Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 30.03.2021, RV/7100930/2020

Kosten für eine Seniorenresidenz als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 wegen Polyneuropathie, Inkontinenz und kombinierten Aortenvitium

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Wolfgang Aigner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Dr. Eva Deutsch-Goldoni, Waldwiese 4, 2540 Bad Vöslau, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Baden Mödling vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage
angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des
Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach
Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Verfahrensgang

Angefochten ist der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2018, der die nachfolgend abgelichtete Berechnung des Einkommens der Beschwerdeführerin (Bf.) - eine Pensionistin, geboren am XX.XX.1929, - in Höhe von 36.844,71 € beinhaltet:

Mit der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2018 Formular L lab-2018 wurden Kosten für ein Pflegeheim i.H.v. (Kz. 439:) 27.387,36 € sowie Unregelmäßige Ausgaben für Hilfsmittel samt Kosten der Heilbehandlung abzüglich allfälliger Kostenersätze i.H.v. (Kz. 476:) 2.274,84 € als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1988 geltend gemacht. Zur Kz.439 wurde eine Bestätigung der Seniorenresidenz (=X.) vom betreffend die streitjahresbezogen verrechneten Leistungen vorgelegt. Die unter Kz. 476 erfassten Krankheitskosten wurden dem Finanzamt in Form der nachfolgend abgelichteten Übersicht aufgegliedert dargestellt:

Mit dem Einkommensteuerbescheid 2018 begründete das Finanzamt die Abweisung des Antrags auf Anerkennung der Appartementkosten als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1988, gestützt auf die §§ 20, 34 EStG 1988 und die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, wonach eine außergewöhnliche Belastung bei durch Krankheit, Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit verursachten Aufwendungen für die Unterbringung und der Verpflegung in einem Alters- und Pflegeheim gegeben sein könne (), anhand der Bestätigung der X. GmbH über verrechnete Leistungen im Zeitraum 01-12/2018 wie folgt: Da laut dieser Bestätigung keine Pflege bzw. Betreuungsaufwendungen entstanden wären, würden die Wohnkosten mangels Zwangsläufigkeit keine außergewöhnliche Belastung darstellen.
Hinsichtlich der Kosten Kz. 476 anerkannte das Finanzamt die Einlagen und Reinigungstücher als zusätzliche Kosten und stellte bezüglich all den anderen Kosten fest, dass diese Ausgaben Krankheitskosten unter Anrechnung des persönlichen Selbstbehaltes darstellen würden und daher dadurch, dass sie niedriger als der für die Bf. gültige Selbstbehalt in Höhe von 5.165,96 € seien, nicht berücksichtigt würden.
Mit der Beschwerde der nunmehr steuerlich vertretenen Bf. wurde die Abänderung des Bescheides in Form der Berücksichtigung der als "Tatsächliche Kosten auf Grund einer Behinderung" geltend gemachten "Kosten für ein Pflegeheim" (KZ 439) bei der Veranlagung in Höhe von 23.616,24 € beantragt. Der Betrag ist die Differenz zwischen der "Residenzgebühr Seniorenresidenz-Korrektur Verpflegung" (vgl. Blg.1) 27.387,36 € und dem Bundespflegegeld 01-12 (lt. Lohnzettel) 1.887,60 € samt Haushaltsersparnis (01-12 a´ 156,96 € =) 1.883,52 €. Der Beschwerdeantrag wurde damit begründet, dass die Bf. wegen ihrer Krankheiten sowie ihrer Pflege- und Betreuungsbedürftigkeit bereits seit mehreren Jahren nicht mehr in der Lage sei, einen eigenen Haushalt zu führen (vgl. dazu Schreiben der Bf. It. Blg. 2). Aus diesem Grund sei ihre Übersiedlung in das Alters- und Pflegeheim SRBV erfolgt.

Aus dem zwischen der Bf. und der Seniorenresidenz A-Gemeinde Ges.m.b.H. im Februar 2004 abgeschlossenen Vertrag (vgl. Blg. 3) sei entnehmbar, dass die pauschal verrechnete "Residenzgebühr" insbesondere auch folgende Leistungen umfasse:

Des Weiteren würden den Bewohnern des Hauses - ohne zusätzlicher Verrechnung -folgende Leistungen zur Verfügung stehen:

Die Betreuung sei insbesondere auch durch einen sofortigen Kontrollanruf bzw. durch Appartementkontrolle bei Nichterscheinen eines Bewohners des Hauses zu einem Termin - wie z.B. dem Essen - gewährleistet.
Alle diese angeführten Leistungen seien für ein Alters- oder Pflegeheim typische Betreuungsleistungen. Die Bf. sei auf diese Leistungen infolge ihres Gesundheitszustandes angewiesen und nehme sie deshalb auch laufend in Anspruch.
Aufgrund der im vorliegenden Fall erfüllten Voraussetzungen zur Abziehbarkeit der Heimkosten könnten auch die Kosten der Unterkunft und Verpflegung - soweit diese über die Haushaltsersparnis hinausgehen - geltend gemacht werden. Auf die Unwesentlichkeit dessen, ob dabei Betreuungs- und Hilfeleistungen gesondert verrechnet würden, wurde, gestützt auf Fuchs, in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG20, § 34 Tz 78 Stichwort "Alters- und Pflegeheim" und die dort zitierten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, verwiesen.
Als Beilagen zu der Beschwerde wurden (Beil.1:) die Bestätigung der SRBV GmbH betreffend verrechnete Leistungen im Jahr 2018 vom , (Beil.2:) die Krankengeschichte samt Stellungnahme der Bf. vom , (Beil. 2/a:) der OP-Bericht des OA Dr. A., Herz Jesu-KH vom (Operation an der Wirbelsäule), (Beil.2/b:) der Arztbrief des Prim. Univ.-Prof. DDr. B., Unfallabteilung Landesklinikum Baden-Mödling vom
(OP: Oberschenkelknochen- Bruch), (Beil.2/c:) die Niederschrift des Prim. Univ.- Prof. Dr. C., Evangelisches Krankenhaus vom zur Operation am Darm vom ,
AZ: 2014/XXXX, (Beil.2/d:) der Befundbericht Therapievorschlag des Dr. Med. Univ. D., Facharzt für innere Medizin, zum Aortenklappenvitium sowie (Beil.3:) die ersten drei Seiten des zwischen der Bf. als Residenzbewohnerin und der SRBV abgeschlossenen Vertrages, Ausgabe 2003, übermittelt.

Aus dem nachfolgenden Schaubild ist die (Beilage 2:) Krankengeschichte der Bf. zu entnehmen:

Dieser Krankengeschichte wurde die nachfolgend abgelichtete Stellungnahme der Bf. beigefügt:


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Der Bericht des OA Dr. A., Herz Jesu-KH vom über die Operation der Bf. an der Wirbelsäule vom Vortag (Beilage 2/a) lautet wie folgt:


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Aus dem Arztbrief des Prim. Univ.-Prof. DDr. B., Unfallabteilung des Landesklinikums Baden-Mödling, vom (Beilage 2/b) war die nachfolgend abgelichtete Schlussbetrachtung zur Oberschenkelknochenfraktur zu entnehmen:


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Mit der Niederschrift des Prim.Univ.-Prof. Dr. Wolfgang C. vom über die Operation am Darm der Bf. vom (BlG. 2/c) wurde dem Finanzamt die Diagnose "Intussusceptio recti, vordere Rectozele, inzipiente fäkale inkontinenz Z.n. Wertheim-Operation" und die Operation "Abdominelle Rectopexie laparoskopisch, Adhäsiolyse (außerhalb des Operationsgebietes)" samt Verlauf der Operation angezeigt.

Mit dem nachfolgend abgelichteten Befundbericht des Dr. Med. Univ. D., Facharzt für innere Medizin vom (Blg. 2/d) wurden die medizinisch relevanten, körperlichen Erscheinungen, Gegebenheiten, Veränderungen und Zustände der Bf., die durch Fachpersonal als Untersuchungsresultat erhoben worden sind, wie folgt dargestellt:


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Aus dem nachfolgenden Schaubild ist die Präambel des Vertrages zwischen der SRBV und der Bf. (Blg. 3) zu entnehmen:


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Zur Beschwerde erging das Schreiben des Finanzamts vom mit dem Text, dass die Voraussetzungen für die Aufnahme in einer Pflegeeinrichtung des Landes Niederösterreich die Österreichische Staatsbürgerschaft, der Hauptwohnsitz in NÖ, das vollendete 60.Lebensjahr und der Bezug der Pflegegeldstufe 4 seien und Personen mit niedrigerer Pflegestufe nur in begründeten Ausnahmefälle aufgenommen werden könnten. Mit dem Bezug von Pflegegeld der Stufe 1 sei die Voraussetzung für die Aufnahme der Bf. in einem Landespflegeheim nicht vorgelegen. Die Bf. werde somit ersucht, geeignete Nachweise, worin die Zwangsläufigkeit der Unterbringung in einem Pflegeheim bestehe, nachzureichen und diesbezügliche Beilagen
(a) ärztliches Attest, welche Art der Betreuung bzw. Pflege im Kalenderjahr 2018 notwendig gewesen wäre und aus welchem Grund diese nicht von mobilen Pflegediensten geleistet werden hätten können; b) den SRBV-Vertrag; c) eine detaillierte Aufstellung der im Jahr 2018 angefallenen Kosten (Wohnkosten, Pflegekosten, etc...;), offen zu legen.

Dem Ergänzungsersuchen entsprechend wurden dem Finanzamt die Bestätigung der Ärztin Dr. E. vom mit Angaben der Diagnosen "kombiniertes Aortenklappenvitium", "Axonale PNP" und "Zn DP 14 L5 mit Massenprolaps 2001" als Beweis für die Bf. als eine pflegebedürftige Patientin, der Residenzvertrag, Broschüren über "Pflegeaufenthalt" und "Dauerwohnen", der Beleg über die von der SRBV mit der Bf. verrechneten Leistungen für das Streitjahr sowie die Tarifliste betreffend die NÖ Pflege- und Betreuungszentren, NÖ Pflege- und Förderzentren für das Jahr 2019, zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

Mit der abweisenden Beschwerdevorentscheidung hielt die Amtsvertretung der Bf. nach Wiederholung der rechtlichen Ausführungen zum Kriterium "Zwangsläufigkeit" iSd § 34 EStG 1988 im Erstbescheid im Wesentlichen vor, dass die Bf. im Kalenderjahr 2004 aus freiem Entschluss in die SRBV übersiedelt sei. Der Vertrag mit der SRBV GmbH sei kein Pflegevertrag, sondern lediglich ein Mietvertrag für ein Appartement mit besonderem Komfort und vertraglicher Zusicherung der Aufnahme in die Pflegestation bei Bedarf. Die anfallenden Wohnkosten seien mangels eines Nachweises für die Übersiedelung in die Pflegestation Lebenshaltungskosten gemäß § 20 EStG 1988. Da die Bf. in den beschwerten Jahren nicht in der Pflegestation aufgenommen worden sei und auch die Rechnung keine Pflegekosten ausgewiesen hätte, seien die Aufenthaltskosten in der SRBV mangels Zwangsläufigkeit der Unterbringung in einem Pflegeheim nicht abzugsfähig.

Mit dem Vorlageantrag verwies die steuerliche Vertreterin hinsichtlich der Begründung dieses Begehrens und der beantragten Änderungen auf die Beschwerde, legte dem Vorlageantrag bezüglich des in der Beschwerdevorentscheidung angeführten Grundes für die Abweisung des Antrags - keine Zwangsläufigkeit der Kosten für das Appartement (§ 34 Abs. 1 Z 2, Abs. 3 EStG 1988), Vorliegen eines Mietvertrags mit besonderem Komfort anstelle eines Pflegevertrages - eine weitere Stellungnahme der Bf. bei und machte das Finanzamt darauf aufmerksam, dass der im Rahmen der Beschwerde vorgelegte - derzeit geltende - Vertrag mit der SRBV mit 2004 datiere. Die Bf. habe zwar dort ihren alleinigen Wohnsitz im Jahr 2004 begründet, sei jedoch im Jahr 2001 in die SRBV eingezogen und wohne seither ausschließlich dort und nie mehr in jener Wohnung, die sie bis 2004 besessen hätte.
Mit dem Vorlageantrag wurde die nachfolgend abgelichtete Stellungnahme der Bf. an die belangte Behörde übermittelt:


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Mit der im Vorlagebericht enthaltenen abgabenbehördlichen Stellungnahme zum Vorlageantrag wurde die Abweisung des Antrags auf Anerkennung der Kosten für ein Pflegeheim als außergewöhnliche Belastung gem. § 34 EStG 1988 nach Darstellung der Rechtslage mit der Begründung beantragt, dass die Bf. nach Abschluss des Residenzvertrags für ein Appartement mit der SRBV GmbH am mit März 2004 in die Seniorenresidenz übersiedelt wäre. In Ihrem Vorlageschreiben gebe die Bf. an, bereits im Jahr 2001 nach einer Operation in die SRBV übersiedelt zu sein.
Die Bf. beziehe seit 9/2007 bis inklusive 12/2018 Pflegegeld der Stufe 1. Der Betrag von 27.435,36 € samt die diesbezüglich bei der Veranlagung 2018 vorgelegte Bestätigung über verrechnete Leistungen für das Jahr 2018 beinhalte neben der Residenzgebühr einen Betrag von 48,00 € an Apothekenkosten.
Laut der vorgelegten Arztbestätigung der Dr. E. vom sei die Bf. aufgrund der in dem Schreiben genannten Diagnosen und ihrem Alter von 90 Jahren zwar pflegebedürftig, jedoch liege ein detailliertes Gutachten trotz Aufforderung nicht vor. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen gehe hervor, dass sich die Bf. im Jahr 2004 aus freien Stücken zur Übersiedelung in die SRBV entschlossen und im Jahr 2018 ohne fremde Hilfe in ihrem Appartement gewohnt habe. Es liege daher kein Betreuungs- bzw. Pflegebedarf vor, folglich dessen die Zwangsläufigkeit des Aufenthaltes im Streitjahr nicht gegeben sei. Die beantragten Kosten seien somit nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1988 abzugsfähig.

Mit Schreiben des samt beigelegten Artikel von Dr. med. Julia Schwarz und Martina Feichter vom zum Thema "Polyneuropathie" wurde die Bf. nach Ausführungen zu den §§ 114, 115 und 119 BAO um Abgabe einer Stellungnahme zu folgenden Punkten ersucht:

  • Unter Bezugnahme auf Jakom/Peyerl, EStG, 12. Aufl. 2019, § 34 Rz 90 und die dort zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs ; LStR 887; , , und die im Schreiben von Dr. E. vom angeführten Leiden der Bf. wurde zum "kombinierten Aortenklappenvitium" unter Verweis auf den Artikel von Franziska Mettke, Ärztin, Dresden auf https: // befunddolmetscher. de/ kombiniertes- aortenvitium, festgestellt, dass das Charakteristikum dieses Leidens eine verengte, undichte Aortenklappe sei.
    Die Aortenklappe sei eine zwischen dem Herzen und der Hauptschlagader liegende Herzklappe. Die Hauptschlagader leite das Blut aus dem Herzen in den Körper und könne sich bei einer verengten Aortenklappe nicht mehr richtig öffnen. Der Blutstrom durch die Herzklappe in die Hauptschlagader sei dann erschwert, wodurch das Herz stärker pumpen müsse, um weiter ausreichend Blut in die Hauptschlagader zu befördern.
    Die Aortenklappe sei wie ein Ventil und sorge normalerweise dafür, dass das Blut nicht aus der Hauptschlagader in das Herz zurückfließen könne. Bei Undichtheit der Herzklappe könne Blut zurückfließen.
    Eine verengte, undichte Aortenklappe heiße kombiniertes Aortenvitium. Die Aortenklappe könne undicht werden und verengt sein, wenn die Herzklappe verkalkt oder sich die Ränder ausleiern würden. Manchmal würden auch andere Veränderungen am Herzen zu einer fehlerhaften Klappe führen.
    Bei der Diagnose "Axonales PNP: Polyneuropathie" sei der Begriff "Polyneuropathie" der Oberbegriff für bestimmte Erkrankungen des peripheren Nervensystems, die mehrere Nerven betreffen würden. Abhängig von der jeweiligen Ursache könnten motorische, sensible oder auch vegetative Nerven gemeinsam oder auch schwerpunktmäßig betroffen sein. Die Erkrankung könne eher die Isolationsschicht der Nerven (Myelin) oder den Zellfortsatz (Axon) selbst betreffen, könne sich eher körperfern (distal) an Händen und Füßen oder sehr viel seltener auch körpernah (proximal) zeigen. Es gebe symmetrische und asymmetrische (fokale und multifokale) Formen; stets aber seien mehrere periphere Nerven betroffen (griech. poly "viele"). Die Symptome könnten je nach betroffenem Nervenfasertyp und betroffener Körperregion sehr vielfältig sein.
    Laut "Polyneuropathie: Symptome, Ursachen, Therapie - NetDoktor" auf https:// www. netdoktor. de/krankheiten/Polyneuropathie setze sich jede Nervenzelle aus einem Zellkörper und einem Nervenfortsatz (Axon) zusammen. Je nachdem, welcher Teil einer Nervenzelle geschädigt werde, unterscheide man die demyelinisierende und die axonale Polyneuropathie. Die demyelinisierende PNP sei durch den Zerfall der schützenden Markschicht (Myelinschicht) gekennzeichnet. Bei Betroffenheit des Axon selbt handle es sich um eine axonale Polyneuropathie.
    Unter Bezugnahme auf das bei der Bf. diagnostizierte Leiden "Axonale PNP" in Verbindung mit dem dem BFG-Schreiben beigelegten Artikel von Dr. med. Julia Schwarz und Martina Feichter vom wurde die Bf. um nähere Ausführungen zur Vorrangigkeit dieser Erkrankung bei der Bf. gegenüber dem diagnostizierten "Kombinierten Aortenklappenvitium" sowie um Offenlegung sämtlicher Daten betreffend die in Rede stehenden Krankheiten samt Vorlage sämtlicher diesbezüglicher Beweismittel (z.B. Befunde, Spitalsberichte, Testergebnisse, etc.) ersucht, um die Pflegebedürftigkeit der Bf. im Streitjahr und damit die Zwangsläufigkeit der Altersheimkosten feststellen zu können.

  • Zu "Prolaps (Vorfall)" wurde festgestellt, dass dieser Begriff in der Medizin den unnatürlichen Vorfall eines Organs oder eines Organteils durch eine bereits vorhandene oder pathologische Öffnung bezeichne. Beispiele für einen Prolaps seien der Bandscheibenvorfall (Discusprolaps) an der Wirbelsäule; der Herzklappenprolaps, z. B. Mitralklappenprolaps; der Gebärmuttervorfall (Prolapsus uteri); der Vaginalprolaps oder Scheidenprolaps (Prolapsus vaginae); der Harnröhrenvorfall (Urethraprolaps, Karunkel); der Vorfall von Hämorrhoiden bis hin zum Analprolaps; der Rektumprolaps (Mastdarmvorfall); am Auge der Irisprolaps (Iridozele), eine Vorwölbung eines Anteils der Regenbogenhaut durch einen Defekt der Hornhaut; der Vorfall des in die Bauchdecke eingenähten Darms beim künstlichen Darmausgang. Angesichts der im Schreiben von Dr. E. vom angesprochenen Diagnose "Zn DP 14 L5 mit Massenprolaps 2001" erging das an die Bf. adressierte Ersuchen um Vorlage einer Beschreibung der letztgenannten Krankheit, wobei diesen Ausführungen in Hinblick auf die Unbekanntheit der Art und der Folgen dieser Erkrankung sämtliche der der Bf. zur Verfügung stehenden Beweismittel (z.B. Befunde, Krankenhausergebnisse, Testergebnisse, etc.) beizulegen wären.

  • Nach Ausführungen zum § 35 Abs. 2 EStG 1988 stellte das BFG unter Bezugnahme auf die Pflegestufe 1 als Bestätigung für den zwischen den Verfahrensparteien außer Streit stehenden notwendigen Hilfe- und Betreuungsbedarf der Bf. von mehr als 65 Stunden fest, dass eine rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses zwar grundsätzlich nicht möglich wäre, jedoch würde bei einer Behinderung als Folge eines Ereignisses (Unfall, Operation, Spitalsaufenthalt) der festgestellte Grad der Behinderung nach LStR 839f auch für steuerliche Zwecke rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses gelten, wenn das Bundesamt die Behinderung rückwirkend festgestellt hätte (z.B. ; -I/11). Vor diesem Hintergrund liege es an der Bf., das Zusammenspiel der Diagnosen "Kombiniertes Aortenklappenvitium", "Axonales PNP: Polyneuropathie" und "Zn DP 14 L5 mit Massenprolaps 2001" als Ursache der Pflegebedürftigkeit und somit die Zwangsläufigkeit (§ 34 Abs. 3 EStG 1988) der Heimkosten zu dokumentieren und eine Stellungnahme zum Punkt 3 dieses Schreibens samt, wenn möglich, Beilage aller Beweismittel, die geeignet seien, eine rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses zu begründen, an das BFG zu übermitteln.

Mit der Vorhaltsbeantwortung der steuerlichen Vertretung vom wurden der mit datierte Befundbericht der Dr.med.univ. E. zur Diagnose "kombiniertes Aorten und Mitralvitium, axonale Polyneuropathie, zn Prolaps L4 L5 2001" sowie der Röntgen-Befund der Radiologischen Gruppenpraxis Baden OG betreffend den Zustand der Wirbelsäule der Bf. vom an das BFG übermittelt.
Der Bericht der langjährigen Hausärztin der Bf. vom lautete wie folgt:


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Zum Befundbericht vom brachte die steuerliche Vertreterin vor, dass sich aus diesem ergebe, dass bei der Bf. bedingt durch ihre Krankheiten eine "deutliche Behinderung" bestehe und für sie "ein Leben ohne Unterstützung nicht möglich" sei. Diese Betreuungsbedürftigkeit bestehe bereits seit Jahren und sei auch im Streitjahr gegeben gewesen. Die Bf. sei verursacht durch ihre Krankheiten auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim typisch sei, angewiesen gewesen.
Aus dem nachfolgenden Schaubild ist der Röntgenbefund zur Wirbelsäule vom ersichtlich:


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Mit Schreiben des wurden das Schreiben der steuerlichen Vertreterin vom , der Befundbericht von Dr. E. vom (Kopie), der Röntgen-Befund vom , das VwGH-Erkenntnis vom , 2008/13/0145 (Serie (erledigt im gleichen Sinn): 2008/13/0126) und die UFS-Berufungsentscheidung vom , RV/2933-W/12, an die Amtsvertretung weitergeleitet.

Mit dem in zwei Punkte gegliederten Schreiben der Amtsvertretung vom wurde im ersten der beiden Punkte zur Vorhaltsbeantwortung der Bf. vom folgende Gegenäußerung abgegeben:


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Der Gegenäußerung der Amtsvertretung zum Schreiben der Bf. vom wurde noch die nachfolgend abgelichtete zusätzliche Stellungnahme hinzugefügt:


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Der zweite Punkt des Schreibens der Amtsvertretung vom mit dem Titel "Allgemeines" besteht aus sechs Subpunkten. Im ersten Subpunkt wurde zunächst das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2007/13/0051, zitiert, in dem der Gerichtshof bereits erkannt hätte, dass die Kosten für die Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim so lange nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen seien, als mit ihnen nicht auch besondere, durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit verursachte Aufwendungen abzudecken wären. Eine rechtliche Verknüpfung der Anerkennung der Heimkosten als außergewöhnliche Belastung mit einem Bezug von Pflegegeld ergebe sich aber auch daraus nicht.
Unter Pkt. 2.2. des abgabenbehördlichen Schreibens führte die Amtsvertretung zum Erkenntnis
des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2008/13/0145, aus, dass diesem nach Kosten im Zusammenhang mit einer Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit entstehen könnten, wenn jemand - behinderungsbedingt - nicht mehr in der Lage sei, den Haushalt selbst zu führen und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Pflegeheim typisch sei, angewiesen sei.
Unter den Punkten 2.3. und 2.4. des Schreibens der Amtsvertretung wurde die "Definition Pflegeheim" laut Wikipedia zitiert und eine Seniorenresidenz wie folgt beschrieben:


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Die Ausführungen der Amtsvertretung unter Punkt 2.5 des Schreibens zum "Residenzvertrag" sowie die Übersicht unter Punkt 2.6 des Schreibens mit dem Titel "Unterschied Seniorenresidenz - Pflegeheim" sind Bestandteile der Begründung des Bundesfinanzgerichts über die Beschwerde gegen den Einkommensteuerbescheid 2018 und sind daher im Begründungsteil des Erkenntnisses des BFG zur Geschäftszahl RV/7100930/2020 zu entnehmen.
Abschließend bestätigte die Amtsvertretung ihren Antrag auf Abweisung der Kosten für die SRBV als außergewöhnliche Belastung gem. § 34 EStG 1988.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Sachverhalt

Aufgrund der Aktenlage steht fest, dass die Bf. im Streitjahr an den Krankheiten "axonale PNP", "Harn- und Stuhlinkontinenz" und "kombiniertes Aortenvitium" gelitten hat. Der Rechtsstatus der Bf. als Behinderte im Sinn des § 35 EStG 1988 steht durch den Zuspruch von Pflegegeld der Stufe 1 per Bescheid im Jahr 2007 und dem Pflegegeldbezug im Jahr 2018 bedingt außer Streit.
Dem Pflegegeldbescheid ist eine Operation an der Wirbelsäule der Bf. vorausgegangen, die in Anbetracht eines (computertomographisch bestätigten) massiven extraforaminellen Bandscheibenvorfalls im Segment L 4/5 li., der Tatsache, dass im Liegen das Vorliegen einer Quadrizepsparese für den behandelnden Facharzt nicht sicher beurteilbar gewesen war und eine massive Schmerzsymptomatik L4 bestanden hatte, rasch indiziert und im Jahr 2001 durchgeführt worden war. Nach diesem chirurgischen Eingriff ist die Operierte wegen Pflegebedarfs in die Seniorenresidenz eingezogen, wo sie im Streitjahr gewohnt hat.
Der Bandscheibenvorfall ist die Ursache für die Erkrankung der Bf. an Polyneuropathie (=PNP) gewesen. PNP heißt, dass ein Teil des Nervensystems in seiner Funktion, die die Nerven des peripheren Nervensystems und damit alle außerhalb des zentralen Nervensystems (Gehirn und Rückenmark) liegenden Nerven betrifft, gestört ist. Ein Symptom für das Fortschreiten der PNP im Laufe der Jahre ist z.B. ein verändertes Empfinden in den Beinen gewesen. Aufgrund von
Taubheitsgefühlen in den Beinen (gefühllose Unterschenkel) besteht bei der Bf. eine Gangbehinderung mit Sturzgefahr. Ein tatsächlicher Sturz der Bf. mit Fraktur ist durch die Operation im Landesklinikum Baden-Mödling vom dokumentiert.
Eine Beschwerdefreiheit der Bf. bezüglich des Leidens an PNP im Streitjahr ist dadurch, dass die Pflegegeldbezieherin die gängigen Medikamente nicht vertragen hatte und Therapieversuche mit z.B. pflanzlichen Alternativen erfolglos gewesen waren, nicht gegeben gewesen.
Harn- und Stuhlinkontinenz heißt, dass die Bf. über den ungewollten Harnverlust hinaus v.a. unter a) häufigen Toilettengang, b) Störung der Nachtruhe durch mehrmaliges Aufstehen, um Harn zu lassen, c) plötzlich auftretenden starken Harndrang im Streitjahr gelitten hat. Die Schwäche des Beckenbodens und die damit verbundene Inkontinenz hat Anschaffungskosten betreffend Betteinlagen verursacht, von denen ein Teil der Bf. von der BVA ersetzt worden ist.
Die im Streitjahr diagnostizierte Herzklappenerkrankung verschafft Gewissheit über Atemnot der Residenzbewohnerin bei jeglichen Anstrengungen wie z.B. schon beim Stiegen steigen. Das im Gefolge des nach einer hyertonen Krise erstmals im Dezember 2017 an der Vitienambulanz des KH Hietzing festgestellte und im Mai 2018 definitiv diagnostizierte "kombinierte Aortenvitium" ist eine Krankheit mit deutlicher Einschränkung der Belastbarkeit der Patientin. Ein Klappenvitium ist nur chirurgisch sanierbar und bei der im Jahr 1929 geborenen Bf. mit einem hohen Mortalitäts- und vor allem Morbiditätsrisiko verbunden. Vor allem aufgrund des Operationsrisikos ist die Bf. im Streitjahr wunschgemäß konserativ im Sinn eines watchful Waitings (deutsch: "Beobachten und Abwarten") behandelt worden. "watchful waiting oder active surveillance" ist die Bezeichnung für eine spezielle Behandlungsstrategie in der Medizin, bei der die Krankheit zunächst nicht behandelt (Therapie), der Krankheitsverlauf aber in regelmäßigen Abständen kontrolliert (Diagnose) wird. Bei Erreichen bestimmter diagnostischer Parameter kann eine Therapie eingeleitet werden. Die Kontrollbesuche beim Internisten im Streitjahr sind durch einen Teilkostenersatz der BVA dokumentiert. Die Unterstützung des Internisten bei der Beobachtung der Bf. ist durch den Aufenthalt der Bf. in der SRBV im Jahr 2018 sichergestellt gewesen. Im Übrigen ist der Bf. im Gefolge einer Darmoperation im Jahr 2014 eine Diätverpflegung der Bf. empfohlen worden.
Zwischen der Verwaltung des Alten- und Pflegeheims und der Bf. sind die Residenzgebühr in Höhe von 27.435,36 € und Apothekenkosten in Höhe von 48,00 € verrechnet worden. Über die verrechneten Apothekenkosten hinaus sind dem Finanzamt noch folgende der Bf. in Zusammenhang mit Krankheiten erwachsene Ausgaben für das Streitjahr angezeigt worden:

Mit den Schreiben der die Bf. seit Jahren betreuenden und behandelnden Ärztin Dr. E. vom und ist der Amtsvertretung die Tatsache, dass die Bf. infolge der in den Schreiben genannten Diagnosen und ihrem Alter im Jahr 2018 pflegebedürftig und ein Leben ohne Unterstützung aufgrund der Erkrankungen an PNP und dem kombinierten Aortenvitium unmöglich war, bestätigt worden.

Beweiswürdigung

Die Sachverhaltsfeststellungen beruhen auf a) dem Bescheid, mit dem der Bf. Pflegegeld Stufe 1 zuerkannt worden ist, b) den Schreiben der langjährigen Hausärztin Dr. E. vom und , c) dem Bericht des OA Dr. A., Herz Jesu-KH, vom über die Operation an der Wirbelsäule vom Vortag (Beilage 2/a), d) dem Arztbrief des Prim. Univ.-Prof. DDr. B., Unfallabteilung, Landesklinikum Baden Mödling, betreffend die frakturbedingte Operation vom , e) der Niederschrift des Prim. Univ.- Prof. Dr. C. , Evangelisches Krankenhaus, vom betreffend die Operation am Darm vom , f) dem Röntgen-Befund der Radiologischen Gruppenpraxis Baden OG vom (Wirbelsäule), g) dem Befundbericht des Dr. Med. Univ. D., Facharzt für innere Medizin, vom , und h) den Aufzeichnungen zur Kz. 476 im Formular L lab-2018.
Der Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 li. mit Operation an der Wirbelsäule im Jahr 2001, der Bezug von Pflegegeld seit dem Jahr 2007, die ärztlichen Diagnosen "Kombiniertes Aortenklappenvitium", "Axonale PNP", "Zn DP 14 L5 mit Massenprolaps 2001", die Operationen in den Jahren 2013 und 2014 (Fraktur, Darm), die in Zusammenhang mit der PNP notwendige Verwendung eines Rollators, der durch Inkontinenz bedingte Bezug von Betteinlagen, die Heilmassagen, die aus der Herzklappenerkrankung resultierende Atemnot sowie die Angaben betreffend die Inanspruchnahme von Leistungen eines Internisten am und ergaben ein Gesamtbild, aufgrund dessen davon auszugehen war, dass die Unterbringung der Bf. in der Seniorenresidenz im Jahr 2018 dadurch, dass die Pflegegeldbezieherin behinderungsbedingt nicht mehr in der Lage war, den Haushalt selbst zu führen, zwangsläufig erforderlich war.
Zwischen den Verfahrensparteien ist der abgabenrechtliche Charakter der Kosten für das von der Bf. bewohnte Appartement in der SRBV strittig. Im Gegensatz zur steuerlichen Vertretung vertritt die Amtsvertretung die Rechtsmeinung, dass die Bf. aufgrund der in der Arztbestätigung der Dr. E. vom genannten Diagnosen und ihrem Alter zwar pflegebedürftig sei, jedoch liege ein detailliertes Gutachten trotz Aufforderung nicht vor. Die Bf. habe sich im Jahr 2004 aus freien Stücken zur Übersiedelung in die Seniorenresidenz entschlossen. Da die Bf. ohne fremde Hilfe in ihrem Appartement im Jahr 2018 gewohnt habe, liege kein Betreuungs- bzw. Pflegebedarf vor, weshalb die Zwangsläufigkeit des Aufenthaltes im Kalenderjahr 2018 nicht gegeben sei und daher die beantragten Kosten nicht als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1988 abzugsfähig seien.

Rechtslage

§ 34 EStG 1988 BGBl. Nr. 400/1988 in den Fassungen des BGBl. I Nr. 112/2012 und BGBl. I Nr. 62/2018 lauten wie folgt:

Das Bundespflegegeldgesetz (BPGG) unterstützt seit 1993 in Form eines pauschalierten Beitrages Menschen, die auf Hilfe und Betreuung durch andere angewiesen sind. Seitens des Gesetzgebers wurde der Zweck des Pflegegeldes im nachfolgend abgelichteten § 1 BPGG BGBl. Nr. 110/1993 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 58/2011, wie folgt bestimmt:

In einkommensteuer- und gebührenrechtlichen Angelegenheiten sind dem BPGG die nachfolgend abgelichteten Bestimmungen des § 21 BPGG BGBl. Nr. 110/1993 in der Fassung des BGBl. I Nr. 71/2013 zu entnehmen:

§ 35 Abs. 1 bis 5 EStG 1988 BGBl. Nr. 400/1988 in den Fassungen des BGBl. I Nr. 112/2012 und BGBl. I Nr. 62/2018 lautet wie folgt:


(4) ….

Nach Jakom/Peyerl, EStG 2020, 13. Aufl. 2020, § 34, Rz 90, und der dort zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs und des Unabhängigen Finanzsenats sind Kosten für ein Altersheim (Pflegeheim) dann keine außergewöhnliche Belastung, wenn eine Unterbringung aus Altersgründen erfolgt. Anders, wenn besondere Aufwendungen abzudecken sind, die durch Krankheit, Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht sind (, ; 97/14/0102; LStR 887; es genügt, wenn jemand behinderungsbedingt nicht mehr in der Lage ist, den Haushalt selbst zu führen, ). Hievon kann bei Vorliegen einer ärztlichen Bescheinigung bzw. - nach der Praxis der Finanzverwaltung - bei Anspruch auf Pflegegeld ausgegangen werden (kein Selbstbehalt, Abs. 6 TS 6; der tatsächliche Bezug von Pflegegeld bildet aber keine rechtliche Voraussetzung, ; Appartement). Abzugsfähig sind dann auch die Kosten der Übersiedlung in ein Alters- bzw. Pflegeheim wegen Pflegebedürftigkeit (WGW/Wanke § 34 Rz.78 "Umzugskosten").
Für ersparte Verpflegungskosten ist beim Pflegebedürftigen eine Haushaltsersparnis in Abzug zu bringen (; , 2008/13/0145; nach LStR 887 iH v 8/10 des Werts der vollen freien Station gemäß Sachbezugswerteverordnung, das sind 5,23 € täglich). Aufwendungen sind um öffentliche Zuschüsse zu kürzen, soweit sie mit der Pflege- bzw. Hilfsbedürftigkeit in Zusammenhang stehen (LStR 822). Liegt zugleich eine Behinderung vor, können die Aufwendungen nicht neben, sondern nur an Stelle des Freibetrags gemäß § 35 ohne Selbstbehalt geltend gemacht werden (LStR 841 ff).
Nach DKMZ/Fuchs, EStG 21 § 34 Rz. 78, und der dort zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs besteht keine rechtliche Verknüpfung der Anerkennung der Heimkosten als außergewöhnliche Belastung mit einem Bezug von Pflegegeld (vgl. z.B. , VwSlg 8564/F; ); durch den Bezug von Pflegegeld kann allerdings (alternativ zu einem ärztlichen Gutachten) der besondere Pflege- oder Betreuungsbedarf nachgewiesen werden (vgl. LStR 2002 Rz 887). Sind die Voraussetzungen zur Abziehbarkeit der Heimkosten erfüllt, können auch die Kosten der Unterkunft und Verpflegung (soweit diese - bei Aufgabe des eigenen Haushalts - über die Haushaltsersparnis hinausgehen) als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden (bei Behinderung auch ohne Selbstbehalt, vgl. z.B. , VwSlg 8564/F). Es ist nicht wesentlich, ob Betreuungs- und Hilfeleistungen gesondert verrechnet werden (vgl. ; , 2009/13/0003). Für zu Hause ersparte Verpflegungskosten ist eine Haushaltsersparnis in Höhe von 8/10 des Wertes der vollen freien Station gemäß der VO über die bundeseinheitliche Bewertung bestimmter Sachbezüge, BGBl II 2001/416 idgF. (von - 2018 - monatlich 156,96 €) anzusetzen (LStR 2002
Rz 887). Übersteigen die Heim- oder Pflegekosten die Summe der pflegebedingten Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), können diese Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung (wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen) ohne Kürzung um den Selbstbehalt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 abgezogen werden (§ 34 Abs 6 sechster Teilstrich; vgl § 34 Tz 46).

Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Der Beschwerde war Folge zu geben, weil der Anspruch der Bf. auf Pflegegeld gemäß § 4 Abs. 2 BPGG Gewissheit über den ständige Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) der Bf. auf Grund einer körperlichen Behinderung im Streitjahr verschafft hatte. Aus der Bestimmung des § 35 EStG 1988 (und den dieser Bestimmung folgenden beiden Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofs , und 2008/13/0126, ergibt sich daher für die Bf., dass aus dem Titel einer Behinderung entstehende Kosten entweder in Form eines Freibetrages nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 (gestaffelt nach dem auf Grund einer amtlichen Bescheinigung i. S. des § 35 Abs. 4 leg. cit. nachzuweisenden Grad der Behinderung) oder (wahlweise) in tatsächlicher Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind.
Kosten einer Behinderung können bereits im Zusammenhang mit einer Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit entstehen, wenn jemand - behinderungsbedingt - nicht mehr in der Lage ist, den Haushalt selbst zu führen und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim typisch ist, angewiesen ist. In diesem Fall steht es dem behinderten Steuerpflichtigen i. S. des § 35 EStG 1988 auch frei, die tatsächlichen Kosten einer Heimunterbringung (auch in Form der Unterkunft und Verpflegung, soweit diese Kosten über die Haushaltsersparnis hinausgehen) als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen (vgl. z.B. Hofstätter/Reichel, EStG36, § 34 Einzelfälle, Stichwort Alters- bzw. Pflegeheim). Dabei ist auch der Bezug von Pflegegeld nicht Voraussetzung (vgl. ). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs stellen die mit einer Unterbringung in einem Alters- oder Pflegeheim verbundenen Kosten eine außergewöhnliche Belastung dar, sofern die Unterbringung durch Krankheit, Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht ist.
Der Begriff "Krankheit" steht im Gegensatz zum Begriff "Gesundheit", der in der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in: http: //www. dmin.ch/ch/ d/sr/i8/0.810.1.de.pdf, als ein "Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen" definiert wird, und bezeichnet daher einen Zustand verminderter Leistungsfähigkeit, der auf Funktionsstörungen von einem oder mehreren Organen, der Psyche oder des gesamten Organismus eines Lebewesens beruht. "Krankheit" zeigt sich als Störung und offenbart sich mittels Symptomen. Erscheinungen von Krankheiten, Krankheitsfälle, Krankheitsverläufe, Krankheitsbilder etc. sind beschreibbar, objektivierbar und klassifizierbar. Beschreibt § 120 Abs. 1 Ziffer 1 ASVG Krankheit als "einen regelwidrigen Körper- oder Geisteszustand, der die Krankenbehandlung notwendig macht", so ist Krankheit im Sinne des Sozialversicherungsrechts eine Störung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens und somit eine Abweichung von der Norm "Gesundheit". Seitens der Bf. wurden die Krankheiten im Streitjahr nicht hingenommen. Die Behandlungen betreffend die Krankheiten "axonales PNP", "Inkontinenz" und "kombiniertes Aortenvitium" und die damit verbundenen Kosten wurden dem Finanzamt in Form der nachfolgend abgelichteten (der Abgabenerklärung 2018 beigelegten) Übersicht angezeigt:

Mit dem angefochtenen Bescheid wurde über den Antrag auf Anerkennung der in der Abgabenerklärung eingetragenen Kosten für a) Leistungen eines Internisten vom und (abzüglich BVA-Kostenersatz), b) in Zusammenhang mit einer Harn- und Stuhlinkontinenz verschriebenen Betteinlagen, und c) Heilmassagen, als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 EStG 1988 mit der nachfolgend abgelichteten Begründung entschieden:


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Wenn die Krankengeschichte die PNP als Folge des Bandscheibenvorfalls bei der Bf. darstellt, ist der Bandscheibenvorfall als Ursache für die Krankheit PNP glaubhaft, weil bei einem Prolaps auf der Höhe L4/5 die dort liegenden Nervenbündel und Nervenwurzeln geschädigt werden konnten.
Die Symptome für einen Bandscheibenvorfall hängen in der Regel von der Höhe und dem Ausmaß des Bandscheibenvorfalls ab. Die auf den Bandscheibenvorfall im Jahr 2001 folgenden Beschwerden der Bf. waren abhängig davon, inwieweit die Nerven vorfallbedingt eingeengt und verletzt worden waren.
Während bei einem Bandscheibenvorfall durch Druck auf die Nervenwurzel Schmerzen im jeweiligen Versorgungsgebiet des Nervs entstehen, die häufig von Kribbeln oder einem Taubheitsgefühl begleitet werden, geht auch bei der PNP die Erkrankung des peripheren Nervensystems mit Gefühlsstörungen und Taubheitsgefühlen in den Händen und Füßen einher, jedoch werden diese Krankheitsbeschwerden durch gereizte, entzündete oder geschädigte Nervenbahnen ausgelöst. Je nach Ursache der Erkrankung an PNP kann es zu weiteren Symptomen kommen, häufig tritt beispielsweise auch eine Muskelschwäche auf.
Die Polyneuropathie, unter der die Bf. im Streitjahr nachweislich gelitten hat, entwickelt sich in der Regel schleichend und schreitet langsam fort. Die Beschwerden lassen sich zwar oft lindern, vollständig heilbar ist PNP in der Regel jedoch nicht. Da die Nervenzellen des periphereren Nervensystems sich bis zu einem gewissen Maß regenerieren können, dies jedoch langsam geschieht, hat die Bf. die Leistungen der SRBV nach der durch den Bandscheibenvorfall bedingten Operation an der Wirbelsäule im Jahr 2001 nicht freiwillig, sondern zwangsläufig in Anspruch zu nehmen gehabt.
Die Operation an der Wirbelsäule wegen eines Bandscheibenvorfalls im Jahr 2001 war eine chirurgische Maßnahme an einem Teil des Skeletts, der als bewegliche Stütze des Körpers dient, das Gewicht von Kopf, Hals, Rumpf und oberen Extremitäten trägt und darüber hinaus das Rückenmark einschließt. Die 24 einzelnen Glieder/Wirbel (Vertebrae) der Wirbelsäule der Bf. sind durch Zwischenwirbelscheiben (Disci intervertebrales) sowie durch verschiedene Bänder miteinander verbunden. Die spezielle Statik der Wirbelsäule, die einem beweglichen Federstab gleicht, ermöglicht den aufrechten Gang des Menschen und schützt durch die Dämpfung der durch Beinbewegungen entstehenden Stöße das Gehirn vor schweren Erschütterungen.
Der Fortbestand der Behinderungen der Bf. bei der Fortbewegung nach der Operation im Jahr 2001 wurde durch die Verwendung eines Rollators als Gehhilfe bestätigt, weil Gehhilfen, von denen die wichtigsten der Gehstock, die Krücke, das Gehgestell bzw. Gehbock, der Drei-Punkt-Gehstock, die Achselstütze, der Rollator, die Elektromobile und der Einkaufstrolley sind, unterschiedlich und bedarfsabhängig sind. Während ein Gehgestell als Gehhilfe bei einer starken Gangunsicherheit in Verbindung mit einer Rehabilitationsmaßnahme tauglich ist, ist ein Rollator ein Hilfsmittel, das die Gelenke entlastet und die Mobilität bei einer mittleren Gangunsicherheit und längeren Strecken sowohl in der Wohnung, als auch außerhalb der Wohnung erleichtert. Der Rollator als ständige Gehhilfe für die Bf. im Gefolge der Operation an der Wirbelsäule im Jahr 2001 bestätigte den Fortbestand der körperlichen Beschwerden der Bf. bei der Fortbewegung nach der Operation und sprach daher für einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall und der Erkrankung der Bf. an PNP sowie für das langsame Fortschreiben dieser Krankheit und damit für die krankheitsbedingte Angewiesenheit der Bf. auf das Appartement in der SRBV auch im Streitjahr. Die Eignung der SRBV, den Anforderungen an die Pflege- und Betreuungsbedürfnisse der unter der Krankheit "PNP" leidenden Patientin zu entsprechen, wurde durch die im Gefolge der Operation wegen einer unfallbedingten Fraktur im Jahr 2013 ausgesprochene Entlassung der Bf. in die SRBV durch den die Bf. behandelnden Arzt in der Unfallabteilung dadurch, dass der Entlassung die Prüfung des sozialen Umfelds der Bf. durch das Landesklinikum vorausgegangen war, bestätigt. Im Streitjahr ist die Pflegegeld der Stufe 1 beziehende Bf. über die Leiden an der "axonalen PNP" und der Harn- und Stuhlinkontinenz hinaus auch noch durch eine Herzklappenerkrankung in Form eines "kombinierten Aorten und Mitralvitium" behindert gewesen. Die Verschlechterung des Gesundheitszustands wurde durch den nachfolgend abgelichteten Befundbericht der Hausärztin Dr. E. vom bestätigt:


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Der Begriff "Befund" ist die Bezeichnung für medizinisch relevante, körperliche oder psychische Erscheinungen, Gegebenheiten, Veränderungen und Zustände eines Patienten, die durch Fachpersonal (Ärzte, anderes medizinisches Personal) als Untersuchungsresultat erhoben werden. Mit dem Bericht vom folgte die Hausärztin der Bf. den Bestimmungen des § 51 Abs. 1 Ärztegesetz 1998, aufgrund dieser sie dazu verpflichtet war, (1) Aufzeichnungen über a) die zur Beratung oder Behandlung übernommene Bf., insbesondere über den Zustand der Bf. bei Übernahme der Beratung oder Behandlung, die Vorgeschichte einer Erkrankung, die Diagnose, den Krankheitsverlauf; b) Art und Umfang der beratenden, diagnostischen oder therapeutischen Leistungen einschließlich der Anwendung von Arzneispezialitäten und der zur Identifizierung dieser Arzneispezialitäten und der jeweiligen Chargen im Sinne des § 26 Abs. 8 des Arzneimittelgesetzes, BGBl. Nr. 185/1983, erforderlichen Daten zu führen, und (2) hierüber der beratenen oder behandelten Bf. alle Auskünfte zu erteilen. Angesichts der Eigenschaft der Bf. als langjährige Patientin der Dr. E. war es der Allgemeinmedizinerin möglich, den Befundbericht vom mit der Darstellung des Status und der Kontinuität der Behandlung der Bf. zu erstellen und die Angaben durch Vorlage der der Krankengeschichte beigelegten Beweismittel (a) OP-Bericht des OA Dr. A., Herz Jesu-KH, vom , b) Arztbrief des Prim. Univ.-Prof. DDr. B. vom , c) Niederschrift des Prim. Univ.- Prof. Dr. C., Evangelisches KH, vom , d) Befundbericht des Dr. Med. Univ. D., Facharzt für innere Medizin, vom ) und den Röntgen-Befund vom zu belegen.
Tatsache ist, dass die Bf. seit dem Jahr 2007 Pflegegeld bezogen hat, das den Zweck hat, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes Leben zu führen. Da die Hausärztin der Bf. den Befundbericht vom in Entsprechung des § 51 Ärztegesetz 1998 erstellt hatte, war aufgrund der Aktenlage davon auszugehen, dass die Bf. im Streitjahr krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen war, den Haushalt selbst zu führen, und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim im Streitjahr typisch war, angewiesen war. Behinderungsbedingt ist es der Bf. gemäß § 35 Abs. 5 EStG 1988 daher frei gestanden, die tatsächlichen Kosten einer Heimunterbringung (auch in Form der Unterkunft und Verpflegung, soweit diese Kosten über die Haushaltsersparnis hinausgehen) als außergewöhnliche Belastung für das Jahr 2018 geltend zu machen.
Da ein Leben der im Jahr 1929 geborenen Bf. ohne Unterstützung aufgrund der in Rede stehenden krankheitsbedingten Behinderungen - "axonales PNP", "kombiniertes Aorten und Mitralvitium" - im Streitjahr auszuschließen war, waren die Kosten für die SRBV in der mit der Beschwerde beantragten Höhe als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 anzuerkennen.

Anhand der Ausführungen der Amtsvertretung im Administrativ- und Beschwerdeverfahren war eine Abweisung der Beschwerde nicht zu begründen, weil die Bf. das Appartement in der SRBV im Streitjahr nicht freiwillig, sondern krankheitsbedingt bewohnt hatte und die Kosten betreffend die Krankheiten "axonales PNP", "Inkontinenz" und "kombiniertes Aortenvitium" dem Finanzamt in Form der Beilage zur Kz. 476 der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2018 Formular L lab-2018 - Übersicht über die Krankheitskosten mit Angabe der Ausgaben für a) Leistungen eines Internisten vom und (abzüglich BVA-Kostenersatz), b) in Zusammenhang mit einer Harn- und Stuhlinkontinenz verschriebenen Betteinlagen, c) Heilmassagen) - angezeigt hatte. Die Zwangsläufigkeit der behinderungsbedingten Kosten für die Seniorenresidenz war auch anhand der von der belangten Behörde angesprochenen Voraussetzungen für die Aufnahme von Beziehern von Pflegegeld der Stufe 1 in ein Pflegeheim des Landes Niederösterreich - die Österreichische Staatsbürgerschaft, der Hauptwohnsitz in NÖ, das vollendete 60.Lebensjahr, Bezug der Pflegegeldstufe 4 - festzustellen. Die im abgabenbehördlichen Ergänzungsersuchen zur Beschwerde vom angeführte Tatsache, dass mit dem Bezug von Pflegegeld der Stufe 1 die Voraussetzung für die Aufnahme der Bf. in einem Landespflegeheim im Streitjahr nicht vorgelegen seien, heißt, dass Angebote an Pflegeheimen des Landes Niederösterreich für die im Jahr 1929 geborene Bf. mit der Pflegestufe 1 im Streitjahr gefehlt haben. Sind Bezieher von Pflegegeld der Stufen 1 bis 3 krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, den Haushalt selbst zu führen, und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim typisch ist, angewiesen, so erwachsen diesen Behinderten im Sinn des § 35 EStG 1988 mit Hauptwohnsitz in Niederösterreich die Kosten für ein privates Pflegeheim gemäß § 34 Abs. 3 EStG 1988 zwangsläufig.
Den Bedenken der Amtsvertretung gegen den Befundbericht der Dr. E. war zu erwidern, dass prinzipiell ein niedergelassener Arzt für Allgemeinmedizin der erste Ansprechpartner eines Patienten ist, folglich dessen üblicherweise bei ihm die Dokumentation der ärztlichen Leistungen betreffend den Patienten zusammenläuft. Sämtliche Dokumentationsunterlagen können daher vom Facharzt bei Überweisung eines Patienten vom Allgemeinarzt zum Facharzt dem Allgemeinarzt übermittelt werden, und dieser ist dann auch zur Dokumentation und Aufbewahrung verpflichtet.
Die Dokumentations-, Auskunfts- und Aufbewahrungspflicht gemäß § 51 Ärztegesetz 1998 gilt zwar prinzipiell für alle Ärzte, jedoch hat die letztzitierte Bestimmung nur für die niedergelassenen Ärzte, für Gruppenpraxen und für Wohnsitzärzte praktische Bedeutung, weil für Krankenanstalten und deren Träger Spezialbestimmungen gelten. Da die Hausärztin der Bf. gemäß § 51 Abs. 1 Ärztegesetz 1998 zur Führung detaillierter Aufzeichnungen über die Krankheiten und Behinderungen ihrer Patientin und Erteilung aller Auskünfte hierüber verpflichtet war, war der Befundbericht vom unmittelbare Folge der Bestimmung des § 51 Ärztegesetz 1998, aufgrund dieser die Hausärztin ihrer Patientin Einsicht in die Dokumentation gewährt, die Aufzeichnungen sowie die sonstigen der Dokumentation im Sinne des § 51 Abs. 1 leg. cit. dienlichen Unterlagen aufbewahrt und mit der Aufbewahrung der Dokumentation unter anderem Beweise im Hinblick auf Ansprüche der Bf. z.B. im Abgabenverfahren gesichert hatte. Die Hausärztin der Bf. hatte daher aufgrund ihrer detaillierten Aufzeichnungen und den von der Bf. im Rechtsmittelverfahren vorgelegten Schreiben von Fachärzten und Röntgenbefund das Schreiben vom verfasst, dessen Text keinen Zweifel daran bestehen lässt, dass "ein Leben ohne Unterstützung aufgrund der beiden Erkrankungen" - PNP, kombinierten Aortenvitium - "nicht möglich erscheint". Aufgrund der Aktenlage, insbesondere des Befundberichts vom und der Bf. als Bezieherin von Pflegegeld der Stufe 1, waren die Appartementkosten der Bf. für das Streitjahr in abgabenrechtlicher Hinsicht somit als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 anzuerkennen.
Der Annahme, die Appartementkosten wären Folge eines Verhaltens, zu dem die Bf. sich aus freien Stücken, d.h. freiwillig entschlossen hätte, war zu erwidern, dass die Inanspruchnahme der Leistungen in der Seniorenresidenz Folge des Pflegebedarfs nach der Operation an der Wirbelsäule im Jahr 2001 und dem Bandscheibenvorfall als Ursache für die Erkrankung an axonaler PNP gewesen war (siehe die der Beschwerde beigelegten Krankengeschichte; die Schreiben der Hausärztin der Bf. vom und ). Das Hinzukommen des "kombinierten Aortenvitiums" zu den übrigen Erkrankungen ("axonale PNP", "Inkontinenz") ließ keinen Zweifel an der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Bf. im Jahr 2018 bestehen und schloss damit die Annahme, die Bf. wäre trotz Behinderung im Jahr 2018 in der Lage gewesen, den Haushalt selbst zu führen, und auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim typisch ist, nicht angewiesen, aus. Aufgrund der Aktenlage war daher der Auszug der Bf. aus dem Appartement in der SRBV mit lediglich als unmittelbare Folge der mit dem angefochtenen Abgabenbescheid für das Jahr 2018 vorgeschriebenen Nachzahlung von Abgaben in Höhe von 8.549,00 € - einer Abgabenzahllast in einer für eine pensionierte Beamtin beträchtlichen Höhe - zu erkennen.
Bei Betrachtung der Bestimmungen des Bundespflegegeldgesetzes nach dem Schutzzweck der Normen war festzustellen, dass der Normadressat des BPGG alle Pflegebedürftigen unabhängig von der Art ihrer Behinderung sind. Maßgebend für die Höhe des Pflegegeldes ist ausschließlich der konkrete Betreuungs- und Hilfsbedarf. Dem BPGG liegt der Grundsatz des Geldleistungsprinzips zu Grunde, sodass die Gewährung von Sachleistungen anstatt des Geldleistungsanspruchs nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt (siehe § 5 BPGG: Grundsatz der Geldleistung vor Sachleistung). Nach dem Willen des Gesetzgebers ist der Pflegegeldbezug in Höhe der Stufe 1 die Bestätigung für einen ständigen Betreuungs- und Hilfsbedarf (Pflegebedarf) der Bf. auf Grund einer körperlichen Behinderung. Das der Bf. zugesprochene Pflegegeld hat den Zweck, pflegebedingte Mehraufwendungen pauschal abzudecken und stellt daher nur einen Beitrag zur Finanzierung der Pflegeleistungen der Bf. dar. Soll das Pflegegeld ein weitestgehend selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes und menschenwürdiges Leben ermöglichen, so kann nach den Bestimmungen des BPGG von der pflegebedürftigen Bf. nicht verlangt werden, dass diese zur Verringerung ihres Pflegebedarfs ihren Wohnsitz in der SRBV verlegt und in eine Mietwohnung ohne wöchentliche Appartementreinigung, freie Benutzung von Massagebädern, Notfall-Dienstbereitschaft des Pflegepersonals (Tag und Nacht) übersiedelt. Da die Entscheidung über die Verwendung des Pflegegeldes und die Wahl der Betreuungsart dem pflegebedürftigen Menschen überlassen bleibt und die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung gemäß § 35 Abs. 5 EStG 1988 geltend gemacht werden können, fehlt eine gesetzliche Grundlage, eine Behinderte wie die Bf. zur Inanspruchnahme von Leistungen von mobilen Pflegediensten zu verpflichten.
Dem Fehlen von mit der SRBV abgerechneten Pflege- und Betreuungsaufwendungen für das Streitjahr war zu erwidern, dass das von der Bf. im Streitjahr bezogene Pflegegeld Gewissheit über einen ständigen Betreuungs- und Hilfsbedarf der Bf. wegen einer körperlichen Behinderung verschafft hatte, weil dem Zuspruch von Pflegegeld ein beim Pensionsversicherungsträger eingebrachter Antrag auf Pflegegeld vorausgegangen war. Dem Antrag folgte ein Hausbesuch durch fachärztliches Personal, um den Pflegebedarf bei der Bf. festzustellen, und die Erstellung eines Gutachtens, auf dessen Grundlage die zuständige Stelle über die Zuordnung zur Pflegegeldstufe 1 mittels Bescheid im Jahr 2007 entschieden hatte. Bestand aufgrund der "axonalen PNP", der "Inkontinenz" und dem neu hinzugekommenen Leiden an "kombinierten Aortenvitium" Zweifel an der Pflegestufe der Höhe nach, aber nicht am Status der Bf. als Behinderten im Sinn des § 35 EStG 1988 und der Rechtmäßigkeit des Bezugs von Pflegegeld wenigstens der Stufe 1 im Streitjahr, so änderte dieser Zweifel nichts an der Tatsache, dass die Bf. aufgrund der Aktenlage im Streitjahr dazu berechtigt war, Kosten für das Appartement in der SRBV aus dem Titel der Behinderung als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 für das Jahr 2018 geltend zu machen. Letztendlich waren auch die Ausführungen der Amtsvertretung zur Seniorenresidenz in Verbindung mit der nachgereichten Übersicht "Unterschied Seniorenresidenz-Pflegeheim" und der dem Schreiben der Amtsvertretung beigelegten Zeitungsbeilage mit dem Titel "Professionelle Pflege, die dein Herz berührt", aus dessen Text nachfolgend auszugsweise zitiert wird, nicht geeignet, eine Abweisung der Beschwerde zu begründen:
"Wir haben familienintern sehr lange überlegt, wie wir den Pflegebedarf meiner Mutter regeln können. Es war ein glücklicher Zufall, dass wir schließlich von den Pflegemöglichkeiten in der Residenz gehört haben. Meiner Mutter wird so viel Wertschätzung und Respekt entgegengebracht. Sie kann ihre Lebensgewohnheiten beibehalten, ihre Lieblingskleidung tragen, sich beim Friseur verwöhnen lassen und auch an einigen Programmpunkten im Haus teilnehmen. Und schönes Wetter genießt sie in der grünen Gartenanlage mit Biotop und Sonnenterrasse", erzählt W. über das neue Leben ihrer 86-jährigen Mutter J.
Die Wohnbereiche "Pflege …" … Es stehen 28 Zimmer (Ein- und Zweibett) in der Größe von
17 bis 29 m
2zur Verfügung. "Wir sind - mit maximal 50 Betten - eine familiär geführte, kleine Einrichtung, in der der zwischenmenschlich Austausch sehr wichtig ist und auch gefördert wird." Mit dem zuvor zitierten Werbetext wurden Leistungen angepriesen, die für Alters- bzw. Pflegeheime unabhängig davon, ob ein Heim von einer Kapitalgesellschaft oder einem Bundesland geführt wird, typisch sind und daher Residenzen und Pflegeheimen als Alters- bzw. Pflegeheime auszeichnen. Was genau eine Seniorenresidenz auf höchsten Niveau ist, liegt immer auch im Auge des Betrachters. Zum Beweis dafür sei auf die dem Begleitschreiben zum Erkenntnis beigelegten Folder des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser mit den Titeln "Wohnen, Betreuung und Pflege nach Maß", "Gepflegt betreut", "Tag.Familie/ Behinderung", "Betriebs- und Leistungsbeschreibung", "Betreutes Wohnen" ("Hotel war gestern unsere Häuser sind heute.") verwiesen.
Wenn Heimappartements an Beziehern von Pflegegeld der z.B. Stufe 1 angeboten werden, ist den Anboten der Geschäftsführung von Seniorenresidenzen und Pflegeheimen gemein, dass diese Häuser nach Perfektion auf allen Ebenen streben und den Beziehern von Pflegegeld den Heimaufenthalt so angenehm wie möglich gestalten wollen. Jeder Pflegegeld z.B. der Stufe 1 beziehende Bewohner von einem Altersheim wohnt bei entsprechenden Angebot in der Regel unabhängig davon, ob das Heim vom Staat oder einer Kapitalgesellschaft geführt wird, in seinem eigenen Appartement und bekommt nach Bedarf die Unterstützung, die er braucht, ist ins soziale Leben integriert und hat trotzdem einen Rückzugsbereich. Wird Behinderten der Pflegegeldstufe 1 die Aufnahme in ein NÖ Pflege- und Betreuungszentrum verwehrt, so verschafft die nachfolgend abgelichtete Website auf https:// www. noe.gv.at/noe/Pflege/ Adressenliste_Pflege_ Betr.zentren_ Bezirke. Html Gewissheit über die Zwangsläufigkeit von Appartementkosten für jene Behinderte mit der Pflegegeldstufe 1, die behinderungsbedingt nicht in der Lage sind, den Haushalt selbst zu führen, und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim typisch ist, angewiesen sind:

Angesichts des Vorbringens der Amtsvertretung, wonach Behinderte der Pflegestufe 1 im Jahr 2018 in der Regel nicht in ein NÖ Pflege- und Betreuungszentrum aufgenommen wurden, hatte die Bf. aufgrund ihrer durch PNP und das kombinierte Aortenvitium krankheitsbedingten Behinderungen und der Aussage der Hausärztin der Bf. im Befundbericht vom , wonach "ein Leben ohne Unterstützung aufgrund der beiden Erkrankungen" - PNP, kombinierten Aortenvitium - "nicht möglich erscheint", in Niederösterreich keine andere Möglichkeit, als sich für die Aufnahme in ein privates Pflegeheim zu entscheiden.

Mit den nachfolgenden Ablichtungen werden die Ausführungen der Amtsvertretung unter den Punkten "2.5. Residenzvertrag" und "2.6. Unterschied Seniorenresidenz-Pflegeheim" dargestellt:

Pkt. 2.5. Residenzvertrag


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Pkt.2.6 Unterschied Seniorenresidenz - Pflegeheim

Zu den Ausführungen der Amtsvertretung unter Pk. 2.5. Residenzvertrag war festzustellen, dass die Rechtsgrundlage für die Nutzung eines Appartements in einer Seniorenresidenz ein Vertrag zwischen der Residenzbewohnerin und der Geschäftsführung der Seniorenresidenz ist. Die Privatautonomie gewährt dem Einzelnen dabei das Recht, all seine Rechtsverhältnisse nach seinem Belieben mit der Geschäftsführung der Seniorenresidenz zu gestalten. Ist das Einzige, auf das die Vertragsparteien dabei zu achten haben, dass das Verhalten nicht gegen gesetzliche Verbote verstößt, so bedeutet Privatautonomie Vertragsfreiheit. Die von der Amtsvertretung angeführten Vertragspunkte legten Bestandteile des Vertrags offen, die für ein Alten- und Pflegeheim typisch sind, ohne den Charakter einer Luxusherberge für Senioren nachzuweisen. Wenn der Residenzbewohner das Appartement mit seinen eigenen Möbeln möbliert, kann von einem hotelähnlichen Gewerbebetrieb keine Rede sein, weil der Hotelstern als Bewertungssymbol auf Qualitäts- und Leistungsmerkmalen wie Infrastruktur, Ausstattung der Zimmer, Empfangs- und Aufenthaltsräume und dem gebotenen Service basiert und erst das Dreistern-Hotel ein Hotel ist, das sich durch gehobene und einheitliche Ausstattung mit wohnlichem Charakter und einer Gästeschicht mit Ansprüchen über die reine Nächtigungsleistung und bescheidenen Komfort hinaus (Bad/Dusche, Speisen, Getränke etc.), gehobenes Dienstleistungsangebot (Empfang/Rezeption, Getränke, Imbiss etc.) auszeichnet. Ein Zimmer in einem Dreisternhotel hat im Gegensatz zu einem Zweisternhotel gediegene Materialien, ein größeres Raumangebot, eine Aufenthaltsmöglichkeit (z. B.: Sitzecke, Schreibtisch) im Zimmer und im allgemeinen Aufenthaltsraum und unterscheidet sich von einem Viersternhotel durch kleinere Flächen und der Möglichkeit einer auch älteren Ausstattung bei gutem Erhaltungszustand. Luxus demonstriert eine Lebensform, die sich wegen ihrer exklusiven Merkmale vom normalen gesellschaftlichen Leben abhebt und sich oft als Erfolgs- und Statussymbol repräsentiert. Eine luxuriöse Lebensweise zeigt sich unter anderem in erlesenen Speisen und Getränken sowie in teurer Kleidung, in Schmuck, teuren Autos und exklusiven Domizilen. Die Tatsache, dass die Verpflegung in einer Seniorenresidenz lediglich aus einem Mittagessen besteht und daher Frühstück und Abendessen zusätzlich buchbar sind, während ein Pflegeheim in Niederösterreich seinen Bewohnern Vollverpflegung anbietet, verleiht der SRBV nicht den Charakter eines Seniorenheims mit Luxuscharakter, weil Senioren in der Regel keine üppigen Portionen mehr verzehren können und auf einen "Seniorenteller", das ist eine kleinere, für ältere Menschen angebotene Portion, keinen Appetit haben. Bietet im Gegensatz zum Pflegeheim ein Seniorenheim nur ein Mittagessen als Verpflegung an, sodass Frühstück und Abendessen bei Bedarf zusätzlich zu buchen sind, so wird bei Bewohnern ab der Pflegestufe 4 pflegebedingt nicht von einem "All you can eat"- Anbot, sondern als Folge der Einnahme von Medikamenten vom Servieren eher kleinerer Portionen über den Tag verteilt auszugehen sein.
Die im Vergleich zu Seniorenresidenzen unterschiedliche Nachfrageintensität nach Speisen in staatlichen Pflegeheimen ergibt sich nicht vorrangig aus den Essgewohnheiten von Senioren, sondern aus dem höheren Umfang der Betreuungsbedürftigkeit von Pflegebedürftigen in Pflegeheimen insoweit, als bei Arzneimittel der richtige Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme erforderlich ist, um eine bestmögliche Wirksamkeit und Verträglichkeit zu erzielen. Bei gewissen Arzneimitteln (z.B. bestimmte Antibiotika) ist es besonders wichtig, den richtigen Einnahmezeitpunkt genau zu beachten, um eine optimale und gleichmäßige Wirkstoffkonzentration zu erwirken. Auch beim Abklingen der Symptome sollte die vom Arzt vorgeschriebene Dauer der Behandlung strengstens eingehalten werden, da es andernfalls zu einem verzögerten oder verminderten Therapieeffekt kommen kann. Auf die Möglichkeit der Entwicklung beispielsweise einer Antibiotika-Resistenz bei vorzeitigem Abbruch einer Antibiotika-Therapie sei verwiesen. Erfolgt die Einteilung von Arzneimittel danach, ob sie a) vor einer Mahlzeit, b) zum Essen, c) nach dem Verzehr einer Speise, d) unabhängig von der Mahlzeit, das heißt vor, zu oder nach dem Essen, e) auf nüchternen Magen eingenommen werden können, so ergibt sich daraus die Nachfrage nach Essen über die Verpflegungen in Form von Frühstück, Mittag- und Abendessen hinaus über den Tag verteilt als Folge der Verabreichung von Arzneimittel an Pflegebedürftige ab der Pflegestufe 4.
Die von der Amtsvertretung angesprochenen Kleidungsvorschriften im Speisesaal der SRBV sind kein charakteristisches Merkmal für ein Altenheim mit Luxuscharakter, weil es in den Pflegeheimen zwar theoretisch keine festen Vorgaben geben könnte, jedoch wird auch in einem staatlich geführten Seniorenheim auf eine angemessene Bekleidung beim Besuch des Speisesaals zu achten sein. Die Einnahme von Speisen durch z.B. unter Inkontinenz leidenden Heimbewohnern z.B. im Bademantel, der Badehose mit Windel oder Bikini im Speiseraum eines staatlichen Pflegeheims in welchen Bundesland auch immer wird wohl von der Geschäftsleitung untersagt werden.
Zum Begriff "Seniorenresidenz" und den Ausführungen der Amtsvertretung zum SRBV-Vertrag ist festzustellen, dass Senioren als gesellschaftliche Gruppe unter anderem als Zielgruppe des Marketings relevant sind und mit Schlagworten wie "Best Ager" belegt werden. Der Begriff "Senior" soll den weitgehend negativ besetzten Begriff der "Alten" ersetzen und aufwerten und entspricht damit dem vorherrschenden, durch Konsumorientierung und Marketing geprägten Verständnis älterer Menschen in der modernen Freizeitgesellschaft. Terminologische Umbenennungen ("Seniorenheim" oder "Seniorenresidenz" statt "Altersheim") oder neu geschaffene Wörter wie z.B. der "Seniorenteller" gehen in die gleiche Richtung, ändern aber nichts an der Tatsache, dass eine Seniorenresidenz ein Altersheim ist und ein Seniorenteller eine kleine Portion einer Speise für Pensionisten bleibt. Tatsache ist, dass es der SRBV an einer exklusiven, luxuriösen Ausstattung, d. h. an edlen, hochwertigen und eleganten Materialien mit durchgängiger Gestaltung, Architektur, Ausstattung, Ambiente, Dienstleistungsangebot wie auch an einer Schicht an Residenzbewohnern der internationalen Gesellschaft fehlt. Die SRBV GmbH vermag damit die Qualitäts- und Leistungsmerkmale wie Infrastruktur, Ausstattung der Zimmer, Empfangs- und Aufenthaltsräume und gebotenen Service, die den Anforderungen an ein in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft entsprechend der Nachfrage geführtes Alten- und Pflegeheims entsprechen, nicht aber jene von Luxusheimen für Pensionisten zu erfüllen. Auch die von der Amtsvertretung zitierten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs vermochten eine Abweisung der Beschwerde nicht zu begründen, weil sich dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2008/13/0145, zufolge aus der Bestimmung des § 35 EStG 1988 ergibt, dass aus dem Titel einer Behinderung entstehende Kosten entweder in Form eines Freibetrages nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 (gestaffelt nach dem auf Grund einer amtlichen Bescheinigung i. S. des § 35 Abs. 4 leg. cit. nachzuweisenden Grad der Behinderung) oder (wahlweise) in tatsächlicher Höhe als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen sind. Kosten einer Behinderung können bereits im Zusammenhang mit einer Pflege- oder Betreuungsbedürftigkeit entstehen, wenn jemand - behinderungsbedingt - nicht mehr in der Lage ist, den Haushalt selbst zu führen und daher auf eine Betreuung, wie sie in einem Alters- oder Pflegeheim typisch ist, angewiesen ist. In diesem Fall ist es der behinderte Steuerpflichtige im Sinn des § 35 EStG 1988, dem es auch freisteht, die tatsächlichen Kosten einer Heimunterbringung (auch in Form der Unterkunft und Verpflegung, soweit diese Kosten über die Haushaltsersparnis hinausgehen) als außergewöhnliche Belastung geltend zu machen (vgl. z.B. Hofstätter/Reichel, EStG36, § 34 Einzelfälle, Stichwort Alters(-Pflege)heim). Dabei ist auch der Bezug von Pflegegeld nicht Voraussetzung (vgl. ).
Wie aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2007/13/0051, ersichtlich, sind nach der Rechtsprechung zwar Unterbringungskosten in einem Alters- oder Pflegeheim so lange nicht als außergewöhnliche Belastung zu berücksichtigen, als mit ihnen nicht auch besondere Aufwendungen abzudecken sind, die durch Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit verursacht werden (vgl. , ), eine rechtliche Verknüpfung der Anerkennung der Heimkosten als außergewöhnliche Belastung mit einem Bezug von Pflegegeld ergibt sich daraus nicht.
Mit dem der Beschwerde der Bf. gegen den Abgabenbescheid für das Jahr 2018 stattgebenden Erkenntnis des BFG, RV/7100930/2020, folgte das Bundesfinanzgericht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage der Anerkennung von Appartementkosten in einer Seniorenresidenz als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988, weil die Behinderung der Bf. durch den Bezug von Pflegegeld im Jahr 2018 nachgewiesen wurde. Mit dem Befundbericht vom wurde eine ärztliche Bescheinigung über die Krankheiten PNP und kombiniertes Aortenvitium vorgelegt. Aufgrund des Pflegegeldanspruchs der Bf. und den diversen ärztlichen Beweismitteln betreffend die in Rede stehenden Krankheiten der Bf. war der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs folgend von einem durch Krankheit verursachten Aufenthalt der Bf. in der SRBV auszugehen.
Die nachweislichen Leiden der Bf. an PNP, Harn- und Stuhlinkontinenz und kombinierten Aortenvitium im Streitjahr begründen keine Verpflichtung, Leistungsangebote betreffend Pflege und Betreuung in der SRBV anzunehmen. Die Tatsache, dass das Monatspauschale sich NUR aus Verpflegung und Unterkunftskosten zusammensetzt, keine Pflegekosten darin beinhaltet sind und die Bf. an auf das Streitjahr bezüglichen Kosten über die Residenzgebühr hinaus nur Apothekenkosten an die SRBV GmbH zu entrichten gehabt hat, ist somit für die Beurteilung des abgabenrechtlichen Charakters der in Rede stehenden Appartementkosten für das Streitjahr nicht wesentlich.
Aufgrund der Aktenlage waren die von der Bf. für ihre Unterbringung in der SRBV zu tragenden Aufwendungen krankheitsbedingt und somit als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 abzugsfähig. Das heißt in Zahlen,
dass die auf die Bf. entfallenen Appartementkosten von 27.387,36 € abzüglich 1.887,60€ (Bundespflegegeld 01-12) und 1.883,52€ (Haushaltsersparnis) in Höhe von 23.616,24 € für das Jahr 2018 als außergewöhnliche Belastung gemäß § 35 Abs. 5 EStG 1988 in Verbindung mit § 34 Abs. 6 EStG 1988 anzuerkennen sind.

Mit der nachfolgenden Übersicht wird die Berechnung der Einkommensteuer 2018 dargestellt:

Die Aufwendungen für außergewöhnliche Belastungen sind dadurch, dass sie niedriger als der für die Bf. gültige Selbstbehalt in Höhe von 1.975,81 € sind, nicht berücksichtigt worden. Über die unter "Tatsächliche Kosten aufgrund einer Behinderung" beantragten Beträge von 23.616,24 € hinaus sind keine weiteren Kosten abziehbar gewesen.
Sonderausgaben sind in Höhe des Pauschbetrags für Sonderausgaben von 60 € in Abzug gebracht worden, weil Topf-Sonderausgaben nur zu einem Viertel anrechenbar sind und sich der Betrag bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte der Bf. über 36.400 Euro weiter bis maximal 60 € verringert (§ 18 Abs. 3 Z. 2 EStG 1988).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Da das Erkenntnis bei der Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Kosten der Bf. für ein Appartement in der SRBV krankheitsbedingt als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 6 EStG 1988 in Verbindung mit § 35 Abs. 5 EStG 1988 abzugsfähig sind, der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere dem Erkenntnis des , folgt, ist eine Revision gegen dieses Erkenntnis an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Schlagworte
Bekleidungsvorschriften
Seniorenresidenz
Pflegegeld
außergewöhnliche Belastung
Begriff "Gesundheit"
Altenheim
Pflegeheim
Begriff "Krankheit"
ECLI
ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100930.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at