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OGH vom 11.07.1979, 3Ob622/78

OGH vom 11.07.1979, 3Ob622/78

Norm

ABGB § 1295;

Gesellschaft mit beschränkter Haftung - Gesetz § 18;

Gesellschaft mit beschränkter Haftung - Gesetz § 19;

Gesellschaft mit beschränkter Haftung - Gesetz § 21;

Gesellschaft mit beschränkter Haftung - Gesetz § 25;

Kopf

SZ 52/116

Spruch

Eine Vereinbarung, durch die ein Geschäftsführer einer Ges. m. b. H. von jeder Mitwirkung an der Geschäftsführung ausgeschlossen würde, ist unwirksam

Zu den Auswirkungen einer Arbeitsaufteilung zwischen mehreren Geschäftsführern

Auch bei einer - zulässigen - Geschäftsverteilung obliegt jedem Geschäftsführer die Pflicht zur Überwachung der anderen. Von den jedem Geschäftsführer obliegenden gesetzlich zwingenden Pflichten kann eine Geschäftsverteilung niemals befreien

(OLG Wien 6 R 28/78; LGZ Wien 39 c Cg 506/75)

Text

Die klagende Partei erwirkte gegen die Ges. 22. b. H., deren Geschäftsführer der Beklagte seit ist, beim Handelsgericht Wien zur GZ 12 Cg 65/74 für die ihr aus der Ausführung von Druckaufträgen erworbene Werklohnforderung ein Anerkenntnisurteil über 873 513.50 S samt Anhang. Mit Beschluß des Handelsgerichtes Wien vom , Sa 37/74, wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Ausgleichsverfahren eröffnet. Bei Erfüllung des Ausgleiches erhält die Klägerin 40% ihrer mit 954 110.50 S angemeldeten Forderung. Sie erleidet daher einen Ausfall von 572 466.50 S.

Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin vom Beklagten aus dem Titel des Schadenersatzes die Zahlung des - im Urteilsbegehren offenbar nur infolge eines Schreibfehlers unrichtig mit 572 654.50 S bezifferten - Ausfallbetrages. Sie begrundete die behauptete Schadenersatzpflicht damit, daß der Beklagte die ihm als Geschäftsführer obliegende Buchführunspflicht verletzt, trotz Überschuldung der Gesellschaft seit Ende 1968 die rechtzeitige Einleitung eines Insolvenzverfahrens unterlassen und die Verwendung der von den Auftraggebern der Gesellschaft für einen bestimmten Kongreß zur Verfügung gestellten Mittel für die Begleichung älterer Verbindlichkeiten geduldet habe.

Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen. Er wendete ein, daß er als Konzessionsinhaber aus gewerberechtlichen Gründen zum Geschäftsführer bestellt, aber vertraglich von der kaufmännischen Leitung des Unternehmens ausgeschlossen worden sei. Die Buchführung sei über Verlangen des Mehrheitsgesellschafters der hiezu befugten R-Ges. m. b. H. übertragen worden. Die Geschäftsführung habe Verzögerungen dieser Gesellschaft gerügt; die I-Ges. m. b. H. sei ihren Zahlungsverpflichtungen stets nachgekommen. Die finanziellen Auswirkungen der durch Kongresse im Jahre 1973 verursachten Rückschläge sei für den Beklagten wegen der Saumsal der mit der Buchführung beauftragten Gesellschaft erst 1974 erkennbar gewesen. Die Schutzvorschrift des § 22 GmbHG diene den Interessen der Gesellschaft, nicht den Interessen ihrer Gläubiger.

Das Erstgericht verurteilte den Beklagten von 572 466.50 S samt 4% Zinsen seit und wies das Zinsenmehrbegehren von "6.5%" für die Zeit ab ab. Es stellte fest: Ab Gründung der am in das Handelsregister eingetragenen I-Ges. m. b. H. (in der Folge "Gesellschaft") war Dr. S und seit 3. Feber 1967 an seiner Stelle Edith Sch. neben dem Beklagten Geschäftsführer. Bis betrug bei einem "Haftungskapital" von 100 000 S das effektiv vorhandene Eigenkapital der Gesellschaft nur 25 000 S. Das "Liquiditätsmanko" erreichte zum Jahresende 1971 ungefähr 586 400 S, zum Jahresende 1972 965 700 S. Die Gesellschaft war zum Jahresbeginn 1972 zahlungsunfähig. Eine Bilanz über das Geschäftsjahr 1972 lag nicht vor. Rund 16 Kisten Buchhaltungsmaterial für dieses Jahr wurden nicht mehr aufgearbeitet. Dem Beklagten hätte Ende 1971 auf Grund des objektiven Sachverhaltes die bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit auffallen müssen. Die erste Bestellung der Gesellschaft bei der Klägerin erfolgte am . Die Klägerin legte über ihre Leistungen Teilrechnungen von Juni bis November 1973.

Auf Grund eines am abgeschlossenen Vertrages hatte die Gesellschaft die Vorbereitung einer vom Statistischen Zentralamt für die Zeit vom 17. bis geplanten Tagung übernommen. Vereinbarungsgemäß leistete die Republik Österreich hiefür Zahlungen auf ein Sparkassensonderkonto. Am überwies sie 200 000 S und am weitere 800 000 S. Ein Angestellter der Gesellschaft reichte einen am auf die Summe von 766 242.42 S ausgestellten und sowohl von der Geschäftsführerin Sch. als auch vom Vertreter des Statistischen Zentralamtes, Dr. L, unterfertigten Scheck ein, dessen Gegenwart einem Bankkonto der Gesellschaft gutgebracht wurde.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, daß es der Beklagte grob fahrlässig unterlassen habe, die Geschäftsgebarung der Gesellschaft zu untersuchen, wozu er als Geschäftsführer ungeachtet der internen Beschränkung seiner Befugnisse verpflichtet gewesen wäre. Weiters hätte der Beklagte darauf Einfluß nehmen können, daß die von der Republik Österreich auf ein Sonderkonto eingezahlten Beträge zur Berichtigung der Forderungen der Klägerin verwendet werden. Die Klägerin hätte ohne das rechtswidrige und schuldhafte Verhalten des Beklagten keinen Schaden erlitten. Im Klagebegehren seien auch kapitalisierte Zinsen enthalten, so daß auch Zinseszinsen begehrt seien. Da die Klägerin keine Tatsachen behauptet habe, aus denen auf einen schuldhaften Verzug geschlossen werden könnte, gebührten ihr nur die gesetzlichen Zinsen von 4%.

Das Berufungsgericht gab den von beiden Parteien erhobenen Berufungen Folge, hob das erstgerichtliche Urteil unter Rechtskraftvorbehalt auf und verwies die Rechtssache zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Zur rechtlichen Beurteilung führte das Berufungsgericht aus, daß der Beklagte als Geschäftsführer der Ges. m. b. H. zu deren Geschäftspartnern in keiner rechtsgeschäftlichen Beziehung stehe und der Klägerin daher aus einer Vertragspflichtverletzung nicht schadenersatzpflichtig werde. Hingegen sei eine Deliktshaftung des Beklagten für den Schaden der Klägerin nicht ausgeschlossen. Dem Geschäftsführer einer Ges. m. b. H. sei die Verpflichtung, im Insolvenzfall der Gesellschaft rechtzeitig das Insolvenzverfahren anzumelden, auch zur Hintanhaltung von Forderungsausfällen möglicher neuer Gläubiger der Gesellschaft auferlegt (§ 85 GmbHG, §§ 486 ff. StG - § 161 StGB - und §§ 68, 69 KO). Durch die verspätete Anmeldung des Ausgleichsverfahrens habe der Beklagte eine Schutznorm übertreten, die einen Vermögensschaden, wie ihn die Klägerin erlitten habe, verhindern solle. Dem Beklagten sei jedoch der Beweis offengestanden, daß die verspätete Anmeldung des Insolvenzverfahrens entgegen dem typischerweise zu unterstellenden Kausalverlauf für den konkret geltend gemachten Vermögensnachteil nicht kausal gewesen sei oder daß ihn an der Übertretung der Schutznorm aus besonderen Gründen kein Verschulden treffe. Die Berufung des Beklagten auf die interne Verteilung der Geschäftsführeraufgaben sei mit der Einschränkung beachtlich, daß eine Geschäftsverteilung unter mehreren Geschäftsführern einer Ges. m. b. H. den intern unzuständigen Geschäftsführer seiner Verantwortlichkeit für ein rechtswidriges und schadenskausales Verhalten des intern zuständigen Geschäftsführers insoweit entheben könne, als ihm dieses Verhalten nicht positiv bekannt sei und er nach den konkreten Umständen bei Anwendung des Sorgfaltsmaßstabes nach § 1299 ABGB auf ein ordnungsgemäßes Verhalten seines Mitgeschäftsführers verlassen dürfe. Mit Rücksicht auf die zur "Tatzeit" in Geltung bestandene Bestimmung des § 486 StG seien allerdings an die Kontrollpflicht des Beklagten wegen seiner höchstpersönlichen Verantwortlichkeit strenge Anforderungen zu stellen. Zu Zweifeln an der Verläßlichkeit des intern zuständigen Mitgeschäftsführers hätten nicht nur Verstöße nach § 486a StG, sondern auch andere formale Unregelmäßigkeiten Anlaß geben müssen. In dieser Hinsicht leide das erstgerichtliche Urteil an Feststellungsmängeln, so daß die Schadenersatzhaftung des Beklagten derzeit noch nicht beurteilt werden könne. Im Falle der Haftung des Beklagten wäre zunächst die Bedeutung der Prozeßerklärung des Beklagten, die Klagsforderung "ziffernmäßig nicht zu bestreiten" (AS 152), klarzustellen. Sollte damit die Höhe des Klagsanspruches unter Einschluß des Zinsenbegehrens nicht außer Streit gestellt worden sein oder eine derartige Erklärung widerrufen werden, seien die tatsächlichen Voraussetzungen für den begehrten Zinsenzuspruch mit den Parteien zu erörtern und die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Bei der Entscheidung über das Zinsenbegehren werde auch zu beachten sein, daß sich die außervertragliche Schadenersatzpflicht des beklagten Geschäftsführers in Ansehung des Zinsenausmaßes nicht unbedingt mit der Schadenersatzpflicht der Handelsgesellschaft für ihre Vertragspflichtverletzung decken müsse.

Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Die Untergerichte sind in Übereinstimmung mit der nunmehr bereits gesicherten Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, daß Gläubiger einer Ges. m. b. H., die für ihre Forderungen im Vermögen der Gesellschaft keine oder keine ausreichende Deckung gefunden haben, den oder die Geschäftsführer der Gesellschaft nach den allgemein Grundsätzen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches über den Schadenersatz (§§ 1293 ff.) unmittelbar auf Ersatz ihres Schadens in Anspruch nehmen können, der ihnen von den genannten organschaftlichen Vertretern durch eine eigene schuldhafte Verletzung eines Gesetzes, das gerade den Schutz der Gesellschaftsgläubiger bezweckt, verursacht wurde. In diesem Sinne erging die Entscheidung SZ 42/104, die auf die Verletzung des Schutzgesetzes § 486 Abs. 1 Z. 2 StG durch den Geschäftsführer einer Ges. m. b. H. gegrundet ist und zumindest im Ergebnis im Schrifttum Zustimmung gefunden hat (vgl. Ostheim, JBl. 1972, 143 f.; Doralt, JBl. 1972, 120 f.; Schuppich, GesRZ 1972, 30 f.; Pfersmann, ÖJZ 1973.311; ferner GesRZ 1979, 36 und die bisher unveröffentlichten Entscheidungen 5 Ob 153/73, 2 Ob 220, 221/73 und 8 Ob 65/76, die ebenfalls strafbare Handlungen der Geschäftsführer zur Grundlage haben).

Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, können die Aufgaben der Geschäftsführung, wie auch der Revisionsrekurs einräumt, unter ihnen verteilt werden (Gellis, Kommentar zum GmbHG, 81, 94; Hachenburg, Großkommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften m. b. H.[6], 2. Bd., 17 Anm. 34 b zu § 35). Eine zulässige Geschäftsverteilung wirkt sich jedenfalls im Innenverhältnis auf die Verantwortlichkeit der einzelnen Geschäftsführer aus, denn jeder Geschäftsführer trägt dann zunächst für sein ihm zugewiesenes Arbeitsgebiet die volle Verantwortung. Hinsichtlich der einem anderen Geschäftsführer zugewiesenen Bereiche tritt insofern eine Entlastung ein, als es dem Geschäftsführer auf Grund der Geschäftsverteilung verwehrt ist, in den anderen Geschäftsführern zugewiesenen Tätigkeitsbereich einzugreifen. Eine derartige Arbeitsaufteilung bewirkt allerdings nicht, daß ein Geschäftsführer sich nur noch auf sein eigenes Arbeitsgebiet beschränken darf und sich um die Tätigkeit der anderen Geschäftsführer nicht mehr zu kümmern braucht. Auch bei einer - zulässigen - Geschäftsverteilung obliegt jedem Geschäftsführer die Pflicht zur Überwachung der anderen (vgl. Gellis a. a. O.; Hachenburg a. a. O., 98 Anm. 10 zu § 43). Von den jedem Geschäftsführer obliegenden gesetzlich zwingenden Pflichten kann eine Geschäftsverteilung niemals befreien (Hachenburg a. a. O.). Hierher gehören die Pflicht der Geschäftsführer, für die Führung der erforderlichen Bücher der Gesellschaft Sorge zu tragen sowie die Pflichten zur Aufstellung des Geschäftsabschlusses (§ 22 Abs. 1 und 2 GmbHG) und zur rechtzeitigen Anmeldung eines Insolvenzverfahrens nach § 85 Abs. 1 GmbHG (Hachenburg a. a. O.). Die Geschäftsverteilung kann aber einen Geschäftsführer exculpieren, wenn dieser nach den Umständen des Falles sich auf die ordnungsgemäße Buchführung von dem hiefür zuständigen Geschäftsführer bzw. deren Veranlassung und Überwachung verlassen durfte und die wahre Lage nicht kannte (Gellis a. a. O., 263 Anm. 6 zu § 85; vgl. Hachenburg a. a. O.). Allerdings sind an die Überwachungspflicht des Geschäftsführers, die die Erfüllung der erwähnten gesetzlich zwingenden Pflichten gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft gewährleisten soll, besonders strenge Anforderungen zu stellen. Der Ansicht der Rechtsmittelwerberin, daß ein Geschäftsführer im Interesse des Gläubigerschutzes "an der Geschäftspolitik im allgemeinen" und im Hinblick auf das Wesen eines Kollegialorgans "an Geschäften, die nicht zum gewöhnlichen Geschäftsablauf gehören", in jedem Fall mitwirken müssen, kann somit nicht beigetreten werden.

Die Geschäftsführung kann, wie dem Rekurs zuzugeben ist, einem Geschäftsführer nicht ganz genommen werden. Sie kann auch nicht so weit reduziert werden, daß der Geschäftsführer mit Vertretung ohne Geschäftsführung, sohin mit Vollmacht ohne Auftrag dasteht (Gellis a. a. O., 79). Eine Vereinbarung, durch die ein Geschäftsführer von jeder Mitwirkung an der Geschäftsführung ausgeschlossen würde, ist unwirksam. Das Berufungsgericht hat keineswegs das Gegenteil angenommen und auch nicht die Ansicht vertreten, daß ein Geschäftsführer durch eine solche (unwirksame) Vereinbarung von seiner Haftung befreit würde. Es hat vielmehr betont, daß den Beklagten eine Überwachungspflicht treffe, an die wegen seiner höchstpersönlichen Verantwortlichkeit (§ 486c StG) strenge Anforderungen zu stellen seien. Das Berufungsgericht hat auch keinen Zweifel daran gelassen, daß der Beklagte für den der Klägerin durch die verspätete Anmeldung des Insolvenzverfahrens verursachten Schaden haftet, wenn er seiner Überwachungspflicht nicht nachgekommen ist, sowie daß ihn hiefür die Beweislast trifft. Die Einwendung des Beklagten, daß ihm jede Beteiligung an der kaufmännischen Geschäftsführung untersagt gewesen sei, schließt nicht aus, daß der Beklagte dennoch seiner Überwachungspflicht genügt hat. Gerade das soll nach Auffassung des Berufungsgerichtes in tatsächlicher Hinsicht noch weiter geklärt werden.

Da es dem Revisionsgericht verwehrt ist, die in das Gebiet der Beweiswürdigung fallende Entscheidung des Berufungsgerichtes über die Notwendigkeit einer Erweiterung der Entscheidungsgrundlagen zu überprüfen, sofern nur das Berufungsgericht bei seinem Aufhebungsbeschluß, wie diesfalls, von einer zutreffenden Rechtsansicht ausgegangen ist (SZ 38/29; SZ 44/108 u. v. a.), kann dem Rekurs der Klägerin ein Erfolg nicht beschieden sein. Im fortgesetzten Verfahren wird auch zu prüfen sein, ab wann allein aus dem Umstande, daß für das Geschäftsjahr 1972 keine Bilanz erstellt wurde, eine Verletzung der dem Beklagten obliegenden Überwachungspflicht abzuleiten ist. Da diese Bilanz erst im Jahre 1973 zu erstellen war und die Klägerin den ersten Auftrag von der Ges. m. b. H. bereits im Mai 1973 erhalten hat, wird vor allem die Kausalität einer allfälligen Pflichtverletzung für den Schaden der Klägerin zu klären sein.

Dem Rekurs war sohin der Erfolg zu versagen.