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OGH vom 15.10.2002, 5Ob155/02h

OGH vom 15.10.2002, 5Ob155/02h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann und Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Kornelia N*****, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Milan N*****, derzeit unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch den Abwesenheitskurator Dr. Johannes Ruckenbauer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 45 R 640/01b-25, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Fünfhaus vom , GZ 4 C 57/01b-19, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die zwischen den Parteien vor dem Standesamt Wien-Währing am zu Nr 799/1991 geschlossene Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG mit der Wirkung geschieden wird, dass sie mit Rechtskraft dieses Urteiles aufgelöst ist.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 2.296,54 (darin EUR 247,55 Umsatzsteuer und EUR 811,24 Barauslagen) bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin begehrte die Scheidung der Ehe gemäß § 55 Abs 3 EheG und brachte im Wesentlichen vor, dass der Beklagte sie noch am Tag der Eheschließung verlassen habe. Er sei verschwunden und sie habe nie mehr etwas von ihm gehört. Da sie vom Beklagten seit dem Jahr 1991 getrennt lebe und die Ehe vollkommen zerrüttet sei, seien die Voraussetzungen einer Scheidung gemäß § 55 Abs 3 EheG gegeben. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es ging hiebei von folgenden Feststellungen aus:

Die Streitteilen haben am vor dem Standesamt Wien-Favoriten (richtig: Wien-Währing) zu Familienbuch Nummer 799/1991 die Ehe geschlossen. Es war auf Seiten der Klägerin die zweite, auf Seiten des Beklagten die erste Ehe. Dieser Ehe entstammen keine Kinder. Es wurden auch keine Ehepakte errichtet. Die Streitteile kannten einander erst seit drei bis vier Monaten vor der Eheschließung. Sie sahen einander relativ selten. Die Klägerin war niemals in der Wohnung des Beklagten und wusste auch gar nicht, wo sich diese befand. Die Klägerin hatte keinen Kontakt zu den Verwandten des Beklagten und wusste auch nicht, ob welche in Österreich leben. Die Streitteile kauften anlässlich der Trauung zwar Eheringe, doch wurden keine Fotos gemacht. An der Hochzeit nahmen neben dem Brautpaar nur die beiden Trauzeugen teil, wobei es sich um Freunde des Beklagten handelte. Die Klägerin selbst verständigte weder Freunde noch ihre Familie von der beabsichtigten Eheschließung. Nach der Trauung gingen die beiden Ehegatten mit den beiden Trauzeugen in ein Lokal in der Nähe des Standesamtes; die Klägerin kannte weder die Namen der Trauzeugen noch das Lokal. Unmittelbar nach der Trauung ist der Beklagte verschwunden.

Der Beklagte nahm den Namen der Klägerin an. Er übte vor der Eheschließung jedenfalls keine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit in Österreich aus. Ob er bei einem österreichischen Unternehmen allenfalls unangemeldet arbeitete, konnte nicht festgestellt werden. Die Ehegatten hatten niemals die Absicht, nach der Eheschließung zusammenzuziehen und eine dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft zu führen. Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige, der Beklagte war zumindest im Zeitpunkt der Eheschließung Staatsangehöriger der ehemaligen Republik Jugoslawien.

In rechtlicher Hinsicht führte das Erstgericht aus, da eine Lebensgemeinschaft nie bestanden habe und nach den Feststellungen auch von beiden Streitteilen nicht beabsichtigt gewesen sei, habe sie auch nicht aufgehoben werden können, weshalb das Scheidungsbegehren abzuweisen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision - mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO - nicht zulässig sei. Es führte im Wesentlichen Folgendes aus:

Wie das Erstgericht zutreffend ausgeführt habe, stelle § 55 EheG darauf ab, dass eine bestehende häusliche Gemeinschaft von Ehegatten aufgehoben wurde, die tiefgreifende unheilbare Zerrüttung der Ehe eingetreten ist und die im Gesetz angeführten Zeiträume verstrichen sind. Habe eine eheliche Gesinnung, die aufgrund der Zerrüttung weggefallen wäre, nie bestanden, und sei eine häusliche Gemeinschaft, die hätte aufgehoben werden können, nie gegeben gewesen, dann seien die Voraussetzungen eines Scheidungsausspruches nach dieser Gesetzesstelle nicht erfüllt. Soweit in der Judikatur ausgeführt worden sei, dass nach sechsjähriger Trennung der Ehegatten eine Ehe jedenfalls zu scheiden sei, liege dem zugrunde, dass die Voraussetzungen des § 55 EheG auch hinsichtlich einer früher gegebenen ehelichen Gemeinschaft erfüllt seien; lediglich der Einwand der Härteklausel nach § 55 Abs 2 EheG sei bei einer zumindest sechsjährigen Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft ausgeschlossen. Auch der Hinweis auf die Judikatur, wonach bei Einbringung einer Scheidungsklage von einer Zerrüttung der Ehe auf Seiten der klagenden Partei auszugehen sei, sei verfehlt, weil alle diese Kriterien davon ausgingen, dass ursprünglich eine gültige Ehe vorgelegen sei. Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, jedenfalls aber abzuweisen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht die Rechtslage verkannt hat; sie ist auch berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin macht im Wesentlichen geltend, nach sechsjähriger Trennung sei die Ehe jedenfalls zu scheiden; demgegenüber würde die Rechtsansicht der Vorinstanzen die Unauflöslichkeit der Ehe nach sich ziehen.

Hiezu wurde erwogen:

Gemäß § 55 Abs 3 EheG ist dem Scheidungsbegehren jedenfalls stattzugeben, wenn die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit sechs Jahren aufgehoben ist. Gleiches muss auch dann gelten, wenn die häusliche Gemeinschaft innerhalb von sechs Jahren ab Eheschließung erst gar nicht aufgenommen wurde, weil der Ehemann unmittelbar nach der Trauung (im Jahr 1991) verschwunden ist. Auch in einem solchen Fall ist ex lege unheilbare Zerrüttung anzunehmen (vgl Schwimann in Schwimann I² § 55 EheG Rz 23 mwN).

Die Ausführungen des Berufungsgerichtes, Voraussetzung einer Scheidung gemäß § 55 Abs 3 EheG sei, dass ursprünglich eine gültige Ehe bestanden habe, beruhen offenbar auf dem Verdacht, hier könnte eine gemäß § 23 EheG (Namens- und Staatsangehörigkeitsehe) nichtige Eheschließung erfolgt sein. Auch in einem solchen Fall wird das Eheband aber erst durch die gerichtliche Nichtigerklärung beseitigt. Eine Vorfragenbeurteilung der Nichtigkeit in einem anderen Zivilverfahren ist unzulässig (Schwimann aaO § 27 EheG Rz 2 mwN). Auf die Nichtigkeitsklage kann die Klägerin hier nicht verwiesen werden, weil beim Nichtigkeitsgrund des § 23 EheG nur der Staatsanwalt klagebefugt ist (§ 28 Abs 1 EheG). Vor Nichtigerklärung ist eine Scheidung aber durchaus zulässig (Schwimann aaO § 27 EheG Rz 3). Dem Scheidungsbegehren war daher in Abänderung der vorinstanzlichen Urteile stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.