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OGH vom 14.09.2011, 5Ob41/11g

OGH vom 14.09.2011, 5Ob41/11g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj Maximilian E*****, geboren am , vertreten durch seine Mutter Elisabeth W*****, vertreten durch Mag. Sabine Zambai, Rechtsanwältin in Wien, unter Beteiligung des Vaters Dr. Gerhard E*****, vertreten durch Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwalt in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom , GZ 20 R 135/10h 206b, womit infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom , GZ 1 P 263/07v 197, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden im Umfang der der Mutter auferlegten Verpflichtung, für den minderjährigen Maximilian eine pädagogische Betreuung einzurichten, selbst eine Beratungsinstitution für Besuchsrechtsproblematik in Anspruch zu nehmen und über beides binnen gesetzter Fristen zu berichten, ersatzlos aufgehoben.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hat die Mutter selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Der am geborene Maximilian lebt seit seiner Geburt bei der Mutter. Die Eltern haben nie in Lebensgemeinschaft gelebt. Maximilian findet in vielen Bereichen gute Entwicklungsbedingungen durch die Unterstützung der Mutter vor, die großen Wert auf seine kognitive Entwicklung legt und auch seine Interessen sowie seine Kreativität unterstützt.

Das Verhalten der Mutter ist aber im Bezug auf das Besuchsrecht des Vaters zum Sohn sehr problematisch. So verweigerte sie zumeist, dass der Vater bei den bisherigen Besuchskontakten mit Maximilian allein war. Auch Befundaufnahmen durch Sachverständige hat die Mutter bisher behindert bzw verunmöglicht, indem sie mehrfach Termine mit ungenügender Begründung absagte oder sich weigerte, Maximilian auf Gespräche mit einer Sachverständigen entsprechend vorzubereiten. Hatte die Sachverständige schließlich Gelegenheit, mit Maximilian zu sprechen, reagierte die Mutter hysterisch, aggressiv und beschuldigte die Sachverständige, das Kind zu quälen, wodurch der Minderjährige verunsichert und ein weiteres konstruktives Gespräch unmöglich wurde (ON 189). Maximilian wird von seiner Mutter permanent ein negatives Bild seines Vaters vermittelt. Mehrfach wurden aufgrund dieses Verhaltens im Verfahren zur Regelung des Besuchsrechts des Vaters bereits Ordnungsstrafen über die Mutter verhängt, um sie zur Kooperation mit der Sachverständigen zu verhalten (vgl 5 Ob 257/09v = ON 185 in Band II).

Das beschriebene Verhalten der Mutter führte dazu, dass nur sehr sporadisch Besuchskontakte stattfinden konnten. Maximilian ist deshalb von seiner Mutter emotional abhängig, weil sie die einzige Bezugsperson für ihn ist. Wutausbrüche der Mutter, etwa bei Gesprächen mit Sachverständigen, bringen den Minderjährigen in einen massiven Loyalitätskonflikt und dazu, so zu reagieren, wie es die Mutter von ihm erwartet. So beschimpfte er sogar die Sachverständige. Auch versuchte Kontakte im Rahmen einer Besuchsbegleitung scheiterten daran, dass die Mutter den Ablauf des Treffens bestimmen wollte und Alternativvorschläge der Betreuerinnen als Angriff auf ihre Person deutete, weshalb bereits eine Organisation die Durchführung weiterer Besuchskontakte ablehnte, eine andere wurde von der Mutter abgelehnt. Durch die völlige Weigerung der Mutter, regelmäßige Besuchskontakte zum Vater zu ermöglichen und durch das extrem negative Bild, das sie regelmäßig dem Minderjährigen vom Vater vermittelte, wird jegliche Auseinandersetzung Maximilians mit seinem Vater bzw werden Besuchskontakte zu diesem zu einer massiven Belastung für ihn. Der Wunsch der Mutter, dass Maximilian weder bei einer Befundaufnahme noch bei Besuchskontakten mit seinem Vater allein sein dürfe, verstärkt die Forderungen der Mutter gegenüber dem Minderjährigen und erhöht dessen Loyalitätskonflikt zusätzlich. Derzeit ist ein Besuchskontakt zum Vater für den Minderjährigen zu belastend.

Ausgehend von diesem Sachverhalt wies das Erstgericht (ON 197 in Band II)

1. den Antrag des Vaters auf Besuchsrechtsregelung unangefochten ab, und trug (jeweils von Amts wegen) der obsorgebetrauten Mutter auf,

2. für den Minderjährigen eine pädagogische Betreuung bei einer dazu befugten Einrichtung im Abstand von längstens 14 Tagen einzurichten sowie darüber binnen vier Wochen ab Rechtskraft des Beschlusses einen Nachweis zu erbringen, und

3. selbst eine Beratung hinsichtlich der Besuchsrechtsproblematik bei einer hiefür befugten Beratungsstelle in Anspruch zu nehmen sowie binnen acht Wochen ab Rechtskraft des Beschlusses einen Nachweis über die Einrichtung und den Beginn der Beratung zu erbringen.

Zu den Aufträgen laut Punkt 2. und 3. sah das Erstgericht rechtlich bei der Mutter einen Beratungsbedarf, weil diese derzeit nicht in der Lage sei, den Entwicklungsbedürfnissen von Maximilian im Hinblick auf dessen Beziehung zum Vater zu entsprechen. Die Verhinderung der Kontakte zum Vater sei dem Kindeswohl abträglich, weil es dessen alters und geschlechtstypisches Fortkommen entscheidend nachteilig beeinflusse. Für eine erfolgreiche Besuchsrechtsregelung sei von tragender Bedeutung, dass die Mutter in der Lage sei, Maximilian ein Umfeld zur Verfügung zu stellen, in dem er dem Vater angstfrei begegnen könne. Langfristig müsse der Fokus darauf gerichtet sein, Maximilian Besuchskontakte zum Vater ohne Beisein Dritter zu ermöglichen, wenn auch in einem ersten Schritt allenfalls begleitete Besuchskontakte anzuordnen sein würden. Die zur Sicherung des Kindeswohls nötigen Verfügungen beruhten auf § 176 ABGB.

Das Rekursgericht gab dem gegen Punkt 2. und 3. des erstinstanzlichen Beschlusses gerichteten Rekurs der Mutter nicht Folge. Es sei Aufgabe der Mutter, das Kind dem Vater gegenüber positiv zu motivieren und ihm zu einer angstfreien, vertrauensvollen Beziehung zu seinem Vater zu verhelfen. Da die Mutter dazu aus eigener Kraft nicht in der Lage sei und überdies zwei Jahre lang eine Begutachtung des Kindes durch eine Sachverständige verhindert habe, habe das Erstgericht überaus umsichtig Maßnahmen angeordnet, die einen solchen positiven Beziehungsaufbau zwischen Vater und Kind ermöglichen sollten. Der Minderjährige sei aufgrund der Beeinflussung durch seine Mutter nicht in der Lage, eine unbefangene Entscheidung darüber zu treffen, ob er mit seinem Vater Kontakt haben wolle oder nicht. Dem solle durch die vom Erstgericht angeordneten Maßnahmen begegnet werden.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei, weil keine Rechtsfragen von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG vorlägen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der ersatzlosen Aufhebung der ihr vom Erstgericht erteilten Aufträge; hilfsweise stellt sie auch einen Aufhebungsantrag zur neuerlichen Entscheidung des Rekursgerichts, in eventu des Erstgerichts.

Der Vater erstattete eine ihm freigestellte Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Mutter ist zulässig und berechtigt, weil für die ihr erteilten Aufträge keine ausreichende Sach- bzw Rechtslage vorliegt.

1. Zur pädagogischen Betreuung des Minderjährigen:

1.1. Das Erstgericht stützte seinen an die Mutter gerichteten Auftrag zur Einrichtung einer pädagogischen Betreuung des Minderjährigen auf § 176 Abs 1 ABGB, weshalb ihm nicht bloß der Charakter einer Mitteilung über den Inhalt der die obsorgebetraute Mutter treffenden Pflichten zukommt; nur im letzteren Fall läge kein mit Rechtsmitteln bekämpfbarer Beschluss des Erstgerichts vor (RIS Justiz RS0106917; 2 Ob 254/09f).

1.2. Bei Ausübung der Rechte und Erfüllung seiner Pflichten hat der betreffende Elternteil nach § 145b ABGB zur Wahrung des Kindeswohls alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Minderjährigen zu anderen Personen, denen das Kind betreffende Rechte und Pflichten zukommen, beeinträchtigt oder die Wahrnehmung von deren Aufgaben erschwert (sog. Wohlverhaltensgebot). Aus dieser Regelung folgt namentlich die hier von der Mutter nicht wahrgenommene Pflicht eines Elternteils, das gemeinsame Kind nicht gegenüber dem anderen Elternteil zu vereinnahmen (4 Ob 8/11x EF-Z 2011/85, 138 = iFamZ 2011/136 [ Thoma Twaroch ] = EvBl 2011/96; Barth in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³, § 145b ABGB Rz 1; Hopf in KBB 3 § 145b ABGB Rz 2). Verstößt ein obsorgebetrauter Elternteil gegen § 145b ABGB, so hat das Gericht nach § 176 Abs 1 ABGB bei Gefährdung des Kindeswohls die notwendigen Maßnahmen zu treffen ( Hopf/Weitzenböck , Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, ÖJZ 2001, 485, 530 [537]; Barth aaO Rz 4; Stabentheiner in Rummel ³ ErgB § 145a - 145c Rz 5; Verschraegen in Schwimann ³ § 145b Rz 3). Das kann im äußersten Fall zum Entzug der Obsorge führen (4 Ob 8/11x; 1 Ob 46/06f EFSlg 113.724; 1 Ob 40/08a = EF Z 2008/104, 180 [ Gitschthaler ] = [ Thoma-Twaroch ]; weitere Nachweise bei Jausovec , Das Besuchsrecht zwischen Eltern und Kindern [2009] 91). Nach herrschender Auffassung bietet § 176 Abs 1 ABGB aber auch eine Rechtsgrundlage dafür, dem Obsorgeberechtigten einzelne konkrete Aufträge oder Auflagen zu erteilen (3 Ob 3/11d; Stabentheiner in Rummel ³, 1. Ergbd § 176 ABGB Rz 7 mwN; Thunhart in Klang³ §§ 176, 176b ABGB Rz 54, 56; Deixler Hübner in ABGB-ON 1.00 § 176 Rz 14 jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Ob dies immer auch mit einer gleichzeitigen Teilentziehung der Obsorge einhergehen muss, kann hier dahin stehen (dies ebenfalls offenlassend jüngst 3 Ob 3/11d).

1.3. Verbote und Aufträge an den Obsorgebetrauten greifen auch wenn nicht die Obsorge ganz oder teilweise entzogen wird in das elterliche Obsorgerecht ein (1 Ob 623/95 SZ 69/20; 6 Ob 639/95 RZ 1996/65 = EFSlg 78.189; Hopf in KBB³, § 176b ABGB Rz 1; Weitzenböck in Schwimann³ , § 176 ABGB Rz 45 f; Thunhart in Klang³ § 137a Rz 5). Sie setzen auch in Zusammenhang mit § 176b ABGB eine offenkundige Gefährdung des Kindeswohls und die Notwendigkeit der Änderung des bestehenden Zustands voraus (vgl RIS-Justiz RS0085168; 8 Ob 2282/96p EFSlg 81.139; 3 Ob 3/11d). Solche Maßnahmen müssen aber, um gerechtfertigt zu sein, auch die Eignung aufweisen, der offenkundigen Gefährdung des Kindeswohls wirksam zu begegnen. Dies trifft auf den vom Erstgericht der Mutter betreffend den Minderjährigen erteilten Auftrag, für diesen eine pädagogische Betreuung einzurichten, nicht zu:

Angesichts des festgestellten, bisher obstruktiven Verhaltens der Mutter beim Kontakt mit den vom Gericht beigezogenen Sachverständigen ist derzeit nicht zu erwarten, dass sie eine pädagogische Betreuung, soweit diese das Verhältnis des Minderjährigen mit dem Vater betreffen soll, zielführend unterstützt. Auch den Jugendwohlfahrtsträger hat das Erstgericht nach der Aktenlage bislang nicht eingebunden (§ 215 ABGB;§ 106 AußStrG). Selbst wenn man also im festgestellten Verhalten der Mutter betreffend das Unterbinden der Besuchskontakte zwischen dem Minderjährigen und seinem Vater bereits eine aktuelle und akute Gefährdung des Kindeswohls und nicht nur eine aus entwicklungspsychologischer Sicht bedenkliche Haltung der Mutter sehen wollte, ist auf der Basis des vorliegenden Sachverhalts ein Auftrag zur Einrichtung einer pädagogischen Betreuung für den Minderjährigen keine ausreichend erfolgswahrscheinliche Abhilfemöglichkeit für die hier ganz spezifische Problemkonstellation; schon dies muss zur ersatzlosen Aufhebung dieses Auftrags führen.

2. Zur psychologischen Beratung der Mutter:

Betreffend den Auftrag, dass sich die obsorgebetraute Mutter selbst einer psychologischen Beratung zu unterziehen habe, verkannten die Vorinstanzen, dass § 176 Abs 1 ABGB, der von nötigen Verfügungen im Rahmen der Obsorgeausübung durch Eltern handelt, keine gesetzliche Grundlage für einen derartigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Elternteils bildet (vgl Weitzenböck in Schwimann ³, § 176 ABGB Rz 45 f; Thunhart , Können Eltern gegen ihren Willen zur Zusammenarbeit mit außergerichtlichen Institutionen gezwungen werden?, iFamZ 2011, 139 [142] auch mit Rechtsvergleich zu Schweiz und Deutschland).

3.1. Der Revisionsrekurs ist somit im Sinn der Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses in seinen Punkten 2. und 3. berechtigt.

3.2. Die Kostenentscheidung gründet auf § 107 Abs 3 AußStrG.