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OGH vom 14.02.2013, 5Ob157/12t

OGH vom 14.02.2013, 5Ob157/12t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek sowie die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen C***** S*****, geboren am *****, wegen Kostenersatz gemäß § 33 JWG, über den Revisionsrekurs der Mutter I***** N*****, vertreten durch Mag. Klaus Kabelka, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 84/12g-62, mit dem infolge Rekurses der Mutter der Beschluss des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 3 PU 354/10v-57, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die mj C***** wurde unehelich geboren und lebt bei ihrer obsorgeberechtigten Mutter. Der Vater hat die Familie einige Monate nach der Geburt der Tochter verlassen und ist seit seiner Abschiebung im Jahr 2004 unbekannten Aufenthalts.

Der Jugendwohlfahrtsträger (folgend nur mehr: JWT) entzog der Mutter am gestützt auf § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) die gesamte Pflege und Erziehung für die mj C***** und brachte diese in einem Krisenzentrum unter. Mit Eingabe vom teilte der JWT dem Erstgericht die getroffene Maßnahme mit und stellte den Antrag, dem JWT „die gesamte Pflege und Erziehung“ für die mj C***** zu übertragen.

Die Mutter beantragte Antragsabweisung und (ua), die Maßnahme des JWT als „zivilrechtlich rechtswidrig“ festzustellen. Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien sprach soweit für das Revisionsrekursverfahren von Interesse mit seinem Beschluss vom , GZ 59 Ps 21/10x 55, (ua) aus, dass (1.) die vorläufige Maßnahme des JWT gemäß § 215 Abs 2 (richtig: Abs 1) Satz 2 ABGB (aF) der Mutter die Pflege und Erziehung für die mj C***** zu entziehen, aufgehoben, (2.) der Antrag des JWT, der Mutter die Obsorge „im Teilbereich Pflege und Erziehung“ für die mj C***** zu entziehen und dem JWT zu übertragen, abgewiesen und (4.) der Antrag der Mutter, es möge … darüber erkannt werden, dass (der JWT) seit die mj C***** rechtswidrig unterbringe, zurückgewiesen wird. Die Entscheidungen des Erstgerichts zu 1. (Aufhebung der Maßnahme des JWT) und 2. (Abweisung des Obsorgeübertragungsantrags) erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft. Gegen die zu 4. erfolgte Abweisung ihres (sinngemäßen) Antrags auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vom JWT gestützt auf § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) gesetzten Maßnahme erhob die Mutter Rekurs, der erfolglos blieb. Der Oberste Gerichtshof gab mit Beschluss vom , 5 Ob 126/11g, dem Revisionsrekurs der Mutter dahin Folge, dass er die Entscheidungen der Vorinstanzen über den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vom JWT gestützt auf § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) gesetzten Maßnahme aufhob und dem Erstgericht insoweit die neuerliche Entscheidung auftrug. Der Oberste Gerichtshof ging in seiner Entscheidung im Grundsatz davon aus, dass der Mutter ein Antrag auf nachträgliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der vom JWT nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) getroffenen Maßnahme zustehe, welcher demgemäß vom Erstgericht inhaltlich zu beurteilen sein werde.

Das Bezirksgericht Innere Stadt Wien stellte mit Beschluss vom , GZ 59 Ps 21/10x-90, fest, „dass die Maßnahme des JWT vom , wobei die minderjährige C***** … im Kriseninterventionszentrum untergebracht wurde, zu Recht erfolgte“. Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter „teilweise Folge“ und „ergänzte bzw modifizierte“ den Beschluss des Erstgerichts dahin, „dass die Unterbringung der mj C***** für die Zeit vom bis für zulässig erklärt“ wurde. Der Oberste Gerichtshof gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Revisionsrekurs der Mutter dahin Folge, dass er die Entscheidungen der Vorinstanzen zur neuerlichen Entscheidung des Erstgerichts nach Verfahrensergänzung aufhob (5 Ob 152/12g).

Der JWT beantragte im vorliegenden Verfahren (nach Antragseinschränkung) gestützt auf § 33 JWG, § 39 WrJWG, die Mutter für die Zeit von bis zum Kostenersatz für die Obsorgemaßnahme in der Höhe von 300 EUR monatlich zu verpflichten. Die Kosten des JWT für die Maßnahme hätten sich auf 80 EUR täglich belaufen. Die Mutter beziehe ein anrechenbares Einkommen von netto 1.493,33 EUR monatlich einschließlich Sonderzahlungen. Ob die Obsorgemaßnahme rechtmäßig gesetzt worden sei, sei für die Frage des Kostenersatzes nicht relevant.

Die Mutter sprach sich gegen diesen Antrag aus und wandte im Wesentlichen ein, dass die Obsorgemaßnahme rechtswidrig erfolgt sei, weshalb keine Maßnahme nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) vorgelegen habe und die Zuerkennung von Kostenersatz hiefür sittenwidrig sei. Von einer alleinigen vollen Erziehung des JWT könne überdies solange nicht ausgegangen werden, als es noch keine gerichtliche Entscheidung über die Entziehung der Obsorge gebe. Schließlich werde gegen die vom JWT geltend gemachten Kosten mit dem der Mutter durch das rechtswidrige Vorgehen des JWT in selber Höhe entstandenen Aufwand aufgerechnet.

Das Erstgericht sprach aus, dass der Anspruch des JWT gegen die Mutter für den Zeitraum von bis in der Höhe von monatlich 300 EUR, insgesamt sohin 2.100 EUR, zu Recht bestehe. Das Aufrechnungsbegehren der Mutter wies das Erstgericht zurück und verpflichtete die Mutter im Ergebnis zur Zahlung von 2.100 EUR. Das Erstgericht stellte (ua) fest, dass die Kosten des JWT für die Obsorgemaßnahme täglich 80 EUR betrugen, die Mutter über ein monatliches Einkommen von 1.493,33 EUR inklusive Sonderzahlungen verfügt und sich geweigert hat, mit dem JWT eine Vereinbarung über die Kosten zu treffen. Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, dass der betreuende Elternteil immer dann, wenn sich das Kind auch ohne dessen Willen oder allenfalls sogar rechtswidrig im Haushalt des anderen Elternteils aufhalte, zum Geldunterhalt verpflichtet sei; Gleiches müsse betreffend den Kostenersatzanspruch des JWT gelten, weshalb es irrelevant sei, ob sich die Minderjährige rechtmäßig oder rechtswidrig in den Einrichtungen des JWT aufgehalten habe; dem JWT stehe jedenfalls Kostenersatz zu. Dem Aufrechnungsbegehren der Mutter stehe entgegen, dass im Außerstreitverfahren nicht mit Schadenersatzforderungen aufgerechnet werden könne, die auf dem streitigen Rechtsweg zu prüfen seien.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter teilweise Folge. Es bestätigte den Beschluss des Erstgerichts betreffend die monatliche Kostenersatzpflicht der Mutter von 300 EUR für die Zeit von bis , ließ jedoch die im erstinstanzlichen Beschluss enthaltene Wortfolge „... dass sind insgesamt € 2.100,-- ...“ entfallen. Rechtlich vertrat das Rekursgericht soweit für das Revisionsrekursverfahren noch relevant den Standpunkt, dass es zwar fraglich erscheine, ob die Gründe für eine Unterbringung im Rahmen der vollen Erziehung tatsächlich keinerlei Einfluss darauf hätten, ob der bisher betreuende Elternteil dem JWT die dadurch entstandenen Kosten gemäß § 33 JWG zu ersetzen habe. So werde von den familienrechtlichen Senaten des Rekursgerichts hinsichtlich der zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Unterbringung entstandenen Sachverständigengebühren eine Haftung auch des gemäß § 215 Abs 1 ABGB (aF) einschreitenden JWT dann bejaht, wenn die Unterbringung ganz deutlich von den wahren Interessen des Kindes differiere, insbesondere wenn das Einschreiten des JWT von Anfang an offenkundig zu Unrecht erfolgt sei. Ein derart krasser Fall habe hier aber nicht vorgelegen, hätten doch Erst- und Rekursgericht die Unterbringung für zulässig erachtet.

Das eigene Einkommen der Mutter sei anhand vorgelegter Gehaltsauskünfte ermittelt worden und die Mutter zeige nicht auf, welches andere monatliche Nettoeinkommen sie für richtig halte. Der JWT habe auch versucht, sich den beanspruchten Ersatz vom Vater zu holen, doch sei dieser unbekannten Aufenthalts. Aus der Aktenlage ergebe sich überdies kein Anhaltspunkt dafür, dass der Vater zu einem derart hohen Unterhalt verpflichtet werden könnte, dass nicht auch der hier der Mutter auferlegte Betrag von monatlich 300 EUR zur vollständigen Deckung der hohen Kosten der Unterbringung benötigt werde. Die Ansicht des Erstgerichts, dass eine prozessuale Aufrechnung von nicht im konkreten Verfahren zu entscheidenden Gegenforderungen im Außerstreitverfahren unzulässig sei, sei ebenfalls zutreffend. Im Ergebnis sei infolge Rekurses der Mutter lediglich wahrzunehmen gewesen, dass sich deren Kostenersatzpflicht nur auf den Zeitraum von bis erstrecke.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob ein Anspruch auf Kostenersatz nach § 33 JWG auch dann bestehe, wenn die Unterbringung im Rahmen der vollen Erziehung nicht rechtmäßig erfolgt sei, sodass allenfalls doch die Rechtskraft einer diesbezüglich beantragten Entscheidung abzuwarten sei, keine ausdrücklich höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Gegen diese Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter wegen Aktenwidrigkeit, Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung dahin, dass der Kostenersatzantrag des JWT abgewiesen werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt oder die Unterbrechung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Erledigung des Verfahrens zu AZ 59 Ps 21/10x des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien beantragt.

Der JWT erstattete eine Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, dem Revisionsrekurs der Mutter nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist aber nicht berechtigt.

1. Vorauszuschicken ist, dass die Mutter in ihrem Revisionsrekurs die Rechtsmittelgründe der Aktenwidrigkeit und der Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens zwar behauptet, aber zumal entscheidungsrelevante Fehler des Rekursgerichts, die diesen Rechtsmittelgründen zugeordnet werden könnten, nicht nachvollziehbar darzustellen vermag.

2. Gemäß § 33 JWG haben die Kosten der vollen Erziehung der Minderjährige und seine Unterhaltspflichtigen nach bürgerlichem Recht zu tragen, gegebenenfalls rückwirkend für drei Jahre zu ersetzen, soweit sie nach ihren Lebensverhältnissen dazu imstande sind. Die Unterhaltspflichtigen haben die Kosten auch insoweit zu ersetzen, als sie nach ihren Lebensverhältnissen zur Zeit der Durchführung der vollen Erziehung dazu imstande gewesen sind. Eine mit § 33 JWG insoweit inhaltsgleiche Bestimmung findet sich im hier anzuwendenden § 39 WrJWG (4 Ob 1/05h SZ 2005/49). Es entspricht bereits vorliegender Rechtsprechung, dass der Kostenersatzanspruch nach § 33 JWG (und § 39 WrJWG) auch jene Kosten der vollen Erziehung umfasst, die im Rahmen einer vom JWT angeordneten vorläufigen Maßnahme nach § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) entstanden sind (RIS-Justiz RS0119864).

3. Nach § 40 JWG entscheidet, soweit wie hier eine Vereinbarung über das Tragen und den Ersatz der Kosten der vollen Erziehung (§ 33 JWG) nicht zustande kommt, über entstandene wie künftig laufend entstehende Kosten, auch vor Fälligkeit des Ersatzanspruchs, unabhängig vom Alter des Kindes auf Antrag des Jugendwohlfahrtsträgers das Pflegschaftsgericht im Verfahren außer Streitsachen. Die Regelungen über das Unterhaltsverfahren sind dabei anzuwenden. Ein Kostenersatz findet nicht statt.

4. Aus der eingangs wiedergegebenen Vorgeschichte folgt, dass hier der JWT der Mutter am gestützt auf § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) die gesamte Pflege und Erziehung für die mj C***** entzogen und die Minderjährige in einem Krisenzentrum untergebracht hat. Der JWT hat also eindeutig eine Obsorgemaßnahme im Sinn der genannten Gesetzesstelle vorgenommen; entgegen der Ansicht der Mutter kann in diesem Zusammenhang also nicht zweifelhaft sein, ob eine Interimsmaßnahme des JWT überhaupt vorlag, sondern (nur), ob der JWT die ihm insoweit zukommende Kompetenz rechtmäßig oder ohne (ausreichende) tatsächliche und rechtliche Deckung vorgenommen hat. Für die hier maßgebliche Frage des Kostenersatzes folgt daraus, dass sich der JWT für sein Kostenersatzbegehren grundsätzlich auf § 33 JWG stützen kann und dieser Anspruch gemäß § 40 JWG auch in der richtigen Verfahrensart geltend gemacht wird (vgl auch 2 Ob 65/00y; 4 Ob 587/95).

5. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits erkannt, dass die Entscheidung über die Verpflichtung von Eltern zum Kostenersatz im Zusammenhang mit einer Maßnahme § 215 Abs 1 Satz 2 ABGB (aF) entgegen der Ansicht der Mutter nicht vom Vorliegen einer folgenden Obsorgeentscheidung des Gerichts und auch nicht davon abhängt, ob der obsorgeberechtigte Elternteil dieser Maßnahme zugestimmt hat (vgl 4 Ob 1/05h SZ 2005/49). Der Umstand, dass die Minderjährige im Zuge der Obsorgemaßnahme den Haushalt der Mutter gegebenenfalls freiwillig und entgegen deren Willen verlassen hat, vermag die Mutter von ihrer Unterhaltspflicht ebenfalls nicht zu befreien (vgl 2 Ob 196/02s; vgl auch RIS-Justiz RS0079242).

6.1. Letztlich klärungsbedürftig ist, ob der Kostenersatzanspruch des JWT dann ganz oder teilweise entfällt, wenn dieser seine Interimskompetenz ohne (ausreichende) gesetzliche Deckung in Anspruch genommen hat, welche Frage (selbstständiger) Entscheidungsgegenstand des Verfahrens zu AZ 59 Ps 21/10x des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien ist (5 Ob 126/11g). Genau auf diese Frage beziehen sich praktisch sämtliche weiteren Ausführungen im Revisionsrekurs, in dem die Mutter mit dem Hinweis auf das vermeintlich rechtswidrige Einschreiten des JWT den Entfall eines Kostenersatzanspruchs begründet. Dazu hat der Senat Folgendes erwogen:

6.2. Mit dem Ersatzanspruch nach § 33 JWG macht der JWT im Grunde und iSd § 1042 ABGB den Ersatz eines Aufwands geltend, den die bzw der unterhaltspflichte(n) Eltern( teil) nach dem Gesetz hätten erbringen müssen (4 Ob 1/05h SZ 2005/49; 4 Ob 198/07g). An der grundsätzlichen Unterhaltspflicht der Mutter gegenüber der mj C***** hat sich betreffend den Zeitraum der Obsorgemaßnahme selbst für den Fall nichts geändert, dass der JWT diese Maßnahme ohne (ausreichende) tatsächliche und rechtliche Deckung vorgenommen hätte. Selbst im letztgenannten Fall besteht kein Grund dafür, die Mutter endgültig von jenem Aufwand zu befreien, für den diese im fraglichen Zeitraum ohne die Obsorgemaßnahme jedenfalls selbst hätte aufkommen müssen. Dass unter diesem Gesichtspunkt der vom JWT geltend gemachte (relativ niedrige) monatliche Betrag von 300 EUR überhöht wäre, ist angesichts der altersbedingt erwartbaren Bedürfnisse der Minderjährigen nicht anzunehmen und wurde auch von der Mutter während des gesamten Verfahrens nie konkret dargetan.

6.3. Da vorliegend nicht zu beurteilen ist, ob der Mutter aus einem allenfalls rechtswidrigen Vorgehen des JWT Schadenersatzansprüche zustehen könnten, erweist sich der Revisionsrekurs der Mutter unabhängig vom deshalb nicht abzuwartenden Ausgang des Verfahrens zu AZ 59 Ps 21/10x des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien als nicht berechtigt.