OGH vom 18.06.1970, 1Ob116/70
Norm
Kopf
SZ 43/104
Spruch
Ein Richter kann auch noch nach dem Schluß der mündlichen Verhandlung und nach Fällung des Urteils abgelehnt werden
Die Gesellschafter einer GmbH, die nicht gleichzeitig deren Geschäftsführer sind, sind in einem Rechtsstreit der Gesellschaft als Laienrichter nicht gem § 20 Z 1 JN ausgeschlossen; im Einzelfall kann aber ein Ablehnungsgrund nach § 19 Z 2 JN gegeben sein
(OLG Wien 6 Nc 1/70)
Text
Die Beklagte ist eine GmbH, die aus zwei Gesellschaftern besteht, nämlich der Stadt Wien, die 2/3, und der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien, die 1/3 des Stammkapitals besitzt. Geschäftsführer der GmbH ist Walter R. Die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien hat einen Präsidenten und drei Vizepräsidenten; einer der letzteren ist Kommerzialrat Hans A, der nach seinen Angaben für seine Tätigkeit kein Entgelt, wohl aber eine Aufwandentschädigung erhält.
Der Senat 2 des OLG Wien, der über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des HG Wien vom , 9 Cg 174/67-43 entschieden hat, bestand aus dem Senatspräsidenten des OLG Wien Dr B als Vorsitzenden sowie dem Senatsrat des OLG Wien Dr C und dem Kommerzialrat Hans A als Beisitzern. Das Urteil des Berufungsgerichtes wurde der Klägerin am zugestellt.
Mit dem am - noch vor Erhebung der Revision - eingelangten Antrag lehnte die Klägerin Kommerzialrat Hans A auf Grund der oben dargestellten Verhältnisse ab, indem sie hinzufügte, der Genannte sei in Vertretung des Kammerpräsidenten sogar gesetzlicher Vertreter der Kammer. Diese Stellung lasse ihn geradezu als Mitberechtigten i S des § 20 Z 1 JN erscheinen; jedenfalls aber sei dies ein Grund, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.
Das OLG Wien wies diesen Ablehnungsantrag zurück. Es erachtete zwar die Ablehnung eines Richters auch nach Zustellung der Entscheidung, an der er mitwirkte, bis zur Erhebung des mittels für zulässig, erkannte aber dem Ablehnungsantrag aus folgenden Gründen keine Berechtigung zu:
Daß Kommerzialrat A Vizepräsident der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien und diese wieder Gesellschafterin der Beklagten sei, rechtfertige nicht die Befürchtung, daß sich Kommerzialrat A bei der Entscheidung von anderen als sachlichen Gesichtspunkten habe leiten lassen. Die Beteiligung an der Beklagten habe für die Kammer der gewerblichen Wirtschaft keine große Bedeutung. Vor allem aber sei der Geschäftserfolg der Beklagten für Kommerzialrat A persönlich ohne jeden Belang. Es sei kein Umstand zu ersehen, der Kommerzialrat A hätte veranlassen können, sein Amt nicht objektiv auszuüben. Daher liege auch kein zureichender Grund vor, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin Folge und änderte den Beschluß des OLG Wien dahin ab, daß dem Antrag der Klägerin auf Ablehnung des fachmännischen Laienrichters Kommerzialrat Hans A stattgegeben wurde.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Der angefochtenen Entscheidung ist darin zuzustimmen, daß der vorliegende Ablehnungsantrag noch rechtzeitig gestellt wurde (vgl Fasching I 206). Die Ansicht Faschings, ein Ablehnungsantrag sei auch noch nach mündlicher Verhandlung, ja nach Urteilszustellung bis zur Rechtsmittelerhebung zulässig, wird zwar von Wahle (JBl 1960, 37 Sp 2 Abs 2) mit der Begründung bekämpft, daß mit dem Schluß der Verhandlung jedes weitere Vorbringen in der Instanz ausgeschlossen sei, wobei auf Wieczorek (Komm zu § 44d ZPO unter B III a) verwiesen wird. Dem OGH erscheint der Einwand Wahles nicht stichhältig. Er wurde schon von Neuwirth (ÖJZ 1960, 313 P 18) ausführlich und überzeugend widerlegt, und auch Wahle vermag den Ausführungen Neuwirths in seiner neuerlichen Erwiderung (JBl 1960 465 ff) nichts mehr entgegenzusetzen. Mit Recht verweist Neuwirth darauf, daß der ausgeschlossene oder abgelehnte Richter nicht nur außerhalb der mündlichen Verhandlung, sondern auch nach deren Schluß und nach Zustellung des Urteils tätig werden kann, z B in dem Teil des Berufungsverfahrens, der vor dem Gericht erster Instanz abgeführt wird (§ 473 Abs 2 ZPO). Ferner kam die Berichtigung oder Ergänzung des Urteils nach §§ 419 ff ZPO Anlaß zu einem Tätigwerden des Richters nach Schluß der Verhandlung, ja sogar nach Fällung und Zustellung des Urteils, geben. Auch sonst gibt es Verfahrensphasen, die erst nach diesem Zeitpunkt in Gang kommen, etwa eine Berichtigung des Protokolls oder die Behandlung eines Ansuchens um Bewilligung des Armenrechts. Grundsätzlich muß daher die Ablehnung eines Richters auch nach Schluß der mündlichen Verhandlung und nach Urteilsfällung als zulässig erkannt werden.
Hat ein kraft Gesetzes ausgeschlossener Richter (§ 20 JN) an der Entscheidung mitgewirkt, kann diese gem § 529 Abs 1 Z 1 ZPO sogar noch nach Rechtskraft mit Nichtigkeitsklage angefochten werden. An die Mitwirkung eines Richters, hinsichtlich dessen ein Ablehnungsgrund vorlag, knüpft das Gesetz keine so weitreichenden Folgen; vielmehr wird das Vorliegen eines Befangenheitsgrundes unter gewissen Voraussetzungen oder von einem bestimmten Zeitpunkt an hingenommen, so wenn sich die Partei, ohne den ihr bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen, in die Verhandlung eingelassen oder Anträge gestellt hat (§ 21 Abs 2 JN), oder wenn die Rechtssache für eine Instanz endgültig beendet ist.
Für die Ansicht Faschings und Neuwirths spricht jedenfalls, daß die unerwünschte Tatsache, daß ein Richter entschieden hat, hinsichtlich dessen ein Ablehnungsgrund vorlag, im Interesse des Vertrauens in die Rechtsprechung so lange, als es nur irgendwie vertretbar ist, wahrgenommen werden soll. Eine Vorverlegung dieser Schranke auf den formalistischen Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung ist unter diesem Gesichtspunkt nicht gerechtfertigt, zumal auch das Gesetz hiefür keine Grundlage bietet. Selbst Wahle vermag dafür nichts ins Treffen zu führen.
Seinem Hinweis auf die Ausführungen Wieczoreks hat Neuwirth entgegengehalten, daß die deutsche ZPO eine weitere Befassung der ersten Instanz im Rechtsmittelstadium generell ausschließe. Ohne hierauf näher eingehen zu müssen, besteht aber jedenfalls zwischen der österreichischen und der deutschen Regelung ein entscheidender Unterschied: Während nach § 477 Abs 1 Z 1 ZPO ein Urteil dann nichtig ist, wenn an der Entscheidung ein Richter teilgenommen hat, "... dessen Ablehnung vom Gericht als berechtigt erkannt worden ist", liegt dieser Nichtigkeitsgrund nach § 551 Abs 1 Z 3 bzw § 579 Abs 1 Z 3 dZPO dann
vor, wenn bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, obgleich er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt wurde und das Ablehnungsgesuch für begrundet erklärt war. Die deutsche Regelung setzt somit voraus, daß sowohl die Ablehnung als auch die Entscheidung, daß die Ablehnung begrundet ist, vor der Sachentscheidung liegen. Dem entspricht auch die von Wahle zitierte Belegstelle im Kommentar von Wieczorek. Für die österreichische Regelung trifft dies nicht zu, denn § 477 Abs 1 Z 1 ZPO läßt die Frage offen, wann die Ablehnung als berechtigt erkannt worden ist; daher kann die genannte Belegstelle nicht zur Stützung der von Wahle vertretenen Ansicht herangezogen werden.
Gem § 19 JN kann ein Richter in bürgerlichen Rechtssachen abgelehnt werden, wenn er nach dem Gesetz von der Ausübung richterlicher Geschäfte ausgeschlossen ist oder wenn ein zureichender Grund vorliegt seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen.
Als Ausschließungsgrund, der in dem Ablehnungsantrag gleichfalls geltend gemacht wird, käme bei Kommerzialrat A § 20 Z 1 JN in Betracht, nach welcher Gesetzesstelle Richter von der Ausübung des Richteramts in Sachen ausgeschlossen sind in denen sie selbst Partei sind oder in Ansehung deren sie zu einer Partei im Verhältnis eines Mitberechtigten, Mitverpflichteten oder Regreßpflichtigen stehen.
Das Vorliegen dieses Ausschließungsgrundes ist allerdings zu verneinen. Unter "Partei sind bei juristischen Personen die gesetzlichen Vertreter zu verstehen, die gegebenenfalls gem § 373 Abs 2 und 3 ZPO als Partei zu vernehmen sind (Fasching I 202 Anm 1). Dies trifft hinsichtlich Kommerzialrat A nicht zu. Bei juristischen Personen, also insb bei Kapitalgesellschaften zu denen die GmbH gehört, ist deren gesetzlicher Vertreter, der durch das Gesetz oder das Statut der juristischen Person bestimmt wird, als Partei zu vernehmen (Fasching III 522 Anm 4). Gem § 18 GmbHG wird die GmbH durch die Geschäftsführer gerichtlich und außergerichtlich vertreten, die Beklagte also durch den Geschäftsführer Walter R, der gegebenenfalls auf der Seite der Beklagten als Partei zu vernehmen wäre (vgl auch Gellis, Komm z GmbHG 71). Hingegen sind die Gesellschafter, wenn sie nicht Geschäftsführer sind, nicht Partei aber auch nicht Mitberechtigte (Fasching I 202 Anm 2); sie haben kein unmittelbares Interesse am Ausgang des Prozesses der GmbH und können in deren Rechtssache nicht selbst Partei werden (vgl Neumann Komm z d ZPG 67). Dies gilt, falls sie - wie im vorliegenden Fall - juristische Personen sind, in gleicher Weise für ihre gesetzlichen Vertreter, also auch für Kommerzialrat A als einen der Vizepräsidenten der Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien.
Wohl aber ist im Gegensatz zur Ansicht des OLG Wien der Ablehnungsgrund nach § 19 Z 2 JN gegeben. Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung (JBl 1968, 94; JBl 1954, 286; 6 Ob 338/67 u a) ist ein Richter dann als befangen anzusehen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Nach dem Erk SlgNF 6772 A, besteht das Wesen der Befangenheit in der Hemmung einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive.
Zieht man in Betracht, daß die Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Wien - wie sich aus dem beigeschafften Akt 7 HRB 8443 des HG Wien ergibt - an der Beklagten mit einer voll eingezahlten Stammeinlage von 16.666.666.67 S beteiligt ist, dann kann weder gesagt werden, daß diese Beteiligung keine große Bedeutung hätte, noch daß der Ausgang eines gegen die Beklagte mit einem Streitwert von 300.000 S geführten Rechtsstreites für die Kammer und damit aber auch für ihren Vizepräsidenten ohne Interesse wäre. Gewiß ist Kommerzialrat A persönlich davon nicht berührt, doch besteht bei objektiver Beurteilung der geschilderten Umstände eine begrundete Besorgnis der Beeinträchtigung seiner Unbefangenheit. Dies genügt aber, um den Ablehnungsantrag als gerechtfertigt erscheinen zu lassen.