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OGH vom 22.11.2011, 4Ob43/11v

OGH vom 22.11.2011, 4Ob43/11v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** S*****, vertreten durch Dr. Peter Strele, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen die beklagte Partei T***** S*****, vertreten durch Dres. Manhart, Einsle Manhart, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen Beseitigung (Streitwert 3.000 EUR sA), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 360/10x 28, womit das Urteil des Bezirksgerichts Bregenz vom , GZ 4 C 1590/09x 21, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird mit der Maßgabe bestätigt, dass es in seinen Punkten 1. und 2. wie folgt zu lauten hat:

„1. Die beklagte Partei ist schuldig, binnen 14 Tagen den gefährlichen Zustand des Baumbestands auf ihren Grundstücken 1515 und 1518 in EZ ***** GB *****, nämlich den gefährlichen Überhang der Bäume Nr. 4, 5, 6, 7 und 8 laut Lageskizze des Sachverständigen Ing. Helmut F*****, AS 85, die diesem Urteil angeschlossen ist, im Grenzbereich der Liegenschaft EZ *****, GB *****, im Eigentum der Klägerin, zu beseitigen.

2. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, binnen 14 Tagen den gefährlichen Zustand des Baumbestands auf ihren Grundstücken 1514, 1515 und 1518 je GB *****, im Grenzbereich zur Liegenschaft EZ ***** GB ***** im Eigentum der Klägerin ganz generell sowie durch geeignete baumpflegerische Maßnahmen und/oder Entfernung einzelner Bäume zu beseitigen, wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Grundstücksnachbarn. Die Liegenschaft der Beklagten besteht aus drei Grundstücken und weist einen Baumbestand auf. Mehrere Laubbäume ragen mit ihrer Krone einige Meter auf das Grundstück der Klägerin. Im Juli 2009 brach von einer auf der Liegenschaft der Beklagten stehenden Stieleiche ein etwa 15 Meter langer Starkast ab und fiel auf das Grundstück der Klägerin. Dabei wurde unter anderem eine Holzbetonziegelmauer zerstört und es entstand weiterer Sachschaden. Ursache für den Astbruch war die Fäule des Baums. In den benachbarten Bäumen befinden sich zahlreiche gefährliche Totholzäste, die jederzeit ausbrechen können. Aus Sicherheitsgründen wären dringende baumpflegerische Maßnahmen zu setzen, da von einigen Bäumen erhebliche Gefahr für Sachschäden und auch für Leib und Leben ausgeht.

Die Klägerin begehrt, der Beklagten aufzutragen, durch geeignete baumpflegerische Maßnahmen und/oder Entfernung einzelner Bäume den gefährlichen Zustand des Baumbestands auf ihren Grundstücken im Grenzbereich zur Liegenschaft der Klägerin zu beseitigen. Der derzeitige Zustand des Baumbestands im Grenzbereich sei unzumutbar.

Die Beklagte wendete ein, ihr stehe nach §§ 353, 354 ABGB das volle Recht an den in ihrem Eigentum stehenden Liegenschaften zu. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB könne die Klage nur auf Unterlassung der Emissionen und nicht auf Erwirkung bestimmter Schutzmaßnahmen dagegen gerichtet werden. § 422 ABGB könne als Anspruchsgrundlage für die begehrte Beseitigung ebenso wenig herangezogen werden wie § 1319 ABGB, wonach nur eine Schadenersatzpflicht bestehe, wenn durch Einsturz oder Ablösen von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück angeführten Werks jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht werde. Im Übrigen sei (auch) das Grundstück der Klägerin Wald im Sinne des ForstG 1975. Der Abbruch eines Astes habe daher ausschließlich im Wald beidseits der gemeinsamen Grundgrenze stattgefunden. Nach den maßgeblichen Bestimmungen des ForstG, das als lex specialis den Vorschriften des ABGB vorgehe, treffe den Waldeigentümer keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten. Überdies habe die Klägerin die Möglichkeit, gemäß § 422 ABGB einen allfälligen gefährlichen Überhang zu beseitigen.

Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, die von den Bäumen auf ihrem Grundstück im Grenzbereich zur Liegenschaft der Klägerin ausgehenden Immissionen zu unterlassen. Es stellte noch fest, bei einer Reihe von Bäumen sei die Verkehrssicherheit nicht oder nur mehr bedingt gegeben. Die im Sachverständigengutachten näher bezeichneten Bäume 4, 5, 6, 7 und 8 seien völlig ungepflegt und enthielten sehr viel Totholz. Die Bäume 4, 5 und 6 zeigten einen besonders starken Überhang auf das Grundstück der Klägerin. Im Bereich der vom Sachverständigen näher bezeichneten Bäume bestehe die Gefahr von Kronenastabbrüchen, ein Risiko, das durch Nassschnee noch weiter erhöht werde. Damit sei die Gefahr für Sachschäden und für Leib und Leben verbunden. Aus diesem Grund werde die Südseite des klägerischen Grundstücks seit dem Astabbruch im Jahr 2009 nicht mehr benutzt. Aufgrund eines Bescheids der Bezirkshauptmannschaft handle es sich beim Grundstück der Klägerin nicht um Wald im Sinne des ForstG. In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, nach § 364 Abs 2 ABGB könnten unmittelbare Zuleitungen grundsätzlich unbeschränkt abgewehrt werden. Diesen direkten Immissionen sei das Eindringen grobkörperlicher Stoffe rechtlich gleichzustellen. Im vorliegenden Fall gehe die Gefahr des Umstürzens von Bäumen von den Grundstücken der Beklagten aus, die die Gefahr durch die mangelnde Pflege der Bäume herbeigeführt habe. Immissionsrechtliche Ansprüche bestünden grundsätzlich unabhängig von forstrechtlichen Bestimmungen. Das Haftungsprivileg des Waldeigentümers gemäß § 176 Abs 2 ForstG 1975 stehe der Annahme einer nachbarrechtlichen Gefährdungshaftung nicht entgegen. Aus den Bestimmungen der §§ 364 und 1319 ABGB ergebe sich eine Obsorgepflicht des Grundstückseigentümers für die durch einen umstürzenden Baum verursachten Schäden. § 364 ABGB gewähre dem beeinträchtigten Nachbarn in erster Linie ein Untersagungsrecht. Die Klage sei demnach auf Unterlassung der Emission und nicht auf Erwirkung bestimmter Schutzmaßnahmen dagegen zu richten. Dem Nachbarn müsse es überlassen bleiben, auf welche Art er die Emission verhindern wolle. Deshalb könne der Anspruch der Klägerin lediglich in einem Unterlassungsanspruch bestehen und nicht in einem auf Entfernung einzelner Bäume gerichteten Beseitigungsanspruch. Das Klagebegehren sei daher im Sinne des Zuspruchs eines „Minus“ in ein Unterlassungsbegehren umzudeuten.

Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile teilweise Folge. Es erkannte die Beklagte schuldig, den gefährlichen Zustand des Baumbestands auf ihren (konkret bezeichneten) drei Grundstücken, insbesondere den gefährlichen Überhang bestimmt bezeichneter Bäume im Grenzbereich zur Liegenschaft der Klägerin zu beseitigen. Das Mehrbegehren, die Beklagte sei schuldig, durch geeignete baumpflegerische Maßnahmen und/oder Entfernung einzelner Bäume den gefährlichen Zustand des Baumbestands auf einem (konkret bezeichneten) ihrer Grundstücke im Grenzbereich der Liegenschaft der Klägerin zu beseitigen, wies es ab. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht klar hervorgehe, ob dem beeinträchtigten Grundeigentümer im Fall eines seine Güter konkret gefährdenden und deshalb rechtswidrigen Überhangs (auch) ein Beseitigungsanspruch zustehe. Die Beklagte könne sich nicht auf § 176 Abs 2 ForstG 1975 stützen, weil der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft in Übereinstimmung mit den in der Natur anzutreffenden Verhältnissen festgestellt habe, dass der Überhang auf die Liegenschaft der Klägerin nicht dazu führe, dass dieses zu einem Waldgrundstück werde. Es seien die nachbarrechtlichen Regelungen des ABGB anzuwenden. In den erstinstanzlichen Feststellungen komme klar zum Ausdruck, dass vom Überhang bestimmter Bäume eine erhebliche Gefahr von Personen oder Sachschäden auf dem Grundstück der Klägerin ausgehe. Somit liege ein rechtswidriger Zustand iSv § 364 ABGB vor. Dies sei durch das Abbrechen eines Starkasts verdeutlicht worden. Der Klägerin sei daher als Reflex des Unterlassungsanspruchs - ein (verschuldensunabhängiger) Anspruch auf Beseitigung des gefährlichen Überhangs zuzubilligen. Der Judikatur zum Unterlassungsbegehren folgend sei es der Beklagten überlassen, durch welche Maßnahmen (Entfernung nur der Äste oder des ganzen Baums) sie den Überhang beseitige. Von den erstgerichtlichen Feststellungen ausgehend bestehe der rechtswidrige Zustand allerdings nur in Bezug auf bestimmte Bäume. Der Beseitigungsanspruch beschränke sich daher auf diese (im Spruch näher bezeichneten) Bäume. Hinsichtlich der übrigen Bäume sei die Klägerin auf ihr in § 422 ABGB verankertes Selbsthilferecht zu verweisen. Der Berufung der Beklagten sei daher teilweise Folge zu geben. Dasselbe gelte für die Berufung der Klägerin, zumal das Erstgericht der Klägerin abweichend von deren Urteilsbegehren einen Unterlassungsanspruch als ein aliud zuerkannt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, die Klage kostenpflichtig abzuweisen, in eventu die angefochtene Entscheidung aufzuheben.

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Beklagte macht geltend, nach bisheriger Rechtsprechung seien von Bäumen in Form des Überhangs ausgehende Gefahren ausschließlich nach § 422 ABGB zu beurteilen. Selbst die Entscheidung 4 Ob 196/07p gehe von Unterlassungs (nicht auch von Beseitigungs )ansprüchen aus. Die Klägerin habe seinerzeit ihr Grundstück an oder inmitten eines Waldgebietes erworben. Sie habe daher die vom benachbarten Wald ausgehenden Immissionen jedenfalls hinzunehmen. Mit Erwirkung des Bescheids der Bezirkshauptmannschaft, der die Teilwidmung ihres Grundstücks in Wald aufgehoben worden sei, habe sie den ursprünglichen Zustand zum Nachteil der Beklagten geändert. Das ForstG sei schon deshalb anzuwenden, weil die Grundstücke der Beklagten Wald seien. Sie sei daher gemäß § 176 Abs 2 ForstG nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch Gefahren abgewendet oder vermindert würden. Die natürliche Beschaffenheit des Grundstücks sei hinzunehmen. Sollte der Sachverhalt unter die Bestimmung des § 364 Abs 3 ABGB subsumiert werden, sei dem Berufungsgericht der Vorwurf zu machen, dass es eine Prüfung, ob die Klägerin eine außergerichtliche Streitbeilegung gemäß Art III ZivRÄG 2004 durchgeführt habe, unterlassen habe.

Die Klägerin hielt diesen Ausführungen in ihrer Revisionsbeantwortung entgegen, es stehe fest, dass sich das Rechtsschutzziel nur durch ein aktives Tun, nämlich durch Beseitigung des gefährlichen Zustands erreichen lasse. Dem Beeinträchtigten stehe als Reflex des Unterlassungsanspruchs auch ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Beseitigung der Störung zu. Die Beklagte lasse außer Acht, dass zum Zeitpunkt des Erwerbs der Liegenschaft durch die Klägerin vom benachbarten Wald noch keine Gefährdung ausgegangen sei. Das ForstG 1975 schließe eine Haftung aus anderen Rechtsgründen nicht aus. Die Beklagte habe sich ohne den Einwand der außergerichtlichen Streitbeilegung in den Streit eingelassen.

Rechtliche Beurteilung

Der Senat hat dazu erwogen:

1. Die Beklagte beruft sich auf § 176 ForstG. Danach trifft den Waldeigentümer vorbehaltlich des Abs 4 oder des Bestehens eines besonderen Rechtsgrundes keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Walds entstehen können. Er ist insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch Gefahren abgewendet oder verhindert werden.

Dem Einwand der Beklagten ist entgegenzuhalten, dass auch das Immissionsverbot des § 364 ABGB gegenüber Fremdgrundstücken als ein solcher besonderer Rechtsgrund anzusehen ist. Den Waldeigentümer treffen daher nachbarrechtliche Unterlassungspflichten (6 Ob 21/01h; 2 Ob 13/97v). Dass überhängende Äste als Immissionen iSd § 364 ABGB zu qualifizieren sind, hat der Oberste Gerichtshof zu 4 Ob 196/07p bereits klargestellt.

Auch im vorliegenden Fall kann sich die beklagte Waldeigentümerin daher nicht erfolgreich auf eine Haftungsbefreiung nach dem ForstG berufen.

2. Dass die Klägerin ein Grundstück am Wald erworben hatte, bedeutet nicht, dass sie Immissionen dulden müsste, die erst durch die mangelhafte Pflege des Baumbestands auf dem Nachbargrundstück über viele Jahre nach Erwerb ihrer Liegenschaft entstanden.

3. Zur Rechtslage vor dem ZivRÄG 2004 wurde judiziert, dass § 422 ABGB die Rechte des Nachbarn bezüglich des Überhangs abschließend regle. Über das in § 422 ABGB normierte Selbsthilferecht hinaus habe der Nachbar nicht die Möglichkeit, ein auf sein Eigentumsrecht gestütztes Begehren zur Beseitigung des Überhangs durch den Eigentümer des Baums oder Strauchs zu stellen (RIS Justiz RS0011093). Nach den Gesetzesmaterialien zum ZivRÄG 2004 (RV 173 BlgNR 22. GP 13) sollen aber die §§ 421 und 422 ABGB die Rechtsfragen rund um Bäume und Gewächse auf fremdem Grund nicht mehr ausschließlich und exklusiv regeln.

In seiner Entscheidung 4 Ob 196/07p hat der Senat ausgesprochen, dass jedenfalls dem durch Äste einer auf dem Nachbargrund stehenden Pflanze im Luftraum über seiner Liegenschaft gestörten Eigentümer Unterlassungsansprüche zur Behebung eines seine Güter konkret gefährdenden und deshalb rechtswidrigen Zustands nach § 364 ABGB unter Überwälzung der gesamten notwendigen Kosten zu gewähren ist. Die Möglichkeit zur Beseitigung eines Überhangs gemäß § 422 ABGB lässt den Anspruch auf Unterlassung unzulässiger negativer und positiver Immissionen durch Pflanzen auf dem Nachbargrund nach § 364 ABGB jedenfalls dann unberührt, wenn die Ausübung des Selbsthilferechts nicht leicht und einfach zu bewerkstelligen ist. Immissionsabwehransprüche gegen einen von Pflanzen auf der Nachbarliegenschaft ausgehenden „positiven“ Eigentumseingriff in Gestalt eines Überhangs sind jedenfalls dann zu bejahen, wenn die Immission die ortsübliche Benutzung des Grundeigentums unter Bedachtnahme auf das nachbarrechtliche Rücksichtnahmegebot wesentlich beeinträchtigt und einen unzumutbaren Zustand herbeiführt, der nicht durch eine leichte und einfache Ausübung des Selbsthilferechts beseitigt werden kann.

4. Gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB können unmittelbare Zuleitungen unter allen Umständen vom Nachbarn abgewehrt werden, wenn dafür kein besonderer Rechtstitel vorliegt.

Die unmittelbare Zuleitung ist als Gegensatz zum mittelbaren Eindringen von Immissionen zu verstehen: soweit der Eingriff unmittelbar wie zB das auf das Nachbargrundstück gerichtete Regenabflussrohr oder grobkörperlich ist, besteht keinerlei Duldungspflicht, weil dabei der Eigentümer das Nachbargrundstück quasi wie sein eigenes benutzt. Aus einem bloßen Naturwirken kann durch (bewusstes) Aufrechterhalten dieses Zustands eine unmittelbare Zuleitung werden ( Kerschner/Wagner in Klang 3 § 364 ABGB Rz 185).

In der Rechtsprechung wurde etwa der Bewuchs von Gebäudeteilen durch Kletterpflanzen als unmittelbare Zuleitung gesehen (7 Ob 613/91; 6 Ob 255/00v).

Wenn im vorliegenden Fall Äste (darunter auch Starkäste) von den auf den Grundstücken der Beklagten wachsenden Bäumen meterweit in das Grundstück der Klägerin hineinragen und dadurch eine Gefährdung für Personen und Sachen begründet wird, kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich dabei um unmittelbare Zuleitungen im Sinne der genannten Gesetzesstelle handelt, welche die Klägerin nicht zu dulden braucht.

5. Fraglich ist, ob aus § 364 Abs 2 ABGB über den Wortlaut hinaus neben dem Unterlassungsanspruch auch ein Anspruch auf Beseitigung abzuleiten ist.

Nach dem Inhalt des nachbarrechtlichen Untersagungsanspruchs hat der Verpflichtete dafür zu sorgen, dass sein Nachbar nicht durch Immissionen beeinträchtigt wird, wobei die Art, wie dies zu geschehen hat, dem Verpflichteten überlassen bleibt. Der Exekutionstitel richtet sich daher auf eine im materiellen Recht vorgezeichnete Verpflichtung auf dauerndes, künftiges, inhaltlich vom Verpflichteten zu bestimmendes Handeln (RIS Justiz RS0004649).

Das besondere im Eigentumsschutz und Besitzschutz übliche Unterlassungsbegehren ist kein Handlungsverbot, sondern ein „Erfolgsverbot“; bei Erfolgseintritt wird aus ihm nach § 355 EO vollstreckt, um den Verpflichteten zu einem der Art nach ihm zu überlassenden Handeln zu zwingen, das bewirken soll, dass er das verbotene Eindringen hindert (RIS Justiz RS0010566). Der Verpflichtete hat dafür zu sorgen, dass sein Nachbar nicht durch Immissionen beeinträchtigt wird; die Art, wie dies zu geschehen hat, bleibt dem Verpflichteten überlassen (RIS Justiz RS0010566 [T2]).

Wer durch einen Gesetzesverstoß einen Störungszustand geschaffen hat, stört weiter, solange dieser Zustand nicht beseitigt ist. Seine Pflicht zum Handeln folgt aus seinem vorangegangenen Verhalten (RIS Justiz RS0079560).

Wenn sich das widerrechtliche Verhalten des Störers nicht in einer vorübergehenden, abgeschlossenen Handlung erschöpft, sondern einen Dauerzustand herbeigeführt hat, umfasst somit der Anspruch auf Unterlassung auch das Recht, vom Verpflichteten die Beseitigung dieses gesetzwidrigen Zustands zu verlangen, soweit ihm die Verfügung hierüber zusteht (RIS Justiz RS0079560 [T1]).

Zu 4 Ob 229/08t hatte der Senat ein auf § 1 UWG gestütztes Begehren auf Unterlassung der Verletzung der Offenlegungspflicht nach UGB zu beurteilen. In der Entscheidung wird ausgeführt, die Beklagte solle durch die doppelte Negation in der Sache dazu verpflichtet werden, in Zukunft ein bestimmtes Verhalten zu setzen. Die Störung des Wettbewerbs durch ein rechtswidriges Untätigbleiben sei mit dem Eingriff in fremdes Eigentum durch Immissionen vergleichbar, die ohne aktives Zutun des Eigentümers von dessen Grundstück ausgehen. Auch hier könne dem Nachbarn nur vorgeworfen werden, den rechtswidrigen Erfolg nicht abgewendet zu haben. Daher sei in solchen Fällen ein Erfolgsverbot zu erlassen, das den Störer zu einem aktiven Tun zwinge. Es obliege zwar dem Störer, die zur Abwendung des Erfolgs geeignete Maßnahme auszuwählen. Sollte jedoch in einem bestimmten Fall der rechtswidrige Zustand schon der Natur der Sache nach nur auf eine einzige Art und Weise abgewendet werden können, so begründe das keinen tragfähigen Unterschied, der einen Unterlassungsanspruch ausschließen könnte.

Die Judikaturbeispiele zeigen, dass Unterlassungsansprüche häufig nur durch ein aktives Tun erfüllt werden können.

6. Oberhammer (in Schwimann , ABGB 3 [2005] § 364 Rz 26) vertritt die Ansicht, dass dem Beeinträchtigten als Reflex des Unterlassungsanspruchs auch ein verschuldensunabhängiger Anspruch auf Beseitigung der Störung zustehe; der die Rechtsposition des Gestörten beeinträchtigende Zustand sei zu beseitigen, die tatsächliche Inanspruchnahme des fremden Eigentums zu beenden; im Grund gehe es bei der Beseitigung um die Unterlassung einer fortdauernden Eigentumsbeeinträchtigung, zu deren Verwirklichung es aber eines positiven Tuns bedürfe.

Wagner (Gesetzliche Unterlassungsansprüche im Zivilrecht [2006] 235 ff) hat das Verhältnis des Beseitigungsanspruchs zum Unterlassungsanspruch ausführlich untersucht. Sie geht dabei der Frage nach, ob dem ABGB die „Trennungsthese“ zugrunde liege, wonach klar zwischen Unterlassungs und Beseitigungsanspruch zu unterscheiden sei, oder ob dem ABGB ein Verständnis zugrunde liege, wonach ein einheitlicher Unterlassungsanspruch existiert, der den Beseitigungsanspruch als Spezialfall mit umfasst („Einheitsthese“). Letztlich lehnt E. Wagner die Trennungsthese ab. Aus der qualitativen Dimension der Eigentumsbeeinträchtigung ergebe sich für Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch kein Unterschied: Inhalt sämtlicher Ansprüche sei die Wiederherstellung des dem Eigentumsinhalt entsprechenden Zustands für Zukunft. Der störungsfreie Zustand bestehe beim Unterlassungsanspruch im Wegfall der Gefährdung und beim Beseitigungsanspruch im Wegfall der Überlagerung durch eine fremde Sphäre. Auch das Rechtswidrigkeitsurteil sei beim Unterlassungs und Beseitigungsanspruch völlig gleichartig ( Wagner , aaO 276 f). Die Annahme einer einheitlichen Rechtsfigur verlange jedoch nicht, auf die sprachliche Trennung von Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch zu verzichten und von einem einheitlichen „Untersagungsanspruch“ zu sprechen. Es sei nämlich nicht zielführend, sprachlich alles in der als Erfolg geschuldeten Unterlassung aufgehen zu lassen, wenn die ebenfalls als Erfolg geschuldete Beseitigung zu bestimmten aktiven Handlungen verpflichte ( Wagner , aaO 465).

Auch Eccher (in KBB 3 § 364 ABGB Rz 14) bejaht einen verschuldensunabhängigen Beseitigungsanspruch. Gegenüber dem schadenersatzrechtlichen Naturalherstellungsanspruch (§ 1323 ABGB) könne mit dem Beseitigungsanspruch nur die Ausschaltung der Störungsquelle, nicht aber die vollständige Wiederherstellung des vorigen Zustands bzw der Ausgleich aller Nachteile in Geld verlangt werden.

Zuletzt sprechen sich Kerschner/Wagner (in Klang 3 § 364 ABGB Rz 64 f) dafür aus, dass § 364 Abs 2 ABGB Rechtsgrundlage (auch) für einen Beseitigungsanspruch sei. Dies ergebe sich schon aus teleologischen Gründen: Sei die Klage lex specialis zur Eigentumsklage, die der Rechtsverwirklichungsfunktion des dinglichen Rechts diene, so seien damit erst recht „fortwirkende Störungen“, die das Eigentum überlagern, verpönt. Wie beim Unterlassungsanspruch reiche alleine die Verwirklichung des Erfolgsunrechts aus.

Koziol (Grundfragen des Schadenersatzrechts [2010] Rz 2/15) vertritt, dass Beseitigungsansprüche zwar so wie die Unterlassungsansprüche zukunftsbezogen seien und wie diese primär der Prävention dienten; sie stünden aber erst dann zur Diskussion, wenn nicht mehr bloß eine Bedrohung vorliege, sondern bereits in eine fremde, geschützte Position eingegriffen werde, indem die Güter des Berechtigten unbefugt in Anspruch genommen würden. Da bei den Beseitigungsansprüchen das Begehren auf eine bestimmte Handlung, nämlich die Entfernung der Störungsquelle gerichtet sei, erscheine es gerechtfertigt, für diesen Anspruch strengere Voraussetzungen zu verlangen als für den Unterlassungsanspruch, der bloß auf die Untersagung eines bestimmten Verhaltens gerichtet sei, dem Anspruchsgegner jedoch alle sonstigen Verhaltensmöglichkeiten offen lasse (aaO, Rz 2/18).

7. Der Oberste Gerichtshof hat in den Fällen des Emporrankens einer Kletterpflanze an einer im Eigentum des Nachbarn stehenden Grenzmauer den Beseitigungsanspruch bejaht. Der Eigentümer der Mauer sei nicht nur befugt, den Störer von der Benutzung der Mauer auszuschließen und unberechtigte Eingriffe in dieses ihr Eigentumsrecht mit Klage nach § 523 ABGB geltend zu machen, sondern gemäß § 354 (§ 362) ABGB auch befugt, vom Störer die Entfernung der Pflanze, von der der Bewuchs ausgehe, zu verlangen. Die Benutzung der Mauer durch das Emporranken der Kletterpflanze sei als eine unmittelbare Zuleitung im Sinne des zweiten Satzes des § 364 Abs 2 ABGB zu beurteilen (7 Ob 613/91 = SZ 64/158; 6 Ob 255/00v; 6 Ob 85/10h).

8. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Beseitigungsanspruchs iSd §§ 354, 362 iVm § 364 Abs 2 ABGB sind auch im vorliegenden Fall gegeben. Nach den Verfahrensergebnissen birgt der Überhang erhebliche Gefahr für Sachschäden und für Leib und Leben. Der davon betroffene Grundstücksteil der Klägerin ist für die ortsübliche Benutzung (Aufenthalt im Garten) deshalb unbrauchbar und kann wie sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen unzweifelhaft ergibt von der Klägerin als Eigentümerin nicht genutzt werden. Die Beklagte hat durch Unterlassen (der Veranlassung) baumpflegerischer Maßnahmen nicht nur in die geschützte Rechtsposition der Klägerin als Eigentümerin der betroffenen Liegenschaft eingegriffen, sie hält diesen in das Nutzungsrecht des Eigentümers eingreifenden Zustand weiterhin aufrecht; ihr widerrechtliches Verhalten führt einen das Eigentumsrecht der Klägerin beeinträchtigenden Dauerzustand herbei, dessen Beseitigung die Klägerin verlangen kann (RIS Justiz RS0079560 [T1]).

§ 364 Abs 3 ABGB ist hier nicht anzuwenden, weshalb es keines außergerichtlichen Schlichtungsversuchs bedurfte.

Der Revision der Beklagten musste ein Erfolg versagt bleiben.

9. Die Klägerin fordert ganz allgemein die Beseitigung des gefährlichen Zustands durch geeignete baumpflegerische Maßnahmen und/oder Entfernung einzelner Bäume. Das Erstgericht hatte festgestellt, von welchen Bäumen derzeit eine konkrete Gefahr ausgeht. Das Berufungsgericht hat den Beseitigungsanspruch zutreffend nur in Bezug auf jene Bäume zuerkannt, von denen eine konkrete Gefahr ausgeht, und das Begehren gerichtet auf die Entfernung „einzelner“ Bäume und hinsichtlich der von der Klägerin angestrebten und formulierten Beseitigungsmaßnahmen abgewiesen. Da der in das Nutzungsrecht der Klägerin eingreifende gefährliche Zustand derzeit nur von den im Spruch angeführten Bäumen ausgeht, waren sprachliche Klarstellungen vorzunehmen. Der Spruch wird insofern modifiziert, als das Wort „insbesondere“ entfällt und das generelle Beseitigungsbegehren und die von der Klägerin konkret gewünschten Maßnahmen abgewiesen werden. Ferner war richtig zu stellen, dass die angeführten Bäume (nur) auf den Grundstücken 1515 und 1518 stehen. Die Klarstellungen finden in der Entscheidungsbegründung der zweiten Instanz Deckung.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 41 und 50 ZPO.