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OGH vom 22.04.2010, 2Ob66/10k

OGH vom 22.04.2010, 2Ob66/10k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Alexander K*****, geboren am , über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters J***** B***** G*****, vertreten durch Dr. Alexander Lindner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 52/10f S 113, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 dritter Satz AußStrG).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Es begründet allenfalls einen Verfahrensmangel, nicht aber eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn Beweisanträgen des Vaters nicht entsprochen wurde. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz bildet keinen Revisionsrekursgrund. Dieser Grundsatz wird nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nur dann durchbrochen, wenn dies aus Gründen des Kindeswohls erforderlich ist (RIS Justiz RS0050037 [T4, T 6, T 8]). Gründe dieser Art werden im Rechtsmittel nicht dargelegt und sind auch aus dem Akteninhalt nicht ersichtlich:

Die Frage, welche konkreten Beweise bei der Obsorgeentscheidung aufzunehmen sind und in welchem Umfang Beweisanboten einer Partei zu entsprechen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (10 Ob 50/08p; 6 Ob 175/08s; RIS Justiz RS0114147 [T1]). Aus der Aktenlage und den zahlreich vorliegenden Beweisergebnissen lässt sich kein Anhaltspunkt dafür finden, dass die Mutter für die Ausübung der Obsorge über das Kind nicht geeignet wäre. Wenn die Vorinstanzen den einen noch vor der Geburt des Kindes (im Jahr 2004) gelegenen Zeitraum betreffenden Aufzeichnungen der Mutter über die Einnahme von Medikamenten keine entscheidende Bedeutung beigemessen haben, begründet dies ebenso wenig eine im Interesse des Kindes aufzugreifende Fehlbeurteilung, wie die Ablehnung des vom Vater im Zusammenhang mit der Obsorge beantragten psychiatrischen Gutachtens über den Gesundheitszustand der Mutter.

2. Der Vater äußert Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des § 166 ABGB, nach dessen ersten Satz die Mutter mit der Obsorge für das uneheliche Kind allein betraut ist. Er sieht sich durch diese Bestimmung sowohl gegenüber Vätern von ehelichen Kindern als auch gegenüber der Mutter „verfassungswidrig diskriminiert“ und stützt sich dabei auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom , Beschwerdesache Zaunegger gegen Deutschland , Bsw 22028/04.

Entgegen seiner Auffassung sind aber aus den Erwägungen der genannten Entscheidung, die sich auf die deutsche Rechtslage bezieht, Anhaltspunkte für eine allfällige verfassungsmäßige Bedenklichkeit des § 166 Satz 1 ABGB nicht ableitbar. Der EGMR räumte nämlich ausdrücklich ein, es könne angesichts der unterschiedlichen Lebenssituationen von außerehelich geborenen Kindern und des Fehlens von übereinstimmenden Sorgeerklärungen zum Schutz der Kindesinteressen gerechtfertigt sein, zunächst der Mutter (allein) die elterliche Sorge zuzuweisen (Erw 55). Nichts anderes besagt die Regelung des § 166 Satz 1 ABGB. Der erkennende Senat sieht sich daher nicht veranlasst, den als Anregung zu wertenden „Antrag“ (vgl RIS-Justiz RS0058452) des Vaters aufzugreifen und ein Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten.

3. Aber auch das Verlangen nach „verfassungskonformer Interpretation“ des § 166 ABGB zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf. Selbst wenn eine solche - wie der Vater meint - im Lichte der Entscheidung des EGMR die gerichtliche Anordnung der gemeinsamen Obsorge auch gegen den Willen der Mutter eines unehelichen Kindes ermöglichen würde, wäre immer noch in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die Beteiligung des Vaters an der Obsorge dem Kindeswohl entspricht.

Denn der EGMR hielt in der besagten Entscheidung fest, dass es stichhältige Gründe geben könne, dem nicht verheirateten Vater die Beteiligung an der elterlichen Sorge zu versagen, etwa wenn Streit oder mangelnde Kommunikation zwischen den Eltern dem Kindeswohl schaden würden (Erw 56). Gerade solche Umstände gehen aber im vorliegenden Fall aus den insoweit nicht nur für die (aufgehobene) Entscheidung über das Besuchsrecht, sondern auch für den Obsorgestreit bedeutsamen - Feststellungen des Erstgerichts über die „massiv“ gestörte Gesprächsbasis und die Konfliktsituation der Eltern hervor (vgl auch das Gutachten der psychologischen Sachverständigen, das die „weiterhin nicht vorhandene Kommunikationsbasis zwischen den Eltern“ [AS 303] bzw das Fehlen einer „Minimalkommunikation der Elternteile“ [AS 305] konstatiert).

Der Vater, der diese Konflikte auch gar nicht in Abrede stellt (deren Ursachen allerdings ausschließlich im Verhalten der Mutter sieht; ON 83), vermag in seinem Rechtsmittel nicht darzulegen, aus welchen Gründen eine gemeinsame Obsorge der Eltern dennoch dem Wohl ihres gemeinsamen Kindes entsprechen würde.