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OGH vom 06.04.2006, 6Ob79/06w

OGH vom 06.04.2006, 6Ob79/06w

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Pimmer als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N*****-Club, *****, vertreten durch Dr. Stephan Duschel und Mag. Klaus Hanten, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei F*****, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, wegen Rechtsunwirksamkeit einer Streichung (Streitwert EUR 8.720,--), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 35 R 692/05g-39, womit über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom , GZ 19 C 135/03a-32, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile sind eingetragene Vereine; die klagende Partei ist Korporativ-Mitglied der beklagten Partei.

Die Statuten der beklagten Partei enthalten unter anderem folgende Bestimmungen:

§ 6 Abs 4: Die einem Korporativ-Mitglied zustehende Stimme (Wahlrecht) wird durch die satzungsgemäß zur Vertretung nach Außen berufene Person ohne Vollmacht, oder durch einen Bevollmächtigten mit schriftlicher Vollmacht abgegeben."

§ 8 Abs 2: „... Der Vorstand kann ein Mitglied streichen, wenn es trotz zweimaliger Mahnung länger als drei Monate mit der Zahlung des Mitgliedsbeitrages oder fälliger Gebühren für die Inanspruchnahme von Leistungen des Vereines im Rückstand ist. ..."

Nach § 10 Abs 8 der Statuten können sich Vereinsmitglieder bei der Generalversammlung nicht vertreten lassen. Eine weitere Beschränkung des Vertretungsrechtes enthalten die Statuten nicht. Gemäß § 12 Abs 6 der Statuten fasst der Vorstand seine Beschlüsse mit Zweidrittel-Mehrheit.

Am fand eine Sitzung des Vorstandes der beklagten Partei statt. Ing. Walter B*****, ein Vorstandsmitglied der beklagten Partei, war an der Teilnahme dieser Sitzung verhindert und hatte DI Karl F*****, der als Rechnungsprüfer an der Sitzung teilnahm, eine schriftliche Vollmacht erteilt, ihn „bei der am stattfindenden F*****-Sitzung vollinhaltlich zu vertreten". Der Präsident der beklagten Partei verweigerte DI Karl F***** die Teilnahme an der Abstimmung mit der Begründung, dass die Vertretung nicht möglich sei. In der Folge wurde der Antrag auf Streichung der klagenden Partei wegen Zahlungsrückständen mit 4 : 2 Stimmen angenommen. Im Fall der Teilnahme von DI Karl F*****, der gegen den Ausschluss der klagenden Partei gestimmt hätte, wäre die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit nicht erreicht worden. Die klagende Partei begehrt die Feststellung, dass der angeführte Beschluss rechtsunwirksam sei und sie auf Grund dieses Beschlusses ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten nicht verloren habe. Wegen der unzulässigen Zurückweisung des ordnungsgemäß bevollmächtigten DI Karl F***** sei die der Streichung vorangegangene Abstimmung rechtsunwirksam. Im Übrigen würden auch in der Sache selbst die Voraussetzungen für eine Streichung nicht vorliegen, weil kein Rückstand an Mitgliedsbeiträgen oder Gebühren bestehe. Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren und wandte im Wesentlichen ein, gemäß § 10 Abs 8 der Statuten sei eine Bevollmächtigung bei der Generalversammlung ausdrücklich ausgeschlossen. Dies müsse umso mehr für eine Bevollmächtigung im Bereich des Vorstandes gelten. Die Streichung der klagenden Partei sei auch inhaltlich berechtigt, weil sie mit der Zahlung von Mitgliedsbeiträgen und anderer Gebühren im Rückstand sei. Mit dem im zweiten Rechtsgang ergangenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt. Ausgehend von dem im vorigen wiedergegebenen Sachverhalt erwog es in rechtlicher Hinsicht, die Streichung des Klägers sei nicht statutenkonform erfolgt. Die ordnungsgemäße Vertretung durch DI Karl F***** ergebe sich aus § 6 Abs 4 der Statuten. Der Wirksamkeit der Stellvertretung würden weder Bestimmungen des Vereinsgesetzes noch andere materiell-rechtliche Bestimmungen entgegenstehen.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Aus den Vereinsstatuten ergebe sich „mit völliger Klarheit", dass gemäß § 6 Abs 4 eine Bevollmächtigung mit schriftlicher Vollmacht auch im Bereich des Vorstandes möglich sei und eine solche nur für die Generalversammlung ausgeschlossen worden sei. Alle anderen Argumente in der Berufung seien statutenfeindlich.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage der Vertretung von Vorstandsmitgliedern eines Vereines vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht angeführten Grund zulässig; sie ist im Sinne des subsidiär gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

1.1. Das Vereinsgesetz 2002 ist gemäß § 33 Abs 1 VerG mit in Kraft getreten. Gleichzeitig trat das Vereinsgesetz 1951 außer Kraft. Der im vorliegenden Fall zu beurteilende Beschluss des Vorstandes der beklagten Partei wurde jedoch vor Inkrafttreten des VerG 2002 gefasst, sodass insoweit noch die Grundsätze dieses Gesetzes anzuwenden sind. Inwieweit auf den vorliegenden Fall im Hinblick auf die erst am , mithin nach Inkrafttreten des VerG 2002 erfolgte Klagseinbringung die Grundsätze über die vereinsinterne Streitschlichtung im Sinne des § 8 VerG anzuwenden sind (vgl dazu 5 Ob 60/05d), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben, weil der - materiell-rechtliche (6 Ob 219/04f; 5 Ob 60/05d) - Einwand der mangelnden Klagbarkeit wegen Nichtausschöpfung des vereinsinternen Instanzenzuges nicht erhoben wurde. Daher bedarf es im vorliegenden Fall auch keines Eingehens auf die Frage, ob die Rechtsprechung, wonach die Bekämpfung eines ungerechtfertigten Ausschlusses aus dem Verein ohne Rücksicht auf ein Vereinsschiedsgericht iSd Art XII Z 6 EGZPO im ordentlichen Rechtsweg zu erfolgen habe (7 Ob 589/78 = EvBl 1978/182), auch auf die Rechtslage nach dem VerG 2002 weiter anzuwenden ist.

1.2. Die im vorliegenden Fall zu beantwortende Frage der prinzipiellen Möglichkeit der Vertretung von Vorstandsmitgliedern bei Vorstandssitzungen betrifft jedoch keine Besonderheit des VerG 1951, sondern stellt sich in gleicher Weise auch nach dem geltenden VerG 2002. Aus dieser Erwägung geht auch der von der klagenden Partei gegen die Zulässigkeit der Revision ins Treffen geführte Einwand, es liege keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO vor, weil lediglich das nicht mehr in Geltung stehende VerG 1951 auszulegen sei, ins Leere.

2. Nach dem VerG 1951 oblag - ebenso wie nach dem VerG 2002 - die Leitung des Vereines dem Vorstand als Kollegialorgan. § 5 Abs 3 VerG 2002 sieht ausdrücklich vor, dass es sich bei den Mitgliedern des Leitungsorganes um natürliche Personen handeln muss. Die Gesetzesmaterialien (abgedruckt bei Krejci/S. Bydlinski/Rauscher/ Weber-Schallauer, VerG 138) begründen dies mit dem Gebot direkter, persönlicher Verantwortung und verweisen in diesem Zusammenhang auf § 15 Abs 1 GmbHG.

3. Die Frage, ob bzw inwieweit sich Mitglieder des Vorstandes in Vorstandssitzungen vertreten lassen können, ist weder im VerG 1951 noch im VerG 2002 ausdrücklich geregelt. Auch in Lehre und Rechtsprechung wurde - soweit ersichtlich - diese Frage nicht näher behandelt. Gewisse Aufschlüsse gibt jedoch in diesem Zusammenhang das Gesellschaftsrecht. So wird zum Aktienrecht vertreten, dass eine Stellvertretung eines Vorstandsmitglieds bei der Beschlussfassung unzulässig ist, weil die Stimmabgabe eines Vorstandsmitgliedes eine persönliche Entscheidung erfordere (Hefermehl/Spindler in MünchKomm AktG2 § 77 Rz 10; Kort in Großkomm AktG4 § 77 Rz 16). Teilweise wird dies auch damit begründet, dass nur die Vorstandsmitglieder zur Geschäftsführung befugt seien (Kort aaO). Zulässig sei hingegen eine Stimmabgabe durch Boten oder durch Erklärungsvertreter, weil sich dabei das einzelne Vorstandsmitglied nicht seiner persönlichen Geschäftsführungsbefugnis begebe (Hefermehl/Spindler aaO; Kort aaO). Auch im letzteren Fall wird jedoch wegen des Grundsatzes der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der Vorstandsmitglieder - außer bei Notfällen wie Urlaub, Krankheit etc - das Einverständnis der anderen Vorstandsmitglieder für eine Botenschaft bei der Stimmabgabe gefordert (Kort aaO). In der Satzung oder der Geschäftsordnung des Vorstandes könne zwar eine Stimmabgabe durch einen Boten vorgesehen werden, nicht hingegen die Stellvertretung, weil diese generell unzulässig sei (Kort aaO).

4.1. Diese Überlegungen sind auch auf das Vereinsrecht zu übertragen. Die Mitglieder des Leitungsorganes sind für die Leitung des Vereines und dessen Vertretung nach außen verantwortlich. Der Bedeutung ihrer Funktion tragen im vorliegenden Fall die Satzungsbestimmungen der beklagten Partei über die Bestellung des Vorstandes Rechnung. Demnach werden die Mitglieder des Vorstandes von der Generalversammlung auf drei Jahre gewählt (§ 12 Abs 3). Außerdem sieht § 12 Abs 3 der Satzung die Bestellung bzw Kooptierung von Ersatzmitgliedern vor.

4.2. Schon die in der Wahl durch die Generalversammlung zum Ausdruck kommende persönliche Vertrauensstellung der Mitglieder des Vorstandes spricht gegen die Zulässigkeit der Stellvertretung bei der Fassung von Vorstandsbeschlüssen. Auch der im zitierten Schrifttum gegen eine Stellvertretung weiters in Treffen geführte Gedanke, die Einschaltung eines Stellvertreters stehe mit dem Grundsatz der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit der Vorstandsmitglieder nicht in Einklang, gilt in gleicher Weise für das Vereinsrecht.

4.3. Die Satzung der beklagten Partei enthält auch keine abweichende Regelung. Vielmehr spricht § 12 Abs 6 der Satzung, wonach bei den Sitzungen des Vorstandes der Präsident, bei seiner Verhinderung der Vizepräsident und, sofern auch dieser verhindert ist, das älteste anwesende Vorstandsmitglied den Vorsitz führt, dafür, dass eine Stellvertretung bei den Vorstandssitzungen ausgeschlossen ist, könnte doch andernfalls der Präsident für eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretung sorgen.

4.4. Aus § 10 Abs 8 der Satzung, wonach sich Vereinsmitglieder bei der Generalversammlung nicht vertreten lassen können, ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen kein Umkehrschluss zu ziehen. Die Rechtslage hinsichtlich der Stellvertretung in Generalversammlungen unterscheidet sich grundlegend von der Stellvertretung in Vorstandssitzungen. Für die - im vorliegenden Fall nicht abschließend zu klärende - Zulässigkeit der Stellvertretung in der Generalversammlung eines Vereines lässt sich ins Treffen führen, dass der Verein nicht auf persönliche Zusammenarbeit, sondern auf körperschaftliche Organisation und Mitgliederwechsel angelegt ist, sodass sich die für die Höchstpersönlichkeit der Abstimmung bei der OHG und KG diskutierten Argumente (vgl Kastner, Grundriß des Gesellschaftsrechtes4 77) nicht auf die Generalversammlung eines Vereins übertragen lassen (vgl Rummel, Stellvertretung in der Generalversammlung von Vereinen, RdW 1987, 38 [40]). Der vorliegende Fall betrifft dem gegenüber nicht die Ausübung von einzelnen Mitgliedsrechten, sondern gerade die Willensbildung innerhalb des Leitungsorganes des Vereines. Dieses ist aber nach der Satzung schon im Hinblick auf die grundsätzlich dreijährige Funktionsdauer auf relative Dauer angelegt. Dessen Mitglieder genießen zudem - wie dies in der Wahl durch die Generalversammlung zum Ausdruck kommt - in besonderem Maße das Vertrauen der Mitglieder des Vereines. Diese Überlegungen stehen somit der rechtsgeschäftlichen Übertragung der Ausübung des Rechtes zur Beschlussfassung entgegen.

4.5. Dazu kommt, dass auch in der Diskussion der Zulässigkeit der Stellvertretung in der Generalversammlung eines Vereines überwiegend vertreten wird, dass die Bevollmächtigung von Nichtmitgliedern zumindest im Zweifel im Hinblick auf die Vereinshoheit unzulässig sei (Rummel aaO; Aicher in Rummel, ABGB3 § 26 Rz 44). Überträgt man dieses Argument trotz dessen anderer Struktur und Funktion auf das Leitungsorganes eines Vereines, so würde dies bedeuten, dass jedenfalls nicht vorstandsfremde Personen bevollmächtigt werden können. Gerade dies hat im vorliegenden Fall jedoch Ing. Walter B***** versucht.

4.6. § 6 Abs 4 der Statuten ist entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht einschlägig, weil diese Bestimmung nur die Ausübung des einem Korporativ-Mitglied zustehenden Stimmrechtes regelt. Damit ist, wie sich aus Wortlaut und systematischer Stellung der Bestimmung (§ 6 der Statuten ist mit „Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder" überschrieben) unzweifelhaft ergibt, lediglich die Ausübung des Stimmrechtes in der Generalversammlung gemeint, sohin gerade nicht die im vorliegenden Fall allein zu beurteilende Stimmabgabe eines Vorstandsmitgliedes in der Vorstandssitzung.

4.7. Wegen der dargelegten besonderen Stellung des Vorstandes ist auch aus den im Gesellschaftsrecht eine Stellvertretung in der Generalversammlung bzw Hauptversammlung vorsehenden Bestimmungen (§ 114 Abs 3 AktG,§ 39 Abs 3 GmbHG, vgl auch § 27 Abs 3 GenG) für die im vorliegenden Fall zu beurteiltende Zulässigkeit der Stellvertretung in der Vorstandssitzung nichts zu gewinnen. Eine allenfalls beachtliche gegenteilige tatsächliche Übung (vgl EvBl 1968/380; einschränkend Rummel, Privates Vereinsrecht im Konflikt zwischen Autonomie und rechtlicher Kontrolle, FS Strasser 813 [820]; vgl auch dens, Stellvertretung in der Generalversammlung von Vereinen, RdW 1987, 38 FN 1) liegt nach den Feststellungen nicht vor.

4.7. Ob die Abstimmung durch DI F***** als Vertreter des Vorstandsmitgliedes Ing. Walter B***** überdies im Hinblick auf dessen Eigenschaft als Rechnungsprüfer wegen der damit verbundenen Unvereinbarkeit unzulässig gewesen wäre (vgl dazu nunmehr § 5 Abs 5 VerG 2002), kann im vorliegenden Fall dahingestellt bleiben. Damit ist die Fassung des bekämpften Beschlusses in der Vorstandssitzung der beklagten Partei aber verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden. Zur sohin zu prüfenden Frage, ob auch die materiellen Voraussetzungen für den Ausschluss der klagenden Partei vorliegen, haben die Vorinstanzen auf Grund ihrer abweichenden Rechtsauffassung noch keine Feststellungen getroffen, sodass spruchgemäß mit Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen vorzugehen war.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.