OGH vom 08.04.2008, 4Ob50/08v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am verstorbenen, zuletzt in *****, wohnhaft gewesenen Gertrud Elisabeth H*****, über den Revisionsrekurs der Verlassenschaft nach dem mittlerweile verstorbenen erblasserischen Cousin Oskar N*****, zuletzt wohnhaft *****, vertreten durch Mag. Ralf Mössler, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 443/07v-20, womit der Rekurs des erblasserischen Cousins gegen den Einantwortungsbeschluss des Bezirksgerichts Meidling vom , GZ 21 A 53/07h-10, zurückgewiesen wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.
Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Erblasserin hinterlässt weder Kinder noch einen Ehegatten. Als gesetzliche Erben kommen ein Cousin der Erblasserin (der Rechtsmittelwerber) und die Tochter eines weiteren vorverstorbenen Cousins Elisabeth S***** in Frage. In einem fremdhändig geschriebenen und eigenhändig unterfertigten Testament vom hatte die Erblasserin sämtliche vor diesem Testament errichtete letztwillige Anordnungen widerrufen (Punkt I) und Elisabeth S***** zu ihrer Universalerbin eingesetzt (Punkt III). Für den Fall, dass die von ihr bestimmte Erbin vor ihr versterben oder gleichzeitig mit der Erblasserin oder vor Abgabe einer Erbserklärung nachversterben sollte, sowie für den Fall, dass die Erbin nicht erben könnte oder wollte, bestimmte die Erblasserin deren Kinder Daniela und Stefan S***** zu gleichen Teilen zu Ersatzerben (Punkt IV).
An der Todesfallaufnahme in der Kanzlei des Gerichtskommissärs nahmen Elisabeth S***** und die Gattin des Rechtsmittelwerbers als dessen Bevollmächtigte teil. Punkt 14. der Todesfallaufnahme (Angabe der gesetzlichen Erben und deren Verwandtschaftsverhältnisse) nennt neben den vorverstorbenen Verwandten der Erblasserin die Tochter des vorverstorbenen Cousins Elisabeth S***** und den Rechtsmittelwerber als gesetzliche Erben. Am Ende von Punkt 14. findet sich in der Todesfallaufnahme der Hinweis, dass die Bevollmächtigte des Rechtsmittelwerbers die Kanzlei des Gerichtskommissärs „nach Punkt 14. die Amtskanzlei verlassen" hat.
In der Verlassenschaftsabhandlung vom gab Elisabeth S***** nach Rechtsbelehrung durch den Gerichtskommissär die unbedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlass aufgrund des Testaments vom ab. Sie erstattete eine Vermögenserklärung, die einen Reinnachlass von 435.051,96 EUR ergab, und stellte den Antrag, ihr die Verlassenschaft einzuantworten. Eine Erbantrittserklärung des erblasserischen Cousins lag dem Erstgericht bei Erlassung des Einantwortungsbeschlusses nicht vor.
Mit Einantwortungsbeschluss vom wurde die Verlassenschaft der unbedingt erbserklärten Testamentserbin zur Gänze eingeantwortet.
In seinem Rekurs gegen den Einantwortungsbeschluss machte der erblasserische Cousin geltend, das Testament sei nichtig, es liege nämlich der begründete Verdacht nahe, dass eine der drei Testamentszeugen die Tochter der Testamentserbin sei, die im Testament zur Ersatzerbin bestimmt worden sei. Außerdem habe die Erblasserin ihm zugesichert, als nächster lebender Verwandter werde er sie beerben. Es solle daher nach einem weiteren Testament gesucht werden.
Das Rekursgericht wies den Rekurs des erblasserischen Cousins zurück. Er habe weder im Verfahren noch in seinem Rekurs eine Erbantrittserklärung abgegeben und sei daher nicht rekurslegitimiert. Nach § 164 AußStrG idgF könnten Erbantrittserklärungen im Abhandlungsverfahren nur bis zur Bindung des Gerichts an den Einantwortungsbeschluss, somit nur bis zur Übergabe dieses Beschlusses an die Geschäftsstelle zur Ausfertigung, berücksichtigt werden. Die vom Rekurswerber angestrebte Aufrollung des Verlassenschaftsverfahrens sei nicht möglich, weil er vor Eintritt der Bindungswirkung des Einantwortungsbeschlusses keine Erbantrittserklärung abgegeben habe. Er habe auch nicht dargelegt, weshalb er daran gehindert gewesen sei. Er habe die Erbantrittserklärung auch nicht in seinem Rekurs nachgetragen, sein Rekurs sei somit unzulässig. Er könne das behauptete Erbrecht nur noch mittels Erbschaftsklage geltend machen. Im Übrigen sei das Testament vor einem öffentlichen Notar errichtet worden, sodass zwei Testamentszeugen ausreichten. Dass die Erblasserin ein gültiges mündliches Testament zugunsten des Rekurswerbers errichtet hätte, ließe sich nicht einmal aus seinem Rekursvorbringen ableiten.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil der Oberste Gerichtshof zur Rechtsmittellegitimation ohne „Abgabe einer Erbantrittserklärung vor Fassung des Einantwortungsbeschlusses" nach neuer Rechtslage noch nicht Stellung genommen habe.
Der Nachlass nach dem inzwischen verstorbenen Cousin der Erblasserin macht in seinem Revisionsrekurs geltend, die Bevollmächtigte des erblasserischen Cousins habe die Todesfallaufnahme deshalb verlassen, weil sie der Notar weggeschickt habe, weshalb sie keine Erbserklärung habe abgeben können. Der Gerichtskommissär habe sie auch nicht entsprechend angeleitet. Der Antrag des erblasserischen Cousins auf Einantwortung des gesamten Nachlasses ergebe sich schlüssig aus seinen Rekursanträgen gegen den erstgerichtlichen Einantwortungsbeschluss.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Nachlasses nach dem inzwischen verstorbenen erblasserischen Cousin ist zulässig und berechtigt.
1. Nach ständiger Rechtsprechung zu § 9 iVm § 122 AußStrG aF waren Personen, die noch keine Erbserklärung abgegeben haben, grundsätzlich von jeder Einflussnahme auf den Gang des Verlassenschaftsverfahrens ausgeschlossen und hatten keine Rekurslegitimation (RIS-Justiz RS0006398, RS0106608, RS0007926). In besonders gelagerten Fällen wurde die Parteistellung und damit auch die Befugnis, im Nachlassverfahren ergangene Beschlüsse zu bekämpfen, trotz Fehlens einer Erbserklärung zuerkannt, wenn der Erbanwärter sein aktives Interesse am Erbantritt bereits bekundet hat, die Abgabe einer Erbserklärung jedoch aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen, wie etwa infolge eines Verfahrensfehlers, unterblieb (5 Ob 290/03p; 6 Ob 44/03v; 3 Ob 218/03k; 10 Ob 42/05g; RIS-Justiz RS0006398 [T8], RS0106608 [T13, T 14]). Ein Verfahrensfehler wurde insbesondere dann angenommen, wenn eine Belehrung durch den Gerichtskommissär über das Erfordernis der Abgabe einer Erbserklärung nicht erfolgte (6 Ob 44/03v) und der Erbansprecher deshalb - in Verletzung der Bestimmungen der §§ 116 und 120 AußStrG aF - zur Abgabe einer Erbserklärung unter Belehrung über die Rechtsfolgen deren Unterbleibens innerhalb der dafür bestimmten Frist auch nicht aufgefordert wurde (3 Ob 218/03k).
1.2. § 2 AußStrG idgF enthält nunmehr eine ausdrückliche Regelung über die Parteistellung im Außerstreitverfahren. Der formelle Parteibegriff des § 2 Abs 1 Z 1 und Z 2 AußStrG wird durch den in § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG verankerten materiellen Parteibegriff ergänzt (Fucik/Kloiber, AußStrG § 2 Rz 1 f). Auch Letzterer knüpft an das von der Lehre schon zum bisherigen Außerstreitrecht entwickelte Kriterium der „unmittelbaren Betroffenheit" an. Für die Zuerkennung der Parteistellung und damit der Rechtsmittellegitimation ist entscheidend, ob die Tätigkeit des Gerichts (etwa die angefochtene Entscheidung) die durch das Verfahren rechtlich geschützte Stellung des jeweiligen Rechtsmittelwerbers unmittelbar beeinflusst oder beeinflussen kann (2 Ob 131/06p; Fucik/Kloiber aaO § 2 Rz 2; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 2 Rz 9 f).
Die Grundsätze zum materiellen Parteibegriff im Sinn des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG entsprechen der bisherigen Rechtsprechung zu § 9 AußStrG aF. Sie sind somit auch im Geltungsbereich des neuen Außerstreitgesetzes fortzuschreiben (Bittner in Rechberger aaO Vor § 143 Rz 15; Fucik/Kloiber aaO § 2 Rz 2).
1.3. Wendet man diese Grundsätze hier an, so ist der erblasserische Cousin (und dementsprechend auch seine Verlassenschaft) ungeachtet seiner im Verlassenschaftsverfahren bisher unterbliebenen Erbantrittserklärung rechtsmittellegitimiert. Nach dem Inhalt des Verlassenschaftsakts war eine Bevollmächtigte des erblasserischen Cousins bei der Todesfallaufnahme bis zum Ende jenes Punktes 14. anwesend, in dem die als gesetzliche Erben in Frage kommenden Personen erfasst wurden. Aus welchen Gründen sie die Kanzlei des Gerichtskommissärs verließ, bevor das Testament vom in der Todesfallaufnahme erfasst wurde, und ob dies - wie der Rechtsmittelwerber behauptet - deshalb geschah, weil der Gerichtskommissär sie weggeschickt habe, ist dem Verlassenschaftsakt nicht zu entnehmen. Daraus ergibt sich jedoch eindeutig, dass der erblasserische Cousin der späteren Verlassenschaftsabhandlung nicht beigezogen wurde und diese nur mit der Testamentserbin stattfand. Der erblasserische Cousin als möglicher gesetzlicher Erbe wurde nach dem Akteninhalt weder zur Verlassenschaftsabhandlung geladen noch vom Gerichtskommissär im Sinn des § 157 AußStrG idgF belehrt, obwohl das Erscheinen seiner bevollmächtigten Vertreterin anlässlich der Todesfallaufnahme als Bekundung seines Interesses am Erbantritt als gesetzlicher Erbe zu werten ist. Eine Erbantrittserklärung des erblasserischen Cousins und Einwendungen gegen das der Abhandlung zugrundegelegte Testament unterblieben somit ganz offensichtlich deshalb, weil er weder zur Verlassenschaftsabhandlung geladen war noch vom Gerichtskommissär sonst entsprechend aufgeklärt wurde. Diese Gründe liegen aber nicht in der Sphäre des gesetzlichen Erben, sondern sind das Ergebnis eines wesentlichen Verfahrensfehlers. Eine Veranlassung für den Rechtsmittelwerber, die Erbantrittserklärung schon im Zuge der Todesfallaunahme abzugeben bzw durch seine Vertreterin abgeben zu lassen, bestand nicht, zumal die Todesfallaufnahme nur der Erhebung aller für die Verlassenschaftsabhandlung maßgebenden Umstände dient; die Erbantrittserklärung selbst muss erst nach einer Aufforderung unter Fristsetzung und Belehrung durch den Gerichtskommissär (§ 157 AußStrG) abgegeben werden.
2. Der Rechtsmittelwerber hat eine Mangelhaftigkeit des Abhandlungsverfahrens erster Instanz schon in seinem Rekurs gegen den erstinstanzlichen Einantwortungsbeschluss (noch) erkennbar gerügt und dessen Aufhebung - in eventu - die Zurückverweisung an das Gericht erster Instanz zur Verfahrensergänzung ebenso beantragt wie seine Einantwortung als Erbe. Seinem Rechtsmittel ist auch zu entnehmen, dass er - bei entsprechender Belehrung - den Erbantritt schon im Verlassenschaftsverfahren erster Instanz erklärt und die Ungültigkeit des fremdhändigen Testaments aus den im Rekurs angeführten Gründen geltend gemacht hätte. Mit dieser Verfahrensrüge setzte sich das Rekursgericht nicht auseinander und belastete damit sein eigenes Verfahren mit einem wesentlichen Mangel. Die im Revisionsrekurs erkennbar geltend gemachten Mangelhaftigkeiten des Abhandlungsverfahrens ziehen eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen und die Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht erster Instanz zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung nach sich.
3. Nach § 164 AußStrG setzt das in §§ 160 bis 163 AußStrG geregelte Verfahren über widersprechende Erbantrittserklärungen voraus, dass die Erbantrittserklärungen vor Erlassung des Einantwortungsbeschlusses, konkret vor dem Zeitpunkt abgegeben sein müssen, ab dem das Gericht an seinen Beschluss gebunden ist. Nach § 40 AußStrG ist dies der Zeitpunkt der Übergabe des Einantwortungsbeschlusses an die Geschäftsabteilung zur Ausfertigung (Wruhs in Rechberger aaO § 164 Rz 1, Rz 3; Fucik/Kloiber aaO § 164 Rz 3). Nach diesem Zeitpunkt kann der nach seinen Behauptungen übergangene Erbe noch die Erbschaftsklage erheben.
3.1. Dass der Rechtsmittelwerber seine Erbantrittserklärung bisher nicht abgegeben hat, wirkt sich hier indes nicht zu seinen Lasten aus, weil das Abhandlungsverfahren - wie zuvor erörtert - mit einer wesentlichen Mangelhaftigkeit belastet ist, die zur Aufhebung des Einantwortungsbeschlusses führen muss. Der Rechtsmittelwerber wird im fortzusetzenden Verfahren (vor Erlassung eines neuerlichen Einantwortungsbeschlusses) Gelegenheit zur Abgabe einer Erbantrittserklärung haben.
4. Im Rahmen der gebotenen Verfahrensergänzung wird das Erstgericht den Rechtsmittelwerber zur Abgabe einer Einantwortungserklärung im Sinn des § 157 AußStrG anzuleiten, die gegen die Gültigkeit des Testaments vom vorgebrachten Bedenken zu überprüfen und - allenfalls nach Durchführung des aufgrund widersprechender Erbantrittserklärungen vorgesehenen Verfahrens (§§ 160 bis 163 AußStrG) - neuerlich zu entscheiden haben.
5. Bereits jetzt sei jedoch darauf hingewiesen, dass das fremdhändige, von der Erblasserin eigenhändig unterfertigte Testament vom nicht die Form eines Notariatsakts aufweist. Es trägt nur die Stampiglie jenes Notars, durch den offenkundig die Aufnahme in das Testamentsregister erfolgte. Der Tatbestand des § 56 NotO, wonach bei Errichtung eines Testaments in Form eines Notariatsakts lediglich zwei Testamentszeugen erforderlich sind, ist somit nach dem bisherigen Akteninhalt nicht verwirklicht. Das Testament bedarf daher zu seiner Formgültigkeit der in § 579 ABGB beschriebenen Mitwirkung dreier fähiger Zeugen. Sollte die dritte Unterschrift tatsächlich von der Ersatzerbin und Tochter der Testamentserbin stammen, so wäre diese nach § 594 ABGB keine fähige Zeugin.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 AußStrG iVm § 52 Abs 1 ZPO.§ 185 AußStrG, wonach im Verlassenschaftsverfahren ein Ersatz der Vertretungskosten nicht stattfindet, ist hier nicht anzuwenden, weil das Rechtsmittelverfahren das Erbrecht betraf.