OGH vom 30.10.2008, 2Ob208/08i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Betroffenen Franz Josef S*****, geboren am , *****, über die als „Gegenvorstellung, Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und Wiederaufnahmeklage" bezeichnete Eingabe und den außerordentlichen Revisionsrekurs des Ariel Z*****, Rechtsanwalt, *****, Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 5 EIRAG Dr. Johannes Liebmann, Rechtsanwalt in Gleisdorf, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 1 R 294/07y-67, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
1.) Der Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom , AZ 2 Ob 102/08a, wird, soweit er nicht die Ergänzungen des außerordentlichen Revisionsrekurses betrifft, aufgehoben.
2.) Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Zu 1.):
Mit Beschluss vom , AZ 2 Ob 102/08a, wurde der außerordentliche Revisionsrekurs des Einschreiters (ein in Deutschland ansässiger Rechtsanwalt) wegen Verspätung zurückgewiesen, weil das mittels Telefax übersendete Rechtsmittel nach der Aktenlage erst nach 24:00 Uhr des letzten Tages der Rechtsmittelfrist beim Erstgericht eingelangt war.
Nunmehr hat der Einschreiter durch Vorlage mehrerer eidesstättiger Erklärungen in Verbindung mit dem Telefax-Übertragungsbericht bescheinigt, dass das Sendegerät zum Zeitpunkt des Übermittlungsvorgangs versehentlich noch nicht von Sommer- auf Winterzeit umgestellt worden und die Faxübermittlung an das Erstgericht tatsächlich bereits um 23:52 Uhr des letzten Tages der Rechtsmittelfrist abgeschlossen war.
Die Annahme der Verspätung hat sich damit nachträglich als unrichtig herausgestellt. Diesem Umstand ist in analoger Anwendung des § 41 Abs 1 AußStrG iVm § 419 Abs 1 ZPO sowie des § 50 Abs 1 Z 3 AußStrG durch Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses Rechnung zu tragen (vgl RIS-Justiz RS0062267; zur Anwendung dieser Rechtsprechung im Außerstreitverfahren: 10 Ob 34/04d).
In Ansehung der Rechtsmittelergänzungen hat es allerdings bei der Zurückweisung zu verbleiben, weil auch im Außerstreitverfahren der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt, Nachträge daher prinzipiell unzulässig sind (6 Ob 78/07z; RIS-Justiz RS0007007).
Zu 2.):
Schon nach § 236 AußStrG aF konnte die Bestellung eines Sachwalters für eine behinderte Person nur auf Antrag der behinderten Person selbst oder von Amts wegen erfolgen. Dritten Personen (auch nahen Angehörigen) kam hingegen weder ein Antragsrecht noch ein Anspruch auf Bestellung eines Sachwalters zu (RIS-Justiz RS0006610). Sie wurden lediglich als berechtigt angesehen, Anregungen an das Sachwalterschaftsgericht zu richten, die dieses im Rahmen des amtswegigen Verfahrens sachgerecht zu berücksichtigen hatte (9 Ob 224/98a mwN; Stabentheiner in Rummel, ABGB3 § 273 Rz 4;
Maurer/Tschugguel, Sachwalterrecht2 § 236 AußStrG Rz 9). In ständiger Rechtsprechung wurde dritten Personen auch im Falle der Umbestellung eines Sachwalters keine Parteistellung eingeräumt (8 Ob 280/97b mwN;
2 Ob 303/03b).
Im - hier anzuwendenden - neuen Außerstreitgesetz, BGBl I 2003/111, wurde die Kombination von Antrags- und Amtswegigkeitsprinzip insoweit beibehalten, als gemäß § 117 Abs 1 AußStrG im Sachwalterbestellungsverfahren weiterhin lediglich der Betroffene selbst antragsberechtigt ist. Dritte Personen haben wie nach der alten Rechtslage weder Antragsrecht noch Parteistellung und auch dann keinen Erledigungsanspruch, wenn sie sich selbst als Antragsteller bezeichnen (1 Ob 215/07k; 10 Ob 60/07g; Fucik/Kloiber, AußStrG § 117 Rz 2; Maurer, Sachwalterrecht3 § 117 AußStrG Rz 10). Nur den in § 284c Abs 1 ABGB bezeichneten „nächsten Angehörigen", deren Vertretungsbefugnis im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis registriert ist (§ 284e Abs 2 ABGB), steht seit Inkrafttreten des Sachwalterrechts- Änderungsgesetzes (SWRÄG) 2006 mit zumindest ein Rechtsmittelrecht zu (§ 127 AußStrG nF).
Die Sonderbestimmungen betreffend das Verfahren über die Sachwalterschaft für behinderte Personen (§§ 117 ff AußStrG) sind allerdings nicht anzuwenden, wenn das Verfahren nach rechtskräftig erfolgter Sachwalterbestellung nur den Wechsel der Person des Sachwalters zum Gegenstand hat; maßgebend sind dann die allgemeinen Verfahrensbestimmungen des AußStrG (vgl 4 Ob 181/05d; 1 Ob 182/05d = SZ 2005/167; Fucik/Kloiber aaO §§ 128 Rz 2; Zankl/Mondel in Rechberger, AußStrG § 128 Rz 6; Maurer aaO § 128 AußStrG Rz 3). Die Berechtigung einer dritten Person zur Stellung eines Antrags auf Auswechslung des Sachwalters wäre demnach nur aus einer allfälligen Parteistellung im Sinne des § 2 AußStrG ableitbar. In der Entscheidung 10 Ob 123/05v hat der Oberste Gerichtshof die Parteistellung einer nahen Angehörigen (der Schwester) eines Betroffenen im Umbestellungsverfahren aber bereits ausdrücklich verneint und in der Begründung zum Ausdruck gebracht, dass dritten Personen auch im Verfahren über die Umbestellung des Sachwalters (weiterhin) nur ein Anregungsrecht zuzubilligen ist (idS auch Weitzenböck in Schwimann, ABGB3 ErgBd 278 Rz 6 und § 279 Rz 5). Ein Rechtsschutzdefizit tritt dadurch nicht ein, wird doch das fehlende Antragsrecht Dritter durch dessen Anregungsrecht im Zusammenhang mit dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts ausreichend kompensiert (vgl Maurer aaO § 278 ABGB Rz 2; vgl nun auch § 281 Abs 4 ABGB). Der Einschreiter, Stiefsohn des Betroffenen, beantragte die Enthebung der bisherigen Sachwalterin und die Bestellung seiner Person zum neuen Sachwalter des Betroffenen. Die angefochtene Entscheidung ist ihrem Inhalt nach als Zurückweisung dieses Antrags wegen fehlender Antragsbefugnis zu verstehen. Die Rechtsansicht des Rekursgerichts, dem Einschreiter komme keine Parteistellung zu, steht mit der dargestellten Rechtslage im Einklang und wirft keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG auf.
Dies gilt auch für die weiteren Argumente des Einschreiters:
Inwieweit die österreichische Regelung der Antragsbefugnis im Sachwalterschaftsverfahren gegen gemeinschaftsrechtliche Kriterien verstoßen soll, wird weder durch die - nicht näher begründete - Behauptung angeblich abweichender Regelungen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union (zum ebenfalls fehlenden Antragsrecht Dritter in Deutschland vgl etwa 10 Ob 60/07g) noch durch die Wiedergabe allgemeiner Grundsätze aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs dargetan. Eine vom Obersten Gerichtshof wahrzunehmende Fehlbeurteilung des Rekursgerichts wird in diesem Zusammenhang nicht aufgezeigt (vgl RIS-Justiz RS0117100).
Das rein wirtschaftliche Interesse an der Erhaltung des im gemeinsamen Miteigentum des Betroffenen, des Einschreiters und dessen Schwester stehenden Hauses, das der Betroffene bewohnt, berührt nicht die „rechtlich geschützte Stellung" des Einschreiters im Sinne des § 2 Abs 1 Z 3 AußStrG und vermag seine (materielle) Parteistellung nicht zu begründen (vgl 1 Ob 215/07k; auch 1 Ob 173/07h). Der Einschreiter ist stets im eigenen Namen und nicht in jenem des Betroffenen aufgetreten, sodass für die Vorinstanzen kein Anlass zur Überprüfung einer allfälligen Vertretungsbefugnis bestand. Der in der Antragsbegründung enthaltene Hinweis, dass der Einschreiter den Betroffenen früher („als der Betreute noch halbjährlich in Berlin aufhältig war") in rechtlichen Angelegenheiten vertrat (AS 111), konnte nicht dahin verstanden werden, dass er sich auf eine vom Betroffenen für dessen Vertretung im Sachwalterschaftsverfahren erteilte Vollmacht berief.
Richtig ist, dass der Einschreiter in seinem Antrag auf Übertragung der Sachwalterschaft erklärte, hilfsweise die Bestellung der Sachwalterin anzufechten (AS 107). Der darin zu erblickende Rekurs gegen den Bestellungsbeschluss ist somit durch die Erfolglosigkeit des Hauptantrags bedingt. Da diese Bedingung frühestens mit der Rechtskraft einer ab- oder zurückweisenden Entscheidung über den Hauptantrag eintreten kann, war es dem Rekursgericht verwehrt, im derzeitigen Verfahrensstadium auf das bedingte Rechtsmittel einzugehen.
Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs des Einschreiters daher zurückzuweisen.