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OGH vom 18.04.2012, 3Ob237/11s

OGH vom 18.04.2012, 3Ob237/11s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.-Prof. Dr. Neumayr, die Hofrätin Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Mag. Friedrich Hohenauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei E*****, vertreten durch Dr. Thomas Kraft, Rechtsanwalt in Kufstein, wegen Einwendungen gegen den Anspruch (§ 35 EO), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 357/11w 13, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom , GZ 4 R 357/11w 18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Kufstein vom , GZ 2 C 128/11x 9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.724,88 EUR bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten 454,15 EUR an USt) und die mit 2.155,63 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 326,94 EUR an USt und 194 EUR an Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat laut Scheidungsvergleich vom für die Beklagte einen monatlichen Unterhalt von 3.000 EUR wertgesichert jeweils bis zum Zehnten eines jeden Monats im Vorhinein zu bezahlen.

Die Beklagte lernte im Juli 2010 einen Mann kennen. In weiterer Folge entwickelte sich ab November 2010 eine intime Beziehung zwischen den beiden. Sie sehen sich regelmäßig drei bis fünf Mal in der Woche. Auch an den übrigen, getrennt verbrachten Tagen stehen sie regelmäßig mittels Telefon und SMS in Kontakt. Der Mann ist seit März 2011 geschieden. Sie führen getrennte Haushalte, Haushaltsarbeiten im „klassischen Sinn“, wie beispielsweise putzen oder bügeln, übernimmt die Beklagte für ihn nicht. Ab und zu kommt es zu wechselseitigen Besorgungen, Kochen und Einkäufen. Der Mann arbeitet im Schichtbetrieb. Er besitzt keinen Schlüssel zum Wohnhaus der Beklagten, kann aber einen von der Beklagten aus ganz anderen Gründen aufgelegten Schlüssel verwenden. Die Beklagte übernachtet auch immer wieder in der Wohnung des Mannes und dieser in der Wohnung der Beklagten. Im Schnitt verbringen beide drei bis vier Mal pro Woche die Nächte zusammen. Dabei wird abwechselnd auch gekocht und beim jeweils Anderen mitgegessen. Für diese Aufenthalte in der Wohnung des jeweils Anderen werden Hygieneartikel und Unterwäsche mitgebracht. Die Beklagte besitzt keinen Schlüssel zum Haus des Mannes; sie kann das Haus nur betreten, wenn der Mann anwesend ist. Nur im Fall, dass er zur Frühschicht aus dem Haus muss, kann es vorkommen, dass die Beklagte nach ihm das Haus verlässt. Im Dezember 2010 verbrachte die Beklagte mit dem Mann gemeinsame Urlaubstage in Wien. Die Kosten dafür trugen sie zu gleichen Teilen. Anlässlich dieses Aufenthalts in Wien besuchten sie gemeinsam die Firmpatin der Beklagten; dabei stellte die Beklagte den Mann als „meinen Freund“ vor. Die beiden gestalten auch gemeinsame Freizeitaktivitäten, teils gemeinsam mit den Kindern der Beklagten. Im Dezember 2010 wurde gemeinsam (mit den Kindern der Beklagten) ein „Krampustreiben“ besucht; dabei traten die beiden gegenüber Dritten in der Öffentlichkeit erkennbar als Paar auf. Grundsätzlich besteht zwischen dem Mann und der Beklagten zumindest seit Dezember 2010 eine enge persönliche Beziehung. Trotz getrennter Haushalte nimmt jeder an den Freuden, Sorgen und Nöten des Anderen teil. Auch wird wechselseitig über Vorkommnisse gesprochen; sie fühlen sich einander auch für das Wohlergehen des jeweils anderen verantwortlich.

Mit Jänner 2011 stellte der Kläger die Unterhaltszahlungen ein. Über Antrag der Beklagten wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom zur AZ 6 E 1283/11k des Erstgerichts die Fahrnis- und Gehaltsexekution wider den nunmehrigen Kläger zur Hereinbringung des rückständigen sowie des laufenden Unterhalts bewilligt.

Am erhob der Verpflichtete mit Klage Einwendungen gegen diese Exekution im Wesentlichen mit der Behauptung, die Beklagte sei im Jahr 2010 eine Lebensgemeinschaft eingegangen, weshalb der Unterhaltsanspruch ruhe und daher keinerlei Grundlage für die gegenständliche Exekutionsführung bestehe. Er begehrte die Aufhebung der Exekutionsbewilligung.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klageabweisung und wandte ein, sie sei keine Lebensgemeinschaft eingegangen; sie pflege lediglich ein freundschaftliches Verhältnis zu einem Mann.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren auf Basis der eingangs wiedergegebenen Feststellungen ab. Im Hinblick auf das Aufrechterhalten getrennter Wohnsitze, von Unabhängigkeit und jeweils eines „eigenen Reichs“ sowie das Fehlen des Elements der Wirtschaftsgemeinschaft könne trotz der seelischen Gemeinschaftsgefühle und der intimen Beziehung von einer Lebensgemeinschaft derzeit nicht gesprochen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil in eine Stattgebung der Klage (Hemmung des Unterhaltsanspruchs) ab. Die Revision erklärte es für nicht zulässig.

Die Rechtsfrage, ob eine Lebensgemeinschaft der Beklagten mit dem Mann vorliege, wurde bejaht. Es sei zwar nicht feststellbar gewesen, dass im konkreten Fall eine Wirtschaftsgemeinschaft in einem rein materiellen Sinne dahin vorläge, dass die Partner ihre beiderseitigen Einkünfte in eine gemeinsame Kasse legen und daraus alle Aufwendungen bestreiten; doch schade dies nicht, weil auch in einer Ehe dies nicht immer so gehandhabt werde. Bei gesamthafter Betrachtung der Feststellungen zum gemeinsamen Leben und Auftritt nach außen erachte das Berufungsgericht die emotionale und persönliche Bindung der Beklagten mit dem Mann als derart weitreichend, dass bereits von einer Wirtschaftsgemeinschaft im Sinn der Judikatur gesprochen werden könne. Dabei falle nicht ins Gewicht, ob sich der Mann finanziell an den Kosten der Haushaltsführung der Beklagten bislang beteiligt habe. Daher sei von einer Beziehung in eheähnlicher Form einer Lebensgemeinschaft auszugehen.

Das Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage sei wegen der Maßgeblichkeit der Umstände des Einzelfalls zu verneinen.

Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Primärantrag, das Ersturteil wieder herzustellen. Der Vorwurf an das Berufungsgericht geht im Wesentlichen dahin, es habe dem Nichtvorliegen einer Wirtschaftsgemeinschaft, wie sie von der Judikatur definiert werde, zu wenig Bedeutung beigemessen.

Der Kläger tritt dem in seiner freigestellten Revisionsbeantwortung entgegen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt , weil die Gewichtung der Elemente einer Lebensgemeinschaft durch das Berufungsgericht aus Gründen der Rechtssicherheit zu korrigieren ist.

1. Eine allgemein gültige gesetzliche Definition der Lebensgemeinschaft fehlt. Nach den vom Obersten Gerichtshof entwickelten Kriterien wird unter einer Lebensgemeinschaft ein jederzeit lösbares familienrechtsähnliches Verhältnis verstanden, das der Ehe nachgebildet, aber von geringerer Festigkeit ist (RIS-Justiz RS0021733 [T5]), und ein eheähnlicher Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht (3 Ob 204/99t mwN; 3 Ob 186/09p = EF-Z 2010/78 [ Gitschthaler ]; RIS-Justiz RS0047043 [T1]). Allgemein ist eine Lebensgemeinschaft durch das aus einer seelischen Gemeinschaft resultierende Zusammengehörigkeitsgefühl qualifiziert (RIS-Justiz RS0047064). Für das Vorliegen einer Lebensgemeinschaft spielt neben der Eheähnlichkeit aber auch eine gewisse Dauer, auf die sie eingerichtet ist (RIS Justiz RS0047000 [T8]) und das Zusammenspiel der Elemente Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft eine Rolle, wobei anerkannt ist, dass im Sinn eines beweglichen Systems nicht stets alle drei Merkmale vorhanden sein müssen (RIS-Justiz RS0047000, zuletzt 3 Ob 186/09p), sondern der Wegfall eines Kriteriums durch das Vorliegen der anderen oder die Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt sein kann (RIS-Justiz RS0047000 [T1, T 7]; Linder in Gitschthaler/Höllwerth EuPR LebG-Allgem Rz 13).

2. Eine Wohngemeinschaft liegt grundsätzlich vor, wenn die Lebensgefährten tatsächlich in einer Wohnung leben, die ihr dauernder gemeinsamer Lebensmittelpunkt sein soll; sie muss über die bloßen „Nebenerscheinungen“ der Geschlechtsgemeinschaft hinausgehen (vgl Linder Rz 13; Zankl/Mondel in Schwimann/Kodek 4 § 66 EheG Rz 61). Durch fallweises gemeinsames Übernachten in unregelmäßigen Abständen wird sie daher nicht begründet; allerdings indiziert die fehlende Wohngemeinschaft allein noch nicht zwingend, dass keine Lebensgemeinschaft vorliegt, weil auch in einer Ehe, bei der die Ehegatten nach § 91 ABGB ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich gestalten sollen, einvernehmlich getrenntes Wohnen als zulässig betrachtet wird. Gerade einer Lebensgemeinschaft als einer rechtlich nicht gesicherten Beziehung entspricht es, dass sich ein Partner nicht leicht entschließen wird, eine ihm zur Verfügung stehende Wohngelegenheit aufzugeben (3 Ob 186/09p mwN).

3. Der Begriff der Wirtschaftsgemeinschaft beschränkt sich nicht auf die rein materielle Seite; darunter wird verstanden, dass die beiden Partner Freud und Leid miteinander teilen, einander Beistand und Dienste leisten und einander an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und der Erholung dienenden gemeinsamen Güter teilnehmen lassen, dass also sich die Parteien im Kampf gegen alle Nöte des Lebens beistehen und daher auch gemeinsam an den zur Bestreitung des Unterhalts verfügbaren Gütern teilhaben (RIS-Justiz RS0047035; RS0021733; 3 Ob 186/09p). Sie ist daher sowohl von einer zwischenmenschlichen als auch einer wirtschaftlichen Komponente geprägt. Auch die Wirtschaftsgemeinschaft ist kein unbedingt notwendiges Kriterium für die Annahme einer Lebensgemeinschaft, genügt andererseits aber allein auch noch nicht (RIS-Justiz RS0021733; RS0047130; Linder Rz 15; Zankl/Mondel Rz 62). Wenn ein Abstellen allein auf materiellen Aspekte unter Ausblendung der seelischen Gemeinschaft unzulässig ist, dürfen die materiellen Aspekte dennoch nicht völlig vernachlässigt werden, weil sonst ein Zustand, wie er für das Zusammenleben von Ehegatten typisch ist, nicht mehr angenommen werden darf und die wirtschaftliche Bedeutung der Ehe für die Gatten nicht mehr ausreichend bedacht würde; ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Gemeinschaft ist daher unverzichtbar (so auch Gitschthaler in seiner Glosse zu EF-Z 2010/78 [115], der meint, fehle es an einer solchen komplett, führten also die „Lebensgefährten“ weiterhin getrennte Kassen und ließen sie einander auch nicht an den zur Bestreitung des Unterhalts, der Zerstreuung und der Erholung dienenden gemeinsamen Güter teilnehmen, könne auch eine Wohn- und Geschlechtsgemeinschaft die Lebensgemeinschaft nicht begründen).

4. Die notwendige Gesamtschau über alle bedeutsamen Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls ergibt folgendes Bild:

Das Eingehen einer intimen Beziehung zu einem anderen Mann hat die Beklagte zugestanden. Zwischen den beiden besteht auch eine enge persönliche Beziehung, sie nehmen an den Freuden, Sorgen und Nöten des anderen wechselseitig teil und fühlen sich füreinander verantwortlich, sodass auch eine seelische Gemeinschaft zu bejahen ist, die auch darüber hinaus (zB durch gemeinsame Freizeitaktivitäten) gelebt und auch nach außen gezeigt wurde.

Das Vorliegen einer Wohngemeinschaft ist aber zu verneinen. Auch drei bis vier gemeinsame Übernachtungen pro Woche der beiden Befreundeten rechtfertigen eine gegenteilige Beurteilung nicht, weil weder ihre Wohngelegenheiten aufgegeben noch zB durch wechselseitige Einbringung von persönlichen Dingen, Kleidung, Möbel etc zwei gemeinsame Wohnsitze geschaffen, sondern die selbständigen Wohnsitze beibehalten wurden und im Wesentlichen nur gegenseitige Besuche stattfinden; diese stehen aber bei realistischer Betrachtung in engem Zusammenhang mit ihrer Intimbeziehung. Dieser wegen der rechtlichen Unverbindlichkeit einer solchen Beziehung nachvollziehbare Umstand spricht nicht nur wie das Erstgericht schon zutreffend hervorhob für die Aufrechterhaltung einer gewissen Unabhängigkeit beider Seiten (und damit gegen das Eingehen einer bedingungslosen Bindung), sondern auch gegen die Einrichtung einer von vornherein auf Dauer angelegten Beziehung, weil sie faktisch jederzeit einen Rückzug ermöglicht. Dem Umstand, dass dem Mann ein versteckter Schlüssel zum Öffnen des Hauses der Beklagten zur Verfügung steht, kommt in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu; dieser Schlüssel wurde ja nicht zum Zweck deponiert, ihm jederzeit Zutritt zu verschaffen, sondern schon früher aus ganz anderen Gründen.

Was nun die Wirtschaftsgemeinschaft betrifft, so kann eine solche ebenso wenig uneingeschränkt bejaht werden. Mag auch die geforderte zwischenmenschliche Komponente durchaus gegeben sein, so fehlt dennoch jede relevante wirtschaftliche Verflechtung zwischen den beiden Befreundeten sowie die Erbringung wechselseitiger Dienste (zB im Haushalt).

5. Insgesamt ist somit ein eheähnlicher Zustand, der dem typischen Erscheinungsbild des ehelichen Zusammenlebens entspricht (zum Unterschied von anderen wenn auch gelebten, aber keineswegs weit verbreiteten rechtlich zulässigen Ehemodellen), bei Berücksichtigung aller bedeutsamen Umstände zu verneinen; anders würde eine Lebensgemeinschaft im Wesentlichen auf das Bestehen nicht nur kurzfristiger sexueller Beziehungen samt damit wohl in der Vielzahl der Fälle verbundener emotionaler Verbundenheit reduziert und jede wirtschaftliche Betrachtung (zu der letztlich auch die Frage der Wohnversorgung zu zählen ist) vernachlässigt werden. Eine solche eingeschränkte Sichtweise, die das Berufungsgericht vorgenommen hat, entspricht aber nicht den Vorgaben der Judikatur zum Ruhen des Unterhaltsanspruchs der Ehegatten wegen Aufnahme einer Lebensgemeinschaft, weshalb das Ersturteil wieder herzustellen war.

6. Die Kostenentscheidung zu den Rechtsmittelverfahren beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Bemessungsgrundlage für das anwaltliche Honorar im Oppositionsprozess, der einen Unterhaltsanspruch wie hier als Ganzes betrifft, bildet ausschließlich nach § 9 Abs 3 RATG der Jahreswert ( Obermaier , Kostenhandbuch² Rz 481 mwN) hier: 3.094,50 EUR x 12 = 37.134 EUR. Für die Berufungsbeantwortung beträgt der Ansatz nach TP 3B RATG daher nur 908,29 EUR; der Einheitssatz macht nach § 23 Abs 9 RATG nur 150 % aus. Nach TP 3C RATG lautet der Ansatz für die Revision 1.089,79 EUR. Die Kostenverzeichnisse der Beklagten waren daher entsprechend zu korrigieren.