Abkommenstext versus Verwaltungsübereinkommen bei Beurteilung des öffentlich-rechtlichen Schweizer Ruhebezuges einer in Österreich ansässigen Steuerpflichtigen
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ro 2022/15/0021.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri***
in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***,
betreffend den Bescheid des ***FA*** vom
hinsichtlich Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2018, Steuernummer ***BF1StNr1***,
zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird Folge gegeben. Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem am Ende der Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin verfügte im Streitjahr über einen österreichischen (PVA) und zwei Schweizer Pensionsbezüge (AHV, ***1*** Pensionskasse). Sowohl die in-, als auch die ausländischen Pensionsbezüge wurden im angefochtenen Bescheid der inländischen Besteuerung unterzogen.
Die Beschwerdeführerin beantragte in ihrer Beschwerde durch ihren steuerlichen Vertreter, der angefochtene Bescheid möge wegen Rechtswidrigkeit aufgehoben und in einem neu zu erlassenden Bescheid die aus der Schweiz bezogenen Renteneinkünfte gemäß Art. 19 DBA Österreich-Schweiz (in der Folge DBA CH) unter Progressionsvorbehalt steuerfrei gestellt werden.
Sie präzisierte, dass sie Renten aus der schweizerischen Alters-, Hinterlassenen-und Invalidenversicherung (AHV) und der ***1*** Pensionskasse bezogen habe. Die Auszahlungen aus der ***1*** Pensionskasse seien in der Schweiz der Quellenbesteuerung unterzogen worden. Die Auszahlungen aus der AHV seien in der Schweiz aufgrund nationaler Bestimmungen nicht besteuert worden, jedoch in Österreich trotzdem gemäß Art. 19 DBA CH steuerfrei zu belassen.
Die Beschwerdeführerin verwies durch ihre steuerliche Vertretung in diesem Zusammenhang auf eine beigefügte Rechtsansicht des Bundesministeriums für Finanzen (BMF).
Die Auskunft des BMF, EAS 3316, mit der Geschäftszahl BMF-010221/0741-IV/4/2012 vom lautet:
"Schweizerische AHV-Pensionen und Pensionen aus schweizerischen Pensionskassen fallen grundsätzlich unter Art. 18 DBA CH und unterliegen diesfalls in den Händen des in Österreich ansässigen Pensionsempfängers der österreichischen Besteuerung (z.B. EAS.603).
Nur soweit Pensionsleistungen unter Art. 19 DBA CH fallen, trifft Österreich eine Steuerfreistellungsverpflichtung; diese gründet sich auf Art. 23 Abs. 1, obwohl für Art. 19 im DBA CH an sich das Anrechnungssystem des Abs. 2 gilt. Die von Art. 19 erfassten Ruhegehälter sind indessen aus dem Anrechnungssystem des Art. 23 Abs. 2 herausgelöst worden.
Art. 19 bezieht sich im gegebenen Zusammenhang in Satz 1 auf Ruhegehälter, die ein Vertragstaat für ihm erbrachte…..Dienstleistungen.…..auszahlt. In Satz 2 legt die Bestimmung fest"Dies gilt auch dann, wenn solche Vergütungen von einem Land, von einem Kanton, von einer Gemeinde, einem Gemeindeverband oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts eines der beiden Staaten gewährt werden".
Nach Auffassung des BMF stellt dieser 2. Satz eine generelle Erweiterung des Prinzips des ersten Satzes dar, sodass die für den Vertragstaat getroffene Regelung auch auf alle seiner öffentlich-rechtlichen Körperschaften gelten soll. Voraussetzung für die Anwendung von Art. 19 ist daher, dass einerseits die Dienstleistungen an Arbeitgeber innerhalb dieses Kreises erbracht wurden und dass andererseits auch die Zahler der Pensionen diesem Kreis zugehören (siehe in diesem Sinn auch EAS. 1355).
Daraus folgt, dass eine schweizerische AHV-Pension, die einem schweizerischen Gemeindebediensteten von der schweizerischen Ausgleichskasse im Rahmen des schweizerischen Sozialversicherungssystems gezahlt wird, in Österreich Steuerfreiheit (unter Progressionsvorbehalt) genießt. Dies gilt aber auch für die von der Pensionskasse der Gemeinde gezahlte Zusatzpension, wenn diese Pensionskasse in der Rechtsperson der Gemeinde integriert ist oder sonst als eigenständiger öffentlich-rechtlicher Rechtsträger anzusehen ist. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist, richtet sich gemäß Art. 19 Abs. 2 des Abkommens nach den schweizerischen Gesetzen und müsste daher auf schweizerischer Seite geklärt werden.
Routinemäßig wird darauf hingewiesen, dass sich im EAS-Verfahren erteilte Antworten immer nur auf den in der Antwort selbst formulierten Sachverhalt beziehen können."
In einer daraufhin ergehenden, abweisenden Beschwerdevorentscheidung wurde seitens der Abgabenbehörde ausgeführt, Sinn eines Doppelbesteuerungsabkommens könne nicht die doppelte Nichtbesteuerung sein. Da die Schweiz die AHV-Rente nicht besteuere, falle das Besteuerungsrecht an den Ansässigkeitsstaat.
Es langte ein Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein, in welchem die Beschwerdeführerin durch ihren steuerlichen Vertreter erläuterte: Sie habe seit September 2001 durchgehend im öffentlichen Dienst in der Schweiz gearbeitet und erhalte aus der Schweiz eine AHV-Rente (1. Säule) sowie eine Rente von der ***1*** Pensionskasse (2. Säule). Es werde diesbezüglich auf einen beigefügten Versicherungszeitenauszug der schweizerischen Ausgleichskasse hingewiesen. Nur im Mai 1990 habe die Beschwerdeführerin in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen gearbeitet, die Beitragsgrundlage betrage CHF 153. Pensionen wie die in Streit stehende seien gemäß Art. 19 DBA CH in Österreich unter Progressionsvorbehalt steuerfrei zu belassen. Dass im konkreten Fall die AHV-Rente in der Schweiz nicht besteuert wurde, führe nicht dazu, dass die Republik Österreich ein Besteuerungsrecht an dieser Rente habe.
Die Beschwerdeführerin verwies durch ihre steuerliche Vertretung auf beigefügte Anlagen (BMF-Auskunftsschreiben, EAS 3316, wie oben; Auszug aus Pensionen im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, Dommes, Linde Verlag, III., Seite 54: "…..Denn Sozialversicherungspensionen des öffentlichen Dienstes verlieren ihre Eigenschaft nicht dadurch, dass sie nicht direkt aus der öffentlichen Kasse, sondern nur indirekt über eine Sozialversicherungspensionseinrichtung aus den Mitteln der öffentlichen Kasse gezahlt werden. Somit ist Art. 19 Abs. 2 OECD-MA im Bereich des öffentlichen Dienstes für Sozialversicherungspensionen anwendbar. Resultiert eine Sozialversicherungspension sowohl aus unselbständiger Arbeit im öffentlichen Dienst iSd Art. 19 Abs. 1 OECD-MA als auch aus einer privatwirtschaftlichen Tätigkeit iSd Art. 15 OECD-MA, so wäre sie entsprechend der Höhe der damaligen Bezüge und/oder der Dauer der Beschäftigung aufzuteilen.").
Im Vorlagebericht des Finanzamtes ***FA*** wird festgehalten, dass von Seiten des BMF mitgeteilt wurde, die Schweiz sehe bei AHV-Pensionen den Wohnsitz als maßgeblichen Anknüpfungspunkt an, weshalb das Besteuerungsrecht gemäß Art. 21 DBA CH dem Wohnsitzstaat Österreich zukommt und die Besteuerung in der Schweiz unterbleibt (siehe Aktenvermerk des FA ***FA*** vom ).
In einem Mailwechsel zwischen der Richterin des BFG und einem Vertreter des Finanzamtes wies dieser darauf hin, dass dazu ein Erlass angekündigt worden sei.
II. Ermittlungen durch die Richterin
Die Richterin wandte sich-wie nachstehend- mit einem Vorhaltsschreiben an dieAbgabenbehörde:
"Zu beurteilen ist im oben genannten Beschwerdeverfahren die Frage, ob hinsichtlich der Schweizer AHV-Pension der in Österreich ansässigen Beschwerdeführerin eine doppelte Nichtbesteuerung rechtens sein kann.
Die Beschwerdeführerin bezieht zwei unstrittig als öffentlich-rechtlich zu qualifizierende Pensionen aus der Schweiz, nämlich eine Pension aus der AHV (1. Säule) und eine Pension von der ***1*** Pensionskasse (2. Säule) für ihre vormalige Berufstätigkeit in der Schweizer ***2*** sowie der ***3***l.
Die Schweiz hat in den Streitjahren die AHV-Pension nicht besteuert. Hinsichtlich der Pension der ***1*** Pensionskasse hat sie Quellensteuer eingehoben.
In Österreich wurden beide Pensionen der Besteuerung unterzogen.
Nach Abklärung mit einem zuständigen Vertreter der Abgabenbehörde konnte inzwischen außer Streit gestellt werden, dass die unter Art. 19 DBA CH fallende Rente aus der ***1*** Pensionskasse in der Schweiz zu besteuern und gemäß Art. 23 Abs. 1 in Österreich für den Progressionsvorbehalt heranzuziehen ist.
Hinsichtlich der AHV-Pension vertritt die steuerliche Vertretung (anders aus das Finanzamt) die Rechtsansicht, dass diese-als unter die Verteilungsnorm des Art. 19 DBA CH fallend-in Österreich nicht besteuert werden darf, dies ungeachtet einer solcherart eintretenden doppelten Nichtbesteuerung. Die steuerliche Vertretung beruft sich diesbezüglich auf eine Rechtsauskunft des Finanzamtstandortes Feldkirch vom , wonach AHV-Pensionen wie die in Streit stehende, gemäß Art. 19 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 DBA CH in Österreich unter Progressionsvorbehalt steuerfrei zu stellen sind
Dem BFG ist mitgeteilt worden, dass in jüngerer Zeit Konsultationsgespräche zwischen dem Bundesministerium für Finanzen und der eidgenössischen Steuerverwaltung stattgefunden haben, die zu dem Ergebnis führten, dass Pensionen wie die in Streit stehende unter die Verteilungsnorm des Artikels 21 DBA CH fallen und somit im Ansässigkeitsstaat, also Österreich, der Besteuerung unterliegen. Insofern kann es nicht zu einer doppelten Nichtbesteuerung kommen.
Dem BFG ist zwar bekannt, dass bezughabende EAS-Auskünfte des BMF zwischenzeitlich mit einem "Beachte" folgenden Inhalts überschrieben sind: "Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten sind übereingekommen, dass im Falle von AHV-Renten, die an ehemals öffentlich Bediensteter der Schweiz gezahlt werden, Art. 21 DBA CH anzuwenden ist."
Jedoch liegt dem BFG kein offizielles Papier (als Ergebnis eines Konsultationsverfahrens im Sinne des Art. 25 DBA CH?) vor, aus dem die bilaterale Vereinbarung zu ersehen ist.
Die Richterin ersuchte zusammenfassend um Information darüber, ob eine formelle Konsultationsvereinbarung inzwischen dokumentiert worden sei, falls ja, ab wann diese in Geltung trete bzw., ob sie für alle offenen Fälle Geltung habe, außerdem um Einreichung allenfalls vorliegender derartiger Dokumente.
Es langte nachstehendes Antwortschreiben der Abgabenbehörde ein:
1. "Das (ehemalige) Finanzamt Feldkirch hielt sich in den gleichgelagerten Fällen an die Rechtsansicht des BMF (Anwendung des Art. 19 DBA Schweiz bei AHV-Renten von vormals öffentlich-rechtlich Bediensteten) bis zu deren Revidierung aufgrund der im Herbst 2021 stattgefundenen Revisionsgespräche.
2. Ein schriftliches Dokument über das Ergebnis der Konsultationsvereinbarung besteht nach unserem Kenntnisstand derzeit (noch) nicht.
3. Mangels eines Vermerks im Hinblick auf den Anwendungszeitraum der Konsultationsvereinbarung im Disclaimer zu EAS 3316 ist (bis zum Vorliegen eines schriftlichen Dokuments, aus welchem sich eine andere Auslegung ergibt) davon auszugehen, dass die vereinbarte Rechtsansicht ab Veröffentlichung des Disclaimers in der Findok () auf alle offenen Fälle anzuwenden ist."
Der Vertreter der Abgabenbehörde reichte ergänzend einen aktenkundigen E-Mail-Wechsel zwischen einem inländischen steuerlichen Vertreter und einem Vertreter der eidgenössischen Steuerverwaltung nach, aus dem zu ersehen ist, dass seitens der Schweiz schon im Jahr 2012 AHV-Pensionen unter die Verteilungsnorm des Art. 21 DBA CH subsumiert wurden.
Die Richterin wandte sich mit einer E-Mail wie nachstehend an das BMF:
"Beim BFG liegen offene Fälle, in denen AHV-Renten von in Österreich ansässigen und ehemals in der Schweiz öffentlich Bediensteten steuerlich zu beurteilen sind. Von Seiten der zuständigen Personen in den Vorarlberger Finanzamtsdienststellen wurde dem BFG jüngst mitgeteilt, dass es zwischen dem BMF und der eidgenössischen Steuerverwaltung eine Übereinkunft gibt, wonach für derartige Renten nicht die Verteilungsnorm gemäß Art. 19 DBA Österreich-Schweiz,sondern jene gemäß Art. 21 DBA conv. cit. zur Anwendung kommen solle, also dem Ansässigkeitsstaat Österreich das Besteuerungsrecht zufällt. Ein diesbezüglich offizielles Dokument konnte seitens der Dienststellen der Vorarlberger Finanzämter weder vorgelegt, noch benannt werden.
Es ergeht die höfliche Anfrage, in welcher Form die oben genannte Vereinbarung dokumentiert worden ist oder werden soll sowie, ab wann sie Geltung haben soll bzw. ob sie auf alle offenen Fälle Anwendung finden soll…. "
Im Rahmen eines Telefonats wurde der Richterin von Seiten des BMF ihr bisheriger Wissensstand bestätigt. Die Schweiz betrachte die in Streit stehenden Pensionen als unter die Verteilungsnorm des Art. 21 DBA Österreich-Schweiz fallend und gehe davon aus, dass Österreich besteuere. Eine doppelte Nichtbesteuerung sei von einem DBA grundsätzlich nicht intendiert. Eine Schriftfassung mit geeigneter Kundmachung gebe es noch nicht. Die Geltung der zwischenstaatlichen Verwaltungsvereinbarung beziehe sich auf alle offenen Fälle.
III. Sachverhalt
Die in Österreich wohnhafte Beschwerdeführerin war ab 2001 im Schweizer Kanton ***4*** in der ***2*** berufstätig.
Im Anschluss daran arbeitete sie - ebenfalls im Kanton ***4*** - bei der ***3***.
Die Beschwerdeführerin befindet sich seit 2018 in Pension und erhält Schweizer Pensionsbezüge aus der 1. Säule (AHV), und aus der 2. Säule BVG (***1*** Pensionskasse).
Beide vormaligen Arbeitgeber haben öffentlich-rechtlichen Status, beide auszahlenden Stellen sind juristische Personen des öffentlichen Rechts.
Die Pension von der ***1*** Pensionskasse wurde in der Schweiz quellenbesteuert, die Pension der AHV wurde unversteuert zur Auszahlung gebracht.
Die Feststellungen zum Sachverhalt gründen sich auf unstrittigen Akteninhalt.
IV. Gesetzliche/abkommensgemäße Grundlagen und rechtliche Würdigung
Gemäß § 25 Abs. 1 Z. 3 lit. c EStG 1988 zählen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Pensionen aus einer ausländischen gesetzlichen Sozialversicherung, die einer inländischen gesetzlichen Sozialversicherung entspricht.
Gemäß Art. 19 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (kurz: DBA CH) dürfen Vergütungen, einschließlich der Ruhegehälter, die ein Vertragsstaat für ihm erbrachte, gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen oder Arbeitsleistungen auszahlt, in diesem Staat besteuert werden. Dies gilt auch dann, wenn solche Vergütungen von einem Land, von einem Kanton, von einer Gemeinde, einem Gemeindeverband oder einer anderen juristischen Person des öffentlichen Rechts eines der beiden Staaten gewährt werden.
Gemäß Abs. 2 conv. cit. entscheidet sich, ob eine juristische Person eine solche des öffentlichen Rechts sei, nach den Gesetzen des Staates, in dem sie errichtet ist.
Gemäß Art. 21 conv. cit. dürfen die in den vorstehenden Artikeln nicht ausdrücklich erwähnten Einkünfte einer in einem Vertragstaat ansässigen Person nur in diesem Staat besteuert werden.
Gemäß Art. 23 Abs. 1 des DBA CH gilt: Bezieht eine in einem Vertragstaat ansässige Person Einkünfte oder hat sie Vermögen und dürfen diese Einkünfte oder dieses Vermögen nach diesem Abkommen in dem anderen Vertragstaat besteuert werden, so nimmt der erstgenannte Staat, vorbehaltlich der nachfolgenden Absätze, diese Einkünfte oder dieses Vermögen von der Besteuerung aus; dieser Staaten darf aber bei der Festsetzung der Steuer für das übrige Einkommen oder das übrige Vermögen dieser Person den Steuersatz anwenden, der anzuwenden wäre, wenn die betreffenden Einkünfte oder das betreffende Vermögen von der Besteuerung ausgenommen wären.
Gemäß Abs. 2 conv. cit. darf Österreich, ungeachtet des Abs. 1, Einkünfte im Sinne des Artikels 15 Abs. 1 sowie Einkünfte im Sinne des Artikels 19 (ausgenommen Ruhegehälter), die eine in Österreich ansässige Person aus ihrer in der Schweiz ausgeübten Arbeit aus öffentlichen Kassen der Schweiz bezieht, besteuern. Bezieht eine in Österreich ansässige Person unter Art. 10, 15 und 19 fallende Einkünfte, die nach diesem Abkommen in der Schweiz und in Österreich besteuert werden dürfen, so rechnet Österreich auf die vom Einkommen dieser Person zu erhebende Steuer den Betrag an, der der in der Schweiz gezahlten Steuer entspricht; ….
a. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Strittig ist:
Ist die Schweizer Pension der Beschwerdeführerin, die sie im Streitzeitraum von der AHV (1. Säule) erhalten hat, in Österreich der Besteuerung zu unterziehen?
Nicht weiter strittig ist, dass die von der ***1*** Pensionskasse (2. Säule) bezogene Rente unter Art. 19 DBA CH fällt, was eine Besteuerung in der Schweiz zur Folge hat. In Österreich ist die Pension gemäß Art. 23 Abs. 1 DBA CH für den Progressionsvorbehalt heranzuziehen.
Nicht strittig ist zudem die öffentlich-rechtliche Qualifikation beider Schweizer Arbeitgeber und beider auszahlender Stellen.
Das Schweizer System der Altersvorsorge basiert auf dem Drei-Säulen-Modell. Die erste Säule ist die staatliche Vorsorge: Jede in der Schweiz wohnhafte Person muss Beiträge in die Alters-und Hinterlassenenversicherung (AHV) einzahlen, eine Grundversicherung, die den Existenzbedarf garantiert für Rentnerinnen und Rentner ab 65 Jahren, Waisen, Witwen und Hilflose.
Die zweite Säule ist die berufliche Vorsorge: Sie ist eine obligatorische, private Versicherung, an welche Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu gleichen Teilen Beiträge zahlen, die später in Form einer Rente oder von Kapital zurückbezahlt werden.
Die dritte Säule ist die private Vorsorge. Sie ist freiwillig und kann bis zu einem gewissen Betrag von den Steuern abgezogen werden (vgl. www.swissinfo.ch/ger/vorsorge).
Zu den zentralen Bestimmungen jedes Doppelbesteuerungsabkommens zählen Regelungen, welche die Zuteilung der Besteuerungsrechte festlegen (Verteilungsnormen). … Für jene Fälle, in denen ein Doppelbesteuerungsabkommen in einer Verteilungsnorm dem Quellenstaat ein Besteuerungsrecht einräumt, bestimmen die Methodenartikel eines Doppelbesteuerungsabkommens, nach welcher Methode die Vermeidung der Doppelbesteuerung zu erfolgen hat…….Nach der Befreiungsmethode (vgl. Art. 23 Abs. 1 DBA CH) verzichtet der Ansässigkeitsstaat auf die Besteuerung der im Quellenstaat erzielten Einkünfte unter Progressionsvorbehalt; nach der Anrechnungsmethode (vgl. Art. 23 Abs. 2 DBA CH) werden die im Quellenstaat erzielten Einkünfte vom Ansässigkeitsstaat unter Anrechnung der im Quellenstaat erhobenen Steuer belastet.
Internationale Steuerfälle tragen - im Vergleich zu den rein innerstaatlichen Steuerfällen - ein erhöhtes Konfliktrisiko, weil hier drei potentielle Streitparteien aufeinandertreffen: Steuerpflichtiger - heimische Steuerverwaltung - ausländische Steuerverwaltung (vgl. Loukota in SWI Heft-Nr. 2/1999, 070).
Im Streitfall liegt ein Qualifikationskonflikt zwischen der innerstaatlichen Abgabenbehörde, die sich auf Grundlage der Verteilungsnorm gemäß Art. 21 DBA CH als besteuerungsberechtigt sieht und der in Österreich ansässigen Steuerpflichtigen/Beschwerdeführerin, die ihre in Streit stehenden Einkünfte als steuerbefreit nach der Verteilungsnorm des Art. 19 DBA CH erachtet, vor.
Österreich und die Schweiz als Vertragsstaaten sind sich gegenständlich auf höchster Behördenebene einig, dass öffentlich-rechtliche AHV-Pensionen unter die Verteilungsnorm des Art. 21 DBA CH zu subsumieren sind, was eine Besteuerung im Ansässigkeitsstaat Österreich auslöst. Sie erteilen damit einer - aus dem DBA-Text ablesbaren - Subsumtion unter Art. 19 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 DBA CH eine Absage.
Das entsprechende, österreichisch-schweizerische Verwaltungsübereinkommen beruht bislang auf einem informellen, zwischenstaatlichen Mailwechsel bzw. mündlich getroffenen Vereinbarungen. Wenn auch eine schriftliche Dokumentation offenbar beabsichtigt ist, liegt eine solche bis dato nicht vor.
Als schriftlich aufscheinender Hinweis auf die in Streit stehende Staatenpraxis findet sich lediglich in der Findok eine von den Abgabenbehörden als "Disclaimer" bezeichnete Anmerkung vom November 2021 zu mehreren EAS-Auskünften des Bundesministeriums für Finanzen mit dem Wortlaut: "Die zuständigen Behörden der Vertragsstaaten sind übereingekommen, dass im Falle von AHV- Renten, die an ehemals öffentlich Bedienstete der Schweiz gezahlt werden, Art. 21 DBA Schweiz anzuwenden ist".
Unter EAS (Express-Antwort-Service) ist eine beim Bundesministerium für Finanzen eingerichtete Servicestelle zu verstehen, welche die Rechtsauffassung des BMF zu Fragen des internationalen Steuerrechts mitteilt (www.icon.at). Die EAS-Auskünfte werden in der Findok (Finanzdokumentation) veröffentlicht, einer Informationsquelle, die Auslegungsbehelfe des BMF enthält (www.bmf.gv.at). Unter einem "Disclaimer" versteht man einen Haftungsausschluss bzw. eine Distanzierung von einem Inhalt (www.de.wikipedia.org).
Untersucht man die Rechtsqualität von EAS-Auskünften und "Disclaimern", so ergibt sich: Schon nach laienhaftem Verhältnis kann der Beantwortung einer Zweifelsfrage, einer Information oder einem Auslegungsbehelf keine rechtlich verbindliche Qualifikation, sei es gegenüber Steuerpflichtigen, sei es gegenüber nachgeordneten Behörden, zukommen. Dasselbe gilt für einen "Disclaimer", mit dem sich eine Person (hier das BMF) von der zuerst erteilten Auskunft distanziert.
Naturgemäß kann durch derartige Auskünfte auch keine Bindungswirkung für Gerichte eintreten.
Soweit daher das BMF in den EAS-Auskünften 1355 und 3316 aus den Jahren 1998 und 2013 vorerst zum Ausdruck gebracht hat, dass in jenen Fällen, in denen eine AHV -Rente an eine/n ehemals öffentlich Bedienstete/n bezahlt wird, die "Kassenstaatsregel" gemäß Art. 19 DBA CH zur Anwendung komme, entfalten diese (abkommenskonformen) Auskünfte per se ebenso wenig eine normative Wirkung wie die im November 2021 hinzugefügten (nicht abkommenskonformen) "Disclaimer", wonach derartige Renten unter Art. 21 DBA CH zu subsumieren seien.
Die Ergebnisse eines allenfalls von Amts wegen eingeleiteten zwischenstaatlichen Konsultationsverfahrens iSd Art. 25 Abs. 3 DBA CH als Mittel zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung ein- und derselben Einkünfte, aber auch als Möglichkeit, Fälle einer doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden, werden vom BMF grundsätzlich im Erlass-oder Verordnungsweg kundgemacht (Papst/Urtz in Aigner/Kofler/Tumpel, DBA-Kommentar, Art. 25, III Konsultationsverfahren Rz 130ff).
Gegenständlich ist eine - offenbar beabsichtigte - erlassmäßige Fassung der Übereinkunft der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten nicht ergangen. Auch sie würde übrigens zu keiner Bindungswirkung von Gerichten führen, zumal es sich bei einem Erlass um eine interne Verwaltungsvorschrift handelt, die von einer übergeordneten an eine nachgeordnete Behörde ergeht und diese (nicht ein Gericht) bindet, sofern der Erlass nicht im Widerspruch zu den Gesetzen steht (www.oesterreich.gv.at).
Eine zwischenstaatliche Verwaltungsvereinbarung entfaltet für die österreichischen Gerichte nur dann Wirkung, wenn sie in einer gehörig kundgemachten Verordnung ihren Niederschlag gefunden hat (Papst/Urtz aaO Rz 148).
Die im Streitfall zu beurteilende Verwaltungsvereinbarung ist nicht in die Form einer Verordnung gefasst worden, weshalb die "gehörige Kundmachung" nicht weiter untersucht werden muss.
Ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine gemeinsame "Übung" der beteiligten Finanzverwaltungen können gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. b Wiener Vertragsrechtskonvention für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein. Allerdings kommt diesem Abkommensverständnis nur insofern Bedeutung zu, als es nicht der methodengerechten Interpretation des DBA widerspricht - es darf also insbesondere dem Wortlaut des Abkommens nicht zuwiderlaufen (Papst/Urtz aaO Rz 149).
Es ist für den Streitfall zusammenzufassen:
Die Verwaltungsvereinbarung zwischen Österreich und der Schweiz, wonach AHV-Pensionen von vormals öffentlich Bediensteten unter die Verteilungsnorm des Art. 21 DBA CH (nicht Art. 19 DBA CH) fallen, beruht bislang auf einem formlosen Schriftverkehr bzw. einer als "Disclaimer" bezeichneten Anmerkung zu EAS-Auskünften.
Ein grundsätzlich im (einfachen) Gesetzes- oder im Verordnungsrang stehender Staatsvertrag kann prinzipiell durch eine spätere Norm gleicher oder höherer Stufe derogiert werden (vgl. Drüen/Kofler/Simonek, Bindungswirkung von generellen Verständigungsverfahren, 3).
Gegenständlich ist weder das Doppelbesteuerungsabkommen als völkerrechtlicher Vertrag entsprechend abgeändert worden, noch diesbezüglich eine Verordnung, noch "auch nur" ein Erlass ergangen.
Von Seiten der Abgabenbehörde wurde übrigens - offenbar um eine Subsumtion unter Art. 19 DBA CH als unzutreffend zu qualifizieren - angemerkt, Ruhebezüge laut Wortlaut des Art. 19 DBA CH müssten vom Vertragsstaat (und dergleichen) für diesem erbrachte Dienste ausbezahlt werden. Die Beschwerdeführerin sei nicht bei der AHV beschäftigt und für diese tätig gewesen, diese habe aber die Ruhebezüge ausbezahlt.
Dem ist zu entgegnen, dass die Steuerzuteilung an den Kassenstaat nicht nur für Aktivbezüge öffentlich Bediensteter gilt, sondern, nach deren Ruhestandsversetzung, auch für deren Ruhegehälter aufrecht bleibt (Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes/Daurer, IntStR. 42. EL, Z 19, Rz 4).
Dass der Staat (das Land, der Kanton, die Gemeinde der Gemeindeverband) als vormaliger Arbeitgeber nicht selbst die Ruhegehälter auszahlt, sondern sich dazu der AHV-Ausgleichskassen (des Bundes, der Kantone, der Verbände) bedient, verändert den Charakter dieser Ruhebezüge als öffentlich-rechtlich bzw. dem öffentlichen Dienst zuzurechnen, nicht. Es bleiben weiterhin Vergütungen für dem Vertragstaat (dem Land, dem Kanton, der Gemeinde, dem Gemeindeverband …) erbrachte Leistungen gemäß Art. 19 Abs. 1 DBA CH (vgl. dazu Dommes in Pensionen im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1. Aufl. 2012, III., 4.1.: "…..denn Sozialversicherungspensionen des öffentlichen Dienstes verlieren ihre Eigenschaft nicht dadurch, dass sie nicht direkt aus der öffentlichen Kasse, sondern nur indirekt über eine Sozialversicherungspensionseinrichtung aus den Mitteln der öffentlichen Kasse gezahlt werden. Somit ist Art. 19 Abs. 2 OECD-MA im Bereich des öffentlichen Dienstes für Sozialversicherungspensionen anwendbar"; vgl. dazu auch die in den EAS 1355 und 3316 wiedergegebenen Auskünfte des BMF sowie www.ahv-iv.ch/de).
Eine AHV-Rente zieht nur dann keine Anwendung der "Kassenstaatsregel" nach sich, wenn sie an ehemalige Arbeitnehmer privater Arbeitgeber geleistet wird.
Der Versuch, sich dem abgabenbehördlichen Standpunkt im Wege der Abkommensinterpretation anzunähern, ergibt:
Wohl liegt nach allem Ausgeführten ein übereinstimmendes Abkommensverständnis bzw. eine gemeinsame Übung der beteiligten Vertragsstaaten im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b der Wiener Vertragsrechtskonvention vor, jedoch widerspricht dieses Verständnis dem Wortlaut des Abkommens: Vergütungen, einschließlich der Ruhegehälter, die ein Vertragsstaat für ihm erbrachte, gegenwärtige oder frühere Dienstleistungen oder Arbeitsleistungen auszahlt, dürfen nach der Verteilungsnorm des Art. 19 DBA CH in diesem Staat (dem Quellenstaat) besteuert werden. Art. 23 Abs. 1 DBA CH nimmt derartige Einkünfte unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung im Ansässigkeitsstaat aus (Befreiungsmethode). Die im Abs. 2 des Art. 23 DBA CH - auch für Einkünfte gemäß Art. 19 - normierte Anrechnungsmethode, gilt ausdrücklich nicht für Ruhegehälter iSd Art. 19.
Ein Ruhebezug wie der in Streit stehende ist also nach dem Wortlaut des Abkommens eindeutig unter eine Verteilungsnorm subsumierbar (Art. 19), die eine eindeutige Methode der Vermeidung der Doppelbesteuerung nach sich zieht (Art. 23 Abs. 1). Es bedarf daher keiner Heranziehung des Art. 21, der als Auffangtatbestand "andere Einkünfte", die in den vorangehenden Artikeln nicht erwähnt wurden, dem Ansässigkeitsstaat zuordnet (beispielsweise Schadenersatzleistungen, … Abfindungen, Preise und Stipendien…., siehe Dommes in Pensionen im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, 1. Aufl. 2012, VIII., 1.2)
Auch eine Heranziehung der Wiener Vertragsrechtskonvention als Auslegungsbehelf verhilft daher einem Abkommensverständnis, wie von Seiten der Abgabenbehörde vertreten, nicht zum Durchbruch.
"Subject to tax-Klauseln" bzw. "Rückfallklauseln" machen eine Steuerermäßigung oder die Freistellung von Einkünften im Ansässigkeitsstaat davon abhängig, dass der andere Vertragstaat diese Einkünfte, die er nach dem jeweiligen DBA besteuern könnte, auch tatsächlich besteuert. Macht der Quellenstaat von seinem Besteuerungsrecht keinen Gebrauch, fällt das Besteuerungsrecht (entsprechend der vorhandenen Rückfallklausel), auf das der Ansässigkeitsstaat eigentlich zugunsten des Quellenstaates verzichten müsste, wieder an den Ansässigkeitsstaat zurück. Auf den Grund der Nichtbesteuerung im Quellenstaat kommt es in der Regel nicht an d. h., Rückfallklauseln erfassen sowohl Fälle, in denen der andere Staat nach seinem nationalen Steuerrecht die Einkünfte gar nicht oder nicht in vollem Umfang besteuern kann, als auch Fälle, in denen der andere Staat die Einkünfte - rechtsirrtümlich oder in Unkenntnis ihres Vorhandenseins - steuerfrei lässt, obwohl er sie nach nationalem Recht besteuern könnte (Bendlinger in Bendlinger/Kanduth-Kristen/Kofler/Rosenberger, Internationales Steuerrecht, Rz IVX 33,34).
Das DBA CH (wie nahezu alle österreichischen DBA) enthält keine "subject to tax"-Klausel bzw. "Rückfallklausel". Dies bedeutet aber: Die Befreiungsmethode entfaltet ihre Wirkung auch dann, wenn die Einkünfte im Quellenstaat tatsächlich nicht besteuert werden. Denn DBA vermeiden nach Rechtsprechung, Literatur und Verwaltungspraxis auch die sogenannte "virtuelle" Doppelbesteuerung, von der man dann spricht, wenn eine tatsächliche Doppelbesteuerung nicht vorliegt, das Besteuerungsrecht des Quellenstaates jedoch abstrakt besteht.
Die ausländischen Einkünfte sind also nach Maßgabe des Art. 23A OECD-Musterabkommen (das OECD-Musterabkommen bildet eine generelle Vertragsschablone für Doppelbesteuerungsabkommen, an der sich auch Österreich bei seinen Abkommensverhandlungen stark orientiert hat) auch dann steuerfrei zu stellen, wenn im Ausland - aus welchen Gründen auch immer - keine Besteuerung erfolgt (Bendlinger aaO, Rz XIV/20).
Der Methodenartikel (Befreiungsmethode) vermag keine Besteuerungsrechte, die bereits in der Verteilungsnorm ausschließlich dem anderen Staat zugeteilt wurden, wiederzubeleben (Dommes aaO, IX., 4.2.).
Umgelegt auf den Streitfall erschließt sich aus den zitierten Fachliteraturstellen daher, dass es - anders als in der Beschwerdevorentscheidung angesprochen - keinen automatischen Rückfall des Besteuerungsrechts an den Ansässigkeitsstaat, der eine Rückfallklausel entbehrlich machen würde, gibt.
In jüngerer Zeit hat sich international die Auffassung durchgesetzt, dass der Ansässigkeitsstaat nicht verpflichtet sein soll, Einkünfte freizustellen, wenn der Quellenstaat bei der DBA-Anwendung keinen Besteuerungsanspruch geltend macht, weil er das Abkommen so anwendet, dass die Einkünfte im Quellenstaat nicht besteuert werden dürfen. In diesem Sinne wurde Art. 23A OECD-MA um einen Abs. 4 ergänzt Es handelt sich dabei um eine "switch over"-Klausel, die negative Qualifikationskonflikte (doppelte Nichtbesteuerung) verhindern soll (Bendlinger aaO, XIV Rz 30,31).
Der Abs. 4 wurde als Ergänzung zu Art. 23A am in das OECD-MA aufgenommen, um eine Keinmalbesteuerung in jenen Fällen zu verhindern, in denen ein Konflikt in Sachverhalts-oder Rechtsfragen auftritt (Loukota/Jirousek/Schmidjell-Dommes, IntStR 42. EL Z 23, 234/27, Rz 196).
Das gegenständlich als Rechtsgrundlage heranzuziehende, auf das Jahr 1975 zurückgehende, DBA Österreich-Schweiz wurde in seinem Art. 23 nicht nach dem Vorbild des OECD-Musterabkommens um einen entsprechenden Abs. 4 ergänzt.
Einer allenfalls teleologisch-interpretierenden Anwendungsübernahme setzt die Fachliteratur entgegen: "Es liegt in der Logik der neuen Rechtsauffassung, dass es des Art. 23 Abs. 4 bedarf, um eine doppelte Nichtbesteuerung zu vermeiden. … Soweit die von Deutschland vor dem abgeschlossenen Abkommen keine dem Art. 23 Abs. 4 entsprechende Vorschrift enthalten, verbleibt es bei einer gegebenenfalls eintretenden doppelten Nichtbesteuerung. Soweit eine dem Art. 23 Abs. 4 entsprechende Vorschrift in bereits bestehende Abkommen eingefügt werden sollte, kann sie aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht rückwirkend angewendet werden" (Wassermeyer/Lang/Schuch, Doppelbesteuerung, MA Art. 23A, Rz 142).
Auch das DBA Deutschland enthält keine dem Abs. 4 des OECD Musterabkommens entsprechende Regelung, sieht aber etwa zur Vermeidung einer Doppel - Nichtbesteuerung einen Wechsel in das Anrechnungsverfahren vor. Diese Regelung führt, genauso wie der zitierte Abs. 4, zu einem Entfall der Freistellungsverpflichtung im Ansässigkeitsstaat. Jedoch tritt dieser Methodenwechsel nicht automatisch ein, sondern erfordert einen vorhergehende Lösungsversuch im Wege eines Verständigungsverfahrens (Art. 28 Abs. 1 lit. a DBA D; Loukota/Jirousek aaO, Z 23, Rz 197).
In zusammenfassender Würdigung liegt daher streitfallbezogen keine rechtsverbindliche Norm vor, die für eine Subsumtion der zu beurteilenden öffentlich-rechtlichen Ruhebezüge unter Art. 21 DBA CH spricht. Es existiert zudem im DBA CH weder eine Rückfallklausel, noch eine switch-over-Klausel, noch kann der seitens der Abgabenbehörde vertretenen Rechtsmeinung im Wege der Auslegung der Wiener Vertragsrechtskonvention nähergetreten werden.
Zu hinterfragen ist im Streitfall übrigens auch die unterschiedliche Behandlung der Renten aus der 1. und der 2. Säule: Während die auf öffentlich-rechtliche Arbeitgeber zurückgehende und von einer öffentlich-rechtlichen Stelle ausbezahlte AHV-Rente unter Art. 21 DBA CH subsumiert wird, wird die Einordnung der gleichermaßen auf öffentlich-rechtliche Arbeitgeber und Auszahlungsstelle zurückgehenden Rente aus der 2. Säule unter Art. 19 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 DBA CH von Seiten der Abgabenbehörde nicht bestritten.
Das BFG hat nach allem Ausgeführten als Rechtsgrundlage für die Beurteilung des Streitsachverhaltes ausschließlich den Wortlaut des DBA CH heranzuziehen.
Diesem zufolge darf die strittige, für öffentlich-rechtliche Tätigkeiten in der Schweiz bezogene AHV-Rente (1. Säule) der in Österreich ansässigen Steuerpflichtigen gemäß Art. 19 i.V.m. Art. 23 Abs. 1 DBA CH in der Schweiz besteuert werden. Österreich hat diese Einkünfte gemäß Art. 23 Abs. 1 unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung auszunehmen.
Dem steht nicht entgegen, dass es dadurch im Streitfall infolge der Nicht-Wahrnehmung ihres Besteuerungsrechts durch die Schweiz zu einer - grundsätzlich nicht intendierten - doppelten Nichtbesteuerung kommt.
Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.
Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine höchstgerichtliche Auseinandersetzung mit der Frage, ob eine - grundsätzlich nicht intendierte - doppelte Nichtbesteuerung zwingend vermieden werden muss, dies unter Stützung auf ein formloses Verwaltungsübereinkommen und unter Nicht-Heranziehung von auf den Sachverhalt zutreffenden Verteilungsnormen laut DBA, ist bislang nicht bekannt. Eine Revision ist daher zulässig.
Feldkirch, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | Art. 19 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975 Art. 18 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975 Art. 21 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975 § 25 Abs. 1 Z 3 lit. c EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 Art. 23 Abs. 1 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975 Art. 25 Abs. 3 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975 Art. 31 Abs. 3 lit. b Wiener Vertragsrechtskonvention, BGBl. Nr. 40/1980 Art. 23 Abs. 2 DBA CH (E, V), Doppelbesteuerungsabkommen Schweiz (Einkommen- u. Vermögenssteuern), BGBl. Nr. 64/1975 |
Verweise | EAS 1355 EAS 3316 EAS 603 |
Zitiert/besprochen in | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2022:RV.1100284.2020 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at