth in GeKo Wohnrecht I § 1101 ABGB Rz 28; Lovrek in Rummel/Lukas4§ 1101 ABGB Rz 15; Binder/Pesek in Schwimann/Kodek4§ 1101 ABGB Rz 11, aA Reckenzaun, Das gesetzliche Bestandgeberpfandrecht [1989] 12) kommt es hier nicht an.
3. Da die verfahrensgegenständlichen Sparbücher nicht zum Gegenstand des Kaufvertrags gehören, sind die Beklagten verpflichtet, diese den Klägerinnen herauszugeben. Das Hauptbegehren der Klägerinnen auf Zahlung scheitert am fehlenden Vorbringen und der fehlenden Feststellung der Auszahlung des jeweiligen Realisats der Sparbücher durch die Bank an die Beklagten.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher dahin abzuändern, dass zwar das Hauptbegehren abzuweisen, dem Eventualbegehren hingegen stattzugeben ist. Der Revision der Klägerinnen ist somit in diesem Sinne teilweise Folge zu geben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 43 Abs 2, 50 ZPO. Der Verfahrensaufwand, der zur Prüfung der Berechtigung des Hauptbegehrens erforderlich war, konnte auch für die Beurteilung des Eventualbegehrens verwertet werden; die materiell-rechtliche Grundlage war ident und mit dem Eventualbegehren wurde annähernd der gleiche wirtschaftliche Erfolg wie bei Stattgebung des Hauptbegehrens erreicht (vgl Obermaier, Kostenhandbuch3 Rz 1.146 mwN).
Die vorprozessualen Kosten der Klägerinnen sind im Einheitssatz enthalten. Der am Tag vor der Verhandlung eingereichte Schriftsatz der Nebenintervenientin diente nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung. Der doppelte Einheitssatz gebührt nur für die Verrichtung von Verhandlungen an Orten außerhalb des Kanzleisitzes. Die Vertreter der Nebenintervenientin verfügen jedoch über eine Kanzleiniederlassung am Sitz des Erstgerichts.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00099.19S.1024.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.