OGH vom 10.07.1997, 2Ob130/97z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Graf, Dr.Schinko, Dr.Tittel und Dr.Baumann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Hans I*****, vertreten durch Dr.Manfred Steininger, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. ***** Versicherungs AG, ***** 2. M***** GmbH, ***** 3. Erich M*****, alle vertreten durch Dr.Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 593.000,-- sA, Rentenzahlung (S 462.816,--) und Feststellung (Feststellungsinteresse S 200.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 13 R 100/96p-16, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 15 Cg 120/94s-11, bestätigt wurde, den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Am ereignete sich in Wien ein Verkehrsunfall, an welchem der Kläger als Lenker eines PKW und der Drittbeklagte als Lenker eines von der Zweitbeklagten gehaltenen anderen PKW beteiligt waren. Die Erstbeklagte war zum Unfallszeitpunkt Haftpflichtversicherer des vom Drittbeklagten gelenkten Fahrzeuges. Das Alleinverschulden am Unfall traf den Drittbeklagten.
Der Kläger begehrte von den Beklagten den Betrag von S 593.000,-- samt Anhang sowie eine monatliche Rente von S 12.856,--, in eventu einen Betrag von S 463.000,-- sA sowie eine monatliche Rente von S 16.456,-- sowie die Feststellung, daß die Beklagten ihm zur ungeteilten Hand für alle Schäden, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom entstanden sind und entstehen, haften, die Erstbeklagte aber nur bis zur Höhe der Haftungssumme aus dem Versicherungsvertrag. Er brachte vor, daß er seit dem Unfall unter Kopfschmerzen und Schmerzen im Nacken - Schulterbereich mit Ausstrahlung in beide Arme leide, in der Berufsausübung als Taxifahrer behindert sei, 1993 seinen Beruf gänzlich aufgeben und am sein Gewerbe stillegen habe müssen, und daß weiters die Möglichkeit einer Verschlimmerung der unfallskausalen Verletzungen bestehe. Nach der Erklärung eines Arztes des UKH Meidling nach dem Unfall, daß die aufgetretenen Schmerzen nach einigen Monaten von selbst vergehen würden, habe er am das Angebot der Erstbeklagten, die Reparaturkosten von S 157.274,--, den Verdienstentgang von S 37.450,-- für 35 Stehtage, eine Wertminderung für das Klagsfahrzeug von S 50.000,--, zwei Taxirechnungen von S 280,-- und Schmerzengeld von S 30.000,-- für den Peitschenschlag zu bezahlen, angenommen. Er habe ein Formular in der Annahme unterzeichnet, daß die Unterschrift für die Auszahlung nötig sei, und daß damit nur die bisher geltend gemachten Ansprüche erledigt seien. Ausgenommen sei ein Schaden am Fahrersitz gewesen, welcher später nach Besichtigung von der Erstbeklagten mit S 3.146,-- abgegolten worden sei. Am sei bei ihm ein Bandscheibenvorfall in der Höhe C 5/C 6 diagnostiziert worden, welcher vom Verkehrsunfall herrühre. Die Erstbeklagte weigere sich unter Berufung auf die von ihr sogenannte "Abfindungserklärung" vom , die aufgetretenen Schäden zu bezahlen. Die betreffende Klausel sei aber sittenwidrig.
Die Beklagten brachten vor, daß der Kläger am eine Abfindungserklärung unterzeichnet habe. Es sei dem Kläger bewußt gewesen, daß das Angebot und die Zahlung der Erstbeklagten im Rahmen eines Vergleichsabschlusses erfolgt seien und dadurch alle Ansprüche des Klägers einschließlich künftiger Ansprüche, selbst dann, wenn diese dem Kläger nicht vorhersehbar sein sollten, umfaßt hätten. Lediglich die Beschädigung des Fahrersitzes sei von dieser Vereinbarung ausgenommen gewesen. Die vom Kläger angeführte Verletzung sei nicht auf das Unfallgeschehen zurückzuführen, weshalb Schmerzengeld und weitere darauf aufbauende Klagsforderungen nicht berechtigt seien. Bezüglich der Geltendmachung des Verdienstentganges sei der Kläger nicht aktiv legitimiert, weil allfällige Ansprüche mittels Legalzession auf den Sozialversicherungsträger übergegangen seien. Im übrigen werde der geltend gemachte Verdienstentgang auch der Höhe nach bestritten.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei von folgendem Sachverhalt aus:
Am Tag nach dem Unfall traten beim Kläger starke Schmerzen auf, worauf er sich ins UKH Meidling begab, wo er nach 2 Röntgenuntersuchungen die Auskunft erhielt, daß keine akute Verletzung erkennbar sei und daß der Schmerz 1 Monat, 2 Monate oder länger dauern könne. Es erfolgte weder eine Behandlung noch eine Wiederbestellung. Nach 2 Telefonaten mit der Erstbeklagten wurde dem Kläger mitgeteilt, daß der Fahrzeugschaden seitens der Versicherung bereits berichtigt worden sei und er kommen könne, um den Schadensbetrag zu liquidieren. Am suchte der Kläger die Erstbeklagte auf, wo er mit deren Sachbearbeiter zusammentraf, um die Schadensliquidation vorzunehmen. Dem Kläger war diese Vorgangsweise nicht unbekannt, weil er bereits früher bei anderen Gelegenheiten Schadensliquidationen persönlich vorgenommen hatte. Es wurde rasch eine Einigung über die Art und Höhe der Ansprüche erzielt. Im einzelnen wurde über Reparaturkosten, Stehtage, Wertminderung, 2 Taxifahrten und Schmerzengeld für den erlittenen Peitschenschlag gesprochen und dafür insgesamt eine Entschädigung von S 275.004,-- vereinbart. Der Kläger bestätigte nach Erhalt die Übernahme von 3 Schecks mit seiner Unterschrift. Weiters unterschrieb er ein vom Sachbearbeiter ausgefülltes Fomular des Inhalts, daß er nach Bezahlung der angegebenen Summe bezüglich aller Ansprüche aus dem gegenständlichen Unfall gegenüber jedermann restlos abgefunden sei, und zwar auch dann, wenn der Vorfall in der Zukunft derzeit nicht voraussehbare Folgen nach sich ziehen sollte. Unter der Rubrik "Besondere Bemerkungen" vermerkte der Sachbearbeiter, daß die Beschädigung des Fahrersitzes von der Vereinbarung ausgenommen sei. Nach einer neuerlichen Besichtigung wurde dann auch ein diesbezüglicher Schaden von der Erstbeklagten anerkannt und vom Kläger am dafür ein Scheck über S 3.146,-- in Empfang genommen. Etwa 4 Monate nach dem Unfall begab sich der Kläger zur Untersuchung in das Orthopädische Krankenhaus Speising, weil die Schmerzen andauerten, und wurde er dort an den Hausarzt zur Verschreibung einer Kur verwiesen. Auf Anraten des Kurarztes wurde im Februar 1992 eine Computer-Tomographie durchgeführt, durch die ein Bandscheibenvorfall diagnostiziert wurde.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, daß aufgrund des vom Kläger unterschriebenen Abfindungsvergleiches, der zulässig sei, sämtliche Ansprüche aus dem Verkehrsunfall bereinigt seien und daher nicht mehr geltend gemacht werden könnten.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil die Rechtsfrage der ständigen Judikatur entsprechend gelöst worden sei. Es führte zur Rechtsrüge folgendes aus:
Die vom Kläger unterschriebene Abfindungserklärung stelle im Sinne der ständigen Rechtsprechung einen Vergleich im Sinne der §§ 1380 ff ABGB dar. Vergleich sei die unter beiderseitigem Nachgeben einverständliche neue Festlegung strittiger oder zweifelhafter Rechte. Die Ungewißheit werde dadurch beseitigt, daß an die Stelle der strittigen oder zweifelhaften Verbindlichkeit eine feststehende neue gesetzt werde. Da beide Teile nachgeben würden, sei der Vergleich notwendigerweise verbindlich und entgeltlich. Aus diesem Grund seien der Erlaß einer unstrittigen und unzweifelhaften Schuld (§ 1381 ABGB), ein ebensolcher Verzicht (§ 1444 ABGB) und insbesondere das Anerkenntnis kein Vergleich. Die Leistung der Erstbeklagten habe darin bestanden, die Ansprüche des Klägers ohne nähere Prüfung und durch sofortige Bezahlung zu befriedigen. Der Kläger habe daher keinesfalls einen Verzicht auf die Geltendmachung aller zukünftigen, derzeit noch nicht vorhersehbaren Ansprüche abgegeben, ohne dafür eine Gegenleistung zu erhalten, ganz abgesehen davon, daß der Geschädigte auf seine Schadenersatzansprüche überhaupt und ohne Entgelt verzichten könne.
Der Kläger mache nun in der Rechtsrüge geltend, daß List der Beklagten beim Vergleichsabschluß vorgelegen sei. List sei nur rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung. Die Argumente des Klägers, er hätte das Formular in Unkenntnis des Inhaltes, bei dringendem Geldbedarf, zur Weiterführung seines Betriebes und ohne Aufklärung und ohne Gegenleistung der Erstbeklagten unterschrieben, gingen ins Leere, weil keine Täuschung seitens der Erstbeklagten vorgelegen sei. Der Kläger, der bereits "früher Schadensliquidationen persönlich vorgenommen hatte", habe auf drei getrennten Formularen die Übernahme der Schecks unterschrieben und es sei ihm dann der Abfindungsvergleich mit eindeutigem Inhalt zur Unterschrift vorgelegt worden. Eine Täuschung durch die Erstbeklagte sei daher zu verneinen.
Die Bereinigungswirkung des Vergleiches wäre nur für solche Ansprüche zu verneinen, die geflissentlich verheimlicht worden seien (§ 1389 Satz 2 erster Fall ABGB). Geflissentliches Verheimlichen liege dann vor, wen der eine Teil an die Forderung gedacht und keinen begründeten Anlaß gehabt habe, mit der Kenntnis des anderen Teiles zu rechnen. Ein solches Verhalten der Erstbeklagten sei jedoch nicht erwiesen.
Entgegen der Ansicht der Berufung habe die Erstbeklagte Schutz- und Aufklärungspflichten nicht verletzt. Nach herrschender Ansicht träten Geschäftspartner schon mit der Aufnahme eines Kontakts zu rechtsgeschäftlichen Zwecken in ein beiderseitiges Schuldverhältnis, das sie zu gegenseitiger Rücksichtnahme bei der Vorbereitung und beim Abschluß des Geschäftes verpflichte. Die Schutz- und Sorgfaltspflichten seien jedoch auf ein vernünftiges Maß zu beschränken. Sie seien insbesondere dann gegeben, wenn der Geschäftspartner eine unzutreffende Meinung äußere oder erkennen lasse, daß er in solchen Fällen unerfahren sei. Es sei daher auf den Empfängerhorizont abzustellen, dh es sei zu prüfen, inwieweit der jeweilige Geschäftspartner der Aufklärung bedurft habe. Im vorliegenden Fall hätte der Kläger, ein Taxifahrer, der schon mehrmals Schadensliquidationen vorgenommen habe und auch in der Lage gewesen sei, seine Interessen wahrzunehmen, indem er zum Beispiel den Fahrersitz von dem Abfindungsvergleich ausgenommen habe, durchaus auch an mögliche Verletzungsfolgen denken können. Die Erstbeklagte habe zu Recht von einem nicht gänzlich unerfahrenen Geschäftspartner ausgehen können. Darüber hinaus sollten die Schutz- und Aufklärungspflichten insbesondere vor Schädigung durch rücksichtsloses, dh berechtigte Schutzinteressen vernachlässigendes, Verhalten bewahren. Solch rücksichtsloses Verhalten sei der Erstbeklagten nicht zu unterstellen. Zusätzlich handle es sich bei dem Abfindungsvergleich um ein übersichtliches, leicht verständliches Formular. Der Kläger könne sich daher nicht mit Erfolg auf eine Verletzung der Schutz- und Aufklärungspflichten berufen.
Insoweit in der Berufung ein Vergleich über derzeit noch nicht bekannte oder erkennbare Ansprüche oder das Beharren auf einem solchen Vergleich als sittenwidrig angesehen werde, vermöge sie nicht zu überzeugen. Es entspreche der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, daß ein Verzicht auch auf zukünftige, derzeit nicht vorhersehbare Ansprüche zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer zulässig sei. Bezüglich des Einwandes der Verwendung eines unübersichtlichen Formulares ohne ausdrücklichen Hinweis auf dessen Inhalt werde auf die Ausführungen über die Schutz- und Aufklärungspflichten verwiesen. Insbesondere könne im Hinweis, daß mit Abschluß eines Abfindungsvergleiches eine prompte Schadensliquidation erreicht werde, keine Sittenwidrigkeit gesehen werden.
Bei dem Vorwurf, daß der Berechnung der Abfindungssumme nur die bekannten Schäden zugrundegelegt worden seien, entferne sich der Kläger vom festgestellten Sachverhalt. Die Bereinigungswirkung eines Abfindungsvergleiches erstrecke sich vielmehr im Zweifel auf alle aus diesem Rechtsverhältnis entspringenden oder damit zusammenhängenden gegenseitigen Forderungen. Wie ein Umkehrschluß aus dem zweiten Satz des § 1389 ABGB ergebe, würden auch solche Ansprüche mitumfaßt, an welche die Parteien im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses zwar nicht gedacht hätten, an die sie aber denken hätten können. Die Vergleichsbestimmung, wonach sich der Vergleich auch auf die Abfindung von "derzeit nicht voraussehbaren Folgen" aus dem Vorfall "in der Zukunft" erstrecken solle, könne nur dahin verstanden werden, daß sich die Erstbeklagte durch die von ihr übernommene Leistung auch gegen alle Ansprüche aus dem Titel des Auftretens neuer Unfallsfolgen, die damals noch nicht bekannt gewesen seien, schützen habe wollen und daß der Geschädigte damit einverstanden gewesen sei.
Auch der Versuch, die Rechtsprechung bei Unterhaltsvergleichen auf Abfindungsvergleiche anzuwenden, vermöge nicht zu überzeugen. Unterhaltsvergleiche würden in der Regel unter der clausula rebus sic stantibus abgeschlossen. Diese Klausel könne ausgeschlossen werden, doch könne dies unter Umständen sittenwidrig sein, insbesondere wenn durch das Beharren auf der Erfüllung des Vergleiches der Verpflichtete in seiner Existenz vernichtet und der Not ausgesetzt würde. Abgesehen davon, daß diese Rechtsprechung die Existenzgefährdung des Unterhaltsverpflichteten und nicht des Unterhaltsberechtigten im Auge habe, beziehe sich die Sittenwidrigkeit bei Unterhaltsvergleichen allenfalls auf den Ausschluß der clausula rebus sic stantibus. Vor allem stehe dem Argument des Klägers, daß das Beharren auf Einhaltung des Vergleiches bei Zerstörung der wirtschaftlichen Existenz sittenwidrig wäre, die angestrebte Bereinigungswirkung des Vergleiches entgegen. Durch den Vergleich würden Strittigkeit bzw Zweifelhaftigkeit des Rechts dadurch beseitigt, daß die Parteien einvernehmlich feststellen, in welchem Umfang das Recht als bestehend angesehen werden soll. Die zukünftigen, bei Abschluß nicht vorhersehbaren Forderungen seien vom Vergleich erfaßt, bereinigt und könnten daher nicht mehr geltend gemacht werden. Seien Gegenstand eines Abfindungsvergleiches, wie im vorliegenden Fall, auch Ansprüche für nicht bekannte, nicht erkennbare oder nicht vorhersehbare Unfallsfolgen, so könne dieser nicht wegen (gemeinsamen) Irrtums über die Vergleichsgrundlage angefochten werden, wenn die Vertragsteile bei Abschluß des Vergleiches keine genaue Kenntnis über die Verletzungen und Verletzungsfolgen gehabt hätten.
In der Berufung werde weiters gerügt, daß ein Verzicht auf bei Vertragsabschluß nicht erkennbare Ansprüche wegen Unbestimmtheit und mangelnder Ernsthaftigkeit der Erklärung unzulässig sei. Dem sei zuzustimmen, wenn der Verzicht so unbestimmt sei, daß sich die seinen Gegenstand bildenden Rechtsverhältnisse im vorhinein gar nicht überblicken ließen. Da es sich bei dem klagsgegenständlichen Verzicht um einen Verzicht auf Forderungen aus einem konkreten Verkehrsunfall handle, wobei zwar nicht die Höhe der Forderung feststehe, jedoch der Rechtsgrund, sei er ausreichend bestimmt. Die in der Berufung vorgebrachten Argumente begründeten keine Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erklärung des Klägers.
Es liege auch kein Anwendungsfall des § 937 ABGB vor. Ein unbestimmter Verzicht (§ 937 ABGB) auf alle künftigen Einwendungen aus einem Rechtsverhältnis könnte zwar in mangelnder Bestimmtheit (§ 869 ABGB) begründet sein, habe aber seine ratio vor allem im Verdacht der Unerlaubtheit, Sittenwidrigkeit und des Verstoßes gegen zwingende Normen. Im Verhältnis zu anderen Ungültigkeitsnormen sei § 937 ABGB als lex generalis wohl nur subsidiär anwendbar, also wenn Unbestimmtheit und Unerlaubtheits-(Verdacht) zusammenträfen. Verzicht auf alle künftigen Schadenersatzansprüche im Rahmen eines Abfindungsvergleiches sei zulässig. Insbesondere sei ein solcher Verzicht in ZVR 1989/15 ausdrücklich als zulässig und nicht sittenwidrig erachtet worden.
Der Ausschluß nicht vorhersehbarer Forderungen betreffe die beiderseitigen Hauptleistungen aus dem Vergleich, weshalb § 879 Abs 3 ABGB nicht zur Anwendung komme.
Ebensowenig könne § 864a ABGB angewendet werden. Der ungewöhnliche Inhalt einer Bestimmung sei nach dem Gesetzestext rein objektiv zu verstehen. Die Subsumtion habe sich an der Verkehrsüblichkeit beim betreffenden Geschäftstyp zu orientieren. Daß ein Abfindungsvergleich üblicherweise auch noch nicht bekannte Forderungen beinhalte, sei vom Kläger selbst nicht bestritten worden.
Der vom Kläger angestrebte Vergleich mit deutscher Literatur sei nicht möglich, weil dort einheitlich mehr auf das Überraschungsmoment abgestellt werde. Jedoch auch gemäß § 3 (d) AGBG könne sich selbst ein besonders unerfahrener Vertragspartner gegenüber einer für den betreffenden Geschäftstyp völlig üblichen Klausel grundsätzlich nicht darauf berufen, er sei von ihr überrascht worden.
Für den vom Kläger angesprochenen Wuchertatbestand (§ 879 Abs 2 Z 4 ABGB) fehle es am Tatbestandsmerkmal des Willensmangels; weder Leichtsinn, Verstandesschwäche, Zwangslage, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung des Kläger lägen vor und seien auch nicht behauptet worden.
Dem Argument des Klägers, der Verzicht auf nicht vorhersehbare Forderungen wäre von beiden Parteien nicht gewollt gewesen und wäre daher nicht Vertragsinhalt geworden, stehe das von der Erstbeklagten verwendete Formular mit derartigem Inhalt und der Umstand entgegen, daß auch der Kläger den Vergleich unterschrieben habe, ohne einen diesbezüglichen Vorbehalt zu machen, wie er es bei der Reparatur des Fahrersitzes getan habe.
Die Ausführungen des Klägers über die Rechtsnatur des Abfindungsvergleiches könnten nicht überzeugen. Der Kläger habe durch die Unterschrift auf dem Vergleichsformular eine Erklärung abgegeben. Die Bedeutung einer Willenserklärung richtet sich gemäß der Vertrauenstheorie danach, wie sie unter Berücksichtigung aller Umstände verstanden habe werden müssen. Die Erstbeklagte habe die Erklärung des Klägers eindeutig als Zustimmung zum Vergleich verstehen dürfen, zumal dieser auch in keiner Weise zu erkennen gegeben habe, daß er keinen Vergleich habe schließen wollen. Hinsichtlich des Vorliegens der übrigen Voraussetzungen für den Vergleich (gegenseitiges Nachgeben, Entgeltlichkeit) sei auf die obigen Ausführungen zu verweisen.
Schließlich werde in der Berufung Irrtumsanfechtung geltend gemacht. § 1385 ABGB beschränke die Irrtumsanfechtung von Vergleichen auf die Wesenheit der Person oder des Gegenstandes, dh ein Irrtum könne nur Umstände, die die Parteien beim Abschluß des Vertrages als feststehend, unzweifelhaft und unstreitig angenommen hätten, betreffen. Ein bei Vergleichsabschluß unterlaufener Erklärungsirrtum könne geltend gemacht werden. Selbst wenn der Kläger die Urkunde ungelesen unterschrieben hätte, auch ohne genaue Vorstellung ihres Inhalts (die vom Kläger vorgebrachte Vorstellung über den Inhalt der Urkunde, nämlich eine Erledigung der geltend gemachten Ansprüche, würde ebenfalls die Unfallsfolgen mitumfassen) hätte er den Inhalt bewußt in Kauf genommen. Eine Irrtumsanfechtung komme unter den allgemeinen Voraussetzungen in Betracht, wenn noch vor Auszahlung des Vergleichsbetrages darauf hingewiesen werde, daß sich der Vergleich nur auf einzelne der offenen Ansprüche beziehen solle. Davon könne im vorliegenden Fall keine Rede sein. Der vom Kläger abgegebene Verzicht auf alle zukünftigen, noch nicht vorhersehbaren Folgen in Abfindungsvergleichen sei auch nicht unüblich, weshalb ein Irrtum vom Erstgericht daher zu Recht nicht angenommen worden sei.
Zusammenfassend ergebe sich somit, daß für ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung kein Anlaß vorliege.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im (hilfsweise dem Grunde nach) klagsstattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen in der ihnen frei gestellten Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Interesse der Rechtsentwicklung zulässig, sie ist im Sinne des Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Die geltend gemachte Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit liegt nicht vor, welche Beurteilung keiner Begründung bedarf (§ 510 Abs 3 vorletzter Satz ZPO).
In der Sache wendet sich der Kläger gegen die Einbeziehung nicht voraussehbarer Unfallsfolgen in einen Abfindungsvergleich und stützt sich hiebei insbesondere auf die §§ 864 a, 870, 871, 879 Abs 1, Abs 2 Z 4 und Abs 3, §§ 934, 937, 1380, 1385 und 1389 ABGB.
Hiezu wurde erwogen:
Die Rechtsprechung bejahte seit langem die Wirksamkeit von sogenannten Abfindungsvergleichen, die ausdrücklich auch die bei Vergleichsabschluß noch nicht vorhersehbaren Unfallsfolgen einbeziehen, wobei die Zulässigkeit eines Verzichts auf etwaige Nachtragsforderungen meist damit begründet wurde, daß der Geschädigte auf ihm zustehende Schadenersatzansprüche auch zur Gänze verzichten könne (Rspr 1935/26 [zust Wahle, abl Bauerreiß]; SZ 23/153; ZVR 1959/26; ZVR 1967/122; RIS-Justiz RS0032605, RS0016800). ZVR 1959/26 machte eine Einschränkung allerdings für den Fall, daß wesentliche weitere Unfallsfolgen erst nach dem Vergleichsabschluß bekannt werden.
In jüngerer Zeit wurde in EvBl 1988/48 = ZVR 1989/15 an der zitierten Rechtsprechung festgehalten. In SZ 60/148 = JBl 1988, 118 und ecolex 1996, 453 = RdW 1997, 69 wurde zwar ausgesprochen, daß eine derartige Abfindungsklausel, was vorhersehbare Ansprüche anlangt, der Inhaltskontrolle nach § 879 Abs 3 ABGB entzogen ist, weil damit eine vertragliche Hauptleistung festgelegt wird (vgl hiezu auch ZVR 1989/15); das Schicksal einer solchen Klausel in bezug auf nicht vorhersehbare Folgen blieb in beiden Entscheidungen aber ausdrücklich offen.
In der Lehre wurde die Rechtsprechung insbesondere von Ertl in Rummel2 Rz 1 zu § 1389 und von Kletecka, Unerkennbare Ansprüche bei der Schadensregulierung durch Abfindungsvergleich, ecolex 1991, 5 kritisiert.
Ertl führt aus, die Einbeziehung auch nicht vorhersehbarer Unfallsfolgen in Abfindungsvergleiche laufe auf einen Vorausverzicht auf Anfechtung wegen Irrtums und Fehlens bzw Wegfalls der Geschäftsgrundlage hinaus. Soweit ein solcher Vorausverzicht unzulässig sei, sei dies auch die Klausel wegen Sittenwidrigkeit. Verzichte der Geschädigte auf unerkennbare Forderungen, würden jedoch der Berechnung der Abfindungssumme nur die bekannten Schäden zugrundegelegt, liege darüber hinaus schon darin eine gegen § 879 Abs 1 ABGB verstoßende Beeinträchtigung seiner Rechtsposition. Wucher im Sinne des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB werde hingegen mangels Zutreffens der subjektiven Voraussetzungen nur ganz ausnahmsweise vorliegen. Stehe nach dem Inhalt des Vertrages nicht eindeutig fest, ob unvorhersehbare Forderungen verglichen werden sollten, so sei dies zu verneinen. Insgesamt sei die Rechtsprechung bei der Beurteilung der Rechtsgültigkeit des Zustandekommens und des Umfangs der Bereinigungswirkung von Vergleichen im Interesse der Streitabschneidung immer wieder von bedenklicher Großzügigkeit.
Kletecka nimmt eine ähnliche Position ein; er hält den Abschluß eines Abfindungsvergleiches über unerkennbare Forderungen für zulässig, wenn die §§ 1389, 879 Abs 1 und 3 ABGB zur Vermeidung unbilliger Folgen herangezogen würden. Er zitiert auch die herrschende deutsche Ansicht (aaO 6), die gegenüber Abfindungsvergleichen eine differenziertere Haltung einnimmt als die österreichische Rechtsprechung.
Zurückhaltend sind jüngst Harrer/Heidinger in Schwimann2 Rz 3 ff zu § 1389 ABGB. Sie weisen zwar auf die Gefahren eines Abfindungsvergleiches hin, halten die vergleichsweise Bereinigung unvorhersehbarer Ansprüche jedoch für unbedenklich, wenn dies dem übereinstimmenden Parteiwillen entspricht und sich die vertragsschließenden Teile der Tragweite ihrer Entscheidung bewußt sind. Die Bereinigung der nicht erkennbaren Folgen sei im Regelfall vom Schädiger bzw dessen Versicherer beabsichtigt. Habe der Vergleich einen entsprechenden objektiven Erklärungswert, werde dieser aufgrund der Übereinstimmung mit dem Willen zumindest einer Vertragspartei kraft normativen Konsenses selbst dann Vertragsbestandteil, wenn der Geschädigte die Tragweite seiner Erklärung nicht erkenne. Eine Anfechtung wegen Wuchers oder eine Inhaltskontrolle gemäß § 879 Abs 3 ABGB scheide aus. Wenn bei der Festsetzung der Abfindungssumme nur die erkennbaren Schäden berücksichtigt würden und somit der Geschädigte das alleinige Risiko des Eintritts unerkennbarer Folgen trage, verstoße dies nicht automatisch gegen § 879 Abs 1 ABGB. Eine Pflicht zur Aufklärung des Geschädigten bestehe nicht.
Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, daß die Erstbeklagte den im Formulartext vorgesehenen Ausschluß jeglicher Nachforderung auch bei nicht vorhersehbaren Unfallsfolgen durchaus beabsichtigte und daß der Kläger die von ihm verlangte umfassende Abfindungserklärung durch Unterfertigung des Formulares abgegeben hat. Über den inhaltlichen Umfang der Vereinbarung besteht daher kein Zweifel.
Nun ist zwar das Interesse des Versicherers an einer endgültigen Schadensbereinigung durchaus anzuerkennen. Auch für die Durchsetzung dieses Anliegens gelten aber die durch die guten Sitten gezogenen Grenzen. Diese werden zwar nicht immer schon dann überschritten, wenn die Abfindungssumme auf der Basis der bekannten Schäden berechnet wurde und der Geschädigte auf weitergehenden Ersatz verzichtet. Als sittenwidrig ist eine derartige Abfindungsklausel nach Meinung des erkennenden Senates aber anzusehen, soweit sie auch das nachträgliche Hervorkommen subjektiv zunächst nicht vorhersehbarer Unfallsfolgen von außergewöhnlichem Umfang erfaßt. Jedenfalls dann, wenn der Eintritt nicht vorhergesehener Folgen zu einen ganz krassen und dem Geschädigten völlig unzumutbaren Mißverhältnis zwischen Schaden und der bloß auf Basis der bekannten Folgen errechneten Abfindungssumme führt, kann sich der Schädiger bzw dessen Versicherer wegen Sittenwidrigkeit im Sinne des § 879 Abs 1 ABGB auf eine solche Klausel nicht mit Erfolg berufen (ähnlich auch die in Deutschland herrschende Auffassung: s die Nachweise bei Kletecka aaO in FN 7).
Der Kläger hat behauptet, der Berechnung der Abfindungssumme wären nur die bekannten Schäden zugrundegelegen (vgl Beilage./2), danach wären Unfallsfolgen eingetreten, die für ihn aufgrund der ersten ärztlichen Diagnose nicht vorhersehbar gewesen wären, sein Schaden mache (unter Berücksichtigung des Rentenbegehrens) ein Vielfaches der Abfindungssumme aus. Sollte sein Vorbringen zutreffen, wäre er wegen in einem solchen Fall gegebener Sittenwidrigkeit der Abfindungsklausel nachforderungsberechtigt. Zur Höhe des unfallbedingten Schadens fehlen ausreichende Feststellungen, weshalb die Rechtssache unter Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile an das Erstgericht zurückzuverweisen war. Zu den weiteren Rechtsmittelausführungen wird auf die insoweit zutreffenden Entscheidungsgründe des Berufungsgerichts hingewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.