OGH vom 28.05.2008, 7Ob105/08d
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Sachwalterschaftssache des Patrick T*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Sachwalters Dr. Paul Georg Appiano, Rechtsanwalt in Wien, vertreten durch Appiano & Kramer Rechtsanwälte Gesellschaft m.b.H. in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 565/07k-52, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der als Rechtsanwalt (§ 6 Abs 2 AußStrG) und im eigenen Namen rekurslegitimierte (§ 127 AußStrG) Sachwalter wendet sich gegen die Bestellung und beruft sich zur Zulässigkeit seines außerordentlichen Revisionsrekurses auf „das Fehlen einer gefestigten Rechtsprechung zu den in Frage stehenden Bestimmungen des SWRÄG 2006", sowie darauf, dass die Rechtsauffassung des Rekursgerichts unvertretbar sei, weil es die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter ohne dessen Einvernahme/Stellungnahme, ohne konkretes Erfordernis von Rechtskenntnissen, ohne ausreichend das Wohl des Betroffenen zu wahren und trotz Unzumutbarkeit für den bestellten Sachwalter für rechtmäßig erkannt habe. Eine erhebliche Rechtsfrage liege ferner deshalb vor, weil die Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit aufgrund der „Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung verschiedener Spruchkörper" des Rekursgerichts durch „widerstreitende Entscheidungen" zum Vorliegen von Verfahrensmängeln bei völlig gleichgelagerten Sachverhalten (Rekurse von zum Sachwalter bestellten Rechtsanwälten gegen eine ohne Möglichkeit zur Stellungnahme erfolgte Bestellung) gefährdet sei.
Dem ist zunächst zu erwidern, dass der Oberste Gerichtshof erst jüngst (E v , 3 Ob 19/08b) zu einer gleichartigen Zulassungvorstellung (in der ebenfalls fehlende höchstgerichtliche Rechtsprechung geltend gemacht wurde) ausgesprochen hat, dass der außerordentliche Revisionsrekurs aus folgenden Gründen zurückzuweisen sei:
Entgegen der Ansicht des Rechtsmittelwerbers liegt nicht schon allein deshalb eine erhebliche Rechtsfrage vor, weil zu der maßgeblichen Bestimmung des am in Kraft getretenen § 274 ABGB (Art X § 3 SWRÄG 2006, BGBl I 2006/92) noch keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Die grundsätzliche Verpflichtung von Rechtsanwälten und Notaren (als Personen des § 189 Abs 2 ABGB) zur Übernahme von Sachwalterschaften bestand schon zuvor, ebenso das Ablehnungsrecht wegen Unzumutbarkeit der Übernahme der Sachwalterschaft. Die Unzumutbarkeit muss nach der geltenden Rechtslage in den persönlichen, familiären, beruflichen und sonstigen Verhältnissen liegen (§ 274 Abs 2 ABGB). Die Vorgängerbestimmung (§ 189 Abs 2 ABGB idF des KindRÄG 2001) war noch weiter gefasst. Eine „besonders geeignete Person" konnte die Obsorge und gemäß § 282 Abs 1 ABGB die Sachwalterschaft nur wegen im Gesetz nicht näher ausgeführter Unzumutbarkeit ablehnen. Dass Rechtsanwälte wegen ihrer beruflichen Fachkenntnisse zu den „besonders geeigneten Personen" zählten, verstand sich geradezu von selbst und war ständige Rechtsprechung. Der klare Gesetzeswortlaut des § 274 Abs 2 ABGB normiert zweifelsfrei, dass Rechtsanwälte Sachwalterschaften grundsätzlich übernehmen müssen und Ablehnungsgründe konkret geltend zu machen sind. Zu diesen beiden Fragen bedarf es keiner weitwendigen Stellungnahme des Obersten Gerichtshofs. Es genügt der Hinweis auf die Erläuterungen der Regierungsvorlage (1420 BlgNR XXII. GP 13) und den klaren Gesetzeswortlaut (3 Ob 19/08b).
Erhebliche Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG werden aber auch sonst nicht aufgezeigt:
Der Rechtsmittelwerber macht weiterhin die Mangelhaftigkeit („Nichtigkeit") des Verfahrens erster Instanz geltend, weil das Erstgericht hinsichtlich des bestellten Sachwalters den zentralen Verfahrensgrundsatz des rechtlichen Gehörs außer Acht gelassen habe. Ein vom Rekursgericht verneinter Mangel des außerstreitigen Verfahrens erster Instanz stellt jedoch - mit der hier nicht relevanten Ausnahme der Bedachtnahme auf das Kindeswohl - keinen Revisionsrekursgrund dar, weshalb dem Obersten Gerichtshof eine Überprüfung der Entscheidung über die Mängelrüge (auch bei behaupteter Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung verschiedener Spruchkörper des Rekursgerichts) verwehrt ist (RIS-Justiz RS0030748; RS0050037; 8 Ob 19/08i mwN; 10 Ob 39/08w; 3 Ob 208/06v).
Das Rekursverfahren selbst wäre aber - wie auch der Revisionsrekurs erkennt - nur dann mangelhaft, wenn sich das Rekursgericht mit einer Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 58 Abs 1 Z 1 und Z 2 AußStrG), an der der Beschluss des Erstgerichts oder das Verfahren erster Instanz leiden, nicht befasst, diesen Mangel also nicht wahrgenommen hätte (§ 55 Abs 3 AußStrG;Klicka in Rechberger AußStrG § 55 Rz 3, § 66 Rz 2). Davon kann jedoch keine Rede sein; geht die Rekursentscheidung doch ausdrücklich davon aus, dass dem Sachwalter in erster Instanz zwar keine Gelegenheit zur Äußerung gegeben und daher das rechtliche Gehör entzogen worden sei, dass er jedoch von der gemäß § 49 Abs 2 AußStrG eingeräumten Möglichkeit, das Vorbringen im Rekurs nachzutragen, Gebrauch gemacht habe.
Aufgrund dieser Neuerungserlaubnis (Feil/Marent, AußStrG Komm², § 58 Rz 2) brachte der Rekurswerber in seinem Rekurs gegen die Entscheidung erster Instanz Umstände vor, mit denen sich das Rekursgericht ausführlich auseinandergesetzt hat (Seite 4 ff der Rekursentscheidung). Dem Vorwurf, der Verfahrensmangel sei zwar erkannt worden, aber „unbehandelt geblieben", fehlt daher jede Grundlage. In diesem Zusammenhang beruft sich der Sachwalter weiterhin darauf, dass die Bestellung eines Rechtsanwalts gemäß § 279 Abs 4 ABGB nur erfolgen dürfe, wenn die Besorgung der Angelegenheiten des Betroffenen vorwiegend Rechtskenntnisse erfordere. Die Übernahme der Sachwalterschaft sei aufgrund der fehlenden Einsicht und Behandlungsbereitschaft des Betroffenen unzumutbar.
Auch mit diesen Ausführungen bringt der Revisionsrekurswerber keine erhebliche Rechtsfrage zur Darstellung, weil der Oberste Gerichtshof dazu bereits wie folgt Stellung genommen hat:
Beim Kreis jener Personen, welche zum Sachwalter bestellt werden können, ist dem Gericht ein auf das Wohl der behinderten Person zugeschnittener Ermessensspielraum eingeräumt (RIS-Justiz RS0087131). Eine Einschränkung dieses Ermessensspielraums enthält § 281 Abs 3 ABGB, der die Bestellung eines Rechtsanwalts (Rechtsanwaltsanwärters) oder Notars (Notariatskandidaten) zwingend fordert, wenn für die Besorgung der Angelegenheit der behinderten Person Rechtskenntnisse notwendig sind. Wenn die Vorinstanzen die Bestellung eines Rechtsanwalts in diesem Sinn zur Wahrung des Wohles des Betroffenen für nötig erachten, kann darin im konkreten Einzelfall ein Überschreiten des den Vorinstanzen zukommenden Beurteilungsspielraums nicht gesehen werden. Gerade die ... mangelnde Einsichtsfähigkeit des Betroffenen spricht nämlich trotz des fehlenden Anwaltszwangs ... für eine gebotene anwaltliche Vertretung. Die Bestellung eines Rechtsanwalts ist hier jedenfalls vertretbar, zumal weder die Verwandten noch der Verein für Sachwalterschaft für die Übernahme der Sachwalterschaft in Betracht kommen (vgl RIS-Justiz RS0116381).
Eine fehlende Einsichtsfähigkeit des Betroffenen und die dadurch erschwerte Kommunikation im Verhältnis zum Sachwalter stellt ein nahezu klassisches Problem bei der Übernahme von Sachwalterschaften für psychisch kranke Betroffene dar. Auch in diesem Punkt lässt die Ermessensentscheidung, derartige Umstände würden keine Unzumutbarkeit (§ 189 Abs 2 ABGB) begründen, keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung erkennen (5 Ob 6/07d mwN = iFamZ 2007/126 [zust Schauer/Parapatis]).
Gleiches muss auch für die Sachwalterbestellung im vorliegenden Verfahren gelten; anders als im Fall 10 Ob 18/08g (auf den sich die Zulassungsvorstellung beruft) wurde die gesetzliche Rangordnung bei der Auswahl des Sachwalters (RIS-Justiz RS0123297) hier nämlich eingehalten:
Die vom Erstgericht ersuchten Eltern des Betroffenen haben es - als offenbar einzige ihm (in Österreich) nahestehende Personen - abgelehnt, die Sachwalterschaft zu übernehmen. Daher wurde die (im Hinblick auf das Krankheitsbild des Betroffenen [paranoide Schizophrenie] indizierte und von seinem Vater vorgeschlagene) Möglichkeit der Bestellung eines Vereinssachwalters geprüft. Auf Anfrage teilte das Verteilungsnetz Sachwalterschaft jedoch mit, dass mangels freier Kapazitäten kein Sachwalter namhaft gemacht werden könne (Schreiben vom ). Dass das Erstgericht daraufhin letztlich einen Rechtsanwalt als geeignete Person (RIS-Justiz RS0116381) ausgewählt hat, ist somit vertretbar. Es geht daher ins Leere, wenn sich der Revisionsrekurswerber darauf beruft, dem Behinderten wäre durch die Betreuung seitens sozialer oder psychosozialer Dienste mehr gedient als durch die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter, der über solche Qualifikationen nicht verfüge.
Dafür, dass es hier - wie der außerordentliche Revisionsrekurs meint - nicht (nur) um fehlende Einsichtsfähigkeit und erschwerte Kommunikation im Verhältnis zum Sachwalter gehe, sondern um eine „Gefährdung" des Sachwalters und seiner Umgebung (Mitarbeiter, Klienten) durch einen „chronisch aggressiven Paranoiden", besteht hingegen kein Anhaltspunkt. Insoweit ist auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts zu verweisen, wonach selbst aus dem Enthebungsantrag der einstweiligen Sachwalterin, auf den sich der Revisionsrekurs stützt, lediglich ein verbalaggressives Verhalten des Behinderten hervorgeht, das den Umgang mit ihm für einen zum Sachwalter bestellten Rechtsanwalt noch nicht unzumutbar (§ 274 Abs 2 ABGB) macht. Demgemäß hat das Erstgericht auch den auf dieses Verhalten gestützten Enthebungsantrag der Verfahrenssachwalterin und einstweiligen Sachwalterin abgewiesen (Beschluss vom ) und diese - entgegen den Rekursausführungen - keineswegs aus „genau jenen Gründen ihres Amtes enthoben", sondern deshalb, weil sich eine neue Verfahrenssachwalterin und einstweilige Sachwalterin zur Übernahme der Sachwalterschaft bereit erklärt hatte (Beschluss vom ).
Wenn sich der Rechtsmittelwerber schließlich darauf beruft, die Bestellung eines Sachwalters habe subsidiären Charakter und dürfe nur dann erfolgen, wenn der Betroffene nicht anders, nämlich durch die in § 273 Abs 2 ABGB erwähnten Möglichkeiten, in die Lage versetzt werden könne, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen, ist darauf im Rahmen eines - wie hier - vom Sachwalter lediglich im eigenen Namen erhobenen Revisionsrekurses nicht weiter einzugehen. In diesem Fall kommt ihm die Rechtsmittelbefugnis nämlich nur insoweit zu, als es sich um seine eigenen Rechte und Pflichten handelt und er persönlich durch die Bestellung beschwert sein kann; er kann also mit einem solchen Rechtsmittel nicht inhaltlich in das Bestellungsverfahren selbst eingreifen (Zankl/Mondel in Rechberger AußStrG § 127 Rz 2).
Dass der Oberste Gerichtshof keine Bedenken gegen die in den weiteren Rekursausführungen bezweifelte Verfassungskonformität der hier anzuwendenden Bestimmungen sieht, entspricht ebenfalls der ständigen Rechtsprechung, sodass auch insoweit keine erhebliche Rechtsfrage angesprochen wird: Mit den sich in diesem Zusammenhang stellenden verfassungsrechtlichen Fragen hat sich der Oberste Gerichtshof nämlich schon mehrfach beschäftigt, die Rechtslage für verfassungskonform erachtet und dies auch für die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Sachwalter für den Fall bejaht, dass keine Aufgaben zu erledigen sind, die Rechtskenntnisse erfordern (RIS-Justiz RS0117639; RS0123296 = 10 Ob 18/08g; 3 Ob 19/08b; 1 Ob 116/03w = EvBl 2003/160 mwN; Barth/Ganner, Handbuch des Sachwalterrechts, 67 mwN in FN 192).
Mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG ist der außerordentliche Revisionsrekurs daher zurückzuweisen.