zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
OGH vom 23.06.2005, 6Ob88/05t

OGH vom 23.06.2005, 6Ob88/05t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Eva K*****, vertreten durch Auer & Auer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei B***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Aubauer, Berethalmy, Deuretzbacher & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen Räumung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 41 R 202/04s-14, womit über die Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 58 C 37/04b-10, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat der beklagten Partei die mit 1.760,22 EUR (darin 293,37 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit dem im Jahr 1978 abgeschlossenen Bestandvertrag mietete die Rechtsvorgängerin der Beklagten von der Rechtsvorgängerin der Klägerin mehrere Parzellen einer Liegenschaft mit der Absicht, dort ein Gebäude für eine Tankstelle und eine Servicestation zu errichten und zu betreiben. Die Bestandgeberin verzichtete auf ein Kündigungsrecht für die Dauer von 25 Jahren. Vereinbart wurde u.a., dass die Mieterin bei Beendigung des Bestandverhältnisses wahlweise das Recht hat, den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen oder die niet- und nagelfesten Anlagen an Ort und Stelle zu belassen, wodurch diese unentgeltlich in das Eigentum des Bestandgebers übergehen.

Die Vorinstanzen wiesen die Räumungsklage der Bestandgeberin, die sich auf keinen wichtigen Grund zur Auflösung des Bestandverhältnisses stützte, mit der Begründung ab, dass nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur die Kündigungsbestimmungen des MRG auf die Miete von Grundflächen zur Errichtung von Superädifikaten analog anzuwenden seien.

Mit ihrer außerordentlichen Revision strebt die Klägerin unter Hinweis auf die im Privatgutachten (Beil. /A) Vonkilchs (das schon im Verfahren erster Instanz vorgelegt und vom Berufungsgericht behandelt wurde) vorgetragenen Argumente eine Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung und darauf gestützt die Klagestattgebung an.

Die Beklagte beantragt mit der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise, dem Rechtsmittel nicht Folge zu geben.

Die Revision ist wegen der im jüngeren Schrifttum geäußerten Kritik an der vom Obersten Gerichtshof (SZ 57/194 ua) vertretenen Analogie zulässig, aber nicht berechtigt:

Rechtliche Beurteilung

I. Der Anwendungsbereich des MRG ist nach der im § 1 Abs 1 MRG enthaltenen Aufzählung grundsätzlich auf die Raummiete beschränkt. Superädifikate, die auf vermieteten Grundstücken vertragsgemäß zu Wohn- oder Geschäftszwecken errichtet werden, sind als Räume anzusehen, die ohne die Miete des Grundstücks nicht Bestand haben können. Die ständige oberstgerichtliche Rechtsprechung wendet daher auf die Miete von Grundstücken zur Errichtung eines Wohn- oder eines Geschäftsraums das MRG analog an (RIS-Justiz RS0020986; RS0069454; RS0069261; RS0066883). Diese Rechtsprechung nahm ihren Ausgang schon mit der Entscheidung MietSlg 3750 und festigte sich mit ausführlicher Begründung mit den weiteren Entscheidungen 5 Ob 607/84 = SZ 57/194 und 1 Ob 565/84 = JBl 1985, 107 zu einer völlig einheitlichen oberstgerichtlichen Judikatur (zuletzt 5 Ob 115/03b; 9 Ob 47/04h), die im Schrifttum gebilligt wurde (Würth in Rummel, ABGB³ Rz 2b zu § 1 MRG; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet- und Wohnrecht21 Rz 33 zu § 1 MRG; Ostermayer, Mietrecht5, 56).

II. Die Revisionswerberin stützt sich mit dem vorgelegten Privatgutachten Vonkilchs das jüngere Schrifttum (im Wesentlichen Holzner, Gutgläubiger Rechtserwerb an Nebensachen, JBl 1994, 587 [600-602]; Kletecka, Superädifikate: Haftungsfalle Mietrechts-Novelle 2001, ecolex 2003, 229; Kletecka, Die Analogie zum MRG beim Superädifikat, wobl 2001, 129; H. Böhm, Die Mietrechtsnovelle 2001, bbl 2002, 95; Rechberger/Graf, Das Superädifikat, immolex 2004, 260). Die gegen eine Analogie vorgetragenen wesentlichen Argumente sind zusammengefasst folgende:

Der „telos" des Superädifikats, nämlich die mangelnde dauerhafte Absicht der Belassung des Bauwerks auf fremdem Grund (Rechberger/Graf) bzw die Superädifikatseigenschaft, dass die Bauwerke gemäß § 435 ABGB „.... nicht stets darauf bleiben sollen..." (Holzner), sprächen gegen einen auf Dauer angelegten Kündigungsschutz;

viele Einzelbestimmungen des MRG ließen sich schon begrifflich nicht auf Superädifikate übertragen, wie etwa die Bestimmungen über die Zinsbildung (Holzner);

bei Superädifiziaren sei nicht dieselbe Schutzbedürftigkeit wie diejenige des Raummieters gegeben, weil nicht ein wirtschaftlich unterlegener Mieter einem Vermieter gegenüber stehe, sondern ein Mieter, der über die finanziellen Mittel für einen Hausbau verfüge (Holzner; Kletecka);

aus der Abbruchsverpflichtung des Superädifiziars sei keine besondere Schutzwürdigkeit abzuleiten (Kletecka).

Im Gutachten Vonkilchs werden noch weitere gegen eine Analogie sprechende Argumente angeführt:

Die Gesetzesmaterialien zum MRG 1982 bezeichneten die Raummiete als „zentrales Anliegen dieses Gesetzesvorhabens", § 1 Abs 1 MRG sehe aber nur einen Kündigungsschutz für Grundstücksflächen vor, wenn diese mit einem dem MRG unterliegenden Objekt mitgemietet werden;

die Abbruchspflicht des Superädifiziars könne vertraglich abbedungen werden und begründe daher keine Schutzbedürftigkeit; ein Vergleich mit dem Baurecht, das eine Befristung zulasse, spreche gegen die Anwendbarkeit des MRG auf Superädifikate;

die Analogie bewirke eine nicht bloß vorübergehende, sondern eine dauerhafte Spaltung von Eigentum an Liegenschaften und Eigentum am Bauwerk;

eine Judikaturwende sei ohne Enttäuschung des Vertrauens (auf ein Beibehalten der bisherigen Rechtsprechung) möglich.

Zu diesen Argumenten ist Folgendes auszuführen:

1. Die Judikatur stützt sich bei ihrer Bejahung einer planwidrigen Gesetzeslücke seit 1985 auf Franz Bydlinski, Superädifikate und Kündigungsschutz, JBl 1984, 241, der ausführt, dass die Übereinstimmung der Interessenlage, also die Grundwertung für die Raummiete, entscheidend sei. Wörtlich heißt es: „Vielmehr würdigt das Gesetz offenbar, dass zahlreiche Geschäftstätigkeiten ganz oder teilweise in gemieteten Räumen ausgeübt werden. Fehlende Bestandfestigkeit der betreffenden Mietverhältnisse würde nun die Unternehmen selbst, die auf eine räumliche Grundlage angewiesen sind, ungemein instabil machen und damit permanent die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Unternehmen und den besonderen wirtschaftlichen Wert, den die organisatorische Zusammenfassung verschiedener Sachen, Rechte und sonstiger immaterieller Güter zu einem einheitlichen Unternehmen begründet, gefährden. Ebenso gefährdet wäre aber auch der Bestand des Unternehmens in der Hand des bisherigen Unternehmers und damit dessen Berufsausübung. In der Summe wären höchst nachteilige volkswirtschaftliche Auswirkungen zu befürchten" (Bydlinski aaO 249). Diesem Hauptargument folgte die zitierte Leitentscheidung SZ 57/194 vollinhaltlich. Dass die räumlichen Anlagen nur für vorübergehende Zeit errichtet werden, ändere an der dem Vermieter erkennbaren Absicht einer (relativen) dauernden Nutzung zu Geschäftszwecken nichts. An dieser Beurteilung ist trotz der Hinweise auf die Definition des § 435 ABGB wegen des im Vordergrund stehenden Schutzzwecks der Kündigungsbeschränkungen für Unternehmen (vgl das volkswirtschaftliche Argument der Arbeitsplatzsicherung) festzuhalten. Es ist auch nicht dem Argument zu folgen, dass Superädifiziare weniger Schutzbedürfnis als Raummieter hätten. Die Ansicht über eine wirtschaftliche Unterlegenheit des Mieters gegenüber dem Vermieter mag historisch und insbesondere bei Wohnungsmietern eine gewisse Rolle spielen, nicht aber bei der hier als Analogiegrundlage zu beurteilenden Geschäftsraummiete. Dass ein Unternehmer finanziell in der Lage ist, ein Bauwerk zu errichten, zeigt noch nicht automatisch eine wirtschaftliche Überlegenheit oder auch nur eine Gleichstellung gegenüber der wirtschaftlichen Macht des Vermieters an. Dazu ist beispielhaft auf Kleinunternehmer, Unternehmensneugründer und Unternehmer zu denken, die ihre geschäftliche Tätigkeit nur mit Kreditmitteln finanzieren können. Schließlich macht es wenig Unterschied, ob ein Unternehmer relativ hohe Geschäftsraummieten zu bezahlen hat oder die für die Errichtung eines Superädifikats erforderlichen finanziellen Mittel im Wege von Kreditrückzahlungen aufbringt. Die mit dem Geschäftsraummieter vergleichbare Schutzbedürftigkeit ergibt sich beim Superädifiziar aus dem gleichartigen Angewiesensein auf die für die Fortsetzung der Unternehmenstätigkeit erforderliche, dauerhafte Nutzung von Grundfläche und Gebäude.

2. Dass verschiedene Einzelbestimmungen des MRG nicht analog auf die mit einem Superädifikat verbundene Grundstücksmiete anwendbar sein können, spricht nicht gegen eine analoge Anwendung der Kündigungsbestimmungen aufgrund der zitierten Grundwertung.

3. Entgegen der Ansicht Vonkilchs sind die Gesetzesmaterialien zum MRG 1982 für das Analogieproblem neutral, allenfalls sprechen sie sogar für die bislang herrschende Meinung, wenn die Raummiete als ein „zentrales Anliegen" auch für die Geschäftsraummiete bezeichnet wird, liegt doch der Schluss nahe, dass der wirtschaftliche Zweck der Kündigungsbestimmung auch beim Superädifiziar gegeben ist und ebenfalls ein zentrales Anliegen darstellt. Der Bestandschutz dient da wie dort der Ausübung und Aufrechterhaltung der Geschäftstätigkeit.

4. Zu den aus einem Vergleich mit dem Institut des Baurechts vorgetragenen Argumenten der Revisionswerberin kann auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO).

5. Den Thesen der Revisionswerberin, dass der Schutz des Vertrauens der Rechtssuchenden in die bisherige Rechtsprechung nicht gegen die angestrebte Judikaturänderung spreche (die nur unter Befassung eines verstärkten Senats möglich wäre), ist mit dem Berufungsgericht entgegenzuhalten, dass ein Abgehen von der jahrzehntelangen Judikatur bedeutete, dass die herrschende Meinung in Rechtsprechung und Lehre dem Gesetzgeber unbekannt geblieben wäre und er deshalb bei seinen zahlreichen Mietrechtsnovellen keine Korrektur dieser von Böhm (aaO bbl 2002, 95) als „höchst fragwürdig" bezeichneten Judikatur vornahm. Dies trifft aber keineswegs zu. Im Übrigen ist das Problem für Neuverträge auch teilweise schon obsolet, weil mit der Neufassung des § 1 Abs 4 MRG seit nunmehr „Ein- oder Zwei-Objekt-Häuser" von der Anwendung der Bestimmungen des MRG vollständig ausgenommen sind, derartige Häuser als Superädifikate also wohl nicht mehr den Kündigungsschutz im Sinne der analogen Anwendung des MRG genießen werden (Böhm aaO).

An der bis in die jüngste Zeit aufrechterhaltenen oberstgerichtlichen Rechtsprechung (zuletzt 9 Ob 47/04h unter ausdrücklicher Ablehnung der Ausführungen Kleteckas in wobl 2001, 129) ist aus den dargelegten Gründen festzuhalten.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO.