OGH vom 25.05.1999, 1Ob1/99z
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Mag. Daniela L*****, und 2.) Christian M*****, beide vertreten durch Dr. Friedrich Spitzauer und Dr. Georg Backhausen, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Hedwig T*****, vertreten durch Baier Böhm Orator & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 230.048,04 S sA infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom , GZ 17 R 138/98h-9, womit der Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 4 Cg 207/97h-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 12.573 S (darin 2.095,50 S Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist testamentarische Alleinerbin nach ihrer am verstorbenen Mutter, der der Nachlaß seit eingeantwortet ist, die beiden Kläger sind - zufolge Repräsentationsrechts nach ihrer vorverstorbenen Mutter iSd § 733 ABGB - deren pflichtteilsberechtigte Enkel. Das Nachlaßvermögen besteht überwiegend aus Liegenschaftsanteilen. In einem früheren Verfahren begehrten die Kläger von der Beklagten aus dem Titel der Pflichtteilsergänzung und Schenkungsanrechnung 1.) zuletzt die Zahlung von je 208.979,75 S sA sowie 2.) mit Stufenklage auf Rechnungslegung und eidliche Vermögensbekanntgabe ihren vorerst noch unbestimmten Anteil am Gewinn aus der Wertsteigerung der geerbten und von der Erbin verwalteten Sachen für den Zeitraum zwischen dem Todestag der Erblasserin und der "Zuteilung" des den Noterben zustehenden (ergänzten) Pflichtteils. Die Beklagte bestritt in diesem Verfahren das Zahlungsbegehren nicht, wendete jedoch eine Gegenforderung ein. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom anerkannte sie die geforderte Rechnungslegung, beginnend mit , insbesondere über vereinnahmte Mietzins- und Zinserträge. Hierüber erging ein Teilanerkenntnisurteil. Mit Schriftsatz vom legte die Beklagte Rechnung über Mietzinseinnahmen an den geerbten Liegenschaftsanteilen ab Oktober 1994 bis einschließlich September 1996. In der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom anerkannte die Beklagte unter Zurückziehung ihrer Gegenforderung das zu 1.) erhobene Leistungsbegehren. Daraufhin verkündete der Richter über Antrag der Kläger das rechtskräftige Anerkenntnisurteil, wobei die schriftliche Urteilsausfertigung als "Endurteil" bezeichnet ist, obwohl die Kläger nach Rechnungslegung durch die Beklagte weder in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom noch später ihr noch unbestimmtes Leistungsbegehren zu 2.) präzisiert hatten.
Die Kläger begehrten nun von der Klägerin die Bezahlung von je 115.024,02 S sA mit dem Vorbringen, diese Beträge gebührten ihnen aus den Einkünften der von der Beklagten geerbten und verwalteten Sachen.
Die Beklagte wendete ua ein, sie hätte im Vorverfahren Rechnung gelegt, weshalb die Kläger ihr Leistungsbegehren hätten präzisieren können. Eine neuerliche Klagseinbringung sei unzulässig.
Das Erstgericht hob nach Durchführung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung das bisherige Verfahren als nichtig auf und wies die Klage zurück. Die Kläger hätten im Vorverfahren von der Möglichkeit der Einbringung einer Stufenklage nach Art XLII EGZPO Gebrauch gemacht, jedoch ihre Ansprüche nicht weiter verfolgt, nach Rechnungslegung das (daraus resultierende) Leistungsbegehren nicht präzisiert und auch das "Endurteil", das nicht über alle Ansprüche abgesprochen habe, unbekämpft gelassen. Mit dem Eintritt der Rechtskraft des "Endurteils" im Vorverfahren sei auch "die Einmaligkeit" der Rechtskraft eingetreten, die im Umfang der Identität eine weitere Sachentscheidung ausschließe. Entgegen der Ansicht der Kläger wäre ab Rechnungslegung eine Präzisierung möglich gewesen, die sie nun in einem weiteren Verfahren geltend machten. Daraus ergebe sich die Identität des Begehrens aus demselben rechtserzeugenden Sachverhalt.
Das Rekursgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund auftrug. Der Revisionsrekurs sei zulässig. Im Vorverfahren sei das "Endurteil" mangelhaft geblieben, weil nicht über alle Klageansprüche abgesprochen worden sei. Die Kläger hätten daher entweder einen Urteilsergänzungsantrag stellen oder Berufung wegen Mangelhaftigkeit erheben können. Daß sie beides unterließen, gereiche ihnen allerdings nicht zum Nachteil. Rechtskraft trete gemäß § 411 ZPO nur soweit ein, als über einen mit Klage geltend gemachten Anspruch mit Urteil entschieden worden sei. Hier sei über die sich aus der Rechnungslegung ergebenden Beträge mangels Präzisierung nicht mit Urteil entschieden worden, weshalb der durch das Urteil nicht erledigte Anspruch neuerlich selbständig eingeklagt werden könne. Da im Vorverfahren eine Präzisierung des unbestimmten Leistungsbegehrens nach Rechnungslegung nicht erfolgt sei, stehe einer neuen Klage auch nicht das Prozeßhindernis der Streitanhängigkeit entgegen.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Gegenstand des Rechtsstreits sind nicht die im Vorverfahren abschließend erledigten und von Anfang an bestimmten Leistungsansprüche der klagenden Noterben, sondern deren Leistungsansprüche, die im Vorverfahren nach Rechnungslegung durch die beklagte Alleinerbin ermittelt werden sollten. Erst nach Rechtskraft des Teilurteils über die Rechnungslegung hat der Kläger auf Grund der Ergebnisse der - erforderlichenfalls zu erzwingenden - Rechnungslegung sein Leistungsbegehren durch zahlenmäßige Angabe des Klagebetrags zu ergänzen; das Gericht hat sodann das Verfahren über den Leistungsanspruch fortzuführen und (mit Endurteil) abzuschließen (ÖBl 1984, 46). Im vorliegenden Fall kam es nach der - von den Beklagten nun als mangelhaft bezeichneten - Rechnungslegung durch die Beklagte nicht zu einer Präzisierung des zuerst zulässigerweise (Art XLII Abs 3 ZPO) unbestimmten Leistungsbegehrens durch die Kläger.
a) Die Prozeßeinrede der rechtskräftig entschiedenen Sache (§ 411 ZPO) scheitert schon daran, daß über den hier zu beurteilenden Leistungsanspruch (2. im Vorverfahren), der erst nach Rechnungslegung zu stellen ist, im Vorverfahren nicht entschieden wurde.
b) Auch die Prozeßeinrede der Streitanhängigkeit versagt: Wird über einen mit Klage geltend gemachten Anspruch versehentlich im Urteil nicht entschieden, so kann wahlweise entweder ein Ergänzungsurteil nach § 423 ZPO beantragt oder die nicht vollständige Erledigung mit Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO angefochten werden (Rechberger in Rechberger, § 424 ZPO Rz 3 mwN). Im vorliegenden Fall ist weder ein Ergänzungsantrag noch eine Berufung erfolglos geblieben, weil von keinen der beiden Rechtsbehelfe/Rechtsmittel Gebrauch gemacht wurde. Wenn der Kläger weder ein Ergänzungsurteil nach § 423 ZPO beantragt noch Berufung erhebt, so erlischt die Streitanhängigkeit und steht es dem Kläger frei, nunmehr den nicht erledigten und somit aus dem Prozeßrechtsverhältnis ausgeschiedenen Anspruch neuerlich mit Klage geltend zu machen (SZ 28/4 ua, zuletzt 3 Ob 542/95 [insoweit nicht veröffentlicht in MietSlg 48.089]; RIS-Justiz RS0039435): Weder die Unterlassung des Urteilsergänzungsantrags noch das Unterbleiben der Berufung nach § 496 Abs 1 Z 1 ZPO schließt - mangels rechtskräftiger Entscheidung über den nicht erledigten Anspruch - dessen Geltendmachung mit selbständiger Klage aus, falls die selbständige Verfolgung zulässig erscheint (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1444; Rechberger aaO § 424 ZPO Rz 6; RIS-Justiz RS0039519 zum Zwischenantrag auf Feststellung). Weder Streitanhängigkeit noch entschiedene Streitsache nach § 411 ZPO stehen der neuerlichen Anspruchsverfolgung in diesem Fall als Prozeßhindernisse entgegen. Schon aufgrund des Größenschlusses besteht kein Anlaß, den vorliegenden Fall anders als nach der dargestellten Rechtsprechung zu beurteilen. Kann selbst bereits ein notwendigerweise bestimmter Leistungsanspruch unter den genannten Voraussetzungen neuerlich geltend gemacht werden, so muß dies umso mehr für einen - aus welchen Gründen immer - (noch) nicht präzisierten und somit noch unbestimmten Leistungsanspruch unabhängig davon gelten, ob er aufgrund bereits erfolgter Rechnungslegung des Beklagten nach Art XLII EGZPO nun hätte bestimmt gemacht werden können.
Die zweite Instanz hat den Rechtsfall zutreffend beurteilt. Das Kostenargument im Rechtsmittel der Beklagten versagt, weil auch im vorliegenden Rechtsstreit - bei Obsiegen der Kläger - jedenfalls nur die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zuzusprechen sind. Ob die Kläger im früheren Verfahren die rechtliche Möglichkeit gehabt hätten, ihr unbestimmtes Leistungsbegehren nach der Rechnungslegung zu konkretisieren, ist im vorliegenden Fall ohne Bedeutung. Demnach kann dem Rechtsmittel kein Erfolg beschieden sein.
Die Kostenentscheidung fußt auf den §§ 41 und 50 ZPO (Obsiegen in einem Zwischenstreit).