Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens gem. § 8 SBBG - Nichtbescheid wegen falschem Bescheidadressaten bei Insolvenz des Scheinunternehmers
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/5100700/2021-RS1 | Im Verfahren zur Feststellung der Scheinunternehmerschaft gem. § 8 SBBG hat der Unternehmer, der im Verdacht steht, Scheinunternehmer zu sein, Parteistellung iSd § 8 Abs. 12 SBBG iVm § 78 Abs. 1 BAO. Der Feststellungsbescheid ist als Rechtsakt zu werten, der rechtliche Wirkungen beim Vermögen des Scheinunternehmers entfaltet (Haftung des Auftraggebers nach § 9 SBBG und Regressmöglichkeit; Rechtsfolgen nach IESG und ASVG, zivilrechtliche Gültigkeit des Vertrages, etc.). Ist über den Scheinunternehmer im Zeitpunkt der Erlassung des Feststellungsbescheides über das Vorliegen einer Scheinunternehmerschaft das Insolvenzverfahren eröffnet, ist deshalb der Bescheid als mit der Konkursmasse verhaftet zu qualifizieren und nicht dem höchstpersönlichen Bereich des Schuldners zuzuordnen. Das hat zur Folge, dass ein Schriftstück an den Masseverwalter im Insolvenzverfahren des XY zu adressieren ist. |
Entscheidungstext
BESCHLUSS
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***18*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***17***, vertreten durch Mag. ***11***, ***15***, betreffend Beschwerde vom gegen den Feststellungsbescheid gem. § 8 SBBG des Finanzamtes ***16*** vom über das Vorliegen eines Scheinunternehmens (natürliche Person) zu Steuernummer ***BF1StNr1*** beschlossen:
1. Die Beschwerde wird gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als nicht zulässig zurückgewiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Begründung
I. Verfahrensablauf vor dem Finanzamt
Im Juli 2017 gründete der rumänische Staatsangehörige ***Bf1*** an der Geschäftsanschrift ***1***, ein nicht protokolliertes Einzelunternehmen für Eisenbiegearbeiten.
Mit Beschluss des Landesgerichtes ***16*** vom ***2*** wurde über das Vermögen des ***Bf1*** ein Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet (AZ ***3***), welches mit Beschluss vom ***4*** in ein Konkursverfahren abgeändert wurde. Zum Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt ***5***, ***6***, bestellt. Der Betrieb wurde vom Insolvenzverwalter unmittelbar nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschlossen. Mit Beschluss vom ***7*** wurde der Konkurs nach Schlussverteilung (Quote 13,6 %) wieder aufgehoben.
Im Zuge von Kontrollen durch die Finanzpolizei, Erhebungen durch die OÖGKK und einer Hausdurchsuchung ergab sich der dringende Verdacht, dass das Einzelunternehmen ***Bf1*** bzw. Herr ***Bf1*** als Inhaber als "Anmeldevehikel" für die im Firmenkonglomerat des Herrn ***8*** agierenden Unternehmen, wie beispielsweise die Firma ***9*** GmbH, tätig ist.
Gem. § 8 Abs.1 SBBG ist ein Scheinunternehmen ein Unternehmen, das vorrangig darauf ausgerichtet ist, Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung und/oder Zuschläge nach dem BUAG zu verkürzen. Mit Stand hafteten Beiträge zur Sozialversicherung iHv. € 246.902,- und Zuschläge nach dem BUAG iHv. € 586.752,77 aus.
Am wurde als Folge der Ermittlungsergebnisse ein Feststellungsbescheid gem. § 8 SBBG erlassen, wonach der Rechtsträger ***Bf1***, geb.***10***, (nicht protokolliertes Einzelunternehmen) als ein Scheinunternehmen iSd Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes gilt.
Der Feststellungsbescheid vom wurde an "***Bf1***, geb. ***10***, zH RA ***5*** als Vertreter der Masse zu GZ ***3***" adressiert. Der Feststellungsbescheid erging, wie sich aus der Zustellverfügung ergibt, auch in Kopie an den den Bf. persönlich, per Anschrift seiner Rechtsvertretung.
Gegen den Feststellungsbescheid gem. § 8 SBBG wurde einerseits vom Insolvenzverwalter ***5*** als auch von RA Mag. ***11***, ***12***, in Vertretung ihres Mandanten ***Bf1*** Beschwerde erhoben.
Der Insolvenzverwalter führt in seiner Beschwerde (Schreiben vom ) aus, dass gemäß § 80 BAO der Insolvenzverwalter für die Zeit seiner Bestellung betreffend die Insolvenzmasse gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners sei. Der Insolvenzverwalter trete somit nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens an die Stelle des Schuldners, soweit es sich um Aktiv- oder Passivbestandteile der Insolvenzmasse handle. Nach seiner Ansicht handle es sich jedoch bei der Frage, ob ein Scheinunternehmen vorliege oder nicht, um keinen vom Insolvenzverfahren umfassten "Vermögensbestandteil" bzw. um kein der Exekution unterworfenes Vermögen, somit um keinen "Aktiv- oder Passivbestandteil" der Insolvenzmasse. Eine an den Schuldner zu Handen des Insolvenzverwalters gerichtete Erledigung sei nicht an den Insolvenzverwalter sondern an den Schuldner gerichtet (). Er erstatte daher auch nur vorsorglich für den Fall Beschwerde, dass seitens der Behörde eine andere Rechtsansicht vertreten werde. Begehrt werde die ersatzlose Aufhebung des Bescheides. Zur Begründung wurde auf die von der Vertreterin des Beschwerdeführers (Fr. RA Mag. ***11***) ausgeführte Beschwerde, welche als Anlage übermittelt wurde, verwiesen.
Von RA Mag. ***11*** wurde in ihrer Beschwerde ebenfalls u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die ersatzlose Aufhebung des Bescheides und die Einstellung des Verfahrens beantragt. In der Beschwerdeschrift wird der Sachverhalt aus ihrer Sicht geschildert und die Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften begehrt.
Aufgrund des Umstandes, dass das die Beschwerde der Rechtsvertreterin beinhaltende Kuvert der per Einschreiben aufgegebenen Briefsendung keine Aufgabestampiglie aufwies, wurde durch die Finanzpolizei eine Sendungssuchanfrage durchgeführt. Laut Antwort der Post wurde das Einschreiben am aufgegeben. Da der letzte Tag der Rechtsmittelfrist der war, wurde die Beschwerde mit BVE vom , adressiert an ***Bf1***, z.H. Frau RA Mag. ***11***, ***12***, als verspätet zurückgewiesen. Dagegen wurde am ein Vorlageantrag eingebracht und nachgewiesen, dass das Einschreiben am , um 22:47 Uhr, am Selbstbedienungsautomaten der Postfiliale ***19***, ***16***, aufgegeben wurde. Daraufhin wurde mit Aufhebungsbescheid gem. § 299 BAO vom die (zurückweisende) BVE wieder aufgehoben.
Im Anschluss wurde am wiederum eine an ***Bf1***, z.H. seiner Rechtsvertreterin, adressierte Beschwerdevorentscheidung erlassen, mit der die Beschwerde nunmehr als unbegründet abgewiesen wurde. In der 12-seitigen Begründung wurde den Beschwerdeausführungen entgegengetreten.
Dagegen wurde mit Schreiben vom (Postaufgabe am ) von der Rechtsvertreterin des ***Bf1*** der dem gegenständlichen Vorlagebericht zugrundeliegende Vorlageantrag eingebracht. Inhaltlich wurden keine weiteren Argumente vorgebracht.
II. Verfahren vor dem BFG
II.1.
Die Beschwerde der Rechtsanwältin des ***Bf1*** wurde am dem BFG zur Entscheidung vorgelegt. Nach Darstellung des Sachverhalts (siehe oben der Verfahrensablauf) hat das Finanzamt Österreich im Vorlagebericht folgende Stellungnahme abgegeben:
"Seit in Kraft treten des SBBG, welches gemäß § 1 SBBG die Verstärkung der Abwehr, Verhinderung und Verfolgung von Sozialbetrug und damit die Sicherstellung, dass selbstständig und unselbstständig Erwerbstätige zu vorschriftsgemäßen Bedingungen im Sinne des Schutzes der Arbeitnehmer, des Sozialsystems und des fairen Wettbewerbs ausüben, zum Inhalt hat, besteht expressis verbis auch der gesetzliche Auftrag zur bescheidmäßigen Feststellung von Scheinunternehmen durch die zuständige Abgabenbehörde. Neben diversen Sonderbestimmungen hinsichtlich der Zustellung von Verdachtsmitteilungen und Feststellungsbescheiden normiert § 8 SBBG - konkret § 8 Abs. 12 SBBG -, dass auf das Verfahren zur Feststellung von Scheinunternehmen sinngemäß die Bestimmungen der BAO mit Besonderheiten, wie u.a. die Verkürzung von Rechtsmittelfristen, anzuwenden sind. Darüber hinaus sind, allerdings auch abgesehen von den verfahrensrechtlichen Bestimmungen der BAO sowie den besonderen Bestimmungen des § 8 SBBG, bei anhängigen Insolvenzverfahren die Bestimmungen der Insolvenzordnung anzuwenden bzw. zu berücksichtigen.
Bei gegenständlichem Sachverhalt wurde nach umfangreichen mehrmonatigen Erhebungen der Finanzpolizei als Organ der Abgabenbehörde aufgrund hinreichender Anhaltspunkte iSd § 8 SBBG durch die zuständige Abgabenbehörde am ein Feststellungsbescheid iSd § 8 SBBG erlassen, wonach es sich bei dem Rechtsträger ***Bf1*** (nicht protokolliertes Einzelunternehmen) an der Anschrift ***Bf1-Adr*** (Betriebsstätte), um ein Scheinunternehmen iSd Sozialbetrugsbekämpfungsgesetzes handelt. Im Zeitpunkt der Erlassung des Feststellungsbescheides war das mit Beschluss des Landesgerichtes ***16*** vom ***2*** zu AZ ***3*** eröffnete Insolvenzverfahren noch nicht beendet.
Es stellt sich somit in diesem Fall die gleiche Problematik bezüglich der Bescheidadressierung wie in den angeführten Verfahren zu GZ. RV/5100924/2020 und RV/5101714/2018. Angemerkt sei, dass auch der Insolvenzverwalter ***5*** in seiner Beschwerde ausführt, dass diese nur vorsorglich erstattet werde, wobei er der Ansicht sei, dass es sich bei der Frage, ob ein Scheinunternehmen vorliegt oder nicht, um keinen vom Insolvenzverfahren umfassten "Vermögensbestandteil" bzw. um kein der Exekution unterworfenes Vermögen, somit um keinen "Aktiv- oder Passivbestandteil" der Insolvenzmasse handle. Er bestätigt damit indirekt die von der Finanzpolizei und damit der Abgabenbehörde vertretene Rechtsansicht.
Was die allfällige Verspätung der Beschwerde der Rechtsvertreterin des ***Bf1*** anlangt, wäre noch auf den Beschluss des BFG, Außenstelle Linz, vom zu GZ. RV/5101019/2018 hinzuweisen, wonach es für die Rechtzeitigkeit einer Eingabe nicht auf den Zeitpunkt der Benutzung des Postaufgabeautomaten sondern auf die postalische Behandlung - womöglich erst am nächsten Tag - ankommt (siehe dazu auch den Artikel von Hubert W. Fuchs in AFS 2018/Heft 4, S.141). Demnach wäre die Beschwerde von Fr. RA Mag. ***11*** tatsächlich verspätet eingebracht worden, weil die postalische Behandlung des Schriftstücks nicht mehr am sondern erst am erfolgte. Dennoch erscheint die Aufhebung der zurückweisenden Beschwerdevorentscheidung gerechtfertigt, weil am (Poststempel am Kuvert) auch der Insolvenzverwalter ***5*** eine Beschwerde eingebracht hat und zur Begründung seiner Beschwerde als Anlage die komplette Beschwerde von Fr. RA Mag. ***11*** übermittelt hat. Selbst wenn der Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens den Insolvenzverwalter gar nicht berühren sollte (wie er ja selbst entgegen der angeführten BFG-Beschlüsse vermeint), wäre damit die Beschwerde von Fr. RA Mag ***11*** rechtzeitig - wenn auch auf einem ungewöhnlichen Weg - eingebracht worden. Auch der Mangel einer allenfalls fehlenden Originalunterschrift wäre durch die am nächsten Tag (Öffnung der Postfiliale mit anschließender erstmaliger postalischen Behandlung des Beschwerdeschreibens) eingebrachte (Original)beschwerde von Fr. RA Mag. ***11*** saniert.
Im Fall, dass der VwGH im Revisionsverfahren betreffend die Bescheidadressierung zugunsten der Abgabenbehörde entscheidet und daher über die Beschwerde auf materiellrechtlicher Ebene zu entscheiden sein wird, wird beantragt, die Beschwerde im Sinne der Ausführungen in der Beschwerdevorentscheidung vom abzuweisen. In diesem Fall wird umgehend das oben genannte weitere Beweismaterial beigeschafft."
II.2.
Das BFG hat in weiterer Folge im Hinblick auf das beim VwGH anhängige außerordentliche Revisionsverfahren, Ra 2020/13/0107, zur gleichen verfahrensrechtlichen Rechtsfrage dieses Beschwerdeverfahren ausgesetzt. Mit zugestellt am , wurde die außerordentliche Revision mangels Beschwer des Revisionswerbers, jedoch unter Offenlassen der strittigen Rechtsfrage zurückgewiesen.
Mit diesem Beschluss wird das ausgesetzte Verfahren wieder aufgenommen und einer Entscheidung zugeführt.
Über den Beschluss wurde erwogen:
A. Streitpunkt
Strittig ist, ob die Abweisung der Beschwerde des Bf. gegen den Feststellungsbescheid über das Vorliegen seiner Scheinunternehmerschaft nach § 8 SBBG zu Recht erfolgte. Dazu ist im ersten Schritt zu prüfen, ob der Feststellungsbescheid wirksam erlassen worden ist. Erst wenn diese Frage zu bejahen ist, ist die Beschwerde im zweiten Schritt inhaltlich zu prüfen.
B. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt
Der entscheidungswesentliche unstrittige Sachverhalt ergibt sich, was das stattgefundene Verfahren betrifft, aus dem in Punkt I. dargestellten Verfahrensablauf vor der Behörde.
C. Rechtsgrundlagen
§§ 8 und 9 des Bundesgesetzes zur Verbesserung der Sozialbetrugsbekämpfung (Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz - SBBG) in der Fassung BGBl. I Nr. 113/2015, lauten samt Überschriften:
"3. Abschnitt
Maßnahmen gegen Scheinunternehmen
Verfahren zur Feststellung des Scheinunternehmens
§ 8.
(1) Scheinunternehmen ist ein Unternehmen, das vorrangig darauf ausgerichtet ist,
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1. | Lohnabgaben, Beiträge zur Sozialversicherung, Zuschläge nach dem BUAG oder Entgeltansprüche von Arbeitnehmer/inne/n zu verkürzen, oder |
2. | Personen zur Sozialversicherung anzumelden, um Versicherungs-, Sozial- oder sonstige Transferleistungen zu beziehen, obwohl diese keine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen. |
(2) Ein Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens ist gegeben, wenn die Anhaltspunkte bei einer Gesamtbetrachtung ihrem Gewicht, ihrer Bedeutung und ihrem wahren wirtschaftlichen Gehalt nach berechtigte Zweifel begründen, ob
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1. | die Anmeldung zur Sozialversicherung oder die Meldung bei der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse vom Vorsatz getragen ist, die in Folge der Anmeldung oder Meldung auflaufenden Lohn- und Sozialabgaben oder Zuschläge nach dem BUAG zur Gänze zu entrichten, oder |
2. | die Anmeldung zur Sozialversicherung vom Vorsatz getragen ist, dass die angemeldeten Personen eine unselbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen. |
Das Amt für Betrugsbekämpfung hat die Ermittlungen hinsichtlich des Verdachtes auf Vorliegen eines Scheinunternehmens im Sinne dieser Bestimmung durchzuführen.
(3) Anhaltspunkte für einen Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens sind insbesondere:
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1. | Auffälligkeiten im Rahmen einer Risiko- und Auffälligkeitsanalyse nach § 42b ASVG oder vergleichbaren Instrumenten, |
2. | Unauffindbarkeit von für das Unternehmen tätigen Personen, die dem angegebenen Geschäftszweig entsprechen, an der der Bundesfinanzverwaltung oder dem Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG zuletzt bekannt gegebenen Adresse oder der im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsanschrift, |
3. | Unmöglichkeit des Herstellens eines persönlichen Kontakts zu dem/der Rechtsträger/in oder dessen/deren organschaftlichen Vertreters/Vertreterin über die im Firmenbuch eingetragenen Geschäftsanschrift oder die der Bundesfinanzverwaltung oder dem Träger der Krankenversicherung nach dem ASVG zuletzt bekannt gegebene Adresse, |
4. | Verwendung falscher oder verfälschter Urkunden oder Beweismittel durch die dem Unternehmen zuzurechnenden Personen, |
5. | Nichtvorhandensein von dem angegebenen Geschäftszweig angemessenen Betriebsmitteln oder Betriebsvermögen, |
6. | Vorliegen nicht bloß geringer Rückstände an Sozialversicherungsbeiträgen im Zeitpunkt einer Anmeldung des/der Dienstnehmers/Dienstnehmerin zur Sozialversicherung. |
(4) Für die Feststellung der Scheinunternehmerschaft ist das Amt für Betrugsbekämpfung zuständig, welches bei Verdacht auf Vorliegen eines Scheinunternehmens diesen dessen Rechtsträger/in schriftlich mitzuteilen hat. Zum Zwecke der Klärung des Sachverhalts nach § 7 Abs. 1a Insolvenz-Entgeltsicherungsgesetz (IESG), BGBl. Nr. 324/1977, hat das Amt für Betrugsbekämpfung die IEF-Service GmbH über das Bestehen eines Verdachts im Sinne des ersten Satzes schriftlich zu informieren.
(5) Die Zustellung dieser Mitteilung hat nach dem 3. Abschnitt des Zustellgesetzes (ZustG), BGBl. Nr. 200/1982, elektronisch ohne Zustellnachweis zu erfolgen. Dabei gelten § 35 Abs. 6 zweiter Satz ZustG, § 35 Abs. 7 und, soweit er sich auf eine elektronische Zustelladresse bezieht, § 37 ZustG nicht.
(6) Ist die elektronische Zustellung nicht möglich, hat die physische Zustellung an die der Abgabenbehörde zuletzt bekannt gegebene Adresse und an eine allfällig im Firmenbuch eingetragene Geschäftsanschrift, die als Abgabestellen im Sinne des § 2 Z 4 ZustG gelten, ohne Zustellnachweis zu erfolgen. Die physische Zustellung wird auch dann bewirkt, wenn die Voraussetzungen des ZustG in Bezug auf die Anwesenheit des/der Empfängers/Empfängerin oder eines/einer Vertreters/Vertreterin nicht vorliegen oder das Dokument - insbesondere wegen Unauffindbarkeit des/der Empfängers/Empfängerin - nicht in eine für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen werden konnte. Bei Zustellung durch einen Zustelldienst oder ein Organ einer Gemeinde gilt die Zustellung am dritten Werktag nach Übergabe an den Zustelldienst oder die Gemeinde als bewirkt. § 26 Abs. 2 zweiter Satz ZustG ist nicht anzuwenden.
(7) Gegen den mitgeteilten Verdacht kann binnen einer Woche ab Zustellung Widerspruch beim Amt für Betrugsbekämpfung erhoben werden. Der Widerspruch kann nur durch persönliche Vorsprache des/der Rechtsträgers/Rechtsträgerin oder dessen/deren organschaftlichen Vertreters/Vertreterin erfolgen.
(8) Wird kein Widerspruch erhoben, hat das Amt für Betrugsbekämpfung mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach Abs. 2 vorliegt, als Scheinunternehmen gilt. Für die Zustellung dieses Bescheids gelten die Abs. 5 und 6. Der rechtskräftige Bescheid ist allen Kooperationsstellen, der Gewerbebehörde und dem Auftragnehmerkataster Österreich zu übermitteln; dasselbe gilt für allfällige spätere Änderungen betreffend die Feststellung als Scheinunternehmen.
(9) Wird Widerspruch erhoben, hat das Amt für Betrugsbekämpfung nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens mit Bescheid festzustellen, dass das Unternehmen, hinsichtlich dessen ein Verdacht nach Abs. 2 vorliegt, als Scheinunternehmen gilt, oder das Verfahren einzustellen. Die Feststellung als Scheinunternehmen gilt als wichtiger Grund im Sinne des § 102 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961. Für die Zustellung dieses Bescheids gilt die der Bundesfinanzverwaltung zuletzt bekannt gegebene Adresse als Abgabestelle im Sinne des § 2 Z 4 ZustG. Die physische Zustellung wird auch dann bewirkt, wenn die Voraussetzungen des ZustG in Bezug auf die Anwesenheit des/der Empfängers/Empfängerin oder eines/einer Vertreters/Vertreterin nicht vorliegen oder die schriftliche Verständigung von der Hinterlegung - insbesondere wegen Unauffindbarkeit des/der Empfängers/Empfängerin - nicht in eine für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt, an der Abgabestelle zurückgelassen oder an der Eingangstüre angebracht werden konnte. Der rechtskräftige Bescheid oder das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts ist allen Kooperationsstellen, der Gewerbebehörde und dem Auftragnehmerkataster Österreich zu übermitteln; dasselbe gilt für allfällige spätere Änderungen betreffend die Feststellung als Scheinunternehmen.
(10) Das Bundesministerium für Finanzen hat eine Liste der rechtskräftig festgestellten Scheinunternehmen im Internet zu veröffentlichen (Identität, Firmenbuchnummer und Geschäftsanschrift des Scheinunternehmens). Veröffentlichungen, die sich auf natürliche Personen beziehen, sind nach Ablauf von fünf Jahren nach der Veröffentlichung zu löschen.
(11) Handelt es sich beim Scheinunternehmen um einen im Firmenbuch eingetragene/n Rechtsträger/in, so ist der rechtskräftige Bescheid oder das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom Amt für Betrugsbekämpfung auch dem zuständigen Firmenbuchgericht zu übermitteln; dasselbe gilt für allfällige spätere Änderungen betreffend die Feststellung als Scheinunternehmen. Das Gericht hat aufgrund einer solchen Mitteilung von Amts wegen die Eintragung gemäß § 3 Abs. 1 Z 15a des Firmenbuchgesetzes (FBG), BGBl. Nr. 10/1991, vorzunehmen oder zu löschen. Handelt es sich beim Scheinunternehmen um eine Kapitalgesellschaft, so hat das Amt für Betrugsbekämpfung beim zuständigen Firmenbuchgericht gegebenenfalls auch einen Antrag auf Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG zu stellen.
(12) Auf das Verfahren sind die Vorschriften der BAO sinngemäß mit den vorgenannten und folgenden Besonderheiten anzuwenden:
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1. | Für die Mitteilung nach Abs. 4 gilt § 93 Abs. 3 bis 6 BAO sinngemäß. Weiters ist darauf hinzuweisen, dass im Falle der Erhebung des Widerspruchs das ordentliche Verfahren eingeleitet wird. |
2. | Die Frist für die Einbringung einer Beschwerde nach § 243 BAO beträgt eine Woche. § 245 Abs. 3 BAO gilt nicht. |
3. | Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung nach § 308 Abs. 3 BAO beträgt zwei Wochen. Soweit die Frist zur Erhebung des Widerspruchs gegen den mitgeteilten Verdacht nach Abs. 7 versäumt wurde, hat die persönliche Vorsprache innerhalb der Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung zu erfolgen. Die Frist nach § 309 BAO beträgt sechs Wochen. |
4. | Gegen Bescheide nach den Abs. 8 und 9 sind Beschwerden an das Bundesfinanzgericht zulässig. Die Beschwerde ist beim Amt für Betrugsbekämpfung einzubringen. |
"Haftung für Entgelt
§ 9. Ab der rechtskräftigen Feststellung des Scheinunternehmens haftet der/die Auftrag gebende Unternehmer/in, wenn er/sie zum Zeitpunkt der Auftragserteilung wusste oder wissen musste, dass es sich beim Auftrag nehmenden Unternehmen um ein Scheinunternehmen nach § 8 handelt, zusätzlich zum Scheinunternehmen als Bürg/e/in und Zahler/in nach § 1357 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS Nr. 946/1811, für Ansprüche auf das gesetzliche, durch Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt für Arbeitsleistungen im Rahmen der Beauftragung der beim Scheinunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer/innen."
D. Rechtliche Beurteilung
D.1.
Wie aus § 8 Abs. 12 SBBG hervorgeht, sind auf das Verfahren betreffend Erlassung eines Feststellungsbescheides über das Vorliegen eines Scheinunternehmens die Vorschriften der BAO sinngemäß mit einigen Besonderheiten, vor allem hinsichtlich der Fristen und der Zustellung, anzuwenden. Ergeht im Anwendungsbereich der BAO ein Bescheid an ein Unternehmen, über das Insolvenz eröffnet wurde, sind zudem die Vorschriften der Insolvenzordnung zu beachten (andere Ansicht des Finanzamtes in ). Die besonderen Zustellungsregeln des SBBG sollen eine Verschleppung des Verfahrens durch den Scheinunternehmer verhindern. Ist jedoch die Insolvenz über das Scheinunternehmen eröffnet und ein Masseverwalter vom Gericht bestellt, bedarf es dieser besonderen Zustellregeln des SBBG nicht, da der nach Insolvenzeröffnung allein zuständige Masseverwalter greifbar ist und kein Interesse hat, das Verfahren zu verschleppen. Im Übrigen ist aus dem gesamten Insolvenzrecht erkennbar, dass die außerhalb der Insolvenz geltenden Regeln in anderen Gesetzen durch die Eröffnung der Insolvenz und der dann in der Insolvenzordnung geltenden Regeln modifiziert werden.
Nachdem die Bestimmungen der BAO "sinngemäß" anzuwenden sind, ist der Rechtsträger, der im Verdacht steht, Scheinunternehmer zu sein, Abgabepflichtiger iSd BAO, auch wenn es in diesem Verfahren nicht um die Erhebung von Abgaben geht. Dieser Rechtsträger hat damit Parteistellung im Verfahren zur Feststellung der Scheinunternehmereigenschaft (§ 8 Abs. 12 SBBG iVm § 78 Abs. 1 BAO) (Vgl. Wiesinger in ASoK-Spezial Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz (SBBG), 2.3.3.2.2. Parteien und Vertreter). Im Insolvenzverfahren des Scheinunternehmers gelten die weiter unten dargestellten Besonderheiten.
Die sinngemäße Anwendung der BAO bedeutet zudem, dass auch die zur BAO ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu beachten ist.
D.2.
Im Zeitpunkt der Erlassung des Feststellungsbescheides über das Vorliegen eines Scheinunternehmens nach § 8 SBBG im Mai 2020 war über den nicht protokollierten Einzelunternehmer, den Bf., bereits die Insolvenz eröffnet. Die Rechtswirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens treten mit Beginn des Tages ein, der der öffentlichen Bekanntmachung des Inhalts des Insolvenzediktes folgt (§ 2 Abs. 1 IO). Die öffentliche Bekanntmachung des Beschlusses des Landesgerichtes Linz vom ***4*** über die Insolvenzeröffnung wird unmittelbar nach Beschlussfassung im Jänner 2020 erfolgt sein. Die Rechtswirkungen der Insolvenzeröffnung sind daher Monate vor der Erlassung des beschwerdegegenständlichen Feststellungsbescheides vom eingetreten.
Durch Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird das gesamte der Exekution unterworfene Vermögen, das dem Schuldner zu dieser Zeit gehört oder das er während des Insolvenzverfahrens erlangt (Insolvenzmasse), dessen freier Verfügung entzogen (§ 2 Abs. 2 IO).
Gem. § 3 Abs. 1 1.Satz IO sind Rechtshandlungen des Gemeinschuldners nach der Konkurseröffnung, welche die Konkursmasse betreffen, den Konkursgläubigern gegenüber unwirksam. Gem. § 6 Abs. 1 IO können Rechtsstreitigkeiten, welche die Geltendmachung oder Sicherstellung von Ansprüchen auf das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen bezwecken, nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner weder anhängig noch fortgesetzt werden ("Prozesssperre"). Hingegen können gem. § 6 Abs. 3 IO Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, insbesondere über Ansprüche auf persönliche Leistungen des Schuldners, auch während des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner oder von ihm anhängig gemacht werden.
D.3.
Hinsichtlich des durch die Insolvenzeröffnung seiner freien Verfügung entzogenen Vermögens ist der Gemeinschuldner verfügungsunfähig und insoweit prozessunfähig. Stattdessen ist der Masseverwalter zum Einschreiten für den Gemeinschuldner legitimiert, allerdings auch nur soweit, als der Gemeinschuldner verfügungsunfähig ist, weil es sich zumindest teilweise um Aktiv- bzw. Passivbestandteile der Konkursmasse handelt. Nicht der Masseverwalter, sondern ausschließlich der Gemeinschuldner selbst ist verfügungsbefugt und allein zum Einschreiten legitimiert in jenen Bereichen, die das zur Konkursmasse gehörende Vermögen überhaupt nicht betreffen (vgl. ; ). Dabei handelt es sich um Rechtshandlungen, die sich auf das konkursfreie Vermögen beziehen, die auf nicht vermögensrechtlichen Gebiet liegen, z.B. persönliche Leistungen des Gemeinschuldners betreffen, oder um Verfügungen über Massevermögen unter der Bedingung der Aufhebung des Konkurses (Schubert in Konecny/Schubert: Insolvenzgesetze § 3 KO, Rz 10).
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass die Konkurseröffnung dazu führt, dass der Masseverwalter für die Zeit seiner Bestellung betreffend die Konkursmasse - soweit die Befugnisse des Gemeinschuldners beschränkt sind - gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners iSd § 80 BAO ist. In einem Abgabenverfahren tritt nach der Konkurseröffnung der Masseverwalter an die Stelle des Gemeinschuldners, soweit es sich um Aktiv- oder Passivbestandteile der Konkursmasse handelt. Die Abgaben sind daher während des Konkursverfahrens gegenüber dem Masseverwalter festzusetzen (vgl. den , mwN).
D.4.
Auf Verwaltungsverfahren findet die Bestimmung des § 6 IO nicht Anwendung, da unter "Rechtsstreitigkeiten" nur gerichtliche Verfahren zu verstehen sind. Allerdings vertritt nach der hg. Judikatur zur Konkursordnung (KO) idF vor der Novellierung (und Umbenennung in Insolvenzordnung) durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 der Masseverwalter die Gemeinschuldnerin (nunmehr: Schuldnerin; siehe § 275 Abs. 1 Z. 23 IO) auch im Verwaltungsverfahren, "wenn die Masse betroffen ist". Nur der Masseverwalter ist insofern auch zur Erhebung von Rechtsmitteln berechtigt. Während der Anhängigkeit des Konkurses können gemäß § 6 Abs. 3 KO nur Rechtsstreitigkeiten über Ansprüche, die das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen, insbesondere über Ansprüche auf persönliche Leistungen des Gemeinschuldners, vom Gemeinschuldner selbst anhängig gemacht und fortgesetzt werden. Bereits anhängige Verwaltungsverfahren werden zwar nicht von der Unterbrechungswirkung des § 7 Abs. 1 KO (betreffend alle "anhängigen Rechtsstreitigkeiten", worunter nur zivilrechtliche Verfahren zu verstehen sind) umfasst, doch endet die Prozessfähigkeit des Gemeinschuldners auch für diese Verfahren mit der Eröffnung des Konkurses, soweit es sich nicht um Verfahren handelt, die im vorstehenden Sinn die Masse nicht betreffen ("das zur Konkursmasse gehörige Vermögen überhaupt nicht betreffen"). Partei in solchen Verfahren ist ebenfalls der Masseverwalter ( zur Akteneinsicht des Masseverwalters in einen Akt des Stadtschulrates für Wien). Damit kommt aber die Vertretungsbefugnis hinsichtlich einer allfälligen Akteneinsicht in solchen Verwaltungsverfahren dem Masseverwalter zu (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2004/17/0173, und vom , Zl. 2005/07/0172, je mit ausführlichen Hinweisen auf Literatur und Judikatur sowie die bei Mohr, Insolvenzordnung11 (2012) E 75 ff zu § 7 und E 154 ff zu § 81a zitierte weitere hg. Judikatur). Auch das Recht der Erhebung von Rechtsmitteln, etwa einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, kommt in solchen Fällen nur dem Masseverwalter zu (vgl. die bei Mohr, aaO, E 158 zu § 81a zitierte hg. Judikatur; Vgl. Schubert in Konecny/Schubert, Insolvenzgesetze § 6 KO (Stand , rdb.at, Rz 45).
Eine inhaltliche Änderung der für diese Judikatur maßgeblichen Bestimmungen der KO ist durch das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2010 nicht eingetreten (siehe insbesondere § 2 Abs. 2 IO über die Entziehung des Vermögens aus der freien Verfügung des Schuldners (früher § 1 Abs. 1 KO), § 3 Abs. 1 über die Unwirksamkeit von Rechtshandlungen des Schuldners, §§ 6 und 7 über die Wirkung der Insolvenzeröffnung in Ansehung von Rechtsstreitigkeiten sowie § 81a Abs. 2 über die Verpflichtung des Insolvenz- bzw. Masseverwalters zur Führung von die Masse betreffenden Rechtsstreitigkeiten).
D.5.
§ 9 SBBG sieht als Rechtsfolge der rechtskräftigen Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens zusätzlich zum Scheinunternehmern die Haftung des den Auftrag gebenden Unternehmens als Bürge und Zahler nach § 1357 ABGB für Ansprüche auf das gesetzliche, durch Verordnung festgelegte oder kollektivvertragliche Entgelt für Arbeitsleistungen im Rahmen der Beauftragung der beim Scheinunternehmen beschäftigten Arbeitnehmer vor. Auf den Bürgen gehen die Ansprüche des Gläubigers über, wenn er von diesem in Anspruch genommen wird (§ 1358 ABGB). Das Auftrag gebende Unternehmen kann sich daher seinerseits beim Scheinunternehmen regressieren.
Damit hat diese Bestimmung nicht nur Einfluss auf den Umfang der Masse, sondern auch auf die Frage, wer Gläubiger der Masse ist. § 17 IO regelt explizit die Rechte der Mitschuldner und Bürgen gegen die Insolvenzmasse, soweit ihnen ein Rückgriff gegen den Schuldner zusteht.
Die Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens bewirkt aber auch Rechtsfolgen in anderen Gesetzen (ASVG, IESG, etc.). Zivilrechtlich ergeben sich Fragen, ob ein bestehender Vertrag zwischen dem Scheinunternehmer und dem Auftrag gebenden Unternehmer aufgrund der Scheinunternehmereigenschaft angefochten oder beendet werden kann.
Zur Zustimmung zum Anspruch von Kündigungen gemäß § 45a Abs. 8 AMFG hat der VwGH, , folgendes erkannt: "Unter diesen Gesichtspunkten ist der verfahrensgegenständliche Anspruch gemäß § 45a Abs. 8 AMFG auf Verkürzung der in § 45a Abs. 2 AMFG genannten Frist auch als Teil der Masse zu betrachten. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Kündigung, deren vorzeitigen Ausspruch die Beschwerdeführerin nach § 45a Abs. 8 AMFG begehrte, eine rechtlich relevante Handlung ist, die rechtliche Wirkungen beim Vermögen des Gemeinschuldners hervorrufen kann, wobei es genügt, dass diese Wirkungen auch nur mittelbar die Masse betreffen (s. den , mwN, und Feil, aaO, zu § 6, S. 83, Rz 1). Aber auch der dritte Satz des § 45a Abs. 2 AMFG, nach dem die fristauslösende Anzeige im Fall des Konkurses vom Masseverwalter zu erstatten ist, wenn sie nicht (wie im vorliegenden Fall) schon vor Konkurseröffnung erstattet wurde, bestätigt diese Sichtweise.
Da im Zeitpunkt der Beschwerdeeinbringung über das Vermögen der Beschwerdeführerin bereits der Konkurs eröffnet und ein Masseverwalter bestellt war, war die Beschwerdeführerin somit nicht mehr beschwerdelegitimiert. Die Beschwerde war daher mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen."
Der VwGH () ist überhaupt der Ansicht, dass die Konkurseröffnung die weitaus überwiegenden Vermögensbestandteile erfasst; dass ein Vermögensbestandteil nicht konkursverfangen ist, ist nach dem VwGH stets als Ausnahmefall zu betrachten.
D.6.
Der beschwerderelevante Feststellungsbescheid ist auch als ein rechtlich relevanter Akt einzustufen, der, wie dargestellt wurde, rechtliche Wirkungen beim Vermögen des Schuldners hervorrufen kann. Daher ist im Beschwerdefall der Bescheid über die Feststellung des Vorliegens eines Scheinunternehmens nach § 8 SBBG als Teil der Masse zu betrachten und nicht dem höchstpersönlichen Bereich des Schuldners zuzuordnen. Für all jene Bereiche, die die Insolvenzmasse betreffen, ist ausschließlich der Masseverwalter zum Einschreiten für den Schuldner befugt.
D.7.
Erledigungen werden dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt bei schriftlichen Erledigungen grundsätzlich durch Zustellung (§ 97 Abs. 1 lit. a BAO). Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist (§ 7 ZustG). Keine Heilung nach § 7 ZustG ist - zumindest nach hA - möglich, wenn die Zustellverfügung auf einen falschen Empfänger lautet (Vgl. Ritz, BAO, 6. Auflage, § 7 ZustG Rz 4).
Eine an den Gemeinschuldner, vertreten durch bzw., wie im Beschwerdefall, zu Handen XX als Masseverwalter gerichtete Erledigung ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH nicht an den Masseverwalter, sondern an den Gemeinschuldner gerichtet. Durch die bloße Zustellung der an den Gemeinschuldner gerichteten Erledigung an den Masseverwalter ist sie dem Masseverwalter gegenüber nicht wirksam geworden (), weil die Zustellverfügung auf den falschen Empfänger lautet. In seiner Rechtsprechung erkennt der VwGH lediglich als richtige Bescheidbezeichnung "X als Masseverwalter (bzw. Insolvenzverwalter) im Konkurs (bzw. in der Insolvenz) über das Vermögen Y". Diese "Formstrenge" betreffend die Bezeichnung des Bescheidadressaten ist nach dem VwGH () lediglich im Hinblick auf ausländische Insolvenzverfahren nicht angebracht. Bei ausländischen Konkursverfahren ist sohin eine "Deutung" der Bezeichnung des Bescheidadressaten zulässig. Im Beschwerdefall handelt es sich jedoch um ein inländisches Insolvenzverfahren.
Im Beschwerdefall wurde der Feststellungsbescheid nach Insolvenzeröffnung an den Beschwerdeführer zu Handen des Masseverwalters gerichtet. Ein derartiges Schriftstück entfaltet weder eine Wirkung für den Gemeinschuldner noch für den Masseverwalter (Vgl. ). Vor diesem Hintergrund erweist sich der in Beschwerde gezogene Feststellungsbescheid, der lediglich zu Handen des Masseverwalters und nicht an diesen gerichtet war, wegen falscher Empfängerbenennung als nicht wirksam erlassen. Ebenso vermochte der Feststellungsbescheid keine Wirkung gegenüber dem Bf. zu entfalten, da dieser aufgrund des anhängigen Insolvenzverfahrens dispositionsunfähig war. Das hat zur Folge, dass das als Feststellungsbescheid titulierte Schriftstück als Nichtbescheid anzusehen ist.
Eine Bescheidbeschwerde ist mit Beschluss zurückzuweisen, wenn sie nicht zulässig ist (§ 260 Abs. 1 lit. a BAO). Mit Beschwerde anfechtbar sind nur Bescheide. Daher sind Bescheidbeschwerden gegen Schriftstücke ohne Bescheidcharakter als unzulässig zurückzuweisen (Vgl. Ritz, BAO, 6. Auflage, § 260 Rz 8 mwN).
Die Beschwerde war daher bereits aus diesem Grund mit Beschluss gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als unzulässig zurückzuweisen.
D.8.
Gem. § 274 Abs. 3 Z 1 iVm Abs. 5 BAO kann ungeachtet eines Antrags von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, wenn die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen ist.
Das Absehen von der beantragten mündlichen Verhandlung liegt im Ermessen und ist verfahrensökonomisch zweckmäßig. Eine Unbilligkeit des Absehens von der mündlichen Verhandlung ist nicht erkennbar. Daher wird das Ermessen dahingehend geübt, dass von der mündlichen Verhandlung abgesehen wird
E. Zulässigkeit einer Revision
Gegen einen Beschluss des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Zur Frage, an welchen Bescheidadressaten ein Feststellungsbescheid über das Vorliegen eines Scheinunternehmens gem. § 8 SBBG ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Scheinunternehmer zu richten ist, gibt es noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung. Die ordentliche Revision ist daher zulässig.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 8 SBBG, Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, BGBl. I Nr. 113/2015 § 6 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 6 Abs. 3 KO, Konkursordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 8 Abs. 12 SBBG, Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, BGBl. I Nr. 113/2015 § 6 Abs. 1 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 6 Abs. 3 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 97 Abs. 1 lit. a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 7 Abs. 1 KO, Konkursordnung, RGBl. Nr. 337/1914 § 9 SBBG, Sozialbetrugsbekämpfungsgesetz, BGBl. I Nr. 113/2015 § 7 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982 § 2 Abs. 2 IO, Insolvenzordnung, RGBl. Nr. 337/1914 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Wiesinger in SWK 20-21/2024, 948 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100700.2021 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at