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OGH vom 10.11.2009, 5Ob105/09s

OGH vom 10.11.2009, 5Ob105/09s

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am ***** verstorbenen Dr. Edith S*****, geboren am *****, zuletzt wohnhaft gewesen in *****, über den Revisionsrekurs des erblichen Sohnes Univ.-Prof. Dr. Peter S*****, vertreten durch Dr. Martin Holzer, Rechtsanwalt in Bruck an der Mur, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom , GZ 5 R 15/09a-35, mit dem über Rekurs des erblichen Sohnes Univ.-Prof. Dr. Peter S***** der Beschluss des Bezirksgerichts Hartberg vom , GZ 1 A 138/07f-31, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht hat mit rechtskräftigem Einantwortungsbeschluss vom die Verlassenschaft nach der am ***** verstorbenen Dr. Edith S***** den erblichen Kindern Brigitte K*****, Dagmar W*****-W***** und Univ.-Prof. Dr. Peter S*****, dem nunmehrigen Revisionsrekurswerber, die mit der Rechtswohltat des Inventars die bedingten Erbantrittserklärungen aufgrund des Gesetzes abgegeben haben, nach Maßgabe des Erbteilungsübereinkommens vom zu je einem Drittel eingeantwortet.

Der Sohn der Erblasserin begehrte mit seinem, beim Erstgericht am eingebrachten Antrag die „Wiedereröffnung des Nachlassverfahrens" nach § 183 AußStrG mit der wesentlichen Behauptung, es sei nachträgliches Verlassenschaftsvermögen hervorgekommen, welches im Zuge des bisherigen Verlassenschaftsverfahrens nicht berücksichtigt worden sei. In dem zwischen der Verstorbenen und dem Ehegatten der Tochter (und späteren Sachwalterin der Erblasserin) Brigitte K***** am abgeschlossenen Mietvertrag sei ein Mietzins in der Höhe von monatlich 4.950 ATS vereinbart worden, während ab der - infolge Förderung reglementierte - Mietzins nur mehr 4.620 ATS monatlich betragen habe. Aus dem die Erblasserin betreffenden Sachwalterverfahren AZ 8 P 2901/95x des Bezirksgerichts Hartberg ergebe sich jedoch, dass der Erblasserin an monatlicher Miete ein Betrag von 5.250 ATS verrechnet worden sei. Aus dieser Differenz ergebe sich ein Mietzinsrückforderungsanspruch für die Zeit vom bis in Höhe von 34.800 ATS und für den Zeitraum bis ein solcher von 39.690 ATS. Dieser in die Verlassenschaft fallende, aber bislang nicht berücksichtigte Rückforderungsanspruch beruhe auf dem Rechtsgrund der Bereicherung. Sollte eine irrtümliche Zahlung nicht vorliegen, so hafte die vormalige Sachwalterin und zugleich erbliche Tochter Brigitte K***** aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes.

In der daraufhin vor dem Gerichtskommissär durchgeführten Tagsatzung brachte der Sohn ergänzend vor, dass der Verstorbenen auch monatlich rund 20.000 ATS an überhöhten Versicherungsprämien sowie Verpflegs- und Betreuungskosten ungerechtfertigt in Rechnung gestellt worden seien, woraus sich für einen Zeitraum von 15 Jahren ein (weiterer) Rückforderungsanspruch von 3.600.000 ATS (= 261.622,20 EUR) ergebe. Diese Forderungen seien nicht verjährt und in das Verlassenschaftsverfahren miteinzubeziehen.

Die Tochter Brigitte K***** bestritt die von ihrem Bruder behaupteten Ansprüche der Verlassenschaft.

Das Erstgericht wies den Antrag des Sohnes auf „Wiedereröffnung des Nachlassverfahrens" nach § 183 AußStrG mit der wesentlichen Begründung ab, dass mit Beschluss des Bezirksgerichts Hartberg vom , GZ 8 P 2901/95x-25, der Sachwalterin (und Tochter) Brigitte K***** die Pension der Betroffenen (und späteren Erblasserin) einschließlich Pflegegeld und Sonderzahlungen rechnungsfrei überlassen worden seien. Weiters sei der Sachwalterin mit Beschluss vom , GZ 8 P 2901/95x-93, die Rechnungslegung für den Zeitraum bis genehmigt und ihr auch die Entlastung erteilt worden. Damit bestehe aus der Mietzinszahlung kein Vermögenswert für die Verlassenschaft. Im Übrigen hätten die Parteien vor dem Gerichtskommissär laut Protokoll vom erklärt, sich über die Aufteilung des übrigen Nachlassvermögens außergerichtlich zu einigen. Der Antrag auf Wiedereröffnung des Verfahrens sei daher abzuweisen gewesen.

Das Rekursgericht gab dem gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs des Sohnes nicht Folge. Komme nachträgliches Verlassenschaftsvermögen hervor, sei das Inventar zu ergänzen. Das Inventar diene grundsätzlich als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft, nämlich aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Wertes zum Zeitpunkt seines Todes. Werde die Behauptung bestritten, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zähle, so habe das Gericht darüber zu entscheiden, ob diese Sache in das Inventar aufgenommen bzw ausgeschieden wird (7 Ob 17/07m). Strittige Forderungen seien grundsätzlich nicht in das Inventar aufzunehmen (9 Ob 14/07k). Die Entscheidung des Abhandlungsgerichts über die Aufnahme in das Inventar habe Wirkungen nur für das Verlassenschaftsverfahren, nicht darüber hinaus. Entschieden werde demnach nicht darüber, ob eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen gehöre, sondern nur darüber, ob sie in das Inventar aufgenommen werde oder nicht. Auf den vorliegenden Fall angewendet, bedeute dies, dass die vom Sohn aus dem Titel der Bereicherung bzw des Schadenersatzes behauptete Forderung bestritten sei. Für die Ergänzung des Inventars bestehe somit kein Anlass. Im Falle einer Nichteinigung über die Aufteilung des (übrigen) Nachlassvermögens stehe der ordentliche Rechtsweg offen. Die Rechnungslegung durch die Sachwalterin sei zwar einem kontradiktorischen Verfahren nicht unterzogen worden. Das bedeute aber, dass allfällige schadenersatzrechtliche oder bereicherungsrechtliche Ansprüche der Erben nicht im Verlassenschaftsverfahren, sondern im streitigen Rechtsweg zu klären seien. Wegen eines Streits über das Zurechtbestehen derartiger Ansprüche dürfe das Verlassenschaftsverfahren nicht aufgehalten werden. Umso weniger habe es aufgrund strittiger Forderungen zu einer „Wiedereröffnung" des Verfahrens oder Ergänzung des Inventars zu kommen. Der Sohn werde seine Ansprüche vielmehr im (streitigen) Rechtsweg geltend machen müssen. Dem Rekurs sei somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung des Rekursgerichts enthält den Ausspruch, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 20.000 EUR und der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig, weil keine Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zu lösen gewesen sei.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn der Wiedereröffnung des Verlassenschaftsverfahrens gemäß § 183 AußStrG.

Die Töchter erstatteten eine - ihnen freigestellte - Revisionsrekursbeantwortung mit dem Antrag, den Revisionsrekurs des Sohnes nicht zuzulassen bzw diesem nicht stattzugeben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist - wegen Verkennung der Rechtslage durch die Vorinstanzen - zulässig und in seinem - im Abänderungsantrag mitenthaltenen (RIS-Justiz RS0041774) - Aufhebungsantrag auch berechtigt.

1. Gemäß § 165 Abs 1 AußStrG ist (ua) dann ein Inventar zu errichten, wenn - wie hier - bedingte Erbantrittserklärungen abgegeben wurden (Z 1). Werden Vermögenswerte erst nach Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens bekannt, so hat der Gerichtskommissär die Parteien, denen dies noch nicht bekannt ist, davon zu verständigen (§ 183 Abs 1 AußStrG). Hat das Verfahren - wie hier - mit Einantwortung geendet, so hat der Gerichtskommissär gemäß § 183 Abs 1 AußStrG das Inventar zu ergänzen.

2. Nach § 166 Abs 1 AußStrG dient das Inventar als vollständiges Verzeichnis der Verlassenschaft (§ 531 ABGB), nämlich aller körperlichen Sachen und aller vererblichen Rechte und Verbindlichkeiten des Verstorbenen und ihres Wertes im Zeitpunkt seines Todes. Wird die Behauptung bestritten, dass eine Sache zum Verlassenschaftsvermögen zählt, so hat das Gericht § 166 Abs 2 AußStrG darüber zu entscheiden, ob diese Sache in das Inventar aufgenommen bzw ausgeschieden wird. Befand sich die Sache zuletzt im Besitz des Verstorbenen, so ist sie nur dann auszuscheiden, wenn durch unbedenkliche Urkunden bewiesen wird, dass sie nicht zum Verlassenschaftsvermögen zählt.

3. Die vom Rekursgericht im vorliegenden Zusammenhang vertretene, auf die Entscheidung 9 Ob 14/07k (= Zak 2007/410, 234 = EvBl 2007/116, 651 = EF-Z 2007/141, 235 = JEV 2007/28, 101 = iFamZ 2008/25, 49 [Tschugguel] = EFSlg 119.012) gestützte Ansicht, strittige Forderungen seien grundsätzlich nicht in das Inventar aufzunehmen, beruht auf einem Missverständnis. In der genannten Entscheidung wird die Rechtsprechung zu § 105 AußStrG aF dahin wiedergegeben, „dass Forderungen gegen die Verlassenschaft, deren Richtigkeit ohne weitläufige Verhandlungen oder großen Zeitverlust nicht feststellbar war, überhaupt nicht in das Inventar aufzunehmen waren (7 Ob 282/03a; 10 Ob 89/98f uva)", und es wird dann die Ansicht vertreten, diese Überlegungen seien auch für § 167 Abs 3 AußStrG nF maßgeblich. Diese Aussage betrifft aber Forderungen gegen die Verlassenschaft, also (mögliche) Passiva, während es hier um (behauptete) Forderungen der Verlassenschaft, also (mögliche) Aktiva geht. Die vom Rekursgericht - vorweg unterstellte - Bestreitung der vom Sohn behaupteten Forderungen des Nachlasses bildet also allein keine ausreichende Grundlage dafür, diese nicht ins Inventar aufzunehmen.

4. Es kann, wie im Revisionsrekurs zutreffend geltend gemacht wird, ein (weiteres) Vermögen auch - wie hier behauptet - in einem Anspruch (einer Forderung) der Verlassenschaft bestehen, welche(n) etwa eine nach dem Gesetz zum Erben berufene Person behauptet (4 Ob 194/08w = iFamZ 2009/89, 111 mwN). Es handelt sich bei den hier vom erblichen Sohn behaupteten Forderungen - entgegen der in der Revisionsrekursbeantwortung vertretenen Ansicht - auch tatsächlich um nachträglich hervorgekommene, weil diese im bisherigen Inventar nicht enthalten sind, nicht Gegenstand einer Entscheidung nach § 166 Abs 2 AußStrG, auch bei der vom Gerichtskommissär durchgeführten Verhandlung am nicht beziffert und daher insgesamt nicht als Teil des Nachlassvermögens ausgewiesen waren. Der Sohn hat bei dieser Verhandlung (nur) - sinngemäß - zum Ausdruck gebracht, dass er (weitere) Forderungen des Nachlasses vermutet und sich deren (inzwischen erfolgte) Relevierung vorbehalte.

5. Für die Frage, ob bislang nicht Gegenstand des Abhandlungsverfahrens gewesene und hier wohl als bestritten anzusehende Forderungen in das Inventar aufzunehmen sind, kommt es darauf an, ob deren Bestand bescheinigt ist (RIS-Justiz RS0007867). Mit dieser entscheidungswesentlichen Frage haben sich aber die Vorinstanzen infolge abweichender Rechtsansicht nicht nachvollziehbar auseinandergesetzt, was im weiteren Verfahren nachzuholen sein wird. Dabei ist der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass - offenbar entgegen der Ansicht des Erstgerichts - eine der Sachwalterin - für einen Teil des hier fraglichen Zeitraums - erteilte Entlastung einer möglichen Schadenersatzforderung gegen diese nicht entgegen steht (§ 137 Abs 3 AußStrG;4 Ob 122/07f = Zak 2007/606, 352 = iFamZ 2007/153, 294).

Im Ergebnis erweist sich also der Revisionsrekurs des Sohnes im Sinn der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen als berechtigt. Im fortgesetzten Verfahren wird zu beurteilen sein, ob die vom Sohn behaupteten Forderungen als bescheinigt anzusehen und deshalb in das Inventar aufzunehmen sind. Entschieden wird damit - dies sei klargestellt - nur darüber, ob diese Vermögenswerte gegebenenfalls Gegenstand des Nachlassvermögens sind (vgl Maurer/Schrott/Schütz, AußStrG § 183 Rz 2). Die Beurteilung, ob es für seine neuerliche Entscheidung weiterer Erhebungen bedarf, und wie sich eine allfällige Ergänzung des Inventars auf die im Einantwortungsbeschluss mitenthaltenen Entscheidungen auswirkt (vgl dazu Bittner in Rechberger, § 183 AußStrG Rz 2; Fucik/Kloiber, § 183 AußStrG Rz 1), wird das Erstgericht vorzunehmen haben.