Befreiung eines Gesamtschuldners von der Haftung für die EUSt (VC 42); Vorliegen eines besonderen Falls nach § 83 ZollR-DG (Unbilligkeit nach Lage der Sache)
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Zollamtes Salzburg (nun Zollamt Österreich) vom , Zahl: ***600000/00000/3/2014***, betreffend Erstattung von Abgaben zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der Spruch des angefochtenen Bescheides wird dahingehend geändert, als dass dem Antrag der Beschwerdeführerin vom stattgegeben wird und Einfuhrumsatzsteuer (B00) in der Höhe von € 211.689,14 und Abgabenerhöhung (1ZN) in der Höhe von € 14.709,57 gemäß Artikel 239 Absatz 1 ZK iVm Artikel 899 Absatz 2 ZK-DVO und § 83 iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG erstattet werden.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Die ***Bf*** (nachstehend mit "Bf" bezeichnet) hat zwischen dem und dem bei der Zollstelle Nickelsdorf sechsunddreißig näher bezeichnete Zollanmeldungen zur Überführung in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung (Verfahren 4200) abgegeben und ist dabei als indirekter Vertreter des Empfängers ***X*** (nachstehend mit "X" bezeichnet), ***X-Adr***, aufgetreten.
Im Zuge einer Nachschau haben die französischen Behörden der österreichischen Zollverwaltung dazu im Wege der Amtshilfe folgende Ermittlungsergebnisse übermittelt (auszugsweise):
Die X hat zum Zeitpunkt der Lieferung bestanden. Sie verneint, diese Waren erhalten zu haben und habe daher die innergemeinschaftlichen Bezüge nicht deklariert. Sie sagt, sie arbeite ausschließlich auf dem Sektor der Lohnarbeit im Bereich Lederbekleidung. Die Geschäftsräume ermöglichen nicht die Übernahme und Lagerung dieser Waren (es handelt sich um ein kleines Mietlokal in einem baufälligen Gebäude). X verfügt offiziell nicht über das Personal und die Mittel, um eine solche Tätigkeit auszuführen. Außer den Angaben auf den CMR (Frachtbriefen) besteht kein Nachweis, dass die Waren an ihre Adresse geliefert worden sind. Es gibt auch keine Spur einer Bezahlung dieser Rechnungen vom Bankkonto der Firma aus. Der Geschäftsführer hat stets diese Lieferungen bestritten und glaubt - ohne dies beweisen zu können - dass seine innergemeinschaftliche Mwst-Nummer in betrügerischer Weise von türkischen Firmen benützt wurde, um falsche Exporte zu deklarieren.
Mit Bescheid vom , Zahl: ***600000/00000/2014***, hat das Zollamt Salzburg gegenüber der Bf bei den sechsunddreißig oa Zollanmeldungen eine nachträgliche buchmäßige Erfassung gemäß Artikel 220 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Zollkodex, ZK) vorgenommen und Einfuhrumsatzsteuer (B00) in Höhe von € 211.689,14 sowie eine Abgabenerhöhung (1ZN) gemäß § 108 Abs 1 Zollrechts-Durchführungsgesetz (ZollR-DG) in Höhe von € 13.799,58 zur Entrichtung mitgeteilt.
Die Bf habe für X die Überführung der Waren in den zoll- und steuerrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung (Verfahren 4200) veranlasst und sei dabei mit ihrer Sonder-UID ***ATU*** als Anmelder im indirekten Vertretungsverhältnis aufgetreten.
Voraussetzung für die beantragte Abfertigung unter steuerbefreiter Lieferung sei, dass die zur Verzollung angemeldeten Waren dem Warenempfänger laut Feld 8 bzw Feld 44 der Zollanmeldung nachweislich abgeliefert werden.
Bei den gegenständlichen Abfertigungen hätten keine geeigneten Nachweise über die unmittelbare Weiterlieferung und Empfangnahme der Waren erbracht werden können.
Der Spediteur werde als Anmelder zum Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, wenn die Voraussetzungen bzw Bedingungen für die Abgabenbefreiung nicht vorliegen oder nicht erfüllt werden.
Aufgrund des Artikels 6 Abs 3 Umsatzsteuergesetz 1994 (UStG 1994), BGBl 1994/663, treffe den Anmelder insbesondere auch die Pflicht, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung im Sinne des Artikels 7 UStG 1994 - insbesondere das Vorliegen der innergemeinschaftlichen Warenbewegung - nachzuweisen.
Mangels entsprechender Nachweise sei die Steuerfreiheit in den sechsunddreißig Fällen laut Anlage zum Bescheid zu Unrecht in Anspruch genommen worden und von der Bf daher die Einfuhrumsatzsteuer zu entrichten.
Ist eine Zollschuld gemäß Artikel 220 ZK nachzuerheben, dann ist überdies eine Abgabenerhöhung zu entrichten, die dem Betrag entspricht, der für den Zeitraum zwischen der Fälligkeit der ursprünglich buchmäßig erfassten Zollschuld und der buchmäßigen Erfassung der nachzuerhebenden Zollschuld an Säumniszinsen angefallen wäre.
Gegen diesen Bescheid hat die Bf durch ihren damaligen Vertreter am Beschwerde erhoben und gleichzeitig beantragt, die Abgaben aus Billigkeit zu erlassen bzw zu erstatten.
Zu den Voraussetzungen des Billigkeitserlasses beziehe man sich auf Ziffer 4.2.1 der Arbeitsrichtlinie des BMF ZK-4200. Sowohl die subjektiven Voraussetzungen als auch der besondere Fall seien gegeben. Dem Antrag sei damit stattzugeben.
Der Bescheid vom sei rechtswidrig, weil
- er nicht ausreichend in tatsächlicher Hinsicht begründet sei;
- die Beschwerdeführerin (Bf) den nach Art 6 Abs 3 UStG erforderlichen Buch- und Belegnachweis erbracht habe;
- dieser Nachweis abschließend sei;
- das Zollamt keine konkret fundierten Verdachtsmomente festgestellt habe, wonach X hier in einen Mehrwertsteuerbetrug verwickelt sei;
- das Zollamt - darüber hinaus - nach der neueren Rechtsprechung des EuGH und der herrschenden Ansicht in der neueren Literatur im Sinne einer Umkehr der Beweislast verpflichtet sei nachzuweisen, dass die Bf die Steuerbefreiungsvoraussetzungen nicht erfüllt hat, und weil das, jedenfalls bislang, dem Zollamt eindeutig nicht gelungen sei;
- der Bf Vertrauensschutz nach Art 7 Abs 4 UStG (analog) zustehe, falls es nachweislich zutreffe, dass die Bf von ihrem Auftraggeber getäuscht wurde deshalb die Steuerbefreiungs-voraussetzungen des Art 6 Abs 3 UStG nicht erfüllt seien.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl: ***600000/00000/1/2014***, wurde der Abgabenbescheid dahingehend abgeändert, dass die Zollschuld nach Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe b und Absatz 3 ZK iVm § 71a und § 2 Abs 1 ZollR-DG entstanden ist, und eine Abgabenerhöhung in Höhe von € 909,99 nacherhoben. Im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Die Abgaben im Gesamtbetrag von € 226.398,71 wurden von der Bf am entrichtet.
Der Antrag auf Erstattung von Abgaben ist vom Zollamt mit Bescheid vom , Zahl: ***600000/00000/3/2014***, gemäß Artikel 239 Absatz 1 ZK iVm Artikel 899 Absatz 2 ZK-DVO und § 83 iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG abgewiesen worden.
Zusammenfassend wird in der Begründung ausgeführt, mit der Anwendung ihrer Sonder-UID und der damit für sie verbundenen Anmeldereigenschaft habe die Bf auf Grund ihres Vertretungsverhältnisses in zweierlei Hinsicht umsatzsteuerrechtliche Pflichten übernommen. Als Anmelder werde sie zum Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer, wenn die Voraussetzungen bzw Bedingungen für die Abgabenbefreiung nicht vorliegen bzw nicht erfüllt werden. Auf Grund des Art 6 Abs 3 UStG 1994 treffe sie als Anmelder insbesondere auch die Pflicht, das Vorliegen der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung iSd Art 7 UStG 1994 - insbesondere das Vorliegen der innergemeinschaftlichen Warenbewegung- nachzuweisen.
Der Anmelder habe sich vor der Abfertigung Gewissheit über das Vorliegen der dazu erforderlichen Voraussetzungen zu verschaffen, zumal nach Artikel 199 Absatz 1 ZK-DVO die Abgabe einer Zollanmeldung als Verpflichtung gilt, für die Richtigkeit der in der Zollanmeldung enthaltenen Angaben, die Echtheit der beigefügten Unterlagen und die Einhaltung aller Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Überführung der Waren in das betreffende Zollverfahren die Gewähr zu übernehmen. Dieser Verpflichtung sei umso mehr nachzukommen, als mit dem angewählten Zollverfahren Begünstigungen und/oder Abgabenbefreiungen verbunden seien.
Offensichtliche Fahrlässigkeit könne beim indirekten Vertreter nach Ansicht der Abgabenbehörde nur dann ausgeschlossen werden, wenn dieser dem zuständigen Zollamt unter Beachtung aller Vorschriften die erforderlichen Angaben mitgeteilt, die geforderten Nachweise vorgelegt und alle ihm zumutbaren Handlungen gesetzt hat, um mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeiten zu erkennen bzw abzuwehren.
Die von der Bf im Sinne des § 3 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über den Nachweis der Beförderung oder Versendung und den Buchnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen, BGBl. Nr. 401/1996, erforderlichen Belegnachweise über die innergemeinschaftlichen Warenbewegungen vorgelegten Nachweise würden jedoch nicht in allen Fällen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. So fehle in sämtlichen Rechnungen, die den verfahrensgegenständlichen Zollanmeldungen zu Grunde liegen, der erforderliche Hinweis auf die Steuerfreiheit (Art 11 UStG 1994), in elf Frachtbriefen fehle die erforderliche Unterschrift des Frachtführers.
Dass die Bf nicht alle ihr zumutbaren Handlungen gesetzt habe, um mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeiten abzuwehren, lasse die nachfolgend dargestellte Art und Weise der Geschäftsabwicklung im Zusammenhang mit den von ihr für X durchgeführten Zollabfertigungen erkennen:
- die Bf wäre zur Durchführung der Zollabfertigungen vom türkischen Frächter ***Y***, Istanbul, der Transporte von der Türkei in den zentraleuropäischen Raum organisiere, beauftragt worden;
- die von ihr erbrachten Dienstleistungen (Zollabfertigungen) seien der ***Y*** in Rechnung gestellt worden;
- die für die Durchführung der Zollabfertigungen in indirekter Vertretung erforderliche Bevollmächtigung durch X wäre der Bf mittels Telefax von der ***Y*** übermittelt worden;
- aus dem Akt sei ersichtlich, dass die Bf am eine einmalige Internetrecherche über die X, aus der Firmenname, Gründungsdatum, Geschäftsführer und Grundkapital ersichtlich seien, durchgeführt habe, sowie dass der Bf ein Schreiben der X vom (mit Firmenstempel, jedoch ohne Unterschrift) betreffend die Bevollmächtigung zur Durchführung von Zollabfertigungen vorgelegen habe. Weitere Kontakte zwischen der Bf und der von ihr vertretenen X seien nicht erkennbar;
- die Bf habe die UID ***FR*** der X unter Inanspruchnahme des qualifizierten Bestätigungsverfahrens nach Art 28 Abs 2 UStG 1994 (Stufe 2) gültig am 11. und 26. Oktober und am 10. und überprüft;
- sie habe im Zeitraum von bis als indirekter Vertreter der X insgesamt sechsunddreißig Abfertigungen zum Zollverfahren 4200 durchgeführt und damit Waren im Gesamtwert von über einer Million Euro zollabgefertigt.
Die dargestellte Form der Geschäftsabwicklung sei wenig geeignet, das Risiko im Verfahren möglichst gering zu halten.
So habe es keinerlei persönlichen Kontakt zwischen der Bf und der von ihr vertretenen X gegeben. Selbst die für die Durchführung der Abfertigungen erforderliche Vertretungsvollmacht, die ihr nur in schlechter Qualität und kaum lesbar zur Verfügung gestanden habe, sei ihr durch einen Dritten (die ***Y***) übermittelt worden. Als Vollmachtgeber scheine darin die ***X1*** auf.
Dahingegen würden die von der Bf durchgeführten Stufe 2-Abfragen zu der in der Vollmacht aufscheinenden UID die ***X*** als deren Inhaber ausweisen. Auch die Zollanmeldungen zum Verfahren 4200 wären von der Bf für Rechnung der ***X*** abgegeben worden.
Die von der Bf am zur X durchgeführte Recherche im Internet sei weder geeignet, diese Unstimmigkeiten bei der Gesellschaftsform der X aufzuklären, noch gebe sie Aufschluss über finanzielle Verhältnisse (Liquidität), noch über die Geschäftstätigkeit (Branche) der X.
So habe die Bf innerhalb weniger Wochen Waren im Gesamtwert von über einer Million Euro für die ***X*** zollabgefertigt. Bei einem derart großen Geschäftsvolumen in kurzer Zeit wären für die Bf jedenfalls Handlungen, die über das bloße Feststellen der Existenz der X hinausgehen (Internetrecherche und UID-Abfrage), beispielsweise weitere Ermittlungen zur Liquidität der X bzw auch eine Besicherung der Transaktionen, durchaus zumutbar und auch geboten gewesen.
Unzureichende Recherchen zur X im Vorfeld der Abfertigungen sowie (formelle) Mängel in Rechnungen und CMR-Frachtbriefen seien beim vorliegenden Sachverhalt nicht mehr nur als einmalige Aufmerksamkeits- bzw Arbeitsfehler zu qualifizieren. Hier liege ein Fehlverhalten grundsätzlicher Art vor. Zu keiner einzigen Zollanmeldung wären von der Bf im Vorfeld erforderliche Recherchen angestellt worden, bei keiner einzigen Zollanmeldung wären von ihr Mängel in den den Anmeldungen zu Grunde liegenden Rechnungen erkannt worden.
Bei gesamthafter Betrachtung der dargelegten Umstände erkenne das Zollamt eine offensichtliche Fahrlässigkeit als darin gelegen, dass die Bf als erfahrener, berufsmäßiger Zollanmelder in einer relativ einfachen Materie den ihr obliegenden Sorgfaltspflichten, nämlich das Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Verfahrens einer steuerbefreienden innergemeinschaftlichen Lieferung durch die Vorlage der erforderlichen ordnungsgemäßen Nachweise nachzuweisen bzw durch ihr zumutbare Handlungen mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeiten zu erkennen bzw abzuwehren, nicht nachgekommen sei.
Bei Vorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit des Beteiligten scheide eine Billigkeitsmaßnahme im Grunde des Artikels 239 ZK aus. Ob im vorliegenden Sachverhalt eine Unbilligkeit nach Lage der Sache zu erkennen sei, müsse daher nicht mehr geprüft werden.
Eine ernsthafte Existenzgefährdung der Bf durch die Abgabenbelastung sei nicht vorgebracht worden.
Gegen die Abweisung des Erstattungsantrages hat die Bf durch ihren damaligen Vertreter mit Schreiben vom Beschwerde erhoben.
In der nachgereichten Begründung vom wird vorgebracht, dass der Abgabenbescheid vom , mit dem Einfuhrumsatzsteuer nacherhoben wurde, nach der Rechtsprechung des EuGH rechtswidrig sei, weil die Ware nicht in den Wirtschaftskreislauf Österreichs eingegangen sei.
Die Gewährung der EUSt-Freiheit richte sich ausschließlich nach Mehrwertsteuerrecht, weshalb die Erlass- und Erstattungsvorschriften des ZK nicht auf die EUSt anwendbar seien.
Bei "sinngemäßer" Anwendung von Artikel 239 ZK müsse der Sinn und Zweck des Artikels 143 Abs 1 lit d), Abs 2 MwStSystRL iVm § 6 Abs 3 UStG auch im Rahmen des Artikels 239 ZK zur Geltung gebracht werden.
Danach sei Artikel 239 ZK nur dann sinngemäß anwendbar, wenn die Steuerbefreiungs-voraussetzungen objektiv nicht vorliegen. Das sei nicht der Fall.
Gehe man von einer fehlenden Steuerbefreiungsvoraussetzung aus, so stehe doch fest, dass die Bf von ihrem Geschäftspartner, dem türkischen Frächter ***Y***, über den Empfänger der Waren, die X, getäuscht wurde. Nach Auffassung des Beschwerdegegners sei die X nämlich aufgrund ihres betrügerischen Handelns mit ***Y*** nicht als Unternehmer iSd UStG anzusehen. Damit läge eine (von den drei) Steuerbefreiungsvoraussetzungen für eine innergemeinschaftliche Lieferung nicht vor.
Das habe die gutgläubige Bf aber nicht erkennen können, zumal die UID-Abfragen auf Stufe 2 positiv waren (vgl ). Auch habe es keine Anhaltspunkte gegeben, die auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten hindeuteten.
Die von der Abgabenbehörde erstellte Mängelliste sei nicht geeignet, Vertrauensschutz zu negieren.
Soweit darauf abgestellt wird, dass allen Rechnungen der Hinweis auf die Steuerfreiheit und elf CMR-Frachtbriefen die Unterschrift des Frachtführers fehlt, sei zunächst festzuhalten, dass weder der Hinweis auf die Steuerfreiheit noch die Unterschrift des Frachtführers eine zwingende Voraussetzung für die Steuerfreiheit sei.
Dies gelte übrigens auch für die mehrwertsteuerrechtliche Registrierung von X (UID), die nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des EuGH nicht einmal eine formelle Steuerbefreiungsvoraussetzung sei; sie spiele demgemäß auch unter Vertrauensschutz-gesichtspunkten keine, allenfalls eine marginale Rolle.
Sodann wären etwaige Fehler nach der Rechtsprechung des EuGH geheilt worden. Die Behörde dürfe sich auf die Fehlerhaftigkeit des Belegnachweises nicht berufen, wenn die Behörde die Belege unkommentiert akzeptiert hat. Das wäre hier beim Abfertigungszollamt Eisenstadt Flughafen Wien, Zollstelle Nickelsdorf, der Fall.
Die Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung gewähre das Abfertigungszollamt auf Antrag des Steuerpflichtigen; dabei handle es sich um eine Entscheidung nach dem UStG, nicht nach Zollrecht, auch wenn sie im Rahmen des Zollverfahrens VC 42 erfolge. Diesen Antrag habe das Abfertigungszollamt - unabhängig von der zollrechtlichen Verfahrensweise in e-Zoll - zu prüfen. Bei der Einfuhrabfertigung hätten dem Zollamt die nunmehr monierten Unterlagen vorgelegen, ohne dass das Zollamt sie beanstandet habe. Laut , widerspreche es nun "den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit …, die Mehrwertsteuerbefreiung wegen einer innergemeinschaftlichen Lieferung zu versagen", wenn "die Behörde" den vorgelegten Papieren "zunächst zugestimmt und (diese) akzeptiert" hat. Angesichts der erheblichen finanziellen Bedeutung der EUSt insbesondere auch für den Steuerpflichtigen, hier die Bf, dürfe vom Zollamt erwartet werden, dass es die Steuerfreiheit so weit wie möglich bei der Einfuhrabfertigung prüft. Sie dürfe, aufgrund der vom EuGH aufgestellten Risikoverteilung bei der innergemeinschaftlichen Lieferung, das Risiko des "Platzens des VC 42" nicht einseitig auf den Steuerpflichtigen, der hier als Inkassobüro des Staates tätig sei, abschieben, zumal bekannt sei, dass das Steuersystem der innergemeinschaftlichen (Anschluss-)Lieferung vom Staat betrugsanfällig konzipiert sei und va auch deshalb missbraucht werde. Zur aktiven Betrugsbekämpfung gehöre amtlicherseits, dass das Zollamt seine Möglichkeiten nutze, Betrügereien einen Riegel vorzuschieben. Dazu gehöre als Mindeststandard die Prüfung der Unterlagen zur Gewährung der Steuerfreiheit. Infolgedessen dürfe der Beschwerdegegner sich wegen des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung nicht darauf berufen, dass das Abfertigungszollamt die Steuerbefreiungsunterlagen nicht oder nicht ordnungsgemäß geprüft habe und diese (formelle) Mängel aufweisen. Im Gegenteil dürfe die Bf darauf vertrauen, dass das Zollamt seine Betrugsbekämpfungspflichten ernst nimmt und auf Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Einfuhrabfertigung hinweist.
Die übrigen angeführten Sorgfaltsmängel seien nach der Rechtsprechung des EuGH (siehe zB Urteil vom , C-277/14) ebenfalls ohne steuerrechtliche Relevanz. Da keine Anhaltspunkte für Unregelmäßigkeiten oder Steuerhinterziehung vorlagen, sei die Bf nicht verpflichtet gewesen, Auskünfte über die X einzuholen, um sich von deren Zuverlässigkeit zu überzeugen.
Die sinngemäße Anwendung der Rechtsprechung des EuGH zu den zollrechtlichen Sorgfaltspflichten des Artikels 239 ZK durch das Zollamt widerspreche der neuen Rechtsprechung des EuGH (X BV, Eurogate/DHL) auch deshalb, weil das Zollrecht durch zollamtliche Überwachung und ein nahezu unbeschränktes Handelsrisiko des Zollpflichtigen gekennzeichnet sei, während das Steuersystem der innergemeinschaftlichen
(Anschluss-)Lieferung - statt auf Zollkontrollen - auf Unterlagen und Informationen des Steuerpflichtigen aufbaue, der als Inkassobüro für den Fiskus tätig sei. Daraus resultierten, wie dargelegt, ganz andere Sorgfaltspflichten. Schließlich gäbe es keine zollrechtliche Erkundungspflicht danach, ob die X ihre umsatzsteuerlichen Pflichten in Frankreich erfüllt hat und ob sie als Unternehmer iSd MwStSystRL tätig (geworden) ist; das alles habe mit dem Zollrecht nichts zu tun.
Entscheidend für den Vertrauensschutz sei, dass die Bf - unstrittig - weder wusste noch hätte wissen müssen, dass sie möglicherweise in einen Mehrwertsteuerbetrug verwickelt ist. Zudem fehle es an gerichtsverwertbaren Feststellungen des zuständigen Finanzamtes bzw der Staatsanwaltschaft in Paris (bzw des Zollamts), dass die X einer Erwerbsteuerhinterziehung schuldig ist, so dass diese Zurechnungsformel schon im Ansatz nicht zur Anwendung komme.
Fazit sei somit: Wende man mit dem BMF und dem Zollamt auf die Frage, nach welcher Vorschrift der Steuerpflichtige im Rahmen der innergemeinschaftlichen Anschlusslieferung Vertrauensschutz erhält, Artikel 239 ZK an, dann müsse die Rechtsprechung des EuGH zur (subjektiven) Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferung hier angewendet werden. Da das Zollamt die dem Antrag auf Gewährung der Steuerfreiheit beigelegten Unterlagen ohne Beanstandung akzeptiert habe und die Antragstellerin von irgendwelchen Betrügereien in Frankreich nicht einmal hätte wissen müssen, sei ihr nach Artikel 239 ZK Vertrauensschutz einzuräumen; die geltend gemachten Abgaben seien ihr zu erlassen.
Die Beschwerde wurde vom Zollamt mit Beschwerdevorentscheidung vom , Zahl: ***600000/00000/3/2014***, als unbegründet abgewiesen.
In der Begründung wird im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass die Prüfung der Voraussetzungen für eine Erstattung nach Artikel 239 ZK keine Kontrolle der Rechtmäßigkeit des (beim BFG angefochtenen) Abgabenbescheides umfasse und ein besonderer Fall jedenfalls nicht dadurch zu begründen sei, dass der Beteiligte Einwendungen gegen den ursprünglichen Abgabenbescheid erhebt.
Eine sinngemäße Anwendung der Vertrauensschutzbestimmungen des Art 7 Abs 4 UStG 1994 auf den indirekten Vertreter im Rahmen einer steuerbefreiten Einfuhr mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung sei im UStG 1994 nicht normiert.
Es stehe auch nicht fest, dass die betreffenden Waren nach Frankreich verbracht wurden; ihr Verbleib sei nach wie vor ungewiss. Vielmehr sei der Tatbestand der Einfuhr iSd § 1 Abs 1 Z 3 zweiter Satz UStG 1994 erfüllt. Ob ein Gegenstand der Einfuhr nur zur Durchfuhr bestimmt ist oder später wieder ausgeführt werden soll bzw ob er in der Folge in Österreich in den Wirtschaftskreislauf gebracht wird, sei ohne Bedeutung. Bei den gegenständlichen Waren handle es sich - anders als in den von der Bf zitierten EuGH-Urteilen - durch die Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr um Gemeinschaftswaren.
Auch der VwGH habe für das im gegenständlichen Fall vorliegende innergemeinschaftliche Verbringen von Waren im Zollverfahren 4200 einen Vertrauensschutz nach dem Umsatzsteuerrecht (Art 7 Abs 4 UStG 1994) abgelehnt, und auf Artikel 239 ZK verwiesen (, 2012/16/0009).
Bei der Beurteilung der Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers komme es darauf an, dass dieser zum Zeitpunkt der Abgabe der Zollanmeldung die ihm mögliche und zumutbare Sorgfalt aufgewendet, und alle erforderlichen Vorschriften eingehalten hat. Der vorliegende Sachverhalt, dem hier alleine Bedeutung für die Beurteilung des Vorliegens offensichtlicher Fahrlässigkeit zukommt, lasse keinerlei Handlungen oder Vorkehrungen der Bf zur Abwehr möglicher oder beabsichtigter Unregelmäßigkeiten erkennen, weshalb die Bf ihren Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen sei. Damit sei vom Vorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit auszugehen, die eine Billigkeitsmaßnahme iSd Artikels 239 ZK ausschließe.
Die Beschwerde wäre aber auch selbst bei Vorliegen offensichtlicher Fahrlässigkeit abzuweisen gewesen, weil im Hinblick auf den verfahrensgegenständlichen Sachverhalt und die Rechtsprechung des EuGH die weitere Voraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahme nach Artikel 239 ZK - das Vorliegen eines "besonderen Falles" - hier nicht zutreffe. Bei dem Sachverhalt, der im vorliegenden Fall zur Nacherhebung der gemäß Artikel 204 Absatz 1 Buchstabe b ZK iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG entstandenen Einfuhrumsatzsteuerschuld nach § 71a ZollR-DG bei der Bf als indirekt vertretende Spedition führte, handle es sich vielmehr um ein normales Geschäftsrisiko, welches alle Zollanmelder in der gleichen Situation treffe. Es obliege den Wirtschaftsbeteiligten, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sich gegen solche Risiken abzusichern.
Mit Schreiben der Bf vom wurde die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht beantragt.
Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit der österreichischen Zollverwaltung gehe ins Leere. Die bei ihr und ihrer österreichischen Konkurrenz üblichen Abgleiche der Daten und Sicherheitsparameter, das seien:
- Vorlage einer Vollmacht;
- UlD-Prüfung Stufe 2;
- Plausibilitätsprüfung (Ist der Transportweg ein üblicher? Entsprechen die Preise den Marktpreisen?) Die Kontrolle der vorgelegten Dokumente ergab keinen Anlass zu Bedenken,
wären bei der Abfertigung exakt eingehalten worden.
Die Bf habe unter Beachtung aller Vorschriften die erforderlichen Angaben dem zuständigen Zollamt mitgeteilt, die geforderten Nachweise vorgelegt und alle zumutbaren Handlungen gesetzt, um mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeiten zu erkennen bzw abzuwenden.
Der Betrug sei im Vorfeld so vorbereitet und angelegt gewesen, dass er bei größter Sorgfalt anlässlich Erstellen der Zollanträge vor Ort zu diesem Zeitpunkt nicht hätte erkannt werden können.
Man sei deshalb zu Unrecht mit der Einfuhrumsatzsteuer belastet worden, da man die Fälligkeit nicht verschuldet, zum Vorsteuerabzug nicht berechtigt sei und dem Zollamt kein Nachweis vorliege, dass die Ware in Österreich in den Wirtschaftskreis eingegangen sind.
Mit Schreiben vom hat die Bf dem Bundesfinanzgericht mitgeteilt, dass man dem bisherigen Vertreter die Vollmacht entzogen hat.
Der Vorlageantrag betreffend die Beschwerde gegen den Abgabenbescheid vom ist von der Bf zurückgenommen worden und wurde vom Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom , RV/6200036/2016, als gegenstandslos erklärt.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Gegenstände, die von einem Drittgebiet oder einem Drittland aus in einen anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Beendigung der Versendung oder Beförderung versandt oder befördert werden, sind nach Artikel 143 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (nachstehend "MwStSystRL") von der Einfuhrumsatzsteuer befreit, sofern die Lieferung dieser Gegenstände durch den gemäß Artikel 201 der MwStSystRL als Steuerschuldner bestimmten oder anerkannten Importeur bewirkt wird und gemäß Artikel 138 der MwStSystRL befreit ist.
Die Mitgliedstaaten befreien die Lieferungen von Gegenständen, die durch den Verkäufer, den Erwerber oder für ihre Rechnung nach Orten außerhalb ihres jeweiligen Gebiets aber innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden gemäß Artikel 138 Absatz 1 der MwStSystRL von der Einfuhrumsatzsteuer, wenn diese Lieferung an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nicht steuerpflichtige juristische Person bewirkt wird, der/die als solche/r in einem anderen Mitgliedstaat als dem Beginn der Versendung oder der Beförderung der Gegenstände handelt. Darüber hinaus befreien die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 138 Absatz 2 Buchstabe c der MwStSystRL die Lieferung von Gegenständen in Form der Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat, die ua gemäß Absatz 1 von der Mehrwertsteuer befreit wäre, von der Steuer, wenn sie an einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt würde.
Bei der Einfuhr wird die Mehrwertsteuer gemäß Artikel 201 der MwStSystRL von der Person oder den Personen geschuldet, die der Mitgliedstaat der Einfuhr als Steuerschuldner bestimmt oder anerkennt.
Gemäß Artikel 6 Abs 3 UStG 1994 ist die Einfuhr der Gegenstände, die vom Anmelder im Anschluss an die Einfuhr unmittelbar zur Ausführung von innergemeinschaftlichen Lieferungen verwendet werden, steuerfrei. Die Befreiung ist nur anzuwenden, wenn derjenige, für dessen Unternehmen der Gegenstand eingeführt worden ist, die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung tätigt.
Es kann sowohl der Anmelder selbst, aber auch der vom Anmelder indirekt Vertretene den Tatbestand laut Artikel 6 Abs 3 UStG 1994 erfüllen und die anschließende innergemeinschaftliche Lieferung ausführen (vgl ).
Als innergemeinschaftliche Lieferung gilt gemäß Artikel 7 Abs 2 UStG 1994 auch das einer Lieferung gleichgestellte Verbringen eines Gegenstandes, nämlich das Verbringen eines Gegenstandes des Unternehmens aus dem Inland in das übrige Gemeinschaftsgebiet durch einen Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer in Artikel 3 Abs 1 UStG 1994 näher beschriebenen vorübergehenden Verwendung, auch wenn der Unternehmer den Gegenstand in das Inland eingeführt hat.
Eine Einfuhrzollschuld entsteht gemäß Artikel 204 Absatz 1 ZK, der im vorliegenden Fall noch anwendbar ist, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen eine der Pflichten nicht erfüllt wird, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehenden Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben, oder eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder Einfuhrabgabenfreiheit auf Grund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfüllt wird, es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder das betreffende Zollverfahren nicht wirklich ausgewirkt haben.
Zollschuldner ist gemäß Artikel 204 Absatz 3 ZK die Person, welche die Pflichten zu erfüllen hat, die sich bei einer einfuhrabgabepflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des betreffenden Zollverfahrens ergeben, oder welche die Voraussetzungen für die Überführung der Ware in dieses Zollverfahren zu erfüllen hat.
Der Zollkodex gilt gemäß § 2 Abs 1 ZollR-DG und gemäß § 26 Abs 1 UStG 1994 idmF sinngemäß auch für die Einfuhrumsatzsteuer.
In den Fällen einer Befreiung von der Einfuhrumsatzsteuer nach Artikel 6 Abs 3 UStG 1994 schuldet eine nach Artikel 204 Absatz 1 ZK entstehende Einfuhrumsatzsteuerschuld auch der Anmelder, wenn er nicht bereits nach Artikel 204 Absatz 3 ZK als Schuldner in Betracht kommt (§ 71a ZollR-DG).
Gemäß Artikel 239 Absatz 1 ZK können Einfuhrabgaben in Fällen erstattet oder erlassen werden, welche sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind.
Gemäß Artikel 905 Absatz 1 der im Beschwerdefall noch maßgeblichen ZK-DVO übermittelt der entscheidungsbefugte Mitgliedstaat den Fall der Kommission zur Entscheidung, wenn ein Antrag auf Erstattung oder Erlass gemäß Artikel 239 Absatz 2 ZK in seiner Begründung auf einen besonderen Fall schließen lässt, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt und wenn ua die Abgaben, die bei einem Beteiligten infolge desselben besonderen Umstandes, gegebenenfalls auch für mehrere Einfuhrvorgänge, nicht erhoben wurden, 500.000 EUR oder mehr betragen.
Sofern nicht nach Artikel 905 ZK-DVO die Kommission zu befassen ist, entscheidet die Entscheidungsbehörde gemäß Artikel 899 Absatz 2 ZK-DVO von sich aus, die Einfuhrabgaben zu erstatten oder zu erlassen, wenn es sich um besondere Fälle handelt, die sich aus Umständen ergeben, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind.
§ 83 ZollR-DG idmF lautet:
"Im Falle einer Erstattung oder eines Erlasses der sonstigen Eingangs- und Ausgangsabgaben nach den Bestimmungen des Artikels 239 ZK in Verbindung mit Artikel 899 Abs. 2 ZK-DVO liegt ein besonderer Fall dann vor, wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist oder wenn die Existenz des Abgabenschuldners durch die Abgabenbelastung ernsthaft gefährdet ist. Letzterenfalls stellt die betrügerische Absicht oder grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten keinen Ausschließungsgrund für die Gewährung einer Erstattung oder eines Erlasses dar, sofern alle sonstigen Voraussetzungen vorliegen und eine Gesamtbetrachtung für eine Entscheidung zugunsten des Antragstellers spricht. Eine Vorlage an die Europäische Kommission hat zu unterbleiben."
Die Bf ist für die gemäß Artikel 204 ZK iVm § 2 Abs 1 ZollR-DG entstanden Einfuhrumsatzsteuer, deren Erstattung im Beschwerdefall beantragt wird, gemäß § 71a ZollR-DG als Gesamtschuldnerin herangezogen worden.
Der von der Bf dagegen eingewandte Vertrauensschutz oder ihre Gutgläubigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung im Erlass- oder Erstattungsverfahren nach § 83 ZollR-DG zu prüfen (vgl ; , Ra 2016/16/0059).
Diese Regelung, die es der Bf ermöglicht, sich als Gesamtschuldner wirksam von der Haftung für die Einfuhrumsatzsteuer zu befreien, genügt auch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl das Kapnoviomichania Karelia AE, C-81/15, Rn 53).
Den Vertrauensschutz einer Person, welche die Sorgfalt eines verständigen Wirtschaftsteilnehmers beachtet hat und alle ihr zu Gebote stehenden zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, hat der EuGH etwa im Urteil vom , Vlaamse Oliemaatschappij NV, C-499/10, Rn 26, als Kriterium gesehen, das im Rahmen der Feststellung zu berücksichtigen ist, ob diese Person als Gesamtschuldner der Mehrwertsteuer herangezogen werden kann. Im oa Erkenntnis vom , Ra 2016/16/0059, hat der Verwaltungsgerichtshof dargelegt, weshalb diese vom EuGH getroffenen Aussagen noch nicht bei der Heranziehung eines Einfuhrumsatzsteuerschuldners nach § 71a ZollR-DG, sondern im Verfahren über einen Erlass oder eine Erstattung nach § 83 ZollR-DG maßgeblich sind.
Im vorliegenden Beschwerdefall einer Erstattung der Einfuhrumsatzsteuer ist somit die Rechtsprechung des EuGH, wonach von einem Wirtschaftsteilnehmer gefordert werden kann, dass er in gutem Glauben handelt und alle Maßnahmen ergreift, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass sein Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt (vgl etwa Euro Tyre BV - Sucursal em Portugal, C-21/16, Rn 40, und Santogal M - Comercio e ReparaCão de Automoveis Lda, C-26/16, Rn 71), die Richtschnur bei der Anwendung des § 83 ZollR-DG, ob die Abgabenbelastung sich als unbillig nach Lage der Sache erweist und ob offensichtliche Fahrlässigkeit vorliegt (vgl. ).
Die belangte Behörde erkennt im angefochtenen Bescheid eine offensichtliche Fahrlässigkeit der Bf und führt aus, es müsse daher nicht mehr geprüft werden, ob im vorliegenden Sachverhalt eine Unbilligkeit nach Lage der Sache zu erkennen sei.
Der Gesetzgeber hat in § 83 ZollR-DG bei der Umschreibung, was als ein besonderer Fall im Sinn des Artikels 239 ZK und des Artikels 899 Absatz 2 ZK-DVO im Falle der sonstigen Eingangsabgaben (darunter die Einfuhrumsatzsteuer) zu verstehen ist, eine eigenständige Regelung getroffen.
Beschränkte sich § 83 ZollR-DG in der Stammfassung noch auf einen Verweis auf Artikel 239 ZK, so wurde mit der 3. ZollR-DG - Novelle, BGBl. I Nr. 13/1998, der in Artikel 239 ZK enthaltene unbestimmte Gesetzesbegriff des "besonderen Falles" für den Bereich der sonstigen Eingangsabgaben näher erläutert.
Der in § 83 ZollR-DG umschriebene Begriff des besonderen Falles (wenn sich die Abgabenbelastung als unbillig nach Lage der Sache erweist) muss etwa im Falle der Erstattung oder des Erlasses von Einfuhrumsatzsteuer auch der Rechtsprechung des EuGH zum Vertrauensschutz genügen und kann daher nicht eingeschränkt werden.
Das Zollamt lastet der Bf ua deshalb ein Fehlverhalten grundsätzlicher Art an, weil es laut Aktenlage - abgesehen von der Erteilung einer (nicht unterschriebenen) Vollmacht zur Durchführung von Zollabfertigungen - keinen direkten Kontakt zwischen ihr und der X gegeben habe.
Der Auftrag zur Durchführung der Zollabfertigungen sei von der ***Y*** erteilt worden, welche der Bf auch die dafür in Rechnung gestellten Kosten gezahlt habe.
Dazu ist festzustellen, dass die Bf als Grenzspediteur eine langjährige unproblematische Geschäftebeziehung mit der ***Y*** unterhalten hat. Der Umstand, dass der türkische Frächter gegenüber der Bf als Auftraggeber aufgetreten ist und die Kosten der Zollabfertigungen getragen hat, ist weder ungewöhnlich noch lässt dies auf allfällige Betrügereien schließen.
Auch der Wert der zollabgefertigten Waren ist kein Indiz für mögliche oder beabsichtigte Unregelmäßigkeiten.
Bezüglich der Bevollmächtigung der Bf durch die X (Fax vom und Schreiben vom ) ist darauf hinzuweisen, dass das Zollamt selbst die Gültigkeit dieser Vollmachten nicht anzweifelt, da es die Bf im gesamten Verfahren als indirekten Vertreter der X bezeichnet.
Hätte die Bf behauptet, für Rechnung der X zu handeln, ohne Vertretungsmacht zu besitzen, wäre Artikel 5 Absatz 4 zweiter Unterabsatz ZK anzuwenden gewesen, der lautet:
"Personen, die nicht erklären, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, oder die erklären, im Namen oder für Rechnung eines anderen zu handeln, aber keine Vertretungsmacht besitzen, gelten als in eigenem Namen und für eigene Rechnung handelnd."
Laut Bescheid vom , Zahl: ***600000/00000/2014***, ist die Bf in den verfahrensgegenständlichen Fällen für die X als Anmelder im indirekten Vertretungsverhältnis (in eigenem Namen, aber für Rechnung eines anderen) aufgetreten, hatte also entsprechende Vertretungsmacht.
Gemäß Artikel 28 Abs 2 UStG 1994 bestätigt das Bundesministerium für Finanzen dem Unternehmer auf Anfrage die Gültigkeit einer UID sowie den Namen und die Anschrift der Person, der die UID von einem anderen Mitgliedstaat erteilt wurde.
Im vorliegenden Fall ist die in den Anmeldungen angeführte UID des französischen Empfängers am 11. und 26. Oktober sowie am 10. und überprüft und für gültig erklärt worden. Die bestätigte UID war für die Person, für die sie angefragt wurde, auch tatsächlich wirksam erteilt.
Laut Punkt 4.5.7 des Mitarbeiterhandbuchs (Compliance) der Bf, der bei den Abfertigungen auch entsprechend befolgt worden ist, musste rechtzeitig im Vorfeld der eigentlichen Zollabfertigung mit dem Auftraggeber Kontakt aufgenommen werden. Zu jeder Fiskalverzollung musste ein schriftlicher Auftrag (Vollmacht) des Kunden zur Abfertigung zum steuerrechtlich freien Verkehr mit steuerbefreiender Lieferung vorliegen, ebenso eine Bestätigung der Richtigkeit der UID auf Stufe 2. Bei regelmäßigen Lieferungen war eine Prüfung bei der jeweils ersten Abfertigung im Monat vorgesehen.
Eine Übernahmebestätigung vom Warenempfänger war zwingend anzufordern. Auch wie der Nachweis der Beförderung oder Versendung und der Buchnachweis bei innergemeinschaftlichen Lieferungen zu führen ist, ist in diesem Handbuch geregelt.
Auch nach der Arbeitsrichtlinien ZK-4200 der Zollverwaltung war die Inanspruchnahme des qualifizierten Bestätigungsverfahrens des Artikel 28 Abs 2 UStG 1994 (Stufe 2) bei erstmaliger Geschäftsbeziehung jedenfalls, bei ständigen Geschäftsbeziehungen nur gelegentlich bzw in Zweifelsfällen notwendig.
Dem ist die Bf laut Aktenlage nachweislich nachgekommen und hat insoweit ihrer Sorgfaltspflicht entsprochen.
Zum Einwand der X, der Name des Unternehmens sei missbräuchlich verwendet worden, ist auf die Vernehmungen der Geschäftsführer durch die französischen Behörden hinzuweisen, die ergeben haben, dass die X in die Betrügereien insofern involviert war, als sie von ***ED***, dem mutmaßlichen Verantwortlichen für die Steuerhinterziehung, Geld dafür erhalten hat, Vollmachten zu erteilen und ihre UID für die Lieferung von Textilien und anderen Waren aus der Türkei zur Verfügung zu stellen.
Da die X somit wusste, dass sie als Scheinfirma für Lieferungen aus der Türkei benutzt wird, hätte auch eine direkte Kontaktaufnahme oder Nachfrage seitens der Bf nicht dazu geführt, die missbräuchliche Verwendung der französischen UID aufzudecken.
Im gegenständlichen Erstattungsfall ist auf Grund der vorliegenden Ermittlungsergebnisse unbestritten, dass die Bf, bei der es sich um eine etablierte Spedition handelt, die über große Erfahrungen im Einfuhrgeschäft verfügt, selbst nicht in betrügerischer Absicht gehandelt hat, sondern von ihrem Abnehmer oder einem Dritten getäuscht worden ist.
Eine ernsthafte Gefährdung der Existenz der Bf durch die Abgabenbelastung wurde gegenüber dem Zollamt nicht geltend gemacht und ist diese auch nicht anzunehmen, weil die Abgaben entrichtet worden sind. Die Bf hat allerdings in Folge der festgestellten Betrugsfälle ihr Hauptgeschäft in Österreich, die Verzollung von LKW-Ladungen aus der Türkei als Fiskalvertreter, eingestellt und auch die nachfolgende Pandemie hat die Bf finanziell getroffen.
Es ist aus anderen Verfahren, in welche sowohl die Bf als auch die ***Y*** involviert waren (zB Lieferungen an die ***SARL***), bekannt, dass die Waren in allen Fällen unmittelbar nach der Zollabfertigung von Österreich zurück über die Grenze nach Ungarn verbracht worden sind.
Laut Aktenlage hatte die Bf - auch auf Grund der (gefälschten) Übernahmebestätigungen auf den Frachtbriefen - keine Zweifel daran, dass die fraglichen Gegenstände nach Frankreich transportiert wurden und dort erwerbsteuerpflichtig sind.
Die UID des Erwerbers X in Frankreich, die Sonder-UID der Bf und der Hinweis auf die Steuerfreiheit gehen aus den Zollanmeldungen und den angeschlossenen Unterlagen hervor, die auch den Zollbehörden vorlagen.
Eine weitergehenden Überprüfungen, was die Kreditwürdigkeit der X betrifft, gab es insbesondere deshalb nicht, weil es sich um zollfreie Waren aus der Türkei gehandelt hat und die Bf im Verfahren 42 nicht in Vorlage treten musste. Dieses Vorgehen ist branchenüblich und der Bf aus Sicht des Bundesfinanzgerichtes nicht als mangelnde Sorgfalt oder offensichtliche Fahrlässigkeit vorzuwerfen.
Entscheidend ist, dass die X unter ihrer französischen UID aufgetreten ist und damit erklärt hat, dass die Voraussetzungen für eine steuerfreie Lieferung an sie erfüllt sind. Die Bf hat das Bestätigungsverfahren nach Artikel 28 Abs 2 UStG 1994 in Anspruch genommen und konnte bei den gegebenen Umständen bei der Anwendung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabes davon ausgehen, dass die X Unternehmereigenschaften besitzt und die Lieferungen für sie bestimmt sind. Sie hat sich Gewissheit über die Gültigkeit der UID verschafft und damit alle zumutbaren Schritte unternommen, die der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Kaufmannes entsprechen (vgl ).
Da die Bf als Grenzspediteur über Jahre hinweg regelmäßig im Auftrag der ***Y*** Zollabfertigungen durchgeführt hat und sie keinen Zweifel an der Existenz der X bzw der Gültigkeit ihrer UID haben musste, war die Einleitung eines Bestätigungsverfahrens für jede einzelne Zollanmeldung nicht geboten und durfte sie auf die Richtigkeit der bestätigten UID vertrauen.
Dass die X, die in den Betrug involviert war, zum Zeitpunkt der Abfertigungen existiert hat, über eine gültige UID verfügte und (gegen Bezahlung) Vollmachten zur Zollabfertigung erteilt hat, ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen und Ermittlungsergebnissen. Weitere Recherchen oder Kontakteaufnahmen zwischen der Bf und der X hätten die Steuerhinterziehung nicht verhindern können, da der X ja bekannt war, dass ihre UID missbräuchlich zur Einfuhr von Waren aus der Türkei verwendet wird und sie dafür nachweislich Geld von ***ED*** erhalten hat, mit dem die X die Geschäftsmiete und Löhne bezahlen konnte.
Das Bundesfinanzgericht kommt daher zu dem Schluss, dass die Bf in den verfahrensgegenständlichen Fällen in gutem Glauben gehandelt und alle Maßnahmen ergriffen hat, die vernünftigerweise verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihr Handeln nicht zu einer Beteiligung an einer Steuerhinterziehung führt.
Im Beschwerdefall liegt aus den angeführten Gründen nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ein besonderer Fall nach § 83 ZollR-DG erster Fall (Unbilligkeit nach Lage der Sache) vor. Dem Erstattungsantrag war daher stattzugeben.
Zulässigkeit einer Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor. Die Beurteilung der Billigkeit einer Abgabennachsicht hat über den Einzelfall hinaus keine grundsätzliche Bedeutung.
Grundsätzlich sind Fragen des Verschuldens der einzelfallbezogenen Beurteilung des Verwaltungsgerichts zuzuordnen und könnten nur dann eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung darstellen, wenn die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre (vgl etwa ; , Ra 2017/16/0118; , Ra 2019/16/0048).
Salzburg, am
Zusatzinformationen
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Materie | Zoll |
betroffene Normen | § 108 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 2 Abs. 1 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 26 Abs. 1 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994 § 71a ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 § 83 ZollR-DG, Zollrechts-Durchführungsgesetz, BGBl. Nr. 659/1994 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 ZK-DVO, VO 2454/93, ABl. Nr. L 253 vom S. 1 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 Art. 220 ZK, VO 2913/92, ABl. Nr. L 302 vom S. 1 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Schrömbges in SWI 2021, 488 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2021:RV.6200001.2017 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at