OGH vom 27.02.2013, 6Ob5/13y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** verstorbenen H***** O*****, zuletzt wohnhaft in *****, über den Revisionsrekurs des Verlassenschaftskurators Mag. Axel Bauer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 527/12m 209, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 6 A 238/07v 198, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, dass der Antrag auf Feststellung, dass das Guthaben beim Finanzamt Wien 1/23 zu Steuernummer 045/3762 von 7.012,14 EUR nicht verlassenschaftszugehörig ist, abgewiesen wird.
Text
Begründung:
Nach der Aktenlage ist die erblasserische Tochter Mag. C***** Ö***** als einziges Kind der Erblasserin sowohl aufgrund des Gesetzes als auch nach dem Inhalt der letztwilligen Verfügung der Erblasserin zur Alleinerbin berufen. Sie hat jedoch bisher keine Erbantrittserklärung abgegeben.
Im Rahmen der mit Beschluss des Erstgerichts vom angeordneten Überlassung an Zahlungs statt nach § 155 AußStrG wurde als einziges Aktivum der überschuldeten Verlassenschaft das laut Mitteilung des Finanzamts 1/23 zunächst auf dem Abgabenkonto der Erblasserin erliegende und sodann über Veranlassung des Gerichtskommissärs auf dessen Anderkonto überwiesene Guthaben in Höhe von 7.012,14 EUR einbezogen, welches aus der Durchführung der in Ansehung der Erblasserin erfolgten Arbeitnehmerveranlagung resultiert.
Die erblasserische Tochter behauptete jedoch, aufgrund einer wirksamen Zession dieses Anspruchs durch die Erblasserin diesbezüglich Eigentümerin und demnach allein verfügungsberechtigt zu sein. Der Verlassenschaftskurator trat diesem (Aussonderungs )Begehren entgegen, weil Zweifel an der behaupteten Zession sowie an der geltend gemachten Antragslegitimation der erblasserischen Tochter gegenüber dem Finanzamt in Bezug auf das Steuerguthaben bestünden. Das Steuerguthaben falle als einziges Aktivum in den Nachlass.
Im zweiten Rechtsgang sprach das Erstgericht aus, dass das Guthaben beim Finanzamt nicht verlassenschaftszugehörig sei.
Die Erblasserin habe mit Zessionsvertrag vom ihre Forderungen an das Finanzamt an ihre Tochter abgetreten. Die Forderungsabtretung sei durch eine unbedenkliche Urkunde belegt.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Unter Bedachtnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung sei die Bestimmung des § 166 Abs 2 AußStrG aufzugreifen. Demnach habe das Gericht dann, wenn die Behauptung bestritten werde, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zähle, darüber zu entscheiden, ob diese Sache in das Inventar aufgenommen bzw ausgeschieden werde. Befand sich die Sache zuletzt im Besitz des Verstorbenen, so sei sie nach § 166 Abs 2 Satz 2 AußStrG nur dann auszuscheiden, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen werde, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen zähle. Der Begriff der „unbedenklichen Urkunde“ in § 166 Abs 2 AußStrG werde ebenso verstanden wie in § 40 EO. Es müsse sich demnach um Urkunden handeln, denen eine besondere Glaubwürdigkeit zukomme.
Die Zessionsurkunde sei im Original vorgelegt worden, wobei der Verlassenschaftskurator letztlich deren Echtheit zugestanden habe. Wenngleich der Verlassenschaftskurator Bedenken gegen die inhaltliche Richtigkeit der beurkundeten Zession erhoben habe, sei doch im Hinblick auf die Echtheit dieser Urkunde davon auszugehen, dass die Erblasserin über das Guthaben zu Gunsten ihrer Tochter in Form einer Zession verfügt habe. Im Zuge der Inventarserrichtung sei nicht über Eigentumsfragen abzusprechen. Allerdings handle es sich bei diesem Guthaben um das einzige mögliche Nachlassaktivum der überschuldeten Verlassenschaft. Für eine im ersten Rechtsgang ausdrücklich angestrebte Überlassung an Zahlungs statt sei Voraussetzung, dass der Verlassenschaft die rechtliche Verfügungsmöglichkeit über das angeführte Guthaben tatsächlich zustehe. Nach der nunmehrigen Sachlage könne von einer Nachlasszugehörigkeit des als einziges Aktivum zu wertenden Finanzguthabens nicht ausgegangen werden. Selbst für den Fall, dass der Zessionserklärung nicht die Qualität einer unbedenklichen Urkunde iSd § 166 Abs 2 Satz 2 AußStrG zuerkannt werden könnte, sei auf jeden Fall davon auszugehen, dass die für eine Beschlussfassung nach §§ 154, 155 AußStrG zu fordernde rechtliche Verfügungsmacht des Nachlasses über das erwähnte Guthaben nicht ausreichend belegt ist. Der insoweit vom Verlassenschaftskurator aufrecht erhaltene Anspruch des Nachlasses auf das Steuerguthaben könne nur auf dem streitigen Rechtsweg geklärt werden. Im derzeitigen Verfahrensstadium bestehe jedoch keine Grundlage dafür, das bezeichnete Guthaben als Nachlassaktivum in das gegenständliche Verlassenschafts-verfahren einzubeziehen.
Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu den Voraussetzungen und zum Ablauf eines Verlassenschaftsverfahrens vorlägen, in welchem am als einziges Aktivum in Betracht zu ziehenden Vermögenswert Sonderrechte eines Dritten behauptet werden.
Rechtliche Beurteilung
Hierzu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.
1.1. Gemäß § 166 Abs 2 AußStrG ist nur darüber zu entscheiden, ob eine Sache in das Inventar aufgenommen oder ausgeschieden wird, nicht jedoch darüber, ob die Sache als Eigentum des Erblassers zum Verlassenschaftsvermögen gehört. Allzu komplizierte Eigentumsfragen sollen die Abhandlung nicht verzögern (RIS Justiz RS0121985). Dafür, ob ein bestimmter Gegenstand in das Nachlassinventar aufzunehmen sei, ist lediglich der Besitz und nicht das Eigentum des Erblassers maßgebend. Dabei definiert das Außerstreitgesetz keinen eigenständigen Besitzbegriff, sodass von der Anwendbarkeit der Regeln des ABGB auszugehen ist (RIS Justiz RS0007816 [T1], RS0007860).
1.2. Damit sind aber selbst angeblich fremde Sachen oder Sachen, an denen nach dem äußeren Anschein (etwa aufgrund deren Auffindung in einer gemeinsamen Wohnung) zumindest Mitbesitz des Erblassers vorlag, in das Inventar aufzunehmen. Dies gilt etwa auch für Wertpapiere und Girokonten, die „auch“ auf den Namen des Erblassers lauten, also auch für Wertpapierdepots und dazugehörige Verrechnungskonten (6 Ob 287/08m).
1.3. Im vorliegenden Fall besteht die Schwierigkeit, das Tatbestandsmerkmal des „Besitzes“ auf die Forderung gegenüber dem Finanzamt anzuwenden. Insoweit ist aus dem Besitzbegriff des ABGB nichts zu gewinnen, können doch Forderungen aus einem Zielschuldverhältnis nicht Gegenstand des Besitzes sein (vgl G. Kodek in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 311 Rz 13 mwN). Vielmehr ist nach dem Zweck des Gesetzes darauf abzustellen, dass der äußere Anschein einer Zugehörigkeit zum Vermögen des Erblassers besteht. Da das Guthaben zunächst auf dem Abgabenkonto der Erblasserin erlag und sodann auf ein Anderkonto des Gerichtskommissärs überwiesen wurde, ist davon auszugehen, dass es sich grundsätzlich im „Besitz“ der Verstorbenen befunden hat. Die angebliche Abtretung hatte noch keine Außenwirkung entfaltet, weil sie dem Finanzamt als Drittschuldner nicht offengelegt worden war.
2.1. Nach § 166 Abs 2 AußStrG ist eine Sache dennoch aus dem Inventar auszuscheiden, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen wird, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen zählt.
2.2. Der Begriff der „unbedenklichen Urkunde“ iSd § 166 Abs 2 AußStrG wird so verstanden wie in § 40 EO (RIS Justiz RS0121985 [T7]). Unbedenkliche Urkunden sind nicht solche, die frei von besonderen, ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigenden Mängeln sind (§ 27 GBG); es muss sich vielmehr um Schriftstücke handeln, denen eine besondere Glaubwürdigkeit zukommt wie etwa Postaufgabescheine, gerichtliche Entscheidungen usw (RIS Justiz RS0001391, vgl auch RS0001395). Als unbedenkliche Urkunden iSd § 166 Abs 2 AußStrG wurden etwa Kontoauszüge und die Ein und Auszahlungsbelege eines Wertpapier Verrechnungskontos beurteilt (6 Ob 287/08m). Demgegenüber ist im vorliegenden Fall kein Grund ersichtlich, der privaten Zessionsurkunde erhöhte Glaubwürdigkeit zuzugestehen.
3.1. Zutreffend hat schon das Rekursgericht darauf verwiesen, dass die Frage, ob die Erblasserin auch Eigentümerin der Guthaben auf den betreffenden Konten war, im Verlassenschaftsverfahren nicht zu klären ist. Mit der Entscheidung, dass ein Bankguthaben in die Verlassenschaft fällt, wird noch nicht über die Berechtigung an dem Guthaben abgesprochen. Diese Entscheidung ist für die endgültige Entscheidung über die Rechtszuständigkeit (Eigentumsfrage) im streitigen Verfahren nicht präjudiziell (6 Ob 79/12d mwN). Diese Überlegung lässt sich auf die vorliegende Konstellation übertragen.
3.2. Aus § 154 Abs 1 letzter Halbsatz AußStrG ergibt sich, dass die Überlassung an Zahlungs statt eine Alternative zum Verlassenschaftsinsolvenzverfahren darstellt. Daraus folgt zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen, dass Rechte, die eine Verlassenschaftsinsolvenz nicht beeinträchtigen würden, durch eine Überlassung an Zahlungs statt ebenso wenig beeinträchtigt werden dürfen. Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass auch im Verfahren nach §§ 154 f AußStrG Absonderungsgläubiger vor der Überlassung an Zahlungs statt zu befriedigen sind (6 Ob 47/12y mwN).
3.3. Damit besteht im vorliegenden Fall aber für die von den Vorinstanzen ausgesprochene Feststellung, dass die betreffende Forderung nicht in die Verlassenschaft falle, keine ausreichende Grundlage. Die endgültige Klärung dieser Frage wird nach dem Gesagten im streitigen Verfahren zu erfolgen haben. Daher kommt zum derzeitigen Zeitpunkt eine Überlassung an Zahlungs statt nicht in Betracht, ist doch hinsichtlich des einzigen Vermögenswerts der Verlassenschaft dessen Zugehörigkeit zur Verlassenschaft gerade strittig.
4. Dem Revisionsrekurs war daher spruchgemäß Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen im antragsabweisenden Sinn abzuändern.