OGH vom 15.12.2010, 1Ob207/10p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Lisa ***** G*****, und des mj Peter ***** G*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Elza ***** B*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Mag. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 536/10g 178, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Wie sich vor allem aus den Rechtsmittelanträgen, aber auch den Revisionsrekursausführungen ergibt, will die Mutter die Zurückweisung ihres Rekurses im Zusammenhang mit einer Fragestellung an die Sachverständige nicht als solche bekämpfen. Vielmehr vertritt sie den Standpunkt, die Sachentscheidung über das Besuchsrecht des Vaters sei mangelhaft zustande gekommen, weil ihrem Antrag, die Sachverständige möge auch beauftragt werden, den Vater eingehend zu untersuchen, nicht entsprochen worden sei.
Entgegen ihrer Auffassung kann in diesem Umstand jedoch eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens nicht erblickt werden, hat sie doch den von ihr erwähnten Antrag nach ihren eigenen Angaben erst nach der Beschlussfassung in erster Instanz und nach der Erhebung eines Rekurses dagegen gestellt. Dieser Antrag (ON 164) war an das Erstgericht gerichtet, das daraufhin der Sachverständigen auftrug, ergänzend zu den darin aufgeworfenen Fragen Stellung zu nehmen. Inwieweit das Rekursgericht verpflichtet gewesen sein sollte, den erst nachträglich beim Erstgericht gestellten Antrag bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Revisionsrekurswerberin nicht ausgeführt.
2. Ob, in welchem Ausmaß und unter welchen Bedingungen einem Elternteil das Besuchsrecht einzuräumen ist, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig, ohne dass eine iSd § 62 Abs 1 AußStrG erhebliche Rechtsfrage zu lösen wäre (RIS Justiz RS0097114; RS0087024). Eine krasse Fehlbeurteilung, die eine Korrektur der rekursgerichtlichen Entscheidung erforderlich erscheinen ließe, ist nicht zu erkennen. Steht der bloße Verdacht eines dem Kindeswohl widersprechenden Fehlverhaltens des nicht betreuenden Elternteils im Raum, der trotz eines umfangreichen und eingehenden Verfahrens nicht verifiziert werden konnte, haben die Gerichte nach ihrem am Kindeswohl zu orientierenden Ermessen zu beurteilen, ob die dennoch verbliebenen Verdachtsmomente im Sinn eines „qualifizierten“ Verdachts (vgl 6 Ob 18/09d; 6 Ob 48/10t; RIS Justiz RS0047973) so groß sind, dass es eher angezeigt erscheint, die Elternrechte des betroffenen Elternteils durch erhebliche Beschränkungen des Besuchsrechts zu reduzieren, als das Risiko eines neuerlichen (gleichartigen) Fehlverhaltens zum Nachteil des Kindes in Kauf zu nehmen.
3. Das Rekursgericht hat nun die Auffassung vertreten, dass zwar (weiterhin) „Verdachtsmomente“ vorlägen, dass jedoch die überwiegenden wesentlichen Verfahrensergebnisse bisher dahin überzeugten, dass der von der Mutter behauptete Missbrauch eines der beiden Kinder tatsächlich nicht stattgefunden habe. Aus diesem Grunde seien vor allem die Angaben des betreffenden Kindes vor dem Sachverständigen wesentlicher als die nicht aussagekräftigen Ergebnisse der kindergynäkologischen Untersuchungen. Zudem habe die besuchsbegleitende Institution die trotz der schwierigen Umstände äußerst positive Einstellung beider Kinder zu den Besuchskontakten wiedergegeben. Es sei daher dem Erstgericht dahin beizutreten, dass eine weitere Besuchsbegleitung in der bisherigen Form überflüssig und den Kindern und dem Vater unzumutbar sei.
Die Ausführungen im Revisionsrekurs sind soweit sie nicht überhaupt in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung der Vorinstanzen bekämpfen wollen nicht geeignet, einen groben Ermessensfehler bei der Einräumung eines unbegleitenden Besuchsrechts (jedes zweite Wochenende acht Stunden) aufzuzeigen. Gerade in Fällen, in denen nicht zu erwarten ist, dass es in näherer Zukunft möglich sein könnte, das vom obsorgeberechtigten Elternteil behauptete gravierende Fehlverhalten des anderen zu verifizieren oder zu falsifizieren, kann bei einer Entscheidung über den Kontakt des Kindes zum beschuldigten Elternteil regelmäßig nur beurteilt werden, ob zumindest eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür verbleibt, dass die erhobenen Beschuldigungen zutreffen. Wenn die Vorinstanzen eine solche erhebliche Wahrscheinlichkeit nicht angenommen haben, kann dem der Oberste Gerichtshof als bloße Rechtsinstanz nicht entgegentreten. Die Auffassung der Revisionsrekurswerberin führte im Übrigen zu dem Ergebnis, dass in einem derartigen Fall einer trotz erheblichen Aufwands nicht verifizierbaren Beschuldigung der betroffene Elternteil sein Besuchsrecht auf Dauer ausschließlich unter Aufsicht ausüben könnte. Dass dies dem Kindeswohl im Normalfall nicht zuträglich sein kann, bedarf keiner weiteren Erörterung, insbesondere wenn die Beschuldigung (objektiv) unrichtig ist.
4. Letztlich erscheint auch die Einräumung eines (monatlichen) Besuchsrechts der Großeltern in Form einer Begleitung des Vaters bei dessen Besuchsrechtsausübung unbedenklich. Wenn die Revisionsrekurswerberin dazu lediglich ausführt, das Mädchen habe Angst vor dem „ehelichen“ (?) Großvater und es habe in der Vergangenheit zwischen den Großeltern und den beiden Kindern kein Beziehungsverhältnis gegeben, so spricht dies allein keineswegs gegen ein Zusammentreffen der Kinder mit ihren Großeltern. Gerade wenn es früher keine Beziehungen zwischen ihnen gegeben hat, entspricht es im Regelfall durchaus dem Kindeswohl, eine solche Beziehung durch in größeren Abständen stattfindenden Begegnungen behutsam aufzubauen. Dass das Mädchen Angst vor ihrem Großvater hat aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass sie von einem entsprechenden Angsttraum berichtet hat - kann jedenfalls nicht auf dessen Verhalten zurückzuführen sein, wenn man von der Behauptung der Revisionsrekurswerberin ausgeht, es habe zwischen den Großeltern und den Kindern bisher kein „Beziehungsverhältnis“ gegeben. Sollte sich der mit der angefochtenen Entscheidung vorgegebene Besuchskontakt als für die Kinder ungünstig erweisen, wird das Erstgericht ohnehin die gebotenen abändernden Maßnahmen zu verfügen haben.
Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).