OGH vom 20.09.2011, 4Ob126/11z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am geborenen J***** D***** N***** und der am geborenen S***** N*****, beide vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie für die Bezirke 3 und 11, Wien 3, Karl Borromäus Platz 3, über den Revisionsrekurs des Vaters Dr. M***** N*****, vertreten durch Dr. Karin Metz, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 43 R 234/11x 53, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 6 PU 140/10g 38, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob der Rechtsmittelwerber aufgrund eines freiwillig gewählten Karenzjahres, in dem sich sein Verdienst drastisch reduziert, auf sein zuvor erzieltes Einkommen angespannt werden kann.
Der Vater beantragt, die Unterhaltszahlungen für seine beiden Kinder für die Dauer eines Karenzjahres vom bis auszusetzen. Er sei aus familiärer Sicht gezwungen, einen einjährigen Urlaub gegen Entfall der Bezüge zu konsumieren, weil er sich um seine 86 jährige kranke Mutter im Irak kümmern müsse. Nur er könne ihr die erforderliche ärztliche Hilfe bieten.
Die Vorinstanzen wiesen den Antrag unter Hinweis auf den Vorrang des Kindesunterhalts vor Verpflichtungen gegenüber den Eltern ab. Unterhaltsansprüche der Eltern gegen ihre Kinder und der Kinder gegen ihre Eltern seien nicht gleichrangig.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob eine längere Karenzierung des Unterhaltspflichtigen unter Entfall seines Einkommens zum Zweck der Betreuung eines Elternteils im Ausland Auswirkungen auf den Unterhaltsanspruch der Berechtigten habe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Vaters ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.
1. Zu der vom Rekursgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage liegt bereits Rechtsprechung in einem vergleichbaren Fall vor. Andere Rechtsfragen macht der Revisionsrekurs nicht geltend.
2. Der gegen den Rechtsmittelwerber gerichtete Unterhaltsanspruch ist nach österreichischem Recht als dem Recht des gewöhnlichen Aufenthaltsorts der Kinder zu beurteilen (Art 1 Haager Unterhaltsstatutübereinkommen BGBl 1961/293 und Art 3 Abs 1 des auf Unterhaltsansprüche ab anzuwendenden Haager Protokolls über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HuntStProt 2007). Das nach diesen Bestimmungen berufene Sachrecht bestimmt Unterhaltsschuldner, Umfang und sämtliche Voraussetzungen des Anspruchs (4 Ob 513/96 zu Art 5 des Haager Unterhaltsstatutübereinkommens BGBl 1961/293; eine vergleichbare Regelung findet sich in Art 11 HuntStProt 2007). Wie ein allfälliger Anspruch der im Irak lebenden Mutter des Unterhaltspflichtigen auf persönliche Betreuung zu behandeln ist, unterliegt als Frage der Bemessung des Kindesunterhalts österreichischem Recht. Konkurrierende Unterhaltspflichten liegen nicht vor. Das irakische Recht kennt zwar einen Unterhaltsanspruch bedürftiger Eltern, trifft aber keine Aussage in diesen Rang gegenüber Unterhaltspflichten für Kinder und regelt auch keinen Betreuungsanspruch der Eltern.
3. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Unterhaltspflichtige im Interesse seiner Kinder alle persönlichen Fähigkeiten, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen. Tut er dies nicht, wird er so behandelt, als bezöge er Einkünfte, die er bei zumutbarer Erwerbstätigkeit hätte erzielen können (RIS-Justiz RS0047550; RS0047686).
4. Kinder sind gemäß § 137 Abs 2 iVm § 143 ABGB auch gegenüber ihren Eltern und Großeltern unterhaltspflichtig. Diese Pflicht stellt den Ausnahmefall dar und ist subsidiär (3 Ob 157/05t; 6 Ob 128/05z). Es sind zwar Umstände denkbar, die den Unterhaltspflichtigen wegen des dringenden Erfordernisses persönlicher Hilfeleistungen für einen in eine Notsituation geratenen Vorfahren in die Lage versetzen, seine berufliche Arbeitsbelastung zum Nachteil unterhaltsberechtigter Kinder vorübergehend reduzieren zu müssen, etwa bis zur Sicherstellung ausreichender Fremdbetreuung (RIS-Justiz RS0120328). Aus § 137 Abs 2 ABGB ergibt sich jedoch keine allumfassende Pflicht zur Betreuung des pflegebedürftigen Elternteils, um ihm die Fremdpflege oder den Aufenthalt in einem Pflegeheim zu ersparen (6 Ob 29/09x; 2 Ob 79/05i).
5. Schon in seiner Entscheidung 4 Ob 513/96 sie betraf eine dem vorliegenden Fall vergleichbare Konstellation hatte der Oberste Gerichtshof eine Mutter, die ihren Arbeitsplatz in Österreich zum Zweck der Erbringung dauerhafter Betreuungsleistungen für ihre in der Türkei lebende Mutter aufgegeben hatte, auf das erzielbare Einkommen angespannt. Die Entscheidung 2 Ob 79/05i bekräftigte diesen Grundsatz.
6. Die Entscheidung des Rekursgerichts auf Anspannung des Vaters auf das zuvor erzielte Einkommen steht mit dieser Rechtsprechung im Einklang. Seine Auffassung, der Unterhaltspflichtige könne seiner Beistandspflicht auch anderweitig nachkommen, indem er etwa die Betreuung der Mutter im Rahmen eines längeren Urlaubsaufenthalts im Irak organisiere ohne sein Einkommen auf derart drastische Weise zu reduzieren, ist jedenfalls vertretbar.