OGH vom 29.06.2000, 2Ob162/00p

OGH vom 29.06.2000, 2Ob162/00p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Dr. Heinrich Oppitz Rechtsanwalt KEG in Wels, gegen die beklagte Partei Manfred St*****, vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 235.386,22 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 26/00i-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom , GZ 4 Cg 196/99g-46, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die klagende Partei wurde am von der Firma U***** in Ternitz mit dem Transport von Druckgussteilen von Ternitz nach M***** (beide Orte in Österreich) beauftragt und gab diesen Transport an die beklagte Partei als Subfrächter weiter. Während des Transportes kam es zu einem vom Lenker des Fahrzeuges der beklagten Partei verschuldeten Unfall, wodurch die Ladung teilweise auf die Fahrbahn geschleudert wurde.

Der von der Haftpflichtversicherung der beklagten Partei beauftragte Sachverständige Leopold D***** erstattete nach Besichtigung der Ladung ein Gutachten, in welchem er den Schaden (am Transportgut) mit S 453.673,80 bezifferte. Nach Rücksprache mit der Versicherung erteilte er die Freigabe der Ladung zur Verschrottung, wovon weder der Genannte noch die Versicherung die beklagte Partei verständigten.

Die klagende Partei hat hierauf der Firma U***** den Schaden laut Gutachten durch Verrechnung ersetzt. S 218.287,58 hievon hat die Klägerin von Rechnungen des Beklagten einbehalten; den Rest von S 235.386,22 (samt - eingeschränkt - 8,25 % Zinsen seit ) begehrt sie mit der vorliegenden Klage.

Die beklagte Partei bestritt das Klagebegehren dem Grunde und der Höhe nach.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf - über den eingangs bereits zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt hinaus - noch folgende weitere Feststellungen:

"Wieviele Gitterboxen bzw Einzelteile tatsächlich beschädigt wurden, kann nicht festgestellt werden. Auszugehen ist davon, dass die auf dem Motorwagen verstauten 98 Boxen unbeschädigt blieben. Es ist auch davon auszugehen, dass in einer unbeschädigten Box ordnungsgemäß geschlichtete Teile durch den Unfall keinen Schaden davontragen konnten. Derartige Teile könnten ohne einen Prüfungsaufwand der weiteren Produktion zugeführt werden. Das reine Verrutschen von Teilen kann zu keiner Schädigung führen. Derartige Teile können zumindest ein Dutzend mal aus einer Höhe von etwa 1 m auf verschiedene Bodenunterlagen wie Granit, Stein, Beton oder sonstige Steinböden fallen gelassen werden, ohne dass der geringste Schaden aufttritt. Allenfalls könnte eine Oberflächenbeschädigung auftreten, keinesfalls aber ein Verziehen des Teiles. Die sofortige Vernichtung eines auch nur einmal zu Boden gefallenen Teiles ist daher gegenüber einer oberflächlichen Sichtkontrolle und der Möglichkeit, allfällige Transportschäden bei der weiteren Verarbeitung ohnehin sofort zu bemerken, völlig unwirtschaftlich. Die Beschädigung einer Gitterbox bedeutet auch nicht zwangsläufig, dass sämtliche Teile, die in der Box gelagert waren, ebenfalls beschädigt wären. Auch nach dem Unfall wahllos in eine Gitterbox gefüllte Teile müssen nicht zwangsläufig beschädigt sein. Selbst nach den Berechnungen und Stundensätzen der Firma U***** hätte eine Überprüfung sämtlicher Teile letztlich nur S 113.172,40, also weniger als ein Viertel des von der Firma U***** geschätzten Schadens, ergeben....... Teile, die in ungeschädigten Boxen ordnungsgemäß gelagert waren, bräuchten nicht einmal einer Vorsondierung unterzogen werden....."

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, dass zwar das Verschulden des LKW-Lenkers der beklagten Partei am Zustandekommen des Unfalles außer Streit stehe, doch keine konkreten Feststellungen zur Schadenshöhe hätten getroffen werden können. Die Schadensausmittlung habe daher gemäß § 273 ZPO zu erfolgen. Aufgrund der Beweislastregeln komme zur Ermittlung des Schadens der klagenden Partei nur eine der vom gerichtlichen Sachverständigen durchgerechneten Minimalvarianten in Betracht. Dabei ergebe sich nur ein Schadensbetrag von rund S 200.000. Da sich die klagende Partei aus erbrachten Leistungen der beklagten Partei allerdings bereits einen Betrag von S 218.287,58 einbehalten habe, sei das Klagebegehren abzuweisen. Das Verhalten der Versicherung der beklagten Partei sowie des Sachverständigen der Versicherung, welches zur Verschrottung von 23 Boxen geführt habe, könne der beklagten Partei nicht zugerechnet werden.

Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht gab deren Berufung Folge und änderte das bekämpfte Urteil im Sinne einer Klagestattgebung ab. Es sprach weiters aus, dass die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig sei. Das Berufungsgericht führte zunächst aus, dass auf die klägerische Beweisrüge nicht eingegangen werden müsste, weil es auf die tatsächliche Höhe des Schadens der Firma U***** nicht ankomme. Für den Bereich des Versicherungsrechtes habe der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass einem Versicherungsnehmer, dessen Haftung gegenüber dem Dritten dem Grunde nach feststehe, im Regressprozess zwar eine Bestreitung der Höhe des vom Versicherer ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers mit dem Dritten verglichenen Betrages zwar nicht grundsätzlich verwehrt sei, dass aber nun geprüft werden müsse, ob der Vergleichsabschluss nach den zum damaligen Zeitpunkt gegebenen Umständen vertretbar gewesen sei oder nicht. Diese Rechtsprechung könne angesichts der gleichartigen Sach- und Interessenlage auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Die klagende Partei habe nämlich, als sie der Firma U***** Schadenersatz geleistet habe, keinen Grund gehabt, an der Richtigkeit des vom Haftpflichtversicherer des Beklagten in Auftrag gegebenen Gutachtens des bestellten Sachverständigen zu zweifeln. Aus damaliger Sicht wäre es daher vertretbar gewesen, dass die klagende Partei an die Firma U***** Schadenersatz in der begehrten, durch deren Sachverständigengutachten belegten Höhe geleistet habe. Daraus folge, dass die beklagte Partei der Klägerin die gesamte von dieser an die Firma U***** geleistete Schadenersatzzahlung zu ersetzen habe.

Die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO für die Zulässigkeit der ordentlichen Revision wurden bejaht, weil zur Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob die zum Versicherungsrecht ergangene Rechtsprechung verallgemeinert werden könne, eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag,die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird auch ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in welcher primär die Zurückweisung der gegnerischen Revision mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen, in eventu beantragt wird, der Revision der beklagten Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Die österreichische Rechtsordnung sieht Regressrechte in unterschiedlichen Fallgestaltungen vor, so - neben weiteren, hier von vornherein nicht in Betracht kommenden Bestimmungen (zB §§ 1358, 1422, 1042 ABGB,§ 67 Abs 1 VersVG) - ua nach §§ 896, 1313 ABGB zwischen Solidarschuldnern allgemein (ausführlich jüngst 2 Ob 332/99h), nach § 24 Abs 4 KHVG 1994 iVm § 158 f VersVG zwischen dem Versicherer bei der Versicherung für fremde Rechnung und dem Versicherten (SZ 52/195; 7 Ob 311/98f) sowie schließlich auch im Frachtrecht einerseits nach Art 37 CMR (iVm § 439a HGB bei - wie hier - vertraglichem Ort der Übernahme und der Ablieferung des Gutes jeweils im Inland) zwischen mehreren an der Beförderung beteiligten Frachtführern bei durchgehendem Frachtvertrag im Sinne des Art 34 CMR, aber auch zwischen Hauptfrachtführer und einem (sonstigen, als Erfüllungsgehilfe fungierenden) Unterfrachtführer (jüngst ausführlich 2 Ob 108/00x). Eine derartige Konstellation ist auch hier gegeben, wobei zwar die Schadenszufügung durch einen Fahrer der beklagten Partei während deren Transportleistung feststeht, nicht jedoch, ob und wenn ja, wieviele Gitterboxen bzw Einzelteile beschädigt wurden. Dies ergibt sich aus der vom Erstgericht getroffenen, in der Berufung der klagenden Partei bekämpften, jedoch vom Berufungsgericht (aus rechtlichen Erwägungen) ungeprüft gebliebenen Negativfeststellung in Seite 6 oben (AS 268) seiner Entscheidung. Demgemäß schwanken ja auch die Extremstandpunkte der Parteien im vorliegenden Prozess zwischen einer Leistung in Höhe der Schadensfeststellung laut dem vom Haftpflichtversicherer der beklagten Partei eingeholten Sachverständigengutachten (so der Standpunkt der Klägerin und des Berufungsgerichtes) einerseits und einer - abgesehen von dem von der Klägerin bereits in Anrechnung auf den Rückgriffsanspruch einbehaltenen Teilbetrag von S 218.287,58 - gänzlichen Haftungsablehnung mit Klageabweisung (so der Standpunkt der Revisionswerberin und des Erstgerichtes) andererseits.

In den vom Berufungsgericht für maßgeblich erachteten Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof wohl den Rechtssatz geprägt, dass dann, wenn im Regressprozess die Haftung eines Versicherungsnehmers gegenüber einem Dritten dem Grunde nach feststeht, dem beklagten Versicherungsnehmer eine Bestreitung der Höhe des vom Versicherer ohne Zustimmung des Versicherungsnehmers mit dem Dritten verglichenen Betrages zwar nicht grundsätzlich verwehrt sei, doch müsse nun (im Regressprozess) geprüft werden, ob der Vergleichsabschluss nach den zum damaligen Zeitpunkt gegebenen Umständen vertretbar gewesen sei oder nicht; der Versicherer dürfe also grundsätzlich eine außergerichtliche Regelung von Ansprüchen vornehmen. Er dürfe nur nicht nach Willkür und ohne Bedachtnahme auf die Interessen des Versicherungsnehmers vorgehen. Spätere Entwicklungen, die bei Vergleichsabschluss nicht absehbar gewesen seien, seien bei der Prüfung der Berechtigung der Regressforderung im Regressprozess nicht zu berücksichtigen; habe der Versicherer im Regressprozess jene Umstände dargetan, die eine Beurteilung der Vertretbarkeit des von ihm abgeschlossenen Vergleiches zuließen, so sei es Sache des im Regressprozess Beklagten zu beweisen, dass der Vergleich ganz oder in dieser Form unvertretbar sei (7 Ob 34/90 = VR 1991, 258/245 = RdW 1991, 234; 7 Ob 311/98f; RIS-Justiz RS0080713).

Diesen Entscheidungen lagen jedoch anders gelagerte Sachverhalte - und damit auch andere rechtliche Konstellationen - zugrunde, die entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes auf den vorliegenden Rechtsfall nicht ohne weiteres erweiter- und übertragbar sind: Im Versicherungsrecht ging (und geht) es nämlich immer um Fälle, in denen sich der Versicherer, der einem geschädigten Dritten direkt haftet und sich mit diesem vergleicht, gegen seinen eigenen Versicherungsnehmer zufolge des "kranken" Versicherungsverhältnisses, bei dem er also im Innenverhältnis leistungsfrei ist, regressiert; in diesen Fällen sollte - nach den referierten Judikaten - daher (nur mehr) geprüft werden, ob ein solcher Vergleich nach den damaligen Umständen vertretbar oder unvertretbar war. Im vorliegenden Fall hat jedoch ein Transportversicherer eines Unterfrachtführers im Auftrag dieses Unterfrachtführers ein Gutachten über die Höhe eines Transportschadens erstattet, mangels direkter Haftung dem Geschädigten gegenüber mit diesem jedoch weder einen Vergleich geschlossen noch überhaupt eine Schadensliquidierung vorgenommen. Der Schaden wurde vielmehr dem Geschädigten vom Frachtführer, wenngleich in der im Gutachten angeführten Höhe, ersetzt und nimmt nun dieser in der geleisteten Höhe von seinem Unterfrachtführer Regress. Diese Fallgestaltung ist daher mit den einleitend wiedergegebenen versicherungsrechtlichen Entscheidungen nicht vergleichbar. Eine - Grund und Höhe des Anspruches umfassende - Bindung an dieses Gutachten kann daher hieraus - mangels einer eine solche unmittelbar anordnenden Gesetzesstelle einerseits, aber auch der vom Obersten Gerichtshof entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes zu verneinenden Analogiefähigkeit der von diesem für maßgeblich erachteten Versicherungsjudikatur andererseits - nicht abgeleitet werden. Es bedarf daher der Prüfung, ob und wenn ja in welcher Höhe tatsächlich ein Transportschaden eingetreten ist, welcher von der klagenden Partei ihrem Vertragspartner nicht nur ersetzt wurde, sondern auch zu ersetzen war, weil nur in diesem Umfang auch eine Regresspflicht der beklagten Partei gegenüber der vorleistenden Klägerin möglich und zulässig ist.

Unter diesem rechtlichen Gesichtspunkt ist die Sache daher noch nicht entscheidungsreif, weil ein solcher Regress tatsächlich davon abhängig gemacht werden muss, ob überhaupt ein ersatzfähiger (und damit in die Ersatzpflicht der klagenden Partei fallender) Schaden am Frachtgut eingetreten war. Die diesbezügliche Negativfeststellung des Erstgerichtes wurde in der Berufung der klagenden Partei ausdrücklich bekämpft, diese Beweisrüge vom Berufungsgericht jedoch mit der Begründung, dass es nach seiner Ansicht auf die tatsächliche Höhe des Schadens nicht ankomme, unbehandelt gelassen. Dies kann jedoch nach dem Vorgesagten nur dann zutreffen, wenn überhaupt eine Haftung der beklagten Partei dem Grunde nach gegeben ist; wären aber - aufgrund der technischen Besonderheiten des Liefergutes (laut den ebenfalls wiedergegebenen Feststellungen des Erstgerichtes) - weder durch Verrutschung desselben noch durch Zu-Boden-Fallen im Zuge des unterlaufenen Verkehrsunfallgeschehens überhaupt Beschädigungen an den Gitterboxen bzw ihren Einzelteilen gegeben, dann muss der beklagten Partei auch der Einwand der Bestreitung der Höhe nach offenstehen. Verließ sich also - wie das Erstgericht ebenfalls feststellte - bloß der als Sachverständige der Haftpflichtversicherung namhaft gemachte Zeuge D***** auf die nicht näher verifizierten Angaben von Mitarbeitern der Auftraggeber-Firma U***** über die behaupteten Schadensmengen sowie darauf, dass eine Einzelprüfung wirtschaftlich unrentabel wäre (vgl S 8 des Ersturteils = AS 270), und sollte das Berufungsgericht - hievon ausgehend - die Negativfeststellung des Erstgerichtes über Beschädigungen überhaupt bestätigen, so wäre das Klagebegehren abzuweisen, weil der Klägerin dann bereits der anspruchsbegründende Schadensbeweis misslungen wäre. Die vom Berufungsgericht gleich zu Beginn seiner Entscheidungsgründe (zweiter Satz) vorangestellte Ausführung, dass bei dem vom Lenker des Kraftwagenzuges des Beklagten verschuldeten Unfall "die Ladung beschädigt wurde", steht insoweit mit den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, wonach durch den Auffahrunfall samt umgestürztem Anhänger bloß die Ladung teilweise auf die Fahrbahn geschleudert wurde (S 2 des Ersturteils = AS 264), ebenfalls in Widerspruch und hätte bloß durch eine diesbezügliche Beweisergänzung oder - wiederholung umgestoßen werden können.

Da es somit - entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung - sehr wohl einer inhaltlichen Behandlung der Beweisrüge in der Berufung der klagenden Partei bedarf, um die Sache auch rechtlich abschließend beurteilen zu können, war die Entscheidung des Berufungsgerichtes aufzuheben und diesem eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 Abs 1, 50 ZPO.