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OGH vom 29.08.1994, 1Ob527/94

OGH vom 29.08.1994, 1Ob527/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein *****, vertreten durch Dr. Friedrich Willheim, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch Dr. Alexander Klauser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ingrid H*****, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 57.009,20 sA, infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 13 R 118/93-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 13 Cg 31/93-16, und das diesem vorangegangene Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der berufungsgerichtliche Beschluß wird aufgehoben und dem Gericht zweiter Instanz die Entscheidung über die Berufung in der Sache aufgetragen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Die Beklagte war Pächterin eines im Bereich der Sportanlage des Klägers befindlichen Cafe-Restaurants. Nach einvernehmlicher Beendigung des Pachtvertrages nahm die Beklagte den Kläger zu 6 C 957/87 des Bezirksgerichtes Donaustadt auf Rückzahlung der bei Beginn des Pachtverhältnisses erlegten Kaution von S 30.000,-- in Anspruch. Der Kläger wendete mangelnde Fälligkeit ein, da der Nachweis nicht erbracht sei, daß alle mit dem Betrieb des Pachtobjektes verbundenen öffentlichen Abgaben berichtigt seien. Nach Schluß der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz am wurde der Kläger (dort Beklagter) mit nach erfolgloser Berufung rechtskräftigem Urteil vom zur Zahlung des Betrages von S 30.000,-- sA zuzüglich der Verfahrenskosten schuldig erkannt. Im Zuge des anschließenden Exekutionsverfahrens hatte er einschließlich Zinsen und Kosten S 57.009,20 zu bezahlen.

Diesen Betrag begehrt der Kläger mit der gegenständlichen Klage von der Beklagten. Er habe nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteiles eine Bestätigung der Beklagten aufgefunden, wonach dieser am das Sparbuch mit dem Kautionsbetrag von S 30.000,-- ausgefolgt worden sei. Der Kläger sei daher berechtigt, die aufgrund des Exekutionsverfahrens geleisteten Zahlungen zurückzufordern.

Die Beklagte bestritt das Klagebegehren und erhob die Einrede der entschiedenen Streitsache. Ergänzend wendete sie Verjährung ein. Überdies sei bei Vertragsauflösung eine Nettoinvestitionsablöse von S 150.000,-- vereinbart worden. Das Sparbuch sei vereinbarungsgemäß zur Abdeckung der hinzuzurechnenden 20 %igen Mehrwertsteuer in Höhe von S 30.000,-- ausgefolgt worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es traf die eingangs zusammengefaßten Feststellungen und führte in rechtlicher Hinsicht aus, daß im vorliegenden Fall eine Bindungswirkung an die Vorentscheidung nicht gegeben sei, weil keine identen Ansprüche vorlägen. Während im Verfahren vor dem Bezirksgericht Donaustadt über die Rückzahlungspflicht der Kaution entschieden worden sei, sei Gegenstand des nunmehrigen Rechtsstreites die vom Kläger behauptete Doppelzahlung. Damit habe sich der Kläger auf die Rechtsgründe der Bereicherung und des Schadenersatzes gestützt. Tatsächlich sei der Bereicherungsanspruch des § 1436 ABGB im Zusammenhalt mit § 1431 ABGB verwirklicht, da die nochmalige Bezahlung von S 30.000,-- nicht in einer zwischen den Parteien bestehenden Verpflichtung begründet sei und daher irrtümliche Zahlung vorliege. Da derartige Rückforderungsansprüche gemäß den §§ 1478 und 1479 ABGB in 30 Jahren verjähren, schlage der von der Beklagten erhobene Verjährungseinwand nicht durch. Die darüber hinaus aufgelaufenen Kosten stünden aus dem Titel des Schadenersatzes zu. Auch diesbezüglich sei Verjährung nicht eingetreten, da die Klage innerhalb dreier Jahre ab Kenntnis von Schaden und Schädiger erhoben worden sei.

Das Gericht zweiter Instanz hob infolge Berufung der Beklagten dieses Urteil und das vorangegangene Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichtes seien idente Ansprüche bei umgekehrten Parteienrollen zu entscheiden gewesen. Es liege res judicata vor, weil die neue Entscheidung die Wirkungen der bereits ergangenen rechtskräftigen Entscheidung aufhebe. Da die Judikatschuld einschließlich Prozeß- und Exekutionskosten zurückgefordert werde, sei der geltend gemachte Anspruch mit dem bereits rechtskräftigen Urteil im Vorverfahren ident.

Rechtliche Beurteilung

Dem dagegen erhobenen Rekurs des Klägers kommt im Ergebnis Berechtigung zu.

Dem Gericht zweiter Instanz ist darin beizupflichten, daß die Rechtskraft einer Entscheidung über den gleichen Gegenstand zwischen denselben Parteien ein Prozeßhindernis ist, das in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen ist und zur Zurückweisung der Klage führen muß. Die Nichtbeachtung dieser negativen Prozeßvoraussetzung bewirkt die Nichtigkeit der trotzdem gefällten Sachentscheidung und des vorangegangenen Verfahrens in der Hauptsache (Fasching, Komm.III, 8, 694 und IV 302; SZ 52/151). Die Identität des Anspruches liegt allerdings nur dann vor, wenn das neu gestellte Begehren sowohl inhaltlich dieselbe Leistung, Feststellung oder Rechtsgestaltung fordert, wie sie bereits Gegenstand des rechtskräftigen Vorerkenntnisses war, als auch die zur Begründung des neuen Begehrens vorgetragenen rechtserzeugenden Tatsachen dieselben sind, auf die sich auch die rechtskräftige Entscheidung gründet, sodaß sie auch zwangsläufig dieselbe rechtliche Beurteilung zur Folge haben müssen. Die materielle Rechtskraft erstreckt sich auch auf später geltend gemachte Ansprüche, die das begriffliche Gegenteil des rechtskräftig entschiedenen Anspruches darstellen. Die Einmaligkeitswirkung greift jedoch nur dort ein, wo es sich beim zweiten Begehren um die reine Negation des ersten handelt. Nur dann ist wegen voller Identität auch der streitigen Rechtsfolge die zweite Klage mit Beschluß als unzulässig zurückzuweisen (Fasching LB2 Rdz 1515 und 1517).

Im vorliegenden Fall ist aber eine derartige Identität der Ansprüche nicht gegeben. Tatsächlich wird nämlich nicht das Gegenteil der Vorentscheidung begehrt, sondern soll lediglich die Wirkung des bereits ergangenen rechtskräftigen Urteiles beseitigt werden. Der Gegenstand der Vorentscheidung stellt sich in Wahrheit als Vorfrage für das nunmehr zu entscheidende Begehren dar. Diesem steht somit nicht das Wiederholungsverbot (ne bis in idem) der materiellen Rechtskraft entgegen, sondern deren Bindungswirkung, die sich darin äußert, daß das Gericht zwar über das zweite Begehren mit Sachentscheidung abzusprechen, dabei aber die rechtskräftige Entscheidung zugrundezulegen hat (1 Ob 576/92; RZ 1989/96; SZ 60/43; SZ 55/74; RZ 1977/49). Die Bindungswirkung hindert zwar nicht die Urteilsfällung über den neuen Anspruch, schließt jedoch die Verhandlung, Beweisaufnahme und neuerliche Prüfung eines rechtskräftig entschiedenen Anspruches über ein neues, begrifflich aber untrennbar mit dem Inhalt der rechtskräftigen Vorentscheidung zusammenhängendes Klagebegehren aus. Die Berufung auf Tatsachen, die bei Schluß der Verhandlung erster Instanz im Vorprozeß schon existent waren, aber nicht vorgebracht wurden, ist ausgeschlossen. Die Prozeßordnung sieht für derartige Fälle grundsätzlich die Wiederaufnahmsklage (§§ 530 ff ZPO) vor. Es ist nicht zulässig, den abgeurteilten Rechtsanspruch ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen deshalb neuerlich geltend zu machen, weil der Tatbestand schon zur Zeit der ersten Entscheidung sich anders dargestellt hat als er vorgetragen oder vermittelt wurde (Fasching, Komm.III 720). Neues Vorbringen wäre durch die Rechtskraft nur dann nicht präkludiert, wenn es mit dem Prozeßstoff des ersten Rechtsstreites nicht im Zusammenhang stünde. Die inhaltliche Bindung an die Entscheidung des Vorprozesses hat daher zur Folge, daß die Vorentscheidung unter Ausschluß der sachlichen Verhandlung und Prüfung ihres Gegenstandes dem neuerlichen Urteil über den nunmehr erhobenen Anspruch zugrundezulegen ist. Der Richter hat in einem solchen Fall von dem bereits rechtskräftig entschiedenen Anspruch auszugehen und ihn ohneweiteres seiner neuen Entscheidung zugrundezulegen (Fasching, Komm.III 705; 14 Ob 87/86; SZ 52/151). Diese Bindungswirkung kann durch eine im materiellen Recht begründete selbständige Klage auf Beseitigung der durch die Erfüllung der urteilsmäßigen Leistungspflicht herbeigeführten Wirkungen unter Berufung auf einen Tatbestand des materiellen Rechts der im Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz der Begründetheit des Klagebegehrens entgegenstand, nicht durchbrochen werden, mag diese Klage auch auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes oder der Bereicherung gestützt werden (SZ 49/81; EvBl. 1971/332).

Das Gericht zweiter Instanz hat mangels Anspruchsidentität zu Unrecht die Nichtigkeit des Verfahrens ausgesprochen. Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben. Das Berufungsgericht wird im fortgesetzten Verfahren unter Berücksichtigung der dargestellten Bindungswirkung sachlich über die Berufung der Beklagten zu entscheiden haben. Dem Obersten Gerichtshof ist eine Entscheidung in der Sache selbst verwehrt, da kein Fall des § 519 Abs. 2 letzter Satz ZPO vorliegt.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs. 1 ZPO.