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Berufungsentscheidung - Steuer (Referent), UFSW vom 16.06.2008, RV/1275-W/08

Bezug von Familienbeihilfe einer karenzierten Arbeitnehmerin, die im Inland über keinen Wohnsitz verfügt.

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/1275-W/08-RS1
Eine Person besitzt auch dann die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art 1 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit, wenn sie sich in einem zwar karenzierten, aber damit weiter aufrecht bestehendem Arbeitsverhältnis befindet, jedenfalls solange ein Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz besteht.

Entscheidungstext

Berufungsentscheidung

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10, vertreten durch ADir. Christine Nemeth, vom betreffend Familienbeihilfe ab entschieden:

1. Der Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom , wonach der Antrag der Bw. vom "auf Familienbeihilfe" für ihre Kinder K und V für den Zeitraum "ab Jän. 2007" abgewiesen wird, wird gemäß § 298 Abs. 2 BAO aufgehoben.

2. Der als Berufungsvorentscheidung bezeichnete Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom , wonach (erstmalig) offenbar auch über den Anspruch der Bw. auf "Kinderabsetzbetrag" für diese Kinder (für das Jahr 2007) abgesprochen wird, wird gemäß § 298 Abs. 2 BAO aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Die Berufungswerberin (Bw.) ist tschechische Staatsbürgerin und arbeitet in Österreich.

Am brachte sie beim Finanzamt Wien 2/20/21/22 (weitergeleitet an das Finanzamt Wien 4/5/10 am ) zwei Anträge auf Gewährung von Familienbeihilfe betreffend ihrer Kinder V, geb. 2006 und K, geb. 2004 ein.

Ein in den Finanzamtsakten aufliegender Versicherungsdatenauszug zeigt folgende Daten:


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Arbeiterin
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Arbeiterin
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Wochengeldbezug
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Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld
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Arbeiterin
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Wochengeldbezug
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Arbeiterin
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Wochengeldbezug
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Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld

Auch ergab eine Anfrage beim Zentralen Melderegister, dass die Bw. in Österreich nicht gemeldet ist und somit über keinen Wohnsitz verfügt.

Eine Anfrage betreffend den Anspruch auf Familienleistungen (Kindergeld) in dem Mitgliedstaat, in dem die Familienangehörigen wohnen, wurde von den tschechischen Behörden wie folgt beantwortet:

Der Ehegatte der Bw. war in Tschechien nicht selbständig tätig und habe im Zeitraum bis je 256,00 CZR für die Kinder V und K an näher bezeichneten Familienleistungen erhalten.

Ab dem Zeitraum hatte der Ehegatte der Bw. keinen Anspruch auf Familienleistungen.

Mit Bescheid vom wies das für den Arbeitgeber der Bw. zuständige Finanzamt Wien 4/5/10 den "Antrag vom auf Gewährung auf Familienbeihilfe" für die Kinder V und K ab Jänner 2007 ab.

Begründend wurde hiezu ausgeführt, dass kein Anspruch auf Familienbeihilfe vorläge, weil die Bw. im Kalenderjahr 2007 keiner Beschäftigung nachgegangen sei.

Am langte beim Finanzamt Wien 4/5/10 eine Familienbescheinigung für die Gewährung von Familienleistungen ein, aus der hervorgeht, dass die Kinder V und K bei der Bw. und ihrem Gatten im gemeinsamen Haushalt in Tschechien wohnen.

Am legte die Bw. "Berufung gegen den Abweisungsbescheid vom (zu ihrem Antrag vom ) und "dessen Begründung, dass keine Beschäftigung im Kalenderjahr 2007 vorgelegen wäre" ein.

Es werde um einen wohlwollenden Beschluss gebeten.

Beigefügt war eine Bestätigung des Arbeitgebers sowie eine Kopie des Abweisungsbescheids.

Mit Schreiben vom wurde vom Arbeitgeber der Bw. bestätigt, dass die Bw. seit (Karenzurlaub vom bis und vom bis ) als Nahrungsmittelbearbeiterin in ungekündigter Stellung beschäftigt sei.

Am versendete das Finanzamt einen Fragenvorhalt, in dem gebeten wurde, die österreichischen Einkünfte des Kalenderjahres 2007 offen zu legen.

Die Bw. beantwortete diesen Vorhalt dahingehend, dass sie bekannt gab, "von Jänner 2007 bis Dezember 2007" keine österreichischen Einkünfte erzielt zu haben.

Am erließ das Finanzamt Wien 4/5/10 hinsichtlich der Berufung gegen den Abweisungsbescheid vom "(Familienbeihilfe, Kinderabsetzbetrag für die Kinder V , geb. 2006 und K , geb. 2004)" eine abweisende Berufungsvorentscheidung.

Es wurde ausgeführt, dass die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 regle, welcher Mitgliedstaat für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen vorrangig zur Gewährung der im Hoheitsgebiet vorgesehenen Familienleistungen verpflichtet sei.

Vorrangig müsse grundsätzlich jener Mitgliedstaat die Familienleistungen gewähren, in dem eine Erwerbstätigkeit ausgeübt werde.

Da im Kalenderjahr 2007 im Bundesgebiet keine Einkünfte erzielt worden seien, könne Familienbeihilfe nicht zuerkannt werden.

Am stellte die Bw. einen Vorlageantrag auf Entscheidung über die Berufung gegen den Abweisungsbescheid vom an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

"Ich berufe mich auf ihre Berufungsvorentscheidung vom . Es wurden alle verlangten und notwendigen Unterlagen, ordnungsgemäß und wahrheitsgetreu von mir vorgelegt (Ansuchen um Familienbeihilfe, Bestätigung über ein aufrechtes Dienstverhältnis, sowie Karenzurlaub vom bis , etc.). Bei allem zu Gebühr stehendem Respekt.

In meiner Anstellung war ich stets ordnungsgemäß angemeldet (dementsprechende Steuerabgaben) und bin auch jetzt in aufrechtem Dienstverhältnis- in Karenzurlaub!

Ich erfülle alle Bedingungen um Familienbeihilfe bzw. Kindergeld beziehen zu können.

Worauf basiert also ihre ablehnende Haltung?

Ich bitte Sie daher eindringlich, ihre Entscheidung zu überdenken und wohlwollend zu beurteilen".

Am legte das Finanzamt Wien 4/5/10 die Berufung zur Entscheidung dem Unabhängigen Finanzsenat vor.

Strittig sei der Umstand, "dass im Kalenderjahr 2007 keine Einkünfte vorgelegen seien".

Über die Berufung wurde erwogen:

Sachverhalt

Auf Grund der im vorgelegten Akt des Finanzamtes sowie im Akt RV/0362-W/06 des Unabhängigen Finanzsenats enthaltenen Beweismittel steht folgender Sachverhalt fest:

Die Bw. ist Staatsbürgerin der Tschechischen Republik. Ihr Wohnsitz, der auch Familienwohnsitz ist, befindet sich - in Grenznähe - in Z.

Die Bw. ist verheiratet, ihr Gatte ist in der Tschechischen Republik berufstätig.

Seit dem Jahr 1994 war die Bw. bei zwei Dienstgebern im Inland beschäftigt gewesen, nämlich im Zeitraum 1994 bis zum bei der Fa. HT GmbH in G sowie seit bis zum im Werk Hollabrunn bei der Fa. K GmbH mit Firmensitz in 1220 Wien.

Zwischen und einerseits und zwischen bis andererseits befand bzw. befindet sich die Bw. in Karenzurlaub.

Am wurde die Tochter der Bw., am der Sohn der Bw. jeweils in Tschechien geboren. Beide Kinder leben bei ihrer Mutter in Z.

Die Bw. bezog im Zeitraum bis Wochengeld von der K GmbH sowie im Zeitraum bis zum Kinderbetreuungsgeld der Wiener Gebietskrankenkasse.

Von bis erzielte die Bw. sozialversicherungspflichtige Einkünfte von der K. GmbH.

Im Zeitraum bis erhielt die Bw. (vorzeitiges) Wochengeld.

Von bis erzielte die Bw. sozialversicherungspflichtige Einkünfte von der K. GmbH.

Die Bw. bezog ferner im Zeitraum bis Wochengeld von der K GmbH sowie im Zeitraum bis Kinderbetreuungsgeld von der Wiener Gebietskrankenkasse.

Ab sind keine Versicherungsdaten beim Hauptverband der Österreichischen Sozialversicherungsträger ersichtlich.

Im Zentralen Melderegister liegen über die Bw. keine Daten für eine Meldeauskunft vor. Die Bw. verfügt somit über keinen (weiteren) Wohnsitz im Inland.

Beweiswürdigung

Der vorstehend dargestellte Sachverhalt ist unstrittig.

Zuständigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz

Gemäß § 13 FLAG 1967 hat über Anträge auf Gewährung der Familienbeihilfe das nach dem Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt der antragstellenden Person zuständige Finanzamt zu entscheiden. Insoweit einem Antrag nicht oder nicht vollinhaltlich stattzugeben ist, ist ein Bescheid zu erlassen.

§ 26 Abs. 1 und Abs. 2 BAO lautet:

"(1) Einen Wohnsitz im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er eine Wohnung innehat unter Umständen, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird.

(2) Den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn der Abgabenvorschriften hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Wenn Abgabenvorschriften die unbeschränkte Abgabepflicht an den gewöhnlichen Aufenthalt knüpfen, tritt diese jedoch stets dann ein, wenn der Aufenthalt im Inland länger als sechs Monate dauert. In diesem Fall erstreckt sich die Abgabepflicht auch auf die ersten sechs Monate. Das Bundesministerium für Finanzen ist ermächtigt, von der Anwendung dieser Bestimmung bei Personen abzusehen, deren Aufenthalt im Inland nicht mehr als ein Jahr beträgt, wenn diese im Inland weder ein Gewerbe betreiben noch einen anderen Beruf ausüben."

§ 70 BAO lautet:

"Soweit über die örtliche Zuständigkeit der Abgabenbehörden nicht anderes bestimmt wird, richtet sich diese

1. in Sachen, die sich auf ein unbewegliches Gut beziehen: nach der Lage des Gutes;

2. in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen: nach dem Ort, von dem aus das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird, worden ist oder werden soll;

3. in sonstigen Sachen: zunächst nach dem Wohnsitz (Sitz) des Abgabepflichtigen, dann nach seinem Aufenthalt, schließlich nach seinem letzten Wohnsitz (Sitz) im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommen kann oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlaß zum Einschreiten. Bei mehrfachem Wohnsitz im Bereich verschiedener Finanzämter ist § 55 Abs. 2 sinngemäß anzuwenden."

Gemäß § 50 Abs. 1 BAO haben die Abgabenbehörden haben ihre sachliche und örtliche Zuständigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. Langen bei ihnen Anbringen ein, zu deren Behandlung sie nicht zuständig sind, so haben sie diese ohne unnötigen Aufschub auf Gefahr des Einschreiters an die zuständige Stelle weiterzuleiten oder den Einschreiter an diese zu weisen.

Abschnitt 13.00 der - den Unabhängigen Finanzsenat nicht bindenden - DR-FLAG 1967 (Durchführungsrichtlinien zum Familienlastenausgleichsgesetz 1967, Richtlinie des BMGFJ, GZ BMGFJ-510104/0001-II/1/2007 vom ) führt zur Zuständigkeit in Familienbeihilfensachen aus:

"1. Die Zuständigkeit für die Erledigung von Familienbeihilfenanträgen richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen der BAO. Besteht kein inländischer Wohnsitz (mehr), ergibt sich die Zuständigkeit aus § 70 BAO.

2. Kann die Zuständigkeit nicht von dem (letzten) Wohnsitz oder dem gewöhnlichen Aufenthalt im Inland abgeleitet werden, ist für die Zuständigkeit der Ort der Beschäftigung (als Aufenthalt) maßgeblich."

Die Bw. verfügt nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen über keinen Wohnsitz in Österreich. Auch besteht kein gewöhnlicher Aufenthalt in Österreich.

Ein nach § 13 FLAG 1967 zuständiges Finanzamt besteht daher nicht.

Nach der hilfsweise heranzuziehenden Zuständigkeitsregelung des § 70 Z 2 BAO richtet sich die örtliche Zuständigkeit mangels anderer Regelungen bei "Sachen, die sich auf den Betrieb ... einer sonstigen Tätigkeit beziehen" nach dem Ort", von dem aus ... die Tätigkeit ausgeübt wird."

Da - wie im Folgenden dargestellt - Anknüpfungsmerkmal für den Familienbeihilfenbezug eine inländische Erwerbstätigkeit ist, ist der Tätigkeitsort des § 70 Abs. 2 BAO (und nicht der subsidiär heranzuziehende Anlass des Einschreitens) maßgebend.

Nach den vom Unabhängigen Finanzsenat im Verfahren RV/0362-W/02 getroffenen Feststellungen arbeitet die Bw. im Werk Hollabrunn der K. GmbH.

Tätigkeitsort ist daher nicht der Unternehmenssitz der K. GmbH oder der Ort der Lohnverrechnung der K. GmbH, sondern der Ort der tatsächlichen Beschäftigung, nämlich Hollabrunn.

Die Bw. hat ihre Anträge auf Familienbeihilfe beim Finanzamt Wien 2/20/21/22 eingereicht, das offenbar auch Betriebsstättenfinanzamt der Arbeitgeberin der Bw. ist (jedenfalls befindet sich die letzte aktenkundige Adresse der Arbeitgeberin laut deren Schreiben vom in 1220 Wien).

Der angefochtene Bescheid wurde vom Finanzamt Wien 4/5/10 erlassen, wobei aus dem vorgelegten Akt die Gründe, aus denen das Finanzamt von seiner Zuständigkeit ausgeht, nicht ersichtlich sind.

Nach der Aktenlage ist jedoch für die Erledigung das Finanzamt Korneuburg Hollabrunn Tulln zuständig, da sich das Werk Hollabrunn, in welchem die Bw. arbeitet, in dessen örtlichen Zuständigkeitbereich befindet.

Da der angefochtene Bescheid vom nach der Aktenlage von einem örtlich unzuständigen Finanzamt erlassen wurde, war er bereits aus diesem Grund gemäß § 289 Abs. 2 BAO ersatzlos aufzuheben.

Dieser Bescheid spricht über den Antrag der Bw. vom "auf Familienbeihilfe" für ihre Kinder Karin und Viktor für den Zeitraum "ab Jän. 2007" ab.

In der Berufungsvorentscheidung vom wird offenbar (erstmalig) auch über den Anspruch der Bw. auf "Kinderabsetzbetrag" für diese Kinder (für das Jahr 2007) abgesprochen und ist diesbezüglich keine Rechtsmittel(vor)entscheidung, sondern ein Erstbescheid gegeben. Daher ist auch dieser Bescheid gemäß § 298 Abs. 2 BAO aufzuheben.

Die hierdurch wiederum unerledigten Anträge der Bw. vom betreffend Zuerkennung von Familienbeihilfe für K und V werden vom Finanzamt Wien 4/5/10 umgehend dem örtlich zuständigen Finanzamt Korneuburg Hollabrunn Tulln zu übermitteln sein.

Zum Begehren der Bw.

Für das weitere Verfahren ist zu bemerken:

Gemäß Art. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer und Selbständige und deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer zuletzt durch die Verordnung (EG) Nr. 1992/2006 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom geänderten Fassung (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1971R1408:20070102:DE:PDF, Wanderarbeiterverordnung) ist 'Arbeitnehmer' oder 'Selbständiger' jede Person,

i) die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist;

ii) die im Rahmen eines für alle Einwohner oder die gesamte erwerbstätige Bevölkerung geltenden Systems der sozialen Sicherheit gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken pflichtversichert ist, die von den Zweigen erfasst werden, auf die diese Verordnung anzuwenden ist,

  • wenn diese Person auf Grund der Art der Verwaltung oder der Finanzierung dieses Systems als Arbeitnehmer oder Selbständiger unterschieden werden kann oder

  • wenn sie bei Fehlen solcher Kriterien im Rahmen eines für Arbeitnehmer oder Selbständige errichteten Systems oder eines Systems der Ziffer iii) gegen ein anderes in Anhang I bestimmtes Risiko pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist oder wenn auf sie bei Fehlen eines solchen Systems in dem betreffenden Mitgliedstaat die in Anhang I enthaltene Definition zutrifft;

iii) die gegen mehrere Risiken, die von den unter diese Verordnung fallenden Zweigen erfasst werden, im Rahmen eines für die gesamte Landbevölkerung nach den Kriterien des Anhangs I geschaffenen einheitlichen Systems der sozialen Sicherheit pflichtversichert ist;

iv) die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den unter diese Verordnung fallenden Zweigen erfasst werden, im Rahmen eines für Arbeitnehmer, für Selbständige, für alle Einwohner eines Mitgliedstaats oder für bestimmte Gruppen von Einwohnern geschaffenen Systems der sozialen Sicherheit eines Mitgliedstaats freiwillig versichert ist,

  • wenn sie im Lohn- oder Gehaltsverhältnis beschäftigt ist oder eine selbständige Tätigkeit ausübt oder

  • wenn sie früher im Rahmen eines für Arbeitnehmer oder Selbständige desselben Mitgliedstaats errichteten Systems gegen das gleiche Risiko pflichtversichert war;

...

Weiters bestimmt Art. 13 der betreffenden Verordnung:

(1) Vorbehaltlich des Artikels 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

...

Art. 73 der betreffenden Verordnung bestimmt:

Ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, hat, vorbehaltlich der Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Art. 75 Abs. 1 der betreffenden Verordnung bestimmt:

Familienleistungen werden in dem in Artikel 73 genannten Fall vom zuständigen Träger des Staates gewährt, dessen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer oder den Selbständigen gelten; ... Sie werden nach den für diese Träger geltenden Bestimmungen unabhängig davon gezahlt, ob die natürliche oder juristische Person, an die sie zu zahlen sind, im Gebiet des zuständigen Staates oder in dem eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder sich dort aufhält.

Der Unabhängige Finanzsenat hat in seiner einen Antrag der Bw. auf Familienbeihilfe ab betreffenden Berufungsentscheidung vom , RV/0362-W/06, die Auffassung vertreten, die Bw., welche sich nach der Geburt ihres Kindes in Karenz befindet, gleichzeitig im Inland über keinen Wohnsitz verfügt und im Inland weder pflichtversichert noch freiwillig in der Sozialversicherung erfasst ist, sei nicht Arbeitnehmer im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer, Selbständige und deren Familienangehörige.

Der Unabhängige Finanzsenat vermag diese Auffassung nicht aufrecht zu erhalten.

Der Oberste Gerichtshof hat nach Ergehen dieser Berufungsentscheidung mit Urteil vom , 10ObS70/06a, entschieden, dass die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO (EWG) Nr 1408/71 auch bei einem karenzierten - und damit weiter aufrecht bestehenden - Arbeitsverhältnis schon wegen der engen Verknüpfung mit der Erwerbstätigkeit zu bejahen ist, solange der Status, der mit der Ausübung der Erwerbstätigkeit vergleichbar ist - in Österreich der Zeitraum des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschutzgesetz -, besteht.

In dem diesem Urteil vorangegangenen Vorabentscheidungsverfahren hat der EuGH (, Rs C-543/01, Dodl, Oberhollenzer) für Recht erkannt:

1. Eine Person besitzt die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 1386/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom geänderten und aktualisierten Fassung, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen eines der in Artikel 1 Buchstabe a dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Es ist Sache des nationalen Gerichts, die notwendigen Prüfungen vorzunehmen, um festzustellen, ob die Klägerinnen der Ausgangsverfahren in den Zeiträumen, für die die fraglichen Leistungen beantragt wurden, einem Zweig des österreichischen Systems der sozialen Sicherheit angehört haben und damit unter den Begriff "Arbeitnehmer" im Sinne von Artikel 1 Buchstabe a fielen.

2. Räumen die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats und die des Wohnmitgliedstaats eines Arbeitnehmers diesem für denselben Familienangehörigen und für denselben Zeitraum Ansprüche auf Familienleistungen ein, so ist der für die Gewährung dieser Leistungen zuständige Mitgliedstaat nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom über die Durchführung der Verordnung Nr. 1408/71 in der durch die Verordnung (EG) Nr. 410/2002 der Kommission vom geänderten und aktualisierten Fassung grundsätzlich der Beschäftigungsmitgliedstaat.

Übt jedoch eine Person, die das Sorgerecht für die Kinder hat, insbesondere der Ehegatte oder der Lebensgefährte des Arbeitnehmers, eine Erwerbstätigkeit im Wohnmitgliedstaat aus, so sind die Familienleistungen nach Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b Ziffer i der Verordnung Nr. 574/72 in der durch die Verordnung Nr. 410/2002 geänderten Fassung von diesem Mitgliedstaat zu gewähren, unabhängig davon, wer der in den Rechtsvorschriften dieses Staates bezeichnete unmittelbare Empfänger dieser Leistungen ist. In diesem Fall ruht die Gewährung der Familienleistungen durch den Beschäftigungsmitgliedstaat bis zur Höhe der in den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats vorgesehenen Familienleistungen."

Das bloße Ruhen der Hauptverpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis während eines bestimmten Zeitraumes kann, so der OGH in seinem Urteil vom , 10ObS65/06a, dem Beschäftigten nicht seine Eigenschaft als Arbeitnehmer nehmen. Der OGH hat diese Rechtsprechung auch im angeführten Urteil vom , 10ObS70/06a, fortgesetzt:

"Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend aufgezeigt hat, werden nach § 122 ASVG Leistungen aus dem Versicherungsfall der Krankheit unter bestimmten Bedingungen auch über das Ende der Versicherung hinaus gewährt (vgl § 122 Abs 1 ASVG; "Fortleistungsfälle" iSd § 122 Abs 2 Z 1 ASVG, "Schutzfristfälle" iSd § 122 Abs 2 Z 2 ASVG). Über diese auch in der Revision zugestandenen "Nachwirkungen" der genannten Versicherungsleistungen hinaus ist aber noch davon auszugehen, dass die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO (EWG) Nr 1408/71 auch bei einem karenzierten - und damit weiter aufrecht bestehenden - Arbeitsverhältnis schon wegen der engen Verknüpfung mit der Erwerbstätigkeit zu bejahen ist, solange der Status, der mit der Ausübung der Erwerbstätigkeit vergleichbar ist - in Österreich der Zeitraum des Kündigungsschutzes nach dem Mutterschutzgesetz -, besteht (vgl Beschluss Nr 207 [nicht veröffentlicht] der gemäß Art 80 der VO (EWG) Nr 1408/71 bei der Kommission der Europäischen Gemeinschaften eingesetzten Verwaltungskommission für soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer). Demgemäß sind auch der Generalanwalt und alle übrigen im Verfahren über das vom Berufungsgericht im ersten Rechtsgang gestellte Vorabentscheidungsersuchen Beteiligten, die schriftliche Erklärungen abgegeben haben, - den bindenden Feststellungen über die Zeiträume der (Mutterschafts-)Karenz der beiden Klägerinnen folgend - übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Klägerinnen trotz des zeitweiligen Ruhens ihrer Arbeitsverhältnisse unter den Begriff "Arbeitnehmer" nach Art 1 lit a der VO (EWG) Nr 1408/71 fallen (Urteil vom , Rs C-543/01 [Dodl/Oberhollenzer] Rz 26). Auch Art 73 der VO (EWG) Nr 1408/71 iVm Art 13 dieser VO erfasst daher Arbeitnehmer deren Beschäftigungsverhältnis zwar aufrecht ist, aber aufgrund von unbezahltem Erziehungsurlaub keine Arbeits- oder Entgeltspflichten begründet und nach nationalem Recht keine Sozialversicherungspflicht auslöst (vgl den Schlussantrag des Generalanwalts vom , Slg 2005 I - 5049 ff Rn 13). Dieser Auffassung folgend hat auch der Senat erst jüngst zum Kinderbetreuungsgeldanspruch aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen ausgesprochen (E v , 10ObS65/06s), dass sich die Situation der [dortigen] Klägerin grundlegend von der Situation der Klägerinnen im hier vorliegenden, vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Verfahren (Rs C-543/01) unterscheidet, da sich diese beiden Klägerinnen in einem aufrechten, nach dem österreichischen Mutterschutzgesetz karenzierten Dienstverhältnis befunden haben, womit sie das Erfordernis des Vorliegens einer abhängigen Beschäftigung in Österreich erfüllten."

Da sich nach der Aktenlage die Bw. in einem zwar zeitweilig ruhendem, aber aufrechtem Arbeitsverhältnis befindet und im Berufungszeitraum Kündigungsschutz nach dem Mutterschutzgesetz bestand, wird der Bw. grundsätzlich die Familienbeihilfe zustehen. Der Umfang des Anspruchs auf Familienleistungen ergibt sich aus den Ausführungen im zitierten , Dodl, Oberhollenzer.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 26 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 13 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 70 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 50 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2
Schlagworte
Pflichtversicherung
Arbeitsverhältnis
Familienbeihilfe
Mutterschutz
Karenz
inländischer Wohnsitz
Verweise

Anmerkung
Abweichend RV/0362-W/06 vom
Zitiert/besprochen in
UFS Newsletter 2008/06
UFSaktuell 2009, 30

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at