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OGH vom 26.06.1984, 2Ob579/84

OGH vom 26.06.1984, 2Ob579/84

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Piegler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Huber und Dr. Egermann als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Barbara E*****, vertreten durch Dr. Herwig Grosch, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wider die beklagte Partei Martin E*****, vertreten durch Dr. Jörg Hobmaier, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert 300.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 6 R 2/84-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom , GZ 15 Cg 637/81-18, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat dem Beklagten die mit 9.825,45 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 960 S Barauslagen und 805,95 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Ehe der Streitteile wurde mit Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom gemäß § 55a EheG geschieden. Die Streitteile schlossen an diesem Tag vor Gericht eine Vereinbarung iSd § 55a Abs 2 EheG, nach welcher die elterlichen Rechte und Pflichten hinsichtlich der drei minderjährigen ehelichen Kinder der Klägerin zustehen, der Beklagte sich zu Unterhaltsleistungen für die Kinder verpflichtete und die Streitteile gegenseitig auf Unterhalt verzichteten. Weiters übergab die Klägerin dem Beklagte ihren Anteil an dem den Streitteilen gemeinsam gehörenden Haus, erteilte ihre Einwilligung, dass das Eigentumsrecht für den Beklagten eingetragen werde und verpflichtete sich, die Liegenschaft zu übergeben. Zur Abgeltung des Unterhaltsanspruchs und der Übertragung des Hälfteanteils der Liegenschaft verpflichtete sich der Beklagte zur Bezahlung eines Betrags von 300.000 S. Das übrige eheliche Gebrauchsvermögen und die ehelichen Ersparnisse wurden zwischen den Streitteilen aufgeteilt.

Die Klägerin begehrte mit ihrer Klage die Feststellung, dass ihr aus dieser Vereinbarung keine Verbindlichkeit entstanden sei. Hilfsweise stellte die Klägerin das Begehren, die Vereinbarung sei - abgesehen von dem die Kinder betreffenden Teil - aufgehoben, der Beklagte sei schuldig, der Klägerin den Hälfteanteil an der Liegenschaft zu übereignen und zu übergeben. Zur Begründung ihres Begehrens brachte die Klägerin vor, sie sei bei Vertragsabschluss überrumpelt worden und sei sich weder der Tatsache und Bedeutung der vor dem Bezirksgericht Kitzbühel zustandegekommenen Vereinbarung noch deren Inhalts bewusst gewesen. Überdies werde die Vereinbarung wegen Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes angefochten, weil die Liegenschaft mit dem Wohnhaus einen Wert von mindestens 3 Mio S repräsentiere und die Klägerin gegen den Beklagten überdies einen Unterhaltsanspruch gehabt hätte. Die Klägerin sei zur Zeit des Abschlusses der Vereinbarung nicht geschäftsfähig gewesen.

Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab:

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass der Wert des Streitgegenstands 300.000 S übersteige.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Klägerin. Sie macht die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das Urteil des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass dem Eventualbegehren stattgegeben werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin stützt ihren Anspruch in der Revision - ebenso wie schon im Berufungsverfahren - nur mehr auf die Anfechtung der Vereinbarung wegen Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes.

Zu dieser Frage vertrat das Erstgericht die Ansicht, die bekämpfte Vereinbarung stelle einen gerichtlichen Vergleich und zugleich einen Vertrag iSd § 1380 ABGB dar. Eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes sei daher gemäß § 1386 ABGB ausgeschlossen.

Auch das Berufungsgericht gelangte zu dem Ergebnis, die von den Parteien geschlossene Vereinbarung sei ein Vergleich iSd § 1380 ABGB und daher gemäß § 1368 ABGB nicht wegen laesio enormis anfechtbar.

Die Revisionswerberin rügt als Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, dass keine Feststellungen über den Wert der Liegenschaft getroffen worden seien. Unter dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt sie aus, die Vereinbarung vom stelle keinen Vergleich iSd § 1380 ABGB dar. Im Fall einer einvernehmlichen Scheidung nach § 55a EheG sei die Vorlage einer privatrechtlichen Vereinbarung zwischen den Ehegatten formal Voraussetzung, diese könne auch durch gerichtliche Protokollierung geschaffen werden. Voraussetzung für den Abschluss eines Vergleichs sei das einverständliche Festlegen strittiger oder zweifelhafter Rechte. Ein Recht sei nur dann strittig, wenn die Parteien über seinen Bestand nicht einig seien, es sei zweifelhaft, wenn die Parteien nicht wüssten, ob es entstanden, bzw ob es nicht erloschen sei. Hinsichtlich unstreitiger oder unzweifelhafter Rechte könne es keinen Vergleich geben. Zwischen den Streitteilen habe kein Zweifel daran bestanden, dass der Klägerin ein Unterhaltsanspruch sowie eine Abgeltung für die Übertragung der Liegenschaft zustehe, es habe somit weder ein strittiges oder ein zweifelhaftes Recht zu beseitigen gegeben. Dies zeige sich insbesondere auch unter Berücksichtigung der übrigen Regelungen, wobei auch hier keine Feststellung streitiger oder zweifelhafter Rechte erfolgt sei, sondern in Übereinstimmung der Streitteile vertraglich eine Aufteilung vorgenommen worden sei. Betrachte man die Vereinbarung als ganzes, könne kein Zweifel mehr daran bestehen, dass es sich dabei um einen Vertrag handle, der nicht den §§ 1380 ff ABGB zu unterwerfen sei. Daran könne auch der Hinweis, dass Gegenstand eines Vergleichs ein Recht sein könne, wenn nur die Höhe des Anspruchs strittig oder zweifelhaft sei nichts ändern. Dies möge zwar auf Einzelfälle aufgrund ihres besonderen Sachverhalts zutreffen, das Berufungsgericht übersehe jedoch, dass im gegenständlichen Fall die Höhe des Anspruchs in diesem Sinne nicht strittig oder zweifelhaft gewesen sei. Voraussetzung hiefür wäre gewesen, dass sich die Streitteile bereits gerichtlich oder außergerichtlich über die Höhe des Anspruchs auseinandergesetzt hätten. Bei den Vertragsgesprächen der Streitteile sei jedoch die Höhe des Anspruchs in diesem Sinne nicht strittig gewesen, es sei lediglich ein Entgelt für die Übertragung der Liegenschaft vereinbart worden. Andernfalls müssten sämtliche Kaufverträge, welche erst nach Verhandlungen über den Kaufpreis zustandegekommen seien, als Vergleich iSd §§ 1380 ff ABGB gewertet werden. Nicht nur, dass es somit an der Grundlage zum Abschluss eines Vergleichs, am strittigen oder zweifelhaften Recht gefehlt habe, so zeige sich der dem Willen der Streitteile entsprechende Vertragscharakter wohl auch eindeutig darin, dass sie die Regelung nicht als „Vergleich“, sondern als „Vereinbarung“ bezeichnet hätten. Die Vereinbarung stelle sich somit als ein privatrechtlicher Vertrag sui generis dar, auf den die Vorschriften der Verletzung über die Hälfte Anwendung zu finden hätten.

Hiezu ist Folgendes zu erwägen:

Die Vorschrift des § 934 ABGB ist nur auf zweiseitig verbindliche Geschäfte anzuwenden; darunter sind entgeltliche Geschäfte zu verstehen (Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 1 zu § 934;Gschnitzer in Klang2 IV/1, 557; SZ 42/136; MietSlg 24.097). Voraussetzung ist somit ein Vertrag, in welchem ein Leistungsaustausch der Parteien vorgesehen ist. Maßgebend ist die Differenz im objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung (Koziol-Welser6 I 214). Ist der Wert der Leistung nicht festzustellen, dann ist § 934 ABGB nicht anwendbar (Gschnitzer aaO 558; vgl auch § 935 ABGB, wonach § 934 ABGB nicht anzuwenden ist, wenn sich der eigentliche Wert nicht mehr erheben lässt).

Im vorliegenden Fall bestanden die Leistungen der Klägerin in der Übertragung ihres Hälfteanteils an der Liegenschaft an den Beklagten sowie im Unterhaltsverzicht, die Gegenleistung des Beklagten hingegen in der Zahlung eines Betrags von 300.000 S. Eine Bewertung der Leistungen der Klägerin ist nicht möglich; beim Unterhaltsanspruch deshalb, weil die Ehe einvernehmlich nach § 55a EheG geschieden wurde und ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch ohne Vereinbarung daher nicht bestand. Ob und in welcher Höhe der Klägerin ein Anspruch auf Unterhalt bei einer Ehescheidung, die nicht auf § 55a EheG beruht hätte, nach den §§ 66 ff EheG zugestanden wäre, kann nicht beurteilt werden. Eine Bewertung des Unterhaltsverzichts der Klägerin ist daher nicht möglich.

Aber auch die Zustimmung der Klägerin zur Übertragung des Hälfteanteils an der Liegenschaft an den Beklagten ist einer Bewertung nicht zugänglich, obwohl der objektive Wert der Liegenschaftshälfte feststellbar wäre. Das auf der Liegenschaft errichtete Wohnhaus diente als Ehewohnung, es handelte sich somit gemäß § 82 Abs 2 EheG um eheliches Gebrauchsvermögen, bei dessen Aufteilung nicht der objektive Wert allein maßgebend ist. Vielmehr sind die Aufteilungsgrundsätze des § 83 EheG zu beachten. Nach dieser Vorschrift ist die Aufteilung nach Billigkeit vorzunehmen, es ist unter anderem besonders auf Gewicht und Umfang des Beitrags jedes Ehegatten zur Anschaffung des ehelichen Gebrauchsvermögens Bedacht zu nehmen. Auch bei einer Ausgleichszahlung gemäß § 94 EheG sind Billigkeitserwägungen vorzunehmen. Welchen Wert die Übertragung des Hälfteeigentums an der Liegenschaft unter Berücksichtigung der Aufteilungsgrundsätze des § 83 EheG hatte, kann objektiv nicht beurteilt werden. Die von den Parteien geschlossene Vereinbarung unterliegt daher auch, soweit die Klägerin ihren Hälfteanteil an der Liegenschaft dem Beklagten übertrug, nicht der Anwendung des § 934 ABGB.

Aus diesen Gründen ist es ohne Bedeutung, ob es sich bei der Vereinbarung um einen Vergleich iSd § 1380 ABGB handelte, bei welchem gemäß § 1386 ABGB eine Anfechtung wegen lesio enormis auf keinen Fall in Frage käme.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.