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Vorabentscheidung (EuGH) – Einzel - Beschluss, BFG vom 21.10.2020, RE/7100004/2020

Vorabentscheidungsersuchen zur Gültigkeit der Art 4 und 7 der VO (EG) 883/2004 iVm der Einführung der Indexierung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages

Beachte

Beim EuGH anhängig unter C-574/20. Erledigt durch .


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Rechtssätze
Stammrechtssätze
RE/7100004/2020-RS1
Sind die Art 4 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004, neue Koordinierung oder Grundverordnung) gültig?
RE/7100004/2020-RS2
Ist Art 7 VO 883/2004, insbesondere dessen Überschrift „Aufhebung von Wohnortklauseln“, dahingehend auszulegen, dass er das rechtswirksame Zustandekommen der die Indexierung von Familienleistungen an die Kaufkraftverhältnisse im Wohnortstaat regelnden generellen Normen § 8a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967, § 33 Abs 3 Ziffer 2 Einkommensteuergesetz (EStG) 1988 und der Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung insoweit verhindert hat, als damit eine Abwertung der Familienbeihilfe für bestimmte Mitgliedstaaten verbunden ist?
RE/7100004/2020-RS3
Ist das in Art 7 VO 883/2004 normierte Kürzungsverbot von Geldleistungen, insbesondere dessen Wortfolge „dürfen Geldleistungen …. nicht … gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden“ dahingehend auszulegen, dass leg.cit. das rechtswirksame Zustandekommen der die Indexierung von Familienleistungen an die Kaufkraftverhältnisse im Wohnortstaat regelnden Bestimmungen § 8a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 und § 33 Abs 3 Ziffer 2 Einkommensteuergesetz (EStG) 1988 insoweit nicht verhindert hat, als die in Rede stehenden Familienleistungen aufzuwerten sind?
RE/7100004/2020-RS4
Sind die Art 7 und 67 VO 883/2004 dahingehend auszulegen und solcherart voneinander abzugrenzen, dass Art 7 den Erzeugungsprozess der Wohnortklausel als generell-abstrakte Norm durch das mitgliedstaatliche Parlament betrifft, wohingegen Art 67 im konkreten Einzelfall den Erzeugungsprozess der individuell-konkreten Norm anspricht und direkt an den Träger gerichtet ist, wie er sich zunächst nach dem Titel II der Grundverordnung ergeben hat?
RE/7100004/2020-RS5
Sind die Art 67, 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 und der Art 60 Abs 1 VO 987/2009 dahingehend auszulegen, dass sie wie ihre Vorgängerbestimmungen Art 73, 76 VO 1408/71 und Art 10 VO 574/72 gemeinsam anzuwenden und daher nur im Kontext zu verstehen sind und die gemeinsam unter Beachtung des Grundsatzes der Antikumulierung das Ziel verfolgen, dass der Person nicht Ansprüche verloren gehen, was durch die in Art 68 Abs 1 und 2 angeordnete Typisierung und Hierarchisierung der beteiligten Mitgliedstaaten und ausdrücklichen Anordnung einer allenfalls gebotenen Zuzahlung des zuständigen Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, gewährleistet wird, sodass eine isolierte Auslegung des Art 67 VO 883/2004 wie im Gutachten nicht zulässig ist?
RE/7100004/2020-RS6
Sind der Begriff der „allgemeinen Geltung“ einer Verordnung und die Wortfolge „Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar“ in Art 288 Abs 2 AEUV dahingehend auszulegen, dass sie auch das rechtwirksame Zustande der individuellen Normen der zuständigen Träger, die auf die die Indexierung regelnden Normen aufbauen verhindert haben und der im Ausgangsfall in Beschwerde gezogene Bescheid keine formale Rechtskraft (Bestandskraft) erlangt hat?
RE/7100004/2020-RS7
Verstoßen § 53 Abs 1 FLAG in der Stammfassung des Budgetbegleitgesetzes vom , BGBl I 142/2000, und § 53 Abs 4 FLAG in der Stammfassung des Bundesgesetzes vom , mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, BGBl I 83/2018, gegen das Umsetzungsverbot von Verordnungen iSd Art 288 Abs 2 AEUV?
RE/7100004/2020-RS8
Ist das Gebot der Inländergleichstellung gemäß Art 4 VO 883/2004 bzw das dahinter stehende Diskriminierungsverbot des Art 45 Abs 2 AEUV dahingehend auszulegen, dass diesem nur dann entsprochen wird, wenn der Wanderarbeitnehmer jenem Inländer, der einen Inlandssachverhalt verwirklicht, gleichgestellt wird und dem daher die Familienbeihilfe gemäß § 12 iVm §§ 2, 8 FLAG im Voraus mitgeteilt und laufend monatlich im Voraus ausgezahlt wird, oder wird dem Gebot der Inländergleichstellung entsprochen, wenn eine Gleichstellung des Wanderarbeitnehmers mit dem Inländer, der wie er einen zwischenstaatlichen Sachverhalt gemäß § 4 FLAG verwirklicht, gleichgestellt wird, jedoch im zweiten Fall abweichend die Familienbeihilfe gemäß § 4 Abs 4 FLAG erst jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres für das betreffende Kalenderjahr erhält?
RE/7100004/2020-RS9
Ist die in Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 angeordnete Aussetzung von Ansprüchen auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags dahingehend auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Antikumulierungsregel wie § 4 Abs 1 bis 3 FLAG, die Österreich als vorrangig zuständigem Mitgliedstaat in einer Ausgangssituation wie der vorliegenden berechtigt, die Familienbeihilfe um Ansprüche auf „eine gleichartige ausländische Beihilfe“ im anderen Mitgliedstaat zu kürzen, entgegensteht, weil bereits die Unionsnorm die Antikumulierung verhindert hat und die Antikumulierungsregel des § 4 Abs 1 bis 3 FLAG folglich ins Leere geht?
RE/7100004/2020-RS10
Ist die in Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 angeordnete Aussetzung von Ansprüchen auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags dahingehend auszulegen, dass der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten und der die Aussetzung der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Familienleistungen aufgrund der unionsrechtlichen Anordnung zu befolgen hat, verbunden ist, einen Antrag des Wanderarbeitnehmers oder eines Familienangehörigen oder sonst nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften berechtigten Person abweislich zu entscheiden und die Familienleistung bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags selbst dann nicht zu gewähren, wenn eine rein mitgliedstaatliche Betrachtung – allenfalls aufgrund einer alternativen Rechtsgrundlage - die Bewilligung zuließe?
RE/7100004/2020-RS11
Im Fall der Bejahung von Frage 10 stellt sich die Frage, ob der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten und der die Aussetzung der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Familienleistungen aufgrund der unionsrechtlichen Anordnung zu befolgen hat, jedoch den Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen mangels Höhe nicht schuldet, einen Antrag mit der Begründung abzuweisen hätte, dass die Aussetzung des Art 68 Abs 2 S 2 VO 882/2004 einer Gewährung von Familienbeihilfenansprüchen entgegenstehe?
RE/7100004/2020-RS12
Ist Art 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 dahingehend auszulegen, dass das Formular E411 der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer in seinen Punkten 6 und 7, die von jenem Mitgliedstaat auszufüllen sind, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, dem Informationsbedürfnis des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, in einer Situation wie im Ausgangsfall nicht mehr entspricht, weil der vorrangig zuständige Mitgliedstaat die Information vom anderen Mitgliedstaat im Sinne der Fragen 10 und 11 benötigt, dass dieser die Aussetzung des Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 vollzieht, wodurch sich eine Auseinandersetzung mit der mitgliedstaatlichen Rechtlage, zu der auch Verdienstgrenzen gehören, erübrigt?
RE/7100004/2020-RS13
Ist die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung auf Grundlage des Loyalitätsprinzips gemäß Art 4 Abs 3 EUV entwickelte Rechtsbereinigungspflicht, dahingehend zu verstehen, dass sie auch vom Verfassungsgerichtshof aufgrund eines Antrages des Vorlagegerichts wahrgenommen werden könnte?
RE/7100004/2020-RS14
Ist Art 267 Abs 1 Buchst b) AEUV über die Frage nach der Gültigkeit von Sekundärrecht, die selbst für ein zwischeninstanzliches Vorlagegericht obligatorisch ist, und die mit der Gültigkeitsfrage verbundene Verpflichtung des Vorlagegerichts, die Anwendung gültigen Unionsrechts durch Erlass einer mit Beschluss getroffenen vorläufigen Anordnung zu gewährleisten, mit dem aufgrund des Anwendungsvorranges des Unionsrechts die Revision nicht zugelassen wurde, dahingehend auszulegen, dass es mitgliedstaatlichen Normen wie Art 133 Abs 4, 9 B-VG iVm § 25a Abs 1 bis 3 VwGG, § 30a Abs 7 VwGG, die den Parteien des zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahrens gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, innerstaatlich die Rechtsschutzkontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof in Form der außerordentlichen Revision einräumt, entgegensteht?

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Silvia Gebhart in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***1***, Tschechien, SVN ***2***, unvertreten, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel vom , betreffend Abweisung der in Verbindung mit der neuen Koordinierung für Wanderarbeitnehmer gestellten Anträge für die Kinder ***3*** (geb ***4***) und ***5*** (geb ***6***) für den Zeitraum Januar 2019 bis März 2020 auf Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs 1 bis 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der Folge: FLAG) und des Kinderabsetzbetrages gemäß § 33 Abs 3 Satz 1 Einkommensteuergesetz 1988 (in der Folge: EStG), die die Höhe der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages (im Folgenden: Familienbeihilfe) für Inländer, die einen Inlandssachverhalt verwirklichen, bestimmen, gemäß § 290 Abs 1 Bundesabgabenordnung (in der Folge: BAO) beschlossen:

I. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art 267 AEUV folgende Fragen mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt:

Frage 1, die sich auf die Gültigkeit von Sekundärrecht bezieht:

Sind die Art 4 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 465/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom (ABl. 2012, L 149, S. 4) geänderten Fassung (im Folgenden: VO 883/2004, neue Koordinierung oder Grundverordnung) gültig?

Frage 2:

Ist Art 7 VO 883/2004, insbesondere dessen Überschrift "Aufhebung von Wohnortklauseln", dahingehend auszulegen, dass er das rechtswirksame Zustandekommen der die Indexierung von Familienleistungen an die Kaufkraftverhältnisse im Wohnortstaat regelnden generellen Normen § 8a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967, § 33 Abs 3 Ziffer 2 Einkommensteuergesetz (EStG) 1988 und der Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung insoweit verhindert hat, als damit eine Abwertung der Familienbeihilfe für bestimmte Mitgliedstaaten verbunden ist?

Frage 3:

Ist das in Art 7 VO 883/2004 normierte Kürzungsverbot von Geldleistungen, insbesondere dessen Wortfolge "dürfen Geldleistungen …. nicht … gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden" dahingehend auszulegen, dass leg.cit. das rechtswirksame Zustandekommen der die Indexierung von Familienleistungen an die Kaufkraftverhältnisse im Wohnortstaat regelnden Bestimmungen § 8a Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 und § 33 Abs 3 Ziffer 2 Einkommensteuergesetz (EStG) 1988 insoweit nicht verhindert hat, als die in Rede stehenden Familienleistungen aufzuwerten sind?

Fragen 4 und 5, die sich auf das Gutachten, das der Gesetzesänderung zu Grunde gelegt wurde, beziehen:

Frage 4:

Sind die Art 7 und 67 VO 883/2004 dahingehend auszulegen und solcherart voneinander abzugrenzen, dass Art 7 den Erzeugungsprozess der Wohnortklausel als generell-abstrakte Norm durch das mitgliedstaatliche Parlament betrifft, wohingegen Art 67 im konkreten Einzelfall den Erzeugungsprozess der individuell-konkreten Norm anspricht und direkt an den Träger gerichtet ist, wie er sich zunächst nach dem Titel II der Grundverordnung ergeben hat?

Frage 5:

Sind die Art 67, 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 und der Art 60 Abs 1 VO 987/2009 dahingehend auszulegen, dass sie wie ihre Vorgängerbestimmungen Art 73, 76 VO 1408/71 und Art 10 VO 574/72 gemeinsam anzuwenden und daher nur im Kontext zu verstehen sind und die gemeinsam unter Beachtung des Grundsatzes der Antikumulierung das Ziel verfolgen, dass der Person nicht Ansprüche verloren gehen, was durch die in Art 68 Abs 1 und 2 angeordnete Typisierung und Hierarchisierung der beteiligten Mitgliedstaaten und ausdrücklichen Anordnung einer allenfalls gebotenen Zuzahlung des zuständigen Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, gewährleistet wird, sodass eine isolierte Auslegung des Art 67 VO 883/2004 wie im Gutachten nicht zulässig ist?

Frage 6:

Sind der Begriff der "allgemeinen Geltung" einer Verordnung und die Wortfolge "Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar" in Art 288 Abs 2 AEUV dahingehend auszulegen, dass sie auch das rechtwirksame Zustande der individuellen Normen der zuständigen Träger, die auf die die Indexierung regelnden Normen aufbauen verhindert haben und der im Ausgangsfall in Beschwerde gezogene Bescheid keine formale Rechtskraft (Bestandskraft) erlangt hat?

Frage 7:

Verstoßen § 53 Abs 1 FLAG in der Stammfassung des Budgetbegleitgesetzes vom , BGBl I 142/2000, und § 53 Abs 4 FLAG in der Stammfassung des Bundesgesetzes vom , mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, BGBl I 83/2018, gegen das Umsetzungsverbot von Verordnungen iSd Art 288 Abs 2 AEUV?

Fragen 8 bis 12, die gemeinsam zu prüfen sind

Ist das Gebot der Inländergleichstellung gemäß Art 4 VO 883/2004 bzw das dahinter stehende Diskriminierungsverbot des Art 45 Abs 2 AEUV dahingehend auszulegen, dass diesem nur dann entsprochen wird, wenn der Wanderarbeitnehmer jenem Inländer, der einen Inlandssachverhalt verwirklicht, gleichgestellt wird und dem daher die Familienbeihilfe gemäß § 12 iVm §§ 2, 8 FLAG im Voraus mitgeteilt und laufend monatlich im Voraus ausgezahlt wird, oder wird dem Gebot der Inländergleichstellung entsprochen, wenn eine Gleichstellung des Wanderarbeitnehmers mit dem Inländer, der wie er einen zwischenstaatlichen Sachverhalt gemäß § 4 FLAG verwirklicht, gleichgestellt wird, jedoch im zweiten Fall abweichend die Familienbeihilfe gemäß § 4 Abs 4 FLAG erst jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres für das betreffende Kalenderjahr erhält?

Frage 9

Ist die in Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 angeordnete Aussetzung von Ansprüchen auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags dahingehend auszulegen, dass sie einer mitgliedstaatlichen Antikumulierungsregel wie § 4 Abs 1 bis 3 FLAG, die Österreich als vorrangig zuständigem Mitgliedstaat in einer Ausgangssituation wie der vorliegenden berechtigt, die Familienbeihilfe um Ansprüche auf "eine gleichartige ausländische Beihilfe" im anderen Mitgliedstaat zu kürzen, entgegensteht, weil bereits die Unionsnorm die Antikumulierung verhindert hat und die Antikumulierungsregel des § 4 Abs 1 bis 3 FLAG folglich ins Leere geht?

Frage 10

Ist die in Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 angeordnete Aussetzung von Ansprüchen auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags dahingehend auszulegen, dass der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten und der die Aussetzung der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Familienleistungen aufgrund der unionsrechtlichen Anordnung zu befolgen hat, verbunden ist, einen Antrag des Wanderarbeitnehmers oder eines Familienangehörigen oder sonst nach den mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften berechtigten Person abweislich zu entscheiden und die Familienleistung bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags selbst dann nicht zu gewähren, wenn eine rein mitgliedstaatliche Betrachtung - allenfalls aufgrund einer alternativen Rechtsgrundlage - die Bewilligung zuließe?

Frage 11

Im Fall der Bejahung von Frage 10 stellt sich die Frage, ob der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten und der die Aussetzung der in seinen Rechtsvorschriften vorgesehenen Familienleistungen aufgrund der unionsrechtlichen Anordnung zu befolgen hat, jedoch den Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen mangels Höhe nicht schuldet, einen Antrag mit der Begründung abzuweisen hätte, dass die Aussetzung des Art 68 Abs 2 S 2 VO 882/2004 einer Gewährung von Familienbeihilfenansprüchen entgegenstehe?

Frage 12

Ist Art 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 dahingehend auszulegen, dass das Formular E411 der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer in seinen Punkten 6 und 7, die von jenem Mitgliedstaat auszufüllen sind, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, dem Informationsbedürfnis des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, in einer Situation wie im Ausgangsfall nicht mehr entspricht, weil der vorrangig zuständige Mitgliedstaat die Information vom anderen Mitgliedstaat im Sinne der Fragen 10 und 11 benötigt, dass dieser die Aussetzung des Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 vollzieht, wodurch sich eine Auseinandersetzung mit der mitgliedstaatlichen Rechtlage, zu der auch Verdienstgrenzen gehören, erübrigt?

Frage 13:

Ist die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung auf Grundlage des Loyalitätsprinzips gemäß Art 4 Abs 3 EUV entwickelte Rechtsbereinigungspflicht, dahingehend zu verstehen, dass sie auch vom Verfassungsgerichtshof aufgrund eines Antrages des Vorlagegerichts wahrgenommen werden könnte?

Frage 14:

Ist Art 267 Abs 1 Buchst b) AEUV über die Frage nach der Gültigkeit von Sekundärrecht, die selbst für ein zwischeninstanzliches Vorlagegericht obligatorisch ist, und die mit der Gültigkeitsfrage verbundene Verpflichtung des Vorlagegerichts, die Anwendung gültigen Unionsrechts durch Erlass einer mit Beschluss getroffenen vorläufigen Anordnung zu gewährleisten, mit dem aufgrund des Anwendungsvorranges des Unionsrechts die Revision nicht zugelassen wurde, dahingehend auszulegen, dass es mitgliedstaatlichen Normen wie Art 133 Abs 4, 9 B-VG iVm § 25a Abs 1 bis 3 VwGG, § 30a Abs 7 VwGG, die den Parteien des zu Grunde liegenden Verwaltungsverfahrens gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, innerstaatlich die Rechtsschutzkontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof in Form der außerordentlichen Revision einräumt, entgegensteht?

II. Die endgültige Entscheidung über die zur Zahl RV/7101806/2020 anhängige Beschwerde ist bis zum Ergehen der Entscheidung des Gerichtshofs gemäß § 290 Abs 2 Bundesabgabenordnung ausgesetzt.

III. Da die eingeführte Indexierung der Familienbeihilfe die Frage nach der Gültigkeit der VO 883/2004 aufgeworfen hat, war bis zum Ergehen des EuGH-Urteils mit Beschluss vom , RV/7103708/2020, eine vorläufige Anordnung zu treffen.

I Allgemein

Das Bundesfinanzgericht (in der Folge: BFG) erfüllt die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung entwickelten Kriterien als Gericht iSd Art 267 AEUV (zB , Montte SL, Rn 22, 23) und ist als nicht in letzter Instanz berufenes Gericht zur Vorlage von Fragen über die Auslegung von Sekundärrecht berechtigt. Auf das beim Europäischen Gerichtshof anhängige Vorabentscheidungsersuchen, EuGH C-163/20, iVm der Einführung der Indexierung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages wird verwiesen. Im konkreten Fall wird jedoch die Frage nach der Gültigkeit von Verordnungen gestellt, sodass das BFG zur Vorlage verpflichtet ist und mit Beschluss vom , RV/7103708/2020, eine vorläufige Anordnung getroffen hat (OZ 25).

Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Beschwerdeführerin (Bf) und dem Finanzamt Waldviertel als belangte Behörde wegen Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages in reduzierter Höhe aufgrund der von Österreich mit Wirksamkeit vom mit § 8a Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (in der Folge: FLAG) und § 33 Abs 3 Einkommensteuergesetz 1988 (in der Folge: EStG), beide idF des Bundesgesetzes vom , BGBl I 83/2018, eingeführten Anpassung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages in Bezug auf Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder einer Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, an die Kaufkraftverhältnisse im Wohnortstaat.

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 45, 48, 263, 267, 288 Abs 2 AEUV, der Art 4 Abs 3 EUV, der Art 67, 68 VO 883/2004 und des Art 60 VO 987/2009 sowie die Gültigkeit der Art 4, 7 VO 883/2004. Im Vordergrund stehen nach Ansicht des Vorlagegerichts die Wirkung der unmittelbaren Geltung von Verordnungen sowie der Grundsatz der Loyalität. Die Frage zum Umsetzungsverbot von Verordnungen wurde in Bezug auf § 53 Abs 1 FLAG dem Gerichtshof mit Zahl RE/7100002/2020, EuGH C-372/20, bereits unterbreitet und wird in diesem Ersuchen durch Überlegungen zur Einführung des § 53 Abs 4 FLAG ergänzt, zumal die im genannten Ersuchen lediglich gestellte Frage möglicherweise nicht vom Europäischen Gerichtshof zu beantworten ist.

II Rechtsgrundlagen:

II.1) Unionsrecht

II.1.1) Primärrecht

Art 4 Abs 3 EUV lautet:

"(3) Nach dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit achten und unterstützen sich die Union und die Mitgliedstaaten gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus den Verträgen ergeben.

Die Mitgliedstaaten ergreifen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben."

Art 45 AEUV regelt die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Union und lautet:

"(1) Innerhalb der Union ist die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet.

(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen.

(3) Sie gibt - vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen - den Arbeitnehmern das Recht,

a) sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben;

b) sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen;

c) sich in einem Mitgliedstaat aufzuhalten, um dort nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften eine Beschäftigung auszuüben;

d) nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter Bedingungen zu verbleiben, welche die Kommission durch Verordnungen festlegt.

(4) Dieser Artikel findet keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung."

Artikel 48 Abs 1 AEUV lautet:

"Das Europäische Parlament und der Rat beschließen gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit für die Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer notwendigen Maßnahmen; zu diesem Zweck führen sie insbesondere ein System ein, das zu- und abwandernden Arbeitnehmern und Selbstständigen sowie deren anspruchsberechtigten Angehörigen Folgendes sichert:

a) die Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften berücksichtigten Zeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

b) die Zahlung der Leistungen an Personen, die in den Hoheitsgebieten der Mitgliedstaaten wohnen."

Art 267 Abs 1 AEUV lautet:

"Der Gerichtshof der Europäischen Union entscheidet im Wege der Vorabentscheidung

a) über die Auslegung der Verträge,

b) über die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union,"

Art 288 Abs 2 AEUV lautet:

"Die Verordnung hat allgemeine Geltung. Sie ist in allen ihren Teilen verbindlich und gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat."

II.1.2) Sekundärrecht

Erwägungsgründe 1 und 8 der VO 88372004 lauten:

"(1) Die Vorschriften zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit sind Teil des freien Personenverkehrs und sollten zur Verbesserung des Lebensstandards und der Arbeitsbedingungen beitragen.

(8) Der allgemeine Grundsatz der Gleichbehandlung ist für Arbeitnehmer, die nicht im Beschäftigungsmitgliedstaat wohnen, einschließlich Grenzgängern, von besonderer Bedeutung."

Art 1 ("Definitionen") VO 883/2004 sieht vor:

"Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

z) "Familienleistungen" alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I."

Artikel 4 VO 883/2004 regelt die Gleichbehandlung von Personen und lautet:

"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates."

Artikel 7 VO 883/2004 trägt die Überschrift "Aufhebung der Wohnortklauseln" und lautet:

"Sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, dürfen Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten oder nach dieser Verordnung zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, dass der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

Die Vorgängerbestimmung zu Art 7 VO 883/2004 war Art 10 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung (im Folgenden VO 1408/71), der - soweit gegenständlich von Interesse - gleichsam die Überschrift "Aufhebung der Wohnortklauseln" trug und auszugsweise lautete:

"(1) Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. …"

Artikel 11 VO 883/2004 enthält die "Allgemeine Regelung" und lautet:

"(1) Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(3) Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a) eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats; …"

Art 67 VO 883/2004 normiert eine Fiktion für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, und lautet auszugsweise:

"Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. …"

Die Vorgängerbestimmung zum aktuellen Art 67 VO 883/2004 war Artikel 73 VO 1408/71, der gleichsam eine Fiktion für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, vorsah und in der für die Rs Pinna I geltenden Fassung auszugsweise lautete:

"(1) Ein Arbeitnehmer, der den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats als Frankreich unterliegt, hat für seine Familienangehörigen, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob die Familienangehörigen in diesem Staat wohnten."

(2) Ein Arbeitnehmer, für den die französischen Rechtsvorschriften gelten, hat für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als Frankreich wohnen, Anspruch auf Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet diese Familienangehörige wohnen; …"

Art 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 sieht Prioritätsregeln bei Zusammentreffen von Ansprüchen vor und lautet:

"(1) Sind für denselben Zeitraum und für dieselben Familienangehörigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten zu gewähren, so gelten folgende Prioritätsregeln:

a) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus unterschiedlichen Gründen zu gewähren, so gilt folgende Rangfolge: an erster Stelle stehen die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelösten Ansprüche, darauf folgen die durch den Bezug einer Rente ausgelösten Ansprüche und schließlich die durch den Wohnort ausgelösten Ansprüche.

b) Sind Leistungen von mehreren Mitgliedstaaten aus denselben Gründen zu gewähren, so richtet sich die Rangfolge nach den folgenden subsidiären Kriterien:

i) bei Ansprüchen, die durch eine Beschäftigung oder eine selbstständige Erwerbstätigkeit ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass dort eine solche Tätigkeit ausgeübt wird, und subsidiär gegebenenfalls die nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zu gewährende höchste Leistung. Im letztgenannten Fall werden die Kosten für die Leistungen nach in der Durchführungsverordnung festgelegten Kriterien aufgeteilt;

ii) bei Ansprüchen, die durch den Bezug einer Rente ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder, unter der Voraussetzung, dass nach diesen Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, und subsidiär gegebenenfalls die längste Dauer der nach den widerstreitenden Rechtsvorschriften zurückgelegten Versicherungs- oder Wohnzeiten;

iii) bei Ansprüchen, die durch den Wohnort ausgelöst werden: der Wohnort der Kinder.

(2) Bei Zusammentreffen von Ansprüchen werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die nach Absatz 1 Vorrang haben. Ansprüche auf Familienleistungen nach anderen widerstreitenden Rechtsvorschriften werden bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt; erforderlichenfalls ist ein Unterschiedsbetrag in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags der Leistungen zu gewähren. Ein derartiger Unterschiedsbetrag muss jedoch nicht für Kinder gewährt werden, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, wenn der entsprechende Leistungsanspruch ausschließlich durch den Wohnort ausgelöst wird."

Die Vorgängerbestimmungen zu Art 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 waren Art 76 VO 1408/71 und Art 10 VO 574/72.

Art 76 VO 1408/71 in der konsolidieren Fassung vom trug die Überschrift "Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen oder -beihilfen gemäß Artikel 73 oder 74 und bei Ausübung einer beruflichen Tätigkeit in dem Land, in dem die Familienangehörigen wohnen" und lautete:

"(1) Sind für ein und denselben Zeitraum für ein und denselben Familienangehörigen in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, Familienleistungen aufgrund der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vorgesehen, so ruht der Anspruch auf die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gegebenenfalls gemäß Artikel 73 bzw. 74 geschuldeten Familienleistungen bis zu dem in den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats vorgesehenen Betrag.

(2) Wird in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet die Familienangehörigen wohnen, kein Antrag auf Leistungsgewährung gestellt, so kann der zuständige Träger des anderen Mitgliedstaates Absatz 1 anwenden, als ob Leistungen in dem ersten Mitgliedstaat gewährt würden."

Art 10 VO 574/72 trug die Überschrift "Vorschriften für das Zusammentreffen von Ansprüchen auf Familienleistungen oder -beihilfen für Arbeitnehmer und Selbständige" und lautete auszugsweise:

"(1) a) Der Anspruch auf Familienleistungen oder -beihilfen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldet werden, nach denen der Erwerb des Anspruchs auf diese Leistungen oder Beihilfen nicht von einer Versicherung, Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit abhängig ist, ruht, wenn während desselben Zeitraums für dasselbe Familienmitglied Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73, 74, 77 oder 78 der Verordnung geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen

b) Wird jedoch

i) in dem Fall, in dem Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 73 oder 74 der Verordnung geschuldet werden, von der Person, die Anspruch auf die Familienleistungen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind, in dem unter Buchstabe a) erstgenannten Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt, so ruht der Anspruch auf die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats oder nach den genannten Artikeln geschuldeten Familienleistungen, und zwar bis zur Höhe der Familienleistungen, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats vorgesehen sind, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist. Leistungen, die der Mitgliedstaat zahlt, in dessen Gebiet das Familienmitglied wohnhaft ist, gehen zu Lasten dieses Staates;

ii) in dem Fall, in dem Leistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats oder nach Artikel 77 oder 78 der Verordnung geschuldet werden, von der Person, die Anspruch auf diese Leistungen hat, oder von der Person, an die sie zu zahlen sind, in dem unter Buchstabe a) erstgenannten Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt, so ruht der Anspruch auf diese Familienleistungen oder -beihilfen, die allein aufgrund der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaats oder nach diesen Artikeln geschuldet werden; in diesem Fall hat der Betreffende Anspruch auf die Familienleistungen oder -beihilfen des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet die Kinder wohnen, zu Lasten dieses Mitgliedstaats sowie gegebenenfalls auf nicht unter die Familienbeihilfen nach Artikel 77 oder 78 der Verordnung fallende Leistungen zu Lasten des nach diesen Artikeln zuständigen Staates.

(2) Hat ein den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegender Arbeitnehmer Anspruch auf Familienleistungen aufgrund früher nach griechischem Recht zurückgelegter Versicherungs- oder Beschäftigungszeiten, so ruht dieser Anspruch, wenn während ein und desselben Zeitraums für ein und denselben Familienangehörigen Familienleistungen aufgrund der Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats gemäß den Artikeln 73 und 74 der Verordnung geschuldet werden, bis zur Höhe dieser geschuldeten Leistungen. …"

Artikel 40 der Verordnung (EWG) Nr 3 des Rates vom über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (ABl 1958, S. 561, in der Folge: VO 3/58) lautete:

"Hat ein im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats beschäftigter Arbeitnehmer oder ihm Gleichgestellter Kinder, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen oder erzogen werden, so hat er für diese Kinder Anspruch auf Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, und zwar bis zur Höhe der Beihilfen, die nach den Rechtsvorschriften des zweiten Staates gewährt werden."

II.2) Österreichisches Recht

Bundes-Verfassungsgesetz(B-VG)

Art 10 Abs 1 Z 17 B-VG in der von bis geltenden Fassung BGBl 8/1955 lautet:

"(1) Bundessache ist die Gesetzgebung und die Vollziehung in …:

"Bevölkerungspolitik, soweit sie die Gewährung von Kinderbeihilfen und die Schaffung eines Lastenausgleiches im Interesse der Familie zum Gegenstand hat."

Artikel 133 B-VG lautet auszugsweise:

"(1) Der Verwaltungsgerichtshof erkennt über

  1. Revisionen gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit;

(4) Gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Hat das Erkenntnis nur eine geringe Geldstrafe zum Gegenstand, kann durch Bundesgesetz vorgesehen werden, dass die Revision unzulässig ist.

(6) Gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes kann wegen Rechtswidrigkeit Revision erheben:

1. wer durch das Erkenntnis in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet;

2. die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht;

3. der zuständige Bundesminister in den im Art. 132 Abs. 1 Z 2 genannten Rechtssachen.

(9) Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind die für ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Artikels sinngemäß anzuwenden. Inwieweit gegen Beschlüsse der Verwaltungsgerichte Revision erhoben werden kann, bestimmt das die Organisation und das Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes regelnde besondere Bundesgesetz."

Gemäß Artikel 140 Abs 1 Ziffer 1 lit a B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof erkennt ua über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag eines Gerichtes.

In Absatz 3 leg.cit. ist die Reichweite der Kompetenz des Verfassungsgerichtshofs zur Aufhebung von Gesetzes wie folgt bestimmt:

"(3) Der Verfassungsgerichtshof darf ein Gesetz nur insoweit als verfassungswidrig aufheben, als seine Aufhebung ausdrücklich beantragt wurde oder als der Verfassungsgerichtshof das Gesetz in der bei ihm anhängigen Rechtssache anzuwenden hätte. Gelangt der Verfassungsgerichtshof jedoch zu der Auffassung, dass das ganze Gesetz von einem nach der Kompetenzverteilung nicht berufenen Gesetzgebungsorgan erlassen oder in verfassungswidriger Weise kundgemacht wurde, so hat er das ganze Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben. Dies gilt nicht, wenn die Aufhebung des ganzen Gesetzes offensichtlich den rechtlichen Interessen der Partei zuwiderläuft, die einen Antrag gemäß Abs. 1 Z 1 lit. c oder d gestellt hat oder deren Rechtssache Anlass für die amtswegige Einleitung des Gesetzesprüfungsverfahrens gegeben hat."

Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 - VwGG

§ 21 VwGG lautet auszugsweise:

"(1) Parteien im Verfahren über eine Revision gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines Verwaltungsgerichtes wegen Rechtswidrigkeit gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 bzw. Abs. 9 B-VG (Revision) sind

  1. der Revisionswerber;

  2. die belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht, wenn gegen dessen Erkenntnis oder Beschluss nicht von ihr selbst Revision erhoben wird;

  3. in den Fällen des § 22 zweiter Satz auch der zuständige Bundesminister oder die Landesregierung;

  4. die Personen, die durch eine Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses oder Beschlusses oder einer Entscheidung in der Sache selbst in ihren rechtlichen Interessen berührt werden (Mitbeteiligte).

(2) Auch wenn in der Revision Mitbeteiligte nicht bezeichnet sind, ist von Amts wegen darauf Bedacht zu nehmen, dass alle Mitbeteiligten gehört werden und Gelegenheit zur Wahrung ihrer Rechte erhalten. …"

§ 25a VwGG lautet auszugweise:

"(1) Das Verwaltungsgericht hat im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

(2) Eine Revision ist nicht zulässig gegen:

1. Beschlüsse gemäß § 30a Abs. 1, 3, 8 und 9;

...

(3) Gegen verfahrensleitende Beschlüsse ist eine abgesonderte Revision nicht zulässig. Sie können erst in der Revision gegen das die Rechtssache erledigende Erkenntnis angefochten werden.

(5) Die Revision ist beim Verwaltungsgericht einzubringen."

§ 28 VwGG lautet auszugweise:

"…

(3) Hat das Verwaltungsgericht im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, hat die Revision auch gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird (außerordentliche Revision).

(5) Auf die Beschlüsse der Verwaltungsgerichte sind die für ihre Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden."

§ 30a Abs 7 VwGH ordnet an:

"(7) Hat das Verwaltungsgericht in seinem Erkenntnis oder Beschluss ausgesprochen, dass die Revision nicht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist, sind die Abs. 1 bis 6 nicht anzuwenden. Das Verwaltungsgericht hat den anderen Parteien sowie im Fall des § 29 dem zuständigen Bundesminister bzw. der Landesregierung eine Ausfertigung der außerordentlichen Revision samt Beilagen zuzustellen und dem Verwaltungsgerichtshof die außerordentliche Revision samt Beilagen unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorzulegen."

Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG)

§ 9 NAG trägt die Überschrift "Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts" und lautet auszugsweise:

"(1) Zur Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate werden auf Antrag ausgestellt:

  1. eine "Anmeldebescheinigung" (§ 53) für EWR-Bürger, die sich länger als drei Monate in Österreich aufhalten, und

  2. eine "Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR-Bürgers" (§ 54) für Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind. …"

§ 53 NAG trägt die Überschrift "Anmeldebescheinigung" und lautet auszugsweise:

"(1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.

(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:

1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;

…"

§ 51 NAG trägt die Überschrift "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" und lautet auszugsweise:

"(1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

…"

Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG

Der erste Satz des § 19 Abs 1 ASVG und dessen Abs 5, 6 ASVG lauten:

"(1) Personen, die von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 2 oder Teilversicherung nach § 7 Z 4 ausgenommen und auch sonst weder in der Krankenversicherung noch in der Pensionsversicherung nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz pflichtversichert sind, können sich, solange sie ihren Wohnsitz im Inland haben, auf Antrag in der Kranken- und Pensionsversicherung selbstversichern.

(5) Die nach Abs. 1 Selbstversicherten sind dem Zweig der Pensionsversicherung zugehörig […]

(6) Bezüglich der Gewährung von Leistungen sowohl nach diesem Bundesgesetz als auch nach dem Mutterschutzgesetz 1979 hat die Selbstversicherung in der Krankenversicherung die gleichen Rechtswirkungen wie eine Pflichtversicherung. Dies gilt auch hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung."

Bundesabgabenordnung

§ 26 Abs 3 BAO bestimmt:

"(3) In einem Dienstverhältnis zu einer Körperschaft des öffentlichen Rechtes stehende österreichische Staatsbürger, die ihren Dienstort im Ausland haben (Auslandsbeamte), werden wie Personen behandelt, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt am Ort der die Dienstbezüge anweisenden Stelle haben. Das gleiche gilt für deren Ehegatten, sofern die Eheleute in dauernder Haushaltsgemeinschaft leben, und für deren minderjährige Kinder, die zu ihrem Haushalt gehören."

§ 212a BAO lautet auszugsweise:

"(1) Die Einhebung einer Abgabe, deren Höhe unmittelbar oder mittelbar von der Erledigung einer Bescheidbeschwerde abhängt, ist auf Antrag des Abgabepflichtigen von der Abgabenbehörde insoweit auszusetzen, als eine Nachforderung unmittelbar oder mittelbar auf einen Bescheid, der von einem Anbringen abweicht, oder auf einen Bescheid, dem kein Anbringen zugrunde liegt, zurückzuführen ist, höchstens jedoch im Ausmaß der sich bei einer dem Begehren des Abgabepflichtigen Rechnung tragenden Beschwerdeerledigung ergebenden Herabsetzung der Abgabenschuld. Dies gilt sinngemäß, wenn mit einer Bescheidbeschwerde die Inanspruchnahme für eine Abgabe angefochten wird.

(3) Anträge auf Aussetzung der Einhebung können bis zur Entscheidung über die Bescheidbeschwerde (Abs. 1) gestellt werden. …

(5) Die Wirkung einer Aussetzung der Einhebung besteht in einem Zahlungsaufschub. Dieser endet mit Ablauf der Aussetzung oder ihrem Widerruf (§ 294). …

…"

§ 254 BAO ordnet an:

"Durch Einbringung einer Bescheidbeschwerde wird die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides nicht gehemmt, insbesondere die Einhebung und zwangsweise Einbringung einer Abgabe nicht aufgehalten."

Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG):

Gemäß § 2 Abs 1 FLAG haben Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder jene Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

Gemäß § 2 Abs 3 lit a und c FLAG zählen zu den Kindern die Nachkommen einer Person und deren Stiefkinder.

Gemäß § 3 Abs 1 FLAG haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 87/2012, rechtmäßig in Österreich aufhalten.

§ 4 FLAG lautet auszugsweise:

"(1) Personen, die Anspruch auf eine gleichartige ausländische Beihilfe haben, haben keinen Anspruch auf Familienbeihilfe.

(2) Österreichische Staatsbürger, die gemäß Abs. 1 oder gemäß § 5 Abs. 5 vom Anspruch auf die Familienbeihilfe ausgeschlossen sind, erhalten eine Ausgleichszahlung, wenn die Höhe der gleichartigen ausländischen Beihilfe, auf die sie oder eine andere Person (§ 5 Abs. 5) Anspruch haben, geringer ist als die Familienbeihilfe, die ihnen nach diesem Bundesgesetz ansonsten zu gewähren wäre.

(3) Die Ausgleichszahlung wird in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen der gleichartigen ausländischen Beihilfe und der Familienbeihilfe, die nach diesem Bundesgesetz zu gewähren wäre, geleistet.

(4) Die Ausgleichszahlung ist jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres, wenn aber der Anspruch auf die gleichartige ausländische Beihilfe früher erlischt, nach Erlöschen dieses Anspruches über Antrag zu gewähren.

(6) Die Ausgleichszahlung gilt als Familienbeihilfe im Sinne dieses Bundesgesetzes; die Bestimmungen über die Höhe der Familienbeihilfe finden jedoch auf die Ausgleichszahlung keine Anwendung.

…"

§ 8 FLAG regelt die Höhe der Familienbeihilfe und sieht in seinen Absätzen 1 bis 3 eine Kinderstaffel und eine Altersstaffel vor. Die Familienbeihilfenbeträge werden aufgrund einer Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes in regelmäßigen Abständen valorisiert. § 8 FLAG lautet:

"(1) Der einer Person zustehende Betrag an Familienbeihilfe bestimmt sich nach der Anzahl und dem Alter der Kinder, für die ihr Familienbeihilfe gewährt wird.

(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich

(Anm.: Z 1 mit Ablauf des außer Kraft getreten)

(Anm.: Z 2 mit Ablauf des außer Kraft getreten)

3. ab

a) 114 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats der Geburt,

b) 121,9 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 3. Lebensjahr vollendet,

c) 141,5 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 10. Lebensjahr vollendet,

d) 165,1 € für jedes Kind ab Beginn des Kalendermonats, in dem es das 19. Lebensjahr vollendet.

(3) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind

(Anm.: Z 1 mit Ablauf des außer Kraft getreten)

(Anm.: Z 2 mit Ablauf des außer Kraft getreten)

3. ab , wenn sie

a) für zwei Kinder gewährt wird, um 7,1 €,

b) für drei Kinder gewährt wird, um 17,4 €,

c) für vier Kinder gewährt wird, um 26,5 €,

d) für fünf Kinder gewährt wird, um 32 €,

e) für sechs Kinder gewährt wird, um 35,7 €,

f) für sieben und mehr Kinder gewährt wird, um 52 €.

Der die Indexierung regelnde § 8a FLAG wurde mit Bundesgesetz vom , mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, BGBl I 83/2018, neu geschaffen, ist einen Tag nach seiner Kundmachung, dem , in Kraft getreten und seit in Geltung (in der Folge: § 8a FLAG neue Fassung - nF). Er lautet:

"(1) Die Beträge an Familienbeihilfe (§ 8) für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, sind auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen.

(2) Die Beträge an Familienbeihilfe nach Abs. 1 gelten erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte nach Abs. 1. Die Beträge sind in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.

(3) Die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend oder der Bundesminister für Frauen, Familien und Jugend hat gemeinsam mit der Bundesministerin für Finanzen oder dem Bundesminister für Finanzen die Berechnungsgrundlagen und die Beträge nach Abs. 1 und 2 sowie die Beträge nach § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 mit Verordnung kundzumachen."

Die in § 8a Abs 3 FLAG erwähnte Verordnung wurde im Bundesgesetzblatt am , BGBl II Nr 318/2018, verlautbart, ist seit in Kraft und seit anzuwenden. Die Verordnung wird diesem Beschluss beigelegt und gilt als integrierender Bestandteil desselben.

Mit demselben Bundesgesetz wurde § 33 Abs 3 Einkommensteuergesetz 1988 (in der Folge: EStG), der den Kinderabsetzbetrag regelt und der gemeinsam mit der Familienbeihilfe auszuzahlen ist, wie folgt ergänzt:

"(3) Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. ,Abweichend davon gilt:

1. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu.

2. Für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, ist die Höhe des Kinderabsetzbetrages auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:

a) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.

b) Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist gemäß § 8a Abs. 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 kundzumachen."

§ 12 Abs 1 FLAG lautet:

"(1) Das Finanzamt Österreich hat bei Entstehen oder Wegfall eines Anspruches auf Familienbeihilfe eine Mitteilung auszustellen. Eine Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe ist auch über begründetes Ersuchen der die Familienbeihilfe beziehenden Person auszustellen.

…"

§ 53 Abs 1 FLAG in seiner Stammfassung BGBl I 142/2000, in Kraft seit und seither in Geltung, lautet:

"(1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."

§ 53 Abs 4 und 5 FLAG wurden mit Bundesgesetz vom , mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, BGBl I 83/2018, neu geschaffen, ist einen Tag nach seiner Kundmachung, dem , in Kraft getreten und seit in Geltung (in der Folge: § 53 Abs 4, 5 FLAG nF). Sie lauten:

"(4) Abs 1 zweiter Satz findet in Bezug auf § 8a Abs. 1 bis 3 keine Anwendung.

(5) § 26 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, findet in Bezug auf Leistungen nach diesem Bundesgesetz bis Anwendung. Ab ist für Leistungen nach diesem Bundesgesetz § 26 Abs. 3 BAO nur für Personen mit Dienstort im Ausland, die im Auftrag einer Gebietskörperschaft tätig werden, sowie für deren Ehegatten und Kinder anwendbar."

Einkommensteuergesetz 1988 (EStG):

§ 33 Abs 3 EStG in der ab geltenden Fassung des Bundesgesetzes vom , mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, BGBl I 83/2018, (in der Folge: § 33 Abs 3 Z 2 EStG nF) ordnet an:

"Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, steht im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Abweichend davon gilt:

  1. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu.

  2. Für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, ist die Höhe des Kinderabsetzbetrages auf Basis der vom Statistischen Amt der Europäischen Union veröffentlichten vergleichenden Preisniveaus für jeden einzelnen Mitgliedstaat der EU, jede Vertragspartei des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Schweiz im Verhältnis zu Österreich zu bestimmen:

  3. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist erstmals ab auf Basis der zum Stichtag zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist in der Folge jedes zweite Jahr auf Basis der zum Stichtag 1. Juni des Vorjahres zuletzt veröffentlichten Werte anzupassen.

  4. Die Höhe der Kinderabsetzbeträge ist gemäß § 8a Abs. 3 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 kundzumachen."

Mit dem Bundesgesetz BGBl I 83/2018 wurde der Gesetzestext ab einschließlich "Abweichend davon gilt", jedoch mit Ausnahme von Ziffer 1 angefügt. Bereits mit Bundesgesetz vom , BGBl 818/1993 (Steuerreformgesetzes 1993), wurde die Wortfolge "Für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu" in den damals ungegliederten Gesetzestext eingefügt. Diese Gesetzesänderung entspringt der Position Österreichs, die Familienbeihilfe (mit Ausnahme von Israel) nicht in Drittländer zu exportieren. Seine bis heute aktuelle Fassung erhielt Ziffer 1 leg.cit. mit Bundesgesetz vom , BGBl I 112/2012 (Abgabenänderungsgesetz 2012). Nunmehr wurde der Text als Ziffer 1 des Absatz 3 gegliedert. Nachfolgende Änderungen des § 33 EStG haben dessen Absatz 3 nicht berührt.

Gehaltsgesetz 1956 (GehG)

§ 21b Abs 1 GehG lautet:

"Dem Beamten gebührt, solange für seinen ausländischen Dienstort ein Hundertsatz nach Abs. 2 festgesetzt ist, eine Kaufkraftausgleichszulage im Ausmaß dieses Hundertsatzes seines Monatsbezuges, seiner Sonderzahlung und seiner Auslandsverwendungszulage.

(2) Die Bundesministerin oder der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres hat im Einvernehmen mit der Bundesministerin oder dem Bundesminister für öffentlichen Dienst und Sport für Dienstorte im Ausland, an denen die Kaufkraft des Euro geringer ist als in Wien, durch Verordnung monatliche Hundertsätze für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen festzusetzen. Der kundgemachte Hundertsatz gilt jeweils für den in der Verordnung festgesetzten Monat.

(3) Zum Zwecke der Festsetzung der monatlichen Hundertsätze nach Abs. 2 sind die Ergebnisse von wirtschaftswissenschaftlichen Kaufkrafterhebungs- und Kaufkraftberechnungsverfahren heranzuziehen, die auf möglichst zeitnahen Wirtschaftsdaten beruhen. Können für einzelne Dienstorte Kaufkrafterhebungen und Kaufkraftberechnungen auf Grund außerordentlicher Ereignisse im Aufenthaltsland nicht oder nur unter Aufbietung unverhältnismäßig hoher Mittel durchgeführt werden, sind für diese Dienstorte mit Bedacht auf die Gegebenheiten des jeweiligen Landes Hundertsätze näherungsweise festzusetzen."

Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 10/2019, für den Monat Januar 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 7…"

Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 40/2019, für den Monat Februar 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 8…"

Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 64/2019, für den Monat März 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 8…"

Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 87/2019, für den Monat April 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 7…"

Verordnung der Bundesministerin für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 116/2019, für den Monat Mai 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 8…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 157/2019, für den Monat Juni 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 8…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 205/2019, für den Monat Juli 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 8…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 243/2019, für den Monat August 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 9…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 274/2019, für den Monat September 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 8…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 302/2019, für den Monat Oktober 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 7…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 326/2019, für den Monat November 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 9…"

Verordnung des Bundesministers für Europa, Integration und Äußeres vom 9.12.201über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 391/2019, für den Monat Dezember 2019 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 9…"

Verordnung des Bundesministers für europäische und internationale Angelegenheiten vom über die Festsetzung von Hundertsätzen für die Bemessung von Kaufkraftausgleichszulagen für im Ausland verwendete Beamte und Vertragsbedienstete des Bundes, StF: BGBl. II Nr. 78/2020, für den Monat März 2020 lautet auszugsweise:

"Auf Grund des § 21b Abs. 2 und 3 des Gehaltsgesetzes 1956 (GehG), BGBl. Nr. 54, … wird verordnet:

…. Prag 10…"

Sämtliche Verordnungen betreffend Kaufkraftausgleichszulagen werden als OZ 24 vorgelegt

II.3) Tschechisches Recht:

Tschechische Familienleistung (Quelle: https://www.missoc.org/missoc-information/missoc-vergleichende-tabellen-datenbank/missoc-vergleichstabellen-datenbank-ergebnisse-anzeigen/?lang=de)

Kindergeld (Přídavek na dítě) ist eine einkommensabhängige Pauschalleistung, die vom Alter des Kindes abhängig ist. Der Anspruch auf Kindergeld beschränkt sich auf Familien, deren Einkommen niedriger als das 2,4fache des Mindestbedarfs (Životní minimum) ist. Der Betrag des Životní minimum ist auf der Seite von missoc/Familienleistungen nicht angeführt. Das Kindergeld beträgt:

•500 CZK (€20)/Monat pro Kind unter 6 Jahren,

•610 CZK (€24)/Monat pro Kind zwischen 6 und 15 Jahren,

•700 CZK (€27)/Monat pro Kind zwischen 15 und 26 Jahren.)

III Sachverhalt

Aufgrund des vorgelegten Verwaltungsaktes ist folgender Sachverhalt festzustellen:

Die Beschwerdeführerin (Bf), ihr Ehemann, ihr Stiefsohn und die beiden gemeinsamen Kinder Töchter besitzen die tschechische Staatsbürgerschaft. Die Bf und ihre Familie wohnen in Tschechien nahe der Staatsgrenze. Die Bf war in Österreich im Zeitraum von Juli 2017 bis Februar 2020 geringfügig bei verschiedenen österreichischen Arbeitgebern beschäftigt und gemäß § 19a ASVG selbstversichert. Am ist die geringfügige Beschäftigung weggefallen. Der monatliche Bruttolohn betrug zwischen 750,00 und 780,00 Euro.

Die Arbeitgeber haben ihren Sitz in Österreich und die Beschäftigung wurde im Hoheitsgebiet Österreichs ausgeübt. Weder die Bf noch ihr Ehemann ist im Wohnortstaat anspruchsberechtigt für die dortige korrespondierende Familienleistung, weil das Familieneinkommen die gesetzlich vorgesehene Verdienstgrenze (Einkommenskriterium) überschreitet. Ob bereits das Einkommen des Ehemannes für sich allein die Verdienstgrenze übersteigt, geht aus den Unterlagen nicht hervor.

Bis wurde der Bf die österreichische Familienbeihilfe nach § 8 Abs 1 bis 3 FLAG ungekürzt für die beiden älteren Kinder in Form der Ausgleichszahlung nach § 4 FLAG ausgezahlt. Darüber hat die Bf die Mitteilungen vom (OZ 7) und vom (OZ 8) erhalten. Mit wurde die Anpassung der österreichischen Familienbeihilfe an die Kaufpreisverhältnisse am Wohnortstaat eingeführt. Über die durch die Indexierung verminderten Beträge ist keine gesonderte Mitteilung ergangen. Die Bf bemerkte die Reduktion allein anhand der ausgezahlten Beträge.

Die Bf verfügte über ein Konto in Österreich, auf das die österreichische Familienbeihilfe in Euro überwiesen wurde.

Mit Schriftsatz vom stellte sie den Antrag (OZ 2), die Familienbeihilfe ab in nicht indexierter Höhe zuzuerkennen und begehrte die Differenzbeträge nachzuzahlen sowie die Ausstellung eines Bescheides. Sie drückt darin ihre Vermutung aus, dass die reduzierten Beihilfenbeträge durch die propagierte Indexierung verursacht seien. Den Antrag wies die belangte Behörde unter Hinweis auf die neue Rechtslage mit Bescheid vom (OZ 3) als unbegründet ab, wogegen die Bf mit Schriftsatz vom form- und fristgerecht Bescheidbeschwerde (OZ 4) erhob. Ab Jänner 2020 kam das dritte Kind hinzu, worüber die Mitteilung vom (OZ 9) ausgestellt wurde, zu der jedoch kein Antrag auf Bescheid gestellt wurde und somit kein Rechtsmittelverfahren eingeleitet wurde. Mit Beschwerdevorentscheidung vom (OZ 5) wies die belangte Behörde das Rechtsmittel aus den bekannten Gründen als unbegründet ab, wogegen die Bf mit Schriftsatz vom Vorlageantrag (OZ 6) erhob, in dem sie die Anrufung des Europäischen Gerichtshofes im Wege der Vorabentscheidung anregte. Mit Vorlagebericht vom (OZ 1) wurde die Bescheidbeschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt, das im Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Vorlage Zuständigkeit erlangt hat.

Aufgrund der Selbstversicherung nach § 19a ASVG erhielt die Bf in der Mutterschutzzeit vom bis Wochengeld. Mit Wirkung April 2020 wurde die Zahlung der Familienbeihilfe wegen Entfalls der Beschäftigung in Österreich eingestellt.

Im Streitzeitraum schwankte die vom zuständigen Bundesminister / von der zuständigen Bundesministerin per Verordnung für Prag festgesetzte Kaufkraftausgleichszulage zwischen 7 und 10. Das heißt, dass die Kaufkraftverhältnisse in Prag über jenen Österreichs lagen, also Prag teurer als Wien angesehen wurde, was die Bemessung der Kaufkraftausgleichszulage iHv 7% rechtfertigte.

  1. Mit diesen Bewertungen stand Prag auf derselben Stufe wie zB folgende europäische Städte:

Dublin, Frankfurt, London, Riga

  1. Geringer - und damit billiger - als Prag wurden zB folgende europäische Städte eingestuft:

Berlin, Bonn, Frankfurt, Hamburg, München, Stuttgart, Luxemburg, Lyon, Strassburg, Dublin, Barcelona, Madrid, Padua, London.

Beweiswürdigung:

Der Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei und glaubhaft aus dem vorgelegten Verwaltungsakt sowie der mit E-Mail vom 3. und vom (OZ 23, Seiten 90-92) erteilten Auskunft und dem ergänzend vorgelegten Scheiben der ÖGK vom 5.3.202 (OZ 23, Seite 93). Der Sachverhalt ist zwischen den Parteien unstrittig. Die ergänzenden Feststellungen hinsichtlich der Höhe der Kaufkraftausgleichszulage für ins Ausland entsendete Beamte und Vertragsbedienstete der Republik Österreich (OZ 24, Seite 95-120) haben Relevanz für das kohärente Verhalten Österreichs und ergaben sich unmittelbar aus den Verordnungen des zuständigen Bundesministers. Städte ohne Bewertung wurden außer Acht gelassen (zB Stockholm). Als Gleichstand in den Bewertungen wurde nur dieselbe Bewertung im konkreten Monat betrachtet.

IV Streitgegenstand und Rechtstandpunkte der Parteien

Streitzeitraum ist entgegen dem Vorlagebericht, der das Ende des Streitzeitraumes mit September 2019 bezeichnet (OZ 1), der Zeitraum Jänner 2019 bis März 2020. Der März 2020 ist jener Zeitpunkt, zu dem durch den Entfall der Beschäftigung eine Änderung der Sachlage eingetreten ist, bis zu dem der als Dauerbescheid anzusehende Bescheid vom , der im Spruch lediglich den Beginn der Abweisung mit aufweist, weitergalt (vgl , argumento "jedenfalls aber bis zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides"). Das drittgeborene Kind ist nicht in das gegenständliche Beschwerdeverfahren eingeflossen und bildet nicht den Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens. Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens sind ausschließlich die beiden erstgeborenen Kinder.

Belangte Behörde:

Die belangte Behörde ist aufgrund des Legalitätsprinzips im Innenverhältnis an das Gesetz gebunden sowie im Weisungsweg dem zuständigen Bundesminister / der dem zuständigen Bundesministerin zu folgen verpflichtet. Von rechtlichem Interesse sind das einfache Bundesgesetz und die Verordnung, von denen der angefochtene Bescheid abgeleitet ist, also die hinter dem Bescheid stehenden generellen Rechtsnormen. Als Rechtsstandpunkt der belangten Behörde werden daher die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (in der Folge: EBRV oder Regierungsvorlage) und das zugrundeliegende Gutachten des Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal "zur Neugestaltung der Familienbeihilfe für Kinder, die im EU-Ausland leben" (in der Folge: Gutachten) herangezogen. Die erläuternden Bemerkungen sind auf drei verschiedene Dokumente aufgeteilt. Sämtliche Urkunden werden in Papierform dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt und bilden einen integrierenden Bestandteil dieses Ersuchens. Für die Öffentlichkeit erfolgt eine Verlinkung mit diesen Schriftstücken.

Link zum Gutachten (OZ 12):

https://www.oif.ac.at/fileadmin/user_upload/p_oif/andere_Publikationen/Rechtsgutachten_Neugestaltung_Familienbeihilfe_Kinder_EU-Ausland.pdf

Link zur Regierungsvorlage, Gesetzestext (OZ 13):

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/I/I_00111/fname_692207.pdf

Link zur Regierungsvorlage, Allgemeiner Teil (OZ 14):

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/I/I_00111/fname_692212.pdf

Link zur Regierungsvorlage, Vorblatt, Ziele: (OZ 15)

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/I/I_00111/fname_692209.pdf

Beschwerdeführerin:

Die vorgenommene Kürzung sei rechtswidrig und verstoße in eklatanter Weise gegen geltendes EU-Recht. Eine Indexierung von Familienleistungen sei im EU-Recht nicht vorgesehen, wozu auf folgende Unionsrechtsgrundlagen verwiesen werde: Art 45, 48 AEUV, VO 883/2004, insbesondere deren Artikel 4 und 67, VO 492/2011 sowie 41/84, Rs Pinna I, Verbot von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit - Generalklausel in Art 12 EGV [Art 18 AEUV], die aussagten, dass alle EU-Bürger in gleicher Weise zu behandeln seien.

Weiters wird auf Fachmeinungen in Österreich verwiesen, die die Einführung der Indexierung im Alleingang eines Mitgliedstaates als unvereinbar mit dem Unionsrecht ansehen:

  1. Univ.-Pro.f Dr. Franz Leidenmühler, Österreichische Gesellschaft für Europapolitik, Brief 05'2018 (OZ 10);

  2. Stellungnahme der Volksanwaltschaft vom , VA-6100/0002-V/1/2018, gerichtet an die damals zuständige Bundesministerin für Frauen, Familie und Jugend (OZ 11).

Kritisiert wird weiters, dass nur ein Gutachten herangezogen wurde, das überdies die Tatsache vernachlässige, dass für eine Indexierung der Familienleistung zuerst die VO 883/2004 zu ändern sei, wozu eine Mehrheit der noch verbliebenen EU-Staaten erforderlich wäre. Eine derartige Abstimmung im EU-Parlament diesbezüglich sei derzeit weder geplant noch absehbar. Entsprechende Mehrheiten wären kaum zu erreichen. Das EU-Parlament habe sich gegen eine Indexierung ausgesprochen. Die Europäische Kommission bereite gerade ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich vor und die zuständige EU-Sozialkommissarin Marianne Thyssen habe sich wiederholt kritisch zur von Österreich geplanten Einführung der Indexierung der Familienbeihilfe geäußert.

Es gelte daher Folgendes festzustellen: Durch die Indexierung würde die Bf gegenüber Inländern diskriminiert und nur deshalb, weil ihre Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen würden. Sie entrichte die Abgaben in gleicher Höhe wie ein Inländer.

Nach geltendem Unionsrecht hätten mobile Arbeiter denselben Anspruch auf Familienleistungen wie lokale Arbeitnehmer, "unabhängig vom Wohnort der betroffenen Kinder". Für dieselben gezahlten Beiträge in einem Arbeitskontext hätten dieselben Leistungen anzufallen und zu gelten. Im Fall einer Abweisung ihrer Beschwerde, werde sie den Weg einer Staatshaftungsklage beschreiten sowie eine Rückforderung des erlittenen Verlustes nebst Zinsen erwirken."

Mit dem Vorlageantrag wird kein darüber hinausgehendes Beschwerdevorbringen erstattet.

Die in der Beschwerde angesprochenen Schriftstücke werden dem EuGH in Papierform vorgelegt und für die Öffentlichkeit verlinkt.

  1. Link zum Fachartikel von Univ-Prof Franz Leidenmühler, ÖGfE Policy Brief 05'2018 (OZ 10):

https://oegfe.at/2018/03/indexierung-der-familienbeihilfe-mit-geltendem-eu-recht-nicht-vereinbar/

  1. Link zur Stellungnahme der Volksanwaltschaft vom (OZ 11):

https://volksanwaltschaft.gv.at/downloads/64oj3/Stellungnahme%20der%20VA%20zum%20Entwurf%20eines%20Bundesgesetzes%20betreffend%20das%20Familienlastenausgleichsgesetz%201967.pdf

Sämtliche verlinkten Dokumente sind integrierender Bestandteil dieses Beschlusses. Sollten die verlinkten Seiten in Zukunft wegfallen, wird das Bundesfinanzgericht die verlinkten Dokumente als Beilagen zum Beschluss in die Finanzdokumentation (findok) aufnehmen.

V Geltungsbereich der Verordnung eröffnet

Die Bf, ihr Tochter und ihr Stiefsohn erfüllen als Staatsangehörige eines Mitgliedstaates den persönlichen Geltungsbereich gemäß Art 2. Die Töchter als Kinder und der Stiefsohn als Stiefkind erfüllen den Familienangehörigenbegriff nach Art 1 Buchstabe i) Ziffer 1 Sublit i) iVm § 2 Abs 3 lit a und c FLAG. Bei der beantragten Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages handelt sich um Familienleistungen iSd Art 3 Abs 1 Buchstabe j), sodass der sachliche Geltungsbereich erfüllt wird. Mit der in Österreich ausgeübten Tätigkeit für einen österreichischen Arbeitgeber durch eine Staatsbürgerin des Mitgliedstaates Tschechien liegt schließlich ein zwischenstaatlicher Sachverhalt vor. Der Ausgangsfall eröffnet in persönlicher, sachlicher und räumlicher Hinsicht den Geltungsbereich der VO 883/2004. Die Ausgangssituation fällt unter Art 11 Abs 3 Buchstabe a) der VO 883/2004. Die belangte Behörde ist zuständiger Träger iSd Art 11 Abs 3 Buchstabe a) iVm Art 67 VO 883/2004 und da Tschechien, wo die Familie wohnt, kein Beschäftigungsstaat kraft originären Rechts ist, ändert Art 68 Abs 1 der Verordnung an der vorrangigen Zuständigkeit Österreichs nichts.

Eine Bescheinigung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz liegt dem vorgelegten Verwaltungsakt nicht ein. Bei Fehlen einer solchen Bescheinigung ist die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach § 3 Abs 1 FLAG im Beihilfeverfahren als Vorfrage zu lösen (vgl Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 53 Rz 80f mwN). Im Hinblick auf die Eigenschaft der Bf als aktive Arbeitnehmerin im Aufnahmemitgliedstaat sieht das BFG für den Streitzeitraum die kumulativen Merkmale des § 51 Abs 1 Z 1 NAG und damit des § 3 Abs 1 FLAG als erfüllt an.

VI Rechtliche Beurteilung durch BFG:

Allgemeine Ausführungen zur österreichischen Rechtslage:

1 Die Ausübung einer Beschäftigung oder der Bezug einer Rente ist in der Regel (Ausnahme im Vorlagefall EuGH C-372/20) ein nicht zu erfüllendes Tatbestandsmerkmal für die österreichische Familienbeihilfe. Im Familienbeihilfenrecht ist Österreich kraft originären Rechts demnach grundsätzlich ein typischer Wohnortstaat iSd Unionsrecht. Nur iVm dem Unionsrecht kann Österreich den Status eines Beschäftigungsstaates erlangen (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 53 Rz 311f).

2 Nach § 4 Abs 1 Ziffer 1 ASVG ist für die Erfassung eines Arbeitnehmers im System der gesetzlichen Pflichtversicherung zur Sozialversicherung (Österreichische Gesundheitskasse - ÖGK) das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses ausreichend; die Erfüllung eines Wohnsitzerfordernisses durch den Arbeitnehmer in Österreich ist für Zwecke des Sozialversicherungsrechts kein Anknüpfungsmerkmal. Das Einkommen der Bf liegt unter der Einkommensteuerpflicht. Der Lohn der Bf gehört zur Bemessungsgrundlage für die Festsetzung des Dienstgeberbeitrages bei den jeweiligen Arbeitgebern nach § 41 FLAG.

3 Bei der Familienbeihilfe und dem Kinderabsetzbetrag handelt es sich um eine Familienleistung iSd Art 3 Abs 1 Buchst j) VO 883/2004, die als Geldleistung zu erbringen ist. Als Geldleistung zu erbringende Familienleistungen unterfallen dem Art 7 VO 883/2004 und sind "exportierbar". Im Verhältnis zu Drittstaaten hat Österreich seit dem Jahr 1996, in dem das Abkommen Österreich-Türkei einseitig von Österreich gekündigt wurde, erreicht, dass die Familienbeihilfe - mit der einzigen Ausnahme zum Staat Israel (Artikel 1 Absatz 1 Ziffer 10 des ABKOMMENS ZWISCHEN DER REPUBLIK ÖSTERREICH UND DEM STAAT ISRAEL ÜBER SOZIALE SICHERHEIT, BGBl 6/1975 idF BGBl III 30/2002, in Kraft seit ) - nicht mehr Gegenstand der bilateralen Abkommen ist. Österreich verfolgt daher das Ziel, die Familienbeihilfe nicht in Drittstaaten zu exportieren (s OZ 13, Seite 4, vorletzter Absatz).

Ad Fragen 1 bis 5:

I Tatbestandsmäßigkeit der Indexierung

4 Die VO 883/2004 ist eine Verordnung iSd Art 288 Abs 2 AEUV und gilt folglich unmittelbar in der Rechtsordnung sämtlicher Mitgliedstaaten, was sich auch ihrer Schlussklausel entnehmen lässt. Art 4 VO 883/2004 ordnet die Gleichstellung von Personen, die diesen Verordnungen unterfallen, mit Inländern an (Gebot der Inländergleichstellung). Personen, für die diese Verordnung gilt, haben, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Art 7 VO 883/2004 ordnet die Aufhebung von Wohnortklauseln an. Beide Bestimmungen sind primärrechtlich in Art 45 AEUV, der Arbeitnehmerfreizügigkeit verankert, der in seinem Absatz 2 für die angesprochene Personengruppe - unmittelbare und mittelbare - Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet. Auch die Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt unmittelbar in der Rechtsordnung der Mitgliedstaaten und ist aufgrund ihres self-executing-Charakters anwendbar.

5 Art 7 VO 883/2004 setzt Art 48 Abs 1 Buchst b) AEUV auf sekundärrechtlicher Stufe um. Gemäß seinem Wortlaut hebt Art 7 Grundverordnung Wohnortklauseln auf. Leg.cit. enthält keine Legaldefinition des unbestimmten Gesetzesbegriffes "Wohnortklausel". Auch der EuGH hat diesen Begriff nicht definiert, sondern in seinen Entscheidungen stets die Umschreibung des Art 7 VO 883/2004 verwendet, sodass eine Wortinterpretation iVm den von Art 45 AEUV verfolgten Zielen ausreichend erscheint. In diesem Sinn ist eine Wohnortklausel gem Art 7 VO 883/2004 eine Norm in den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates oder im Sekundärrecht, wonach die von diesem Mitgliedstaat geschuldete Geldleistung nur deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden darf, weil der Berechtigte oder seine Familienangehörigen in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt bzw. wohnen, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat. Das Gebot der Aufhebung von Wohnortklauseln der Wanderarbeitnehmer-Verordnung ist Ausfluss des in der Arbeitnehmerfreizügigkeit verankerten Diskriminierungsverbots bzw des in Art 4 VO 883/2004 angeordneten Gebots in der Inländergleichstellung.

6 Art 73 Abs 2 VO 1408/71 räumte Frankreich im Sekundärrecht als einzigem Mitgliedstaat die Ausnahme ein, wonach "[e]in Arbeitnehmer, für den die französischen Rechtsvorschriften gelten, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als Frankreich wohnen, Anspruch auf Familienbeihilfen nach den Rechtsvorschriften des Staates [habe], in dessen Gebiet diese Familienangehörigen wohnen; […] hatte." Die Rechtsvorschriften des anderen Mitgliedstaates Italien, wo sich die Familie Pinna längere Zeit aufhielt, sahen geringere Leistungen vor.

7 Das , Rs Pinna I, ist nach Ansicht des Vorlagegerichts zu einer im Sekundärrecht angesiedelten Wohnortklausel ergangen. Art 73 Abs 2 VO 1408/71 war eine typische Wohnortklausel, indem sie Herrn Pinna nur deshalb Familienleistungen in geringerer Höhe gewährte, weil er und seine Kinder sich in Italien aufhielten und die italienischen Rechtsvorschriften geringere Leistungen vorsahen. Der EuGH hat mit dem Urteil Pinna I Art 73 Abs 2 VO 1408/71 als widersprüchlich zum Primärrecht beurteilt und für ungültig erklärt. Seit der Rs Pinna I ist somit entschieden, dass Wohnortklauseln auch für Familienleistungen aufgehoben sind, die von Art 10 VO 1408/71 in der damals gültigen Fassung, der die Aufhebung von Wohnortklauseln regelte, nicht umfasst waren. Art 10 VO 1408/71 galt nur für die dort taxativ aufgezählten Geldleistungen, unter denen die Familienleistungen nicht aufgelistet waren

8 Die Bindung an Kaufkraftverhältnisse im Wohnortstaat, die dazu führen, dass für bestimmte Mitgliedstaaten die österreichische Familienbeihilfe gekürzt (abgewertet, reduziert) wird, erfüllt die Merkmale einer Wohnortklausel iSd Art 7 VO 883/2004. Die Bewertung des Warenkorbs, der die von Kindern iVm dem Regelbedarf benötigten Sachen enthält, nach den Kaufpreisverhältnissen am Wohnort, wie sie in der Verordnung (OZ 17) niedergelegt ist, ist bei dieser Sichtweise eine typische und verbotene (argumento "dürfen nicht") Wohnortklausel, soweit eine Abwertung (argumento "gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt) erfolgt. Auf die aufwertende Indexierung ist gesondert einzugehen.

9 Nach den Überlegungen der EBRV folgt aus der Differenzierung von "Betrag" und "Wert", dass die Abwertung nicht als Kürzung etc anzusehen ist, denn die Exportpflicht der österreichischen Familienbeihilfe an sich, die sich aus Art 7 VO 883/2004 ergibt, wird in den EBRV nicht in Frage gestellt (OZ 14, Seite 4, 2. Absatz). In Verbindung mit dem primärrechtlichen Diskriminierungsverbot und dem von diesem sekundärrechtlich abgeleiteten Gebot der Inländergleichstellung muss es nach Ansicht des Vorlagegerichts als unerheblich angesehen werden, aus welchen Gründen die Kürzung, Änderung, Einziehung der der Wohnortklausel unterfallenden Geldleistung etc erfolgt. Als mit dem Unionsrecht unvereinbar wird nach Ansicht des BFG vielmehr jede Kürzung angesehen. Die Verhältnisse am Wohnort einschließlich des dort niedrigeren Preisniveaus können bei dieser Betrachtung die Reduktion der Familienleistung nicht rechtfertigen.

10 Nach Ansicht des Vorlagegerichts kollidieren §§ 8a FLAG nF, 33 Abs 3 Z 2 EStG nF offen mit Art 4, 7 VO 883/2004, womit die Frage nach der Gültigkeit eines Sekundärrechtsaktes indiziert wird. Mit der Rs Foto-Frost hat der EuGH sein Verwerfungsmonopol für Sekundärrechtsakte begründet ( 314/85, Rs Foto-Frost, Rn 15ff;). Art 7 VO 883/2004 ist daher solange gültig und von den Mitgliedstaaten einschließlich Österreich anzuwenden, als er nicht vom EuGH - gänzlich oder teilweise - für ungültig erklärt wurde, so wie es in der Rs Pinna I bezüglich Art 73 Abs 2 VO 1408/71 der Fall war.

11 Da in der Rs Pinna eine im Sekundärrecht angesiedelte Wohnortklausel vom EuGH für ungültig erklärt wurde, weil er diese als mit dem Primärrecht nicht im Einklang stehend angesehen hat, ist bei gegebener Unionsrechtslage, zu der auch die Rechtsprechung des EuGH gehört, davon auszugehen, dass eine in der VO 883/2004 angesiedelte Indexierung wiederum gegen Primärrecht verstieße.

12 Der Grundsatz der Exportierbarkeit von Geldleistungen nach Art 7 VO 883/2004 gilt gemäß seinem Wortlaut "[s]ofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist". Demnach hätte eine Ausnahme von diesem Grundsatz zwingend in der Verordnung selbst zu erfolgen und müsste nach Ansicht des Vorlagegerichts im Lichte der Rs Pinna I weiters mit den Grundsätzen des Primärrechts übereinstimmen. Einschränkungen vom Grundsatz der Exportierbarkeit von Geldleistungen nach Art 7 VO 883/2004 sieht die neue Koordinierung in den Art 63 (Leistungen bei Arbeitslosigkeit) und Art 70 Abs 3 vor (besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, vgl , Rs Brey vs PVA, Rn 50), nicht jedoch zu den in Kapitel 8 geregelten Familienleistungen vor. Der Umstand, dass der für die Familienleistungen einschlägige Sekundärrechtsakt die Aufhebung von Wohnortklauseln für Familienleistungen nicht vorsieht, erhöht die Zweifel des Vorlagegerichts an der Unionsrechtskonformität der von Österreich eingeführten Indexierung.

13 Mit der Indexierung hat Österreich nach Ansicht des Vorlagegerichts eine nationale Rechtslage geschaffen, die einerseits in offener Normenkonkurrenz mit den Art 4 und 7 VO 883/2004 steht, und damit die Gültigkeit der angesprochenen Bestimmungen der Grundverordnung in Frage gestellt, und die andererseits - wie aus der Rs Pinna I hervorgeht - gegen die in Art 45 Abs 2 AEUV vorgeschriebene Gleichbehandlung der Arbeitnehmer und somit gegen unmittelbar geltendes Primärrecht verstößt. Aus den zuvor angeführten Überlegungen hält das Vorlagegericht die Art 4 und 7 VO 883/2004 nach wie vor für gültig.

Ad Frage 2:

14 Bereits mit Urteil vom , 106/77, Rs Simmenthal II, hat der EuGH zu Recht erkannt, dass "nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts die Vertragsbestimmungen und die unmittelbar geltenden Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane in ihrem Verhältnis zum internen Recht der Mitgliedstaaten nicht nur zur Folge [haben], daß allein durch ihr Inkrafttreten jede entgegenstehende Bestimmung des geltenden staatlichen Rechts ohne weiteres unanwendbar wird, sondern auch - da diese Bestimmungen und Rechtsakte vorrangiger Bestandteil der im Gebiet eines jeden Mitgliedstaats bestehenden Rechtsordnung sind -, daß ein wirksames Zustandekommen neuer staatlicher Gesetzgebungsakte insoweit verhindert wird, als diese mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären."(Rn 17/18) Im Geltungsbereich unmittelbar anwendbarer Bestimmungen des Unionsrechts sind mitgliedstaatliche Rechtsvorschriften, die dem Unionsrecht entgegenstehen, unanwendbar, gleich ob sie früher oder später ergangen sind als dieses (Leidenmühler, Europarecht, Studienbuch, Stand , Pedell, S 34, Hervorhebung durch Autor). Mit den "unmittelbar geltenden Rechtsakte[n] der Gemeinschaftsorgane" sind insbesondere die Verordnungen nach Art 288 Abs 2 AEUV wie die VO 883/2004 angesprochen.

15 Das Vorlagegericht fragt sich daher, ob im Lichte der Rs Simmenthal II bereits die Wortfolge "Aufhebung von Wohnortklauseln" in der Überschrift des Art 7 VO 883/2004 so zu deuten ist, dass sie das wirksame Zustandekommen von § 8a FLAG nF und § 33 Abs 3 Z 2 EStG nF verhindert hat. Damit käme dem Begriff "Aufhebung" eine wesentlich weiterreichende Bedeutung zu, als das bisher allgemein verstanden wurde, weil nämlich bereits in Art 7 VO 883/2004 die Rechtsfolge, wie sie der EuGH in der Rs Simmenthal II zum Ausdruck gebracht hat, festgeschrieben wäre: die nationalen Normen der Indexierung wären ex tunc infolge Aufhebung nicht rechtswirksam zustande gekommen und hätte keine Normativität erlangt. Die in der Rs Simmenthal II ausgesprochene Rechtswirkung der Verhinderung eines wirksamen Zustandekommens neuer staatlicher Gesetzgebungsakte, die mit Gemeinschaftsnormen unvereinbar wären, bestärkt die Annahme, dass die Indexierung der Familienbeihilfe für das BFG als unabhängigem Verwaltungsgericht nicht bindend ist.

Ad Frage 3:

16 Soweit mit der Indexierung eine Aufwertung der Familienbeihilfe erfolgt, erinnert die Indexierung hingegen an eine überschießende Richtlinienumsetzung, der das Unionsrecht nach Befürchtung des anfragenden Gerichts nicht entgegenstehen dürfte. Die aufwertende Besserstellung ist vom insoweit klaren und eindeutigen Wortlaut des Art 7 VO 883/2004 nicht umfasst, bezweckt diese Norm doch gerade die Schlechterstellung von Wanderarbeitnehmern und Grenzgängern in der Union im Vergleich zu Inländern, die einen Inlandssachverhalt verwirklichen, zu verhindern. Die VO 883/2004 reicht nur soweit als ihr Geltungsbereich reicht. Angesprochen ist der sachliche Geltungsbereich des Art 3 der Verordnung, der den in Art 7 VO 883/2004 normierten Grundsatz der Aufhebung von Wohnortklauseln umfasst. Die Aufwertung der österreichischen Familienbeihilfe auf einen höheren Wert bedeutet jedoch eine Besserungstellung für Angehörige bestimmter Mitgliedstaaten, die sich dagegen wohl kaum wehren werden, womit es in diesen Fällen an einer Beschwer mangelt. Da nun Österreich über den Geltungsbereich der Grundverordnung hinaus die Indexierung der Familienbeihilfe eingeführt hat, ist fraglich, ob die aufwertende Indexierung der Familienbeihilfe überhaupt in das Unionsrecht und damit in die Zuständigkeit des EuGH fällt.

17 Kommt der EuGH tatsächlich zu dem Ergebnis, dass die österreichische Rechtslage, mit der die Indexierung der Familienbeihilfe eingeführt wurde, gegen gültiges Sekundärrecht verstößt, so träfe im Anschluss an dieses Urteil den österreichischen Gesetzgeber eine Rechtsbereinigungspflicht. Fällt jedoch die begünstigende Aufwertung der österreichischen Familienbeihilfe nicht in die Zuständigkeit des EuGH, so verlangt auch das Unionsrecht keine Rechtsbereinigungspflicht. Damit droht die Gefahr, dass zwar die - den Einsparungseffekt bringende - reduzierende Familienbeihilfe aufgrund übergeordneten Unionsrechts zu beseitigen sein wird, jedoch die - vom Gesetzgeber billigend in Kauf genommene und den Einsparungseffekt mindernde - Aufwertung der Familienbeihilfe bestehen bleiben könnte.

18 Da für die aufwertende Indexierung der Familienbeihilfe die Zuständigkeit des EuGH fraglich und aus diesem Grund die Rechtsbereinigungspflicht Österreichs im Unionsrecht nicht gedeckt sein könnte, wird Frage 3 sicherheitshalber ausdrücklich vorgetragen, die inhaltlich die Umkehrung von Frage 2 ist, weil sich ohne Deckung im Unionsrecht aus diesem die Pflicht Österreichs zur Beseitigung der aufwertenden Indexierung nicht ableiten ließe. Die Beseitigung der vermindernden Indexierung stellt die Beseitigung einer Rechtsverletzung dar, hat diese doch die Schlechterstellung der Angehörigen bestimmter Mitgliedstaaten zu Folge. Das BFG geht davon aus, dass die Rechtsbereinigung bezüglich der reduzierenden Indexierung lediglich klarstellende, deklaratorische Wirkung und folglich ex tunc-Wirkung hat. Völlig konträr stellt sich die Situation bezüglich der aufwertenden Indexierung dar, die eine Besserstellung der Angehörigen anderer, bestimmter Mitgliedstaaten bewirkt. In diesen Fällen erscheint der rückwirkende Entfall der Indexierung bedenklich, weil in diesen Fällen eine zusätzliche Berechtigung eingetreten ist, auf die die Normadressaten vertraut haben, sodass zu klären sein wird, ob sie Vertrauensschutz genießen.

19 Die Aufwertung des Familienbeihilfen-Referenzwertes könnte überdies mit der Leistung des Unterschiedsbetrags nach Art 68 Abs 2 VO 883/2004 kollidieren, der das Ziel verfolgt, die höchste Familienleistung zu garantieren, und auf einer konsequenten Jurisdiktion des EuGH mit langer Tradition beruht (zB 733/79, Rs Laterza; , GP gegen Bundesagentur für Arbeit - Familienkasse Baden-Württemberg West, Rn 34; 242/83, Rs Patteri, Rn 8 bis 10). Sowohl Art 48 AEUV als auch die VO 883/2004 sehen nur eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich vor.

20 Obige Ausführungen werfen die Frage nach der Rechtsnatur der mit einfachem Bundesgesetz eingeführten Indexierung der Familienbeihilfe auf. Bei den angesprochenen § 8a FLAG nF und § 33 Abs 3 Z 2 EStG nF liegt nach der Rechtsanschauung des Vorlagegerichts nur in formaler Hinsicht nationales Recht vor. Jene Personen, die von der Indexierung der Familienbeihilfe, die seit in einer Rechtsvorschrift Österreichs als einem Mitgliedstaat gilt, betroffenen werden, sind jene Personen, die mangels Gebietsansässigkeit nicht dem FLAG unterfielen. Jene Personen, die von der Indexierung der Familienbeihilfe betroffenen werden, sind ausschließlich Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Union, die dem FLAG nur deshalb unterfallen, weil das Unionsrecht solches anordnet. In materieller Hinsicht liegt demgemäß Unionsrecht (oder anderes Völkerrecht zwischen Mitgliedstaaten) vor. Die Verordnung führt explizit sämtliche betroffene Mitgliedstaaten der Union, des EWR und die Schweiz an. Dass auch Inländer mit Wohnort in einem anderen Mitgliedstaat der Union von der Negativindexierung betroffen sein können, vermag an dieser rechtlichen Beurteilung nichts zu ändern, wird doch das Wohnsitzerfordernis im Inland von Inländern leichter erfüllt als von EU-Ausländern, sodass ein klassischer Fall einer mittelbaren Diskriminierung vorliegt (nochmals EuGH Rs Pinna Rn 23).

21 Damit versucht ein einfaches Bundesgesetz eines Mitgliedstaates, das im Innenverhältnis vom nationalen Gesetzgeber erlassen wurde, konsensuales Unionsrecht abzuändern. Das Unionsrecht ist Teil der Völkerrechtsordnung und Völkerrecht ist zwischenstaatliches, öffentliches Vertragsrecht und wirkt zwischen den Völkerrechtssubjekten. Als Vertragsrecht ist es konsensuales Recht. Es kann folglich ausschließlich durch einen weiteren Konsens, also mit Zustimmung des anderen Vertragspartners, geändert werden. Die Konsensbedürftigkeit ist auch im Unionsrecht erkennbar; die Änderung der VO 883/2004 hätte im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art 289, 294 AEUV zu erfolgen, das Prozedere zur Änderung des Primärrechts regelt Art 48 EUV. Der Nationalrat ist nicht berufen, Österreich im Außenverhältnis rechtswirksam zu vertreten. Die Berechtigung, die Republik Österreich im Außenverhältnis rechtswirksam zu vertreten, kommt dem Bundespräsidenten, dem Bundeskanzler und dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten zu.

22 Das BFG beabsichtigt daher, für die aufwertende Indexierung vorsichtshalber auch die Befassung des Verfassungsgerichtshofs mit der Frage, ob die Verfassungsbestimmung Art 10 Abs 1 Z 17 B-VG, die die - österreichische - Bevölkerungspolitik zum Gegenstand hat, eine einfachgesetzliche Bestimmung zu tragen vermag, deren Normadressaten Angehörige anderer Mitgliedstaaten der Union mit Wohnort in diesen Mitgliedstaaten sind. Das Vorlagegericht hegt Zweifel, dass die normative Strahlkraft der österreichischen Bundesverfassung über die Staatsgrenzen Österreichs hinausreicht.

Fragen 4 und 5, die das Gutachten betreffen

23 Die Herangehensweise des Gutachtens an die Problemstellung, ob eine Bindung der Familienbeihilfe an die niedrigeren Preisverhältnisse im Wohnort gegen Unionsrecht verstößt, wirft die Frage auf, wie Art 7 und 67 VO 883/2004 voneinander abzugrenzen sind. Der Verwaltungsgerichtshof ordnet in ständiger Rechtsprechung den "Wohnortklauseln iSd der VO 883/2004" die §§ 2 Abs 1 und 8, 5 Abs 3 FLAG zu, die zufolge dessen Anwendungsvorrangs insoweit keine Anwendung fänden (, ). Gutachten und EBRV betrachten jedoch Art 67 Grundverordnung als im fraglichen Kontext die zentrale Norm des Unionsrechts, die die Indexierung tragen würde. Unter den Rz 4 bis 8 dieses Beschlusses wurde vertreten, dass die (reduzierende) Indexierung nach §§ 8a FLAG nF, 33 Abs 3 Z 2 EStG nF als Wohnortklausel dem Verbot des Art 7 VO 883/2004 unterfällt. Die Rechtsansichten sind daher äußerst uneinheitlich und die dogmatische Einordnung der Indexierung der Familienbeihilfe fraglich.

24 Das Gutachten und die Regierungsvorlage sehen die Fiktion des Art 67 883/2004 "als ob die Familienangehörigen i[m zuständigen] Mitgliedstaat wohnen würden" als tragend für die Indexierung an, indem sie diese Norm dahingehend auslegen, dass damit wertmäßige Verhältnisse im zuständigen Mitgliedstaat gemeint seien, weshalb die Differenzierung von "Betrag" und "Wert" unionsrechtlich nicht nur zulässig, sondern vielmehr geboten sei.

25 In der österreichischen Literatur wird die Indexierung der Familienbeihilfe den Art 4, 7 und 67 VO 883/2004 gleichermaßen subsumiert. Allein Gebhart hat eine Abgrenzung von Art 7 und 67 der Verordnung versucht und die Indexierung als Wohnortklausel iSd Art 7 beurteilt und die von EU-Ausländern auf der Sachebene nicht zu erfüllenden Tatbestandsmerkmale mit Inlandsbezug wie §§ 2 Abs 1 und 8, 5 Abs 3 FLAG (allesamt Erfordernisse der Gebietsansässigkeit) dem Art 67 VO 883/2004 zugeordnet (Gebhart in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 53 Rz 99, 282).

26 Nach der Rechtsauffassung des Vorlagegerichts hat Art 67 VO 883/2004 eine gänzlich andere Stoßrichtung als von Gutachten und EBRV vermutet. Durch die Fiktion des Art 67 VO 883/2004, der weiters durch Art 60 VO 987/2009 ergänzt wird (vgl , Trapkowski), wird einerseits gewährleistet, dass mittelbare Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit, die insbesondere durch Anknüpfung an Erfordernisse der Gebietsansässigkeit wie Wohnsitz, Aufenthalt, Mittelpunkt der Lebensinteressen, wie sie in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorgesehen sind, vermieden werden (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG, 2. Aufl. 2020, § 53 Rz 91f, 292ff, Schlagwort "Sachverhaltsimport"). Indem gedanklich die gesamte familiäre Situation ins Inland transferiert wird, wird das Diskriminierungsverbot beachtet, indem durch die Fiktion mittelbare Diskriminierungen vermieden werden, weil Erfordernisse der Gebietsansässigkeit automatisch entfallen. Die Fiktion des Art 67 VO 883/2004 verfolgt das Ziel, dass die Erfüllung von Tatbestandsmerkmalen in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, die Inländer zu erfüllen haben, bei der konkreten Falllösung vom einem EU-Ausländers nicht verlangt wird. Nichtdiskriminierende Bestimmungen des mitgliedstaatlichen Rechts sind auch auf EU-Ausländer anzuwenden, zB Studienerfolg von volljährigen Kindern gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG. Art 67 VO 883/2004 ist ein typischer Fall für den relativen Anwendungsvorrang von Unionsrecht, denn leg.cit. lässt die Bestimmung in der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung bestehen.

27 Art 60 Durchführungsverordnung, wodurch die Fiktion des Art 67 Grundverordnung auf "die Situation der gesamten Familie", die "in einer Weise zu berücksichtigen [ist], als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen" ausgedehnt wird, geht auf die Rechtsprechung des EuGH zurück und erleichtert insbesondere die Falllösung in Scheidungsfällen (Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 53 Rz 284-286).

28 Andererseits ist Art 67 VO 883/2004 - wie bereits die Vorgängerbestimmungen der alten Koordinierung Art 73 und 76 Abs 1 VO 1408/71 - gemeinsam mit den Prioritätsregeln und der Antikumulierungsregel des Art 68 Abs 1 und 2 VO 883/2004 (, Eugen Bogatu Rn 24) zu lesen. Die Prioritätsregeln sichern dem Antragsteller den höchstmöglichen Betrag an Familienleistungen, ohne den Grundsatz der Antikumulierung zu verletzten. "[Es] ist klarzustellen, dass Artikel 73 [67 der neuen Koordinierung] zwar eine allgemeine, aber keine absolute Regel darstellt. Dem Anspruch, der den Klägerinnen … aus den Artikeln 13 und 73 der Verordnung Nr. 1408/71 [Artikel 11 und 67 der neuen Koordinierung] erwächst, sind die "Antikumulierungs"-Regeln der Verordnungen Nrn. 1408/71 und 574/72 [das waren Art 76 VO 1408/9171 und Art 10 VO 574/72 und ist der Art 68 Abs 1 VO 883/2004] gegenüberzustellen, wenn eine Kumulierung … eintreten kann." (, Rs Dodl und Oberhollenzer, Rn 49). Die recht komplizierten Antikumulierungsvorschriften der alten Verordnung wurden mit der in Art 68 Abs 1 der neuen Koordinierung ausdrücklich getroffenen Typisierung und Hierarchisierung der Mitgliedstaaten wesentlich vereinfacht. Art 68 Abs 2 VO 883/2004 verpflichtet den vorrangig zuständigen Mitgliedstaat zur vollen Leistung und den nachrangig zuständigen Mitgliedstaat zur Leistung eines allfälligen Unterschiedsbetrages, der im Anwendungsbereich der alten Verordnung aufgrund der Rechtsfortbildung des EuGH bereits zustand ( 733/79, Rs Laterza mwN zu den wohl erworbenen Rechten). Soweit der vorrangig zuständige Mitgliedstaat zu leisten hat, ist der nachrangig zuständige Mitgliedstaat zur Aussetzung seiner Familienleistungen verpflichtet.

29 Nach all dem erscheint die im Gutachten erfolgte isolierte Betrachtung von Art 67 VO 883/2004 problematisch. Das Gutachten spricht auf Seite 5, Fazit, von "Wortlaut, Sinn und Zweck von Artikel 67 der VO 883/2004", hat diesen jedoch an keiner Stelle ausgehend vom Unionsrecht und unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH hergeleitet. Die Ausführung "Wird die Familienbeihilfe nicht entsprechend der Kaufkraft indexiert, erfolgt die Unterhaltsentlastung entgegen dem Wortlaut, Sinn und Zweck von Artikel 67 der VO 883/2004 in Form der Beteiligung an den Kosten des Regelbedarfs nicht in einer Weise, "als ob das Kind seinen Wohnort in Österreich hat" geht am oben dargelegten Zweck der Unionsrechtsnorm vorbei und berücksichtigt nicht die Erwägungsgründe 1 und 8 der Grundverordnung.

30 Nach Ansicht des Vorlagegerichts könnte der Grund, weshalb im Gutachten iZm der Indexierung Art 67 anstelle des Art 7 VO 883/2004 in den Vordergrund gerückt wurde, darin liegen, dass die vom EuGH in der Rs Pinna I mangels Vereinbarkeit mit den Zielen des Primärrechts als ungültig erklärte Wohnortklausel des Art 73 Abs 2 VO 1408/71 (s Rz 11 des Beschlusses) die Vorgängerbestimmung des Art 67 der neuen Koordinierung war ( 41/84, Rs Pietro Pinna, Rn 16, 25, 30). In der Rs Pinna I war demnach die mit Familienleistungen Frankreichs im Zusammenhang stehende Wohnortklausel im Sekundärrecht selbst eingerichtet.

31 Die "Aufhebung von Wohnortklauseln" war in der alten Verordnung in Art 10 Abs 1 VO 1408/71, nunmehr Art 7 VO 883/2004 geregelt, listete jedoch nur bestimmte Geldleistungen taxativ auf, unter denen die Familienleistungen nicht erfasst waren. Jedoch ist der Rs Pinna I (Rn 9) zu entnehmen, dass bereits damals Bestrebungen bestanden, die "Gewährung der Familienleistungen des Beschäftigungslandes unabhängig vom Wohnort der Familienangehörigen" zu regeln. Klarheit hat Art 7 VO 883/2004 geschafft, der nur noch von "Geldleistungen" spricht und damit sämtliche in Geldleistungen zu erbringenden Leistungen der sozialen Sicherheit einschließlich der in Geld zu erbringenden Familienleistungen erfasst, sofern nicht die Verordnung selbst eine Ausnahme vorsieht.

32 Da der EuGH in der Rs Pinna I (Rn 23) den "Gleichbehandlungsgrundsatz, der nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle verschleierten Formen der Diskriminierung verbietet", bereits gegen eine im Sekundärrecht angesiedelten Wohnortklausel ins Treffen geführt und die Wohnortklausel Art 73 Abs 2 VO 1408/71 für ungültig erklärt hat, muss im Größenschluss a maiore ad minus umso mehr eine in einer mitgliedstaatlichen Rechtsvorschrift vorgesehene Wohnortklausel als unionsrechtswidrig angesehen werden. Angesichts der ständigen Rechtsprechung des EuGH, wonach "alle verschleierten Formen der Diskriminierung [verboten sind]", erscheint die im Gutachten und in den EBRV getroffene Schlussfolgerung der Differenzierung von Betrag und Wert nicht zulässig.

33 Aufgrund des zuvor Gesagten kommt das Vorlagegericht abweichend vom Gutachten und von den EBRV zu dem Ergebnis, dass Art 7 und 67 VO 883/2004 das Ziel der Vermeidung einer mittelbaren Diskriminierung allein aufgrund des Umstandes, dass der Betreffende und / oder die Familienangehörigen in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnen, verfolgen, was sie verbindet, jedoch unterschiedliche Rechtserzeugungsprozesse ansprechen, was sie unterscheidet. Art 7 ist an die Legislative gerichtet, damit der mitgliedstaatliche Erzeuger generell-abstrakter Normen (in der Regel das Parlament) keine Wohnortklauseln im Gesetzesrang beschließt, wohingegen Art 67 an den zuständigen Träger als Teil der Exekutive gerichtet ist, damit dieser im konkreten Anwendungsfall bei Erzeugung der individuell-konkreten Norm (in der Regel ein Bescheid, in Österreich im Fall der Gewährung eine Mitteilung) nicht die Erfüllung diskriminierender Tatbestandsmerkmale iZm der Gebietsansässigkeit verlangt. Damit garantieren Art 7 und 67 VO 883/2004 den Anwendungsvorrang des Unionsrechts und verdrängen entgegenstehendes mitgliedstaatliches Recht, was sie ebenfalls verbindet, jedoch mit unterschiedlichen Rechtstechniken, nämlich im Fall des Art 7 mit Aufhebung und im Fall des Art 67 durch Fiktion. Die Anordnung der Aufhebung in Art 7 hat zur Folge, dass widersprüchliches mitgliedstaatliches Recht nicht nachträglich geschaffen werden kann, die Fiktion hat den Normalfall zur Folge, nämlich lediglich die Verdrängung der mitgliedstaatlichen Norm im konkreten Anwendungsfall.

34 Aus diesen Überlegungen folgte weiters, dass eine Wohnortklausel (wie die Indexierung), die bereits durch Art 7 VO 883/2004 aufgehoben wird, nicht mehr Gegenstand von Art 67 VO 883/2004 sein könnte.

35 Anknüpfend an das Urteil EuGH Rs Pinna I ist davon auszugehen, dass selbst eine im Sekundärrecht verankerte Wohnortklausel vom Europäischen Gerichtshof wohl nicht als mit dem Primärrecht vereinbar angesehen würde. "Die Verwirklichung des mit den Artikeln 48 bis 51 EWG-Vertrag [Artikeln 45 bis 48 AEUV] angestrebten Ziels der Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft wird freilich erleichtert, wenn die Arbeitsbedingungen, wozu auch die Bestimmungen über die soziale Sicherheit gehören, in den verschiedenen Mitgliedstaaten soweit wie möglich übereinstimmen. Diesem Ziel wird entgegengearbeitet, seine Erreichung erschwert, wenn das Gemeinschaftsrecht vermeidbare Unterschiede zwischen den jeweiligen Bestimmungen der sozialen Sicherheit schafft. Daraus folgt, daß das aufgrund des Artikels 51 EWG-Vertrag [Artikels48 AEUV]erlassene Sozialrecht der Gemeinschaft keine Unterschiede einführen darf, die zu denen hinzutreten, die sich bereits aus der mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften ergeben." (EuGH Rs Pinna I, Rn 21, Hervorhebung durch Vorlagegericht).

36 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die von Österreich eingeführte Indexierung der Familienbeihilfe mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar gegen Primärrecht verstoßen dürfte und folglich nicht mit den Zielen der Verträge in Einklang steht, jedenfalls aber gegen Art 4, 7 VO 883/2004 verstößt. Die Indexierung der Familienleistungen ist daher kein legitimes Ziel. Es ist weiters davon auszugehen, dass die begünstigende Indexierung der Familienbeihilfe aus der Sicht des Unionsrechts als überschießend anzusehen sein könnte, sodass fraglich ist, wie diese aus dem nationalen Rechtsbestand unter Beachtung des Vertrauensschutzes beseitigt werden kann (angemessene Dauer eines Übergangszeitraums).

II Rechtfertigung

37 Eine Rechtfertigung erübrigt sich bereits mangels eines legitimen Zieles. Jedoch führten die EBRV zwei Rechtfertigungsgründe ins Treffen, und zwar

1. die Vermeidung von Verzerrungen bei undifferenziertem Export der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages in andere Mitgliedstaaten der Union, des EWR und der Schweiz und

2. die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 18. und , ABl. Nr. C 2016/69 I, [in der Folge: Schlussfolgerungen], wo die Möglichkeit einer Indexierung im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit konkret festgelegt worden war. Wörtlich heißt es in den EBRV: "Ausgehend davon, dass dieser Maßnahme sowohl Kommission als auch alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, kann angenommen werden, dass auf dieser hochrangigen Ebene von einer sachlichen Rechtfertigung einer solchen Regelung ausgegangen wurde und auch kein Widerspruch zu den Grundverträgen vorliegt." (Hervorhebung durch BFG)

38 Voranzustellen ist, dass als Rechtsfertigungsgründe sowohl geschriebene als auch ungeschriebene Rechtsfertigungsgründe in Betracht kommen. Geschriebene Rechtsfertigungsgründe sind in Art 45 Abs 3 AEUV mit der öffentlichen Ordnung, (öffentlichen) Sicherheit und (öffentlichen) Gesundheit ausdrücklich genannt, die hier offenkundig nicht einschlägig sind. Daneben hat der EuGH im Wege der Rechtsfortbildung auch mit den zwingenden Erfordernissen des Allgemeininteresses ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt. Dazu zählen beispielsweise: "Verbraucherschutz, Umweltschutz, Schutz der Sozialordnung, Bekämpfung der Spielsucht" (Leidenmühler, aaO, 162). Bemerkt wird, dass rein wirtschaftliche Überlegungen vom EuGH allerdings noch in keinem Fall als ungeschriebener Rechtfertigungsgrund anerkannt wurden (zB , Erich Ciola/Land Vorarlberg).

ad Vermeidung von Verzerrungen

39 In den Erläuterungen (OZ 14, Seite 2, letzter Absatz) wird betont, dass wegen des Umstandes, dass die Indexierung des österreichischen Referenzwertes nicht nur auf ein niedrigeres, sondern auch auf ein höheres Niveau am Wohnort erfolge, dem Vorwurf, "es handle sich bei der in Rede stehenden Anpassung um eine bloße Einsparungsmaßnahme, entgegengetreten werden [könne]". Demgegenüber stellt die Bundesregierung im Vorblatt zu den mit der Indexierung verfolgten Zielen (OZ 15) zahlreiche Berechnungen an, die jährliche, nachhaltige Einsparungserfolge dokumentieren.

40 Demnach werde die Anpassung langfristig mit einer jährlichen Einsparung von EUR 114 Mio wirksam (OZ 15, Seite 4, 5). Die finanzielle Entwicklung der Ausgaben an Familienbeihilfe für Kinder in EU/EWR/Schweiz habe sich mit EUR 273 Mio im Jahr 2016 und mit EUR 253 Mio im Jahr 2017 rasant nach oben entwickelt (OZ 15, Seite 5). Die Gesamthöhe der Einsparung auf Basis der Auszahlungen im Jahre 2016 betrage EUR 111.227.619,25 (OZ 15, Seite 6) und auf Basis des Jahres 2017 EUR 104.636.755,53 (OZ 15, Seite 7). Auf diese Einsparungsziele nimmt auch die Volksanwaltschaft in ihrer Stellungnahme (OZ 11, Seite 1, Absatz 2) ausdrücklich Bezug.

41 In Wahrheit dürfte es angesichts des in der Regierungsvorlage dargelegten Einsparungspotentials sehr wohl um rein wirtschaftliche Überlegungen gehen, die nach dem in Rz 38 dieses Beschlusses angeführten EuGH-Urteil keinen tauglichen Rechtfertigungsgrund darstellen.

42 Ohne den Einspareffekt, also bei überwiegendem Export der Familienleistungen in Mitgliedstaaten mit höherem Niveau, erscheint es schwer vorstellbar, dass die Allgemeinheit der Steuerzahler des für Wanderarbeitnehmer und Grenzgänger zuständigen Mitgliedstaates, die aus Ländern mit höherem Preisniveau stammen, die Kosten für Familienleistungen zu tragen bereit wäre, die über dem Betrag lägen, als der, auf den die Allgemeinheit selber Anspruch hätte. Dass die Bevölkerung des einen Mitgliedstaates die höheren Lebenshaltungskosten im anderen Mitgliedstaat finanzieren wollte oder sollte, erscheint kaum vertretbar. Die Indexierung von Familienleistungen in beide Richtungen wäre demnach keine auf Grundlage einer allgemeingültigen Maxime gestützte Maßnahme, die als Prinzip allgemeiner Gesetzgebung in allen Mitgliedstaaten dienen könnte. Würde jeder Mitgliedstaat seine Familienleistungen sowohl auf ein höheres als auch auf ein niedrigeres Niveau indexieren, wären die Sozialsysteme in der Union nicht mehr koordinierbar, wogegen sich der EuGH ebenfalls bereits in der Rs PinnaI, Rn 21, 22, deutlich ausgesprochen hat, indem er ausführte, "dass das aufgrund des Artikels [48 AEUV] erlassene Sozialrecht der Gemeinschaft keine Unterschiede einführen [dürfe], die zu denen hinzutreten, die sich bereits aus der mangelnden Harmonisierung der nationalen Rechtsvorschriften ergeben [würden]" (Hervorhebung durch Vorlagegericht).

43 Die Vermeidung von Verzerrungen wäre bei dieser Betrachtung kein legitimes Ziel.

ad sachliche Rechtfertigung auf hochrangiger Ebene

44 Die bezughabende Passage in den EBRV (OZ 14, Seite 3, Absatz 4) lautet: "In diesem Zusammenhang hat der Europäische Rat in seinen Schlussfolgerungen vom 18. und , ABl. Nr. C 2016/69 I, [in der Folge: Schlussfolgerungen] die Möglichkeit einer Indexierung im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit konkret festgelegt. Ausgehend davon, dass dieser Maßnahme sowohl Kommission als auch alle Mitgliedstaaten zugestimmt haben, kann angenommen werden, dass auf dieser hochrangigen Ebene von einer sachlichen Rechtfertigung einer solchen Regelung ausgegangen wurde und auch kein Widerspruch zu den Grundverträgen vorliegt."

45 Die Erklärung der Europäischen Kommission (Anlage V, OZ 18, Seite 33 der Stellungnahme, Seite 77 des Aktes) lautet:

"Die Kommission wird einen Vorschlag zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorlegen, damit die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Ausfuhr von Leistungen für Kinder in einen anderen als den Mitgliedstaat, in dem der Arbeitnehmer wohnt, die Möglichkeit erhalten, die Höhe dieser Leistungen an die Bedingungen des Mitgliedstaats, in dem das Kind wohnt, zu koppeln.

Die Kommission ist der Auffassung, dass zu diesen Bedingungen auch der Lebensstandard und die Höhe der Leistungen für Kinder gehören, die in diesem Mitgliedstaat gelten."

46 Die Erklärung der Europäischen Kommission (Anlage I, OZ 18, Seite 20 der Stellungnahme, Seite 75 des Aktes) der Schlussfolgerungen nennt zunächst die geschriebenen und dann exemplarisch vom EuGH entwickelte ungeschriebene Rechtfertigungsgründe und nimmt explizit auf die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses Bezug. Es heißt dort: "Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer umfasst nach Artikel 45 AEUV die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen, doch darf dieses Recht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit eingeschränkt werden. Wenn zudem zwingende Gründe des Allgemeininteresses dies erfordern, kann die Freizügigkeit der Arbeitnehmer durch Maßnahmen, die in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Zweck stehen müssen, eingeschränkt werden. Die Förderung von Einstellungen, die Verringerung der Arbeitslosigkeit, der Schutz schutzbedürftiger Arbeitnehmer und die Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Tragfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherheit sind Gründe des Allgemeininteresses, die in diesem Sinne in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auf der Grundlage einer Betrachtung im Einzelfall anerkannt sind." (Hervorhebung durch Vorlagegericht)

47 Der Hinweis auf "diese hochrangige Ebene" reicht als Rechtfertigungsgrund nicht aus, auch wenn die Europäische Kommission als Teil dieser hochrangigen Ebene auf profunde Rechtfertigungsgründe hingewiesen hat, denn die Rechtfertigungsgründe wären zu konkretisieren und durch Faktensubstrat zu erhärten (zB EuGH, , Rs C-147/03, Kommission/Österreich (Universitätszugang) Rn 48), was angesichts des Brexit hinfällig geworden ist. Dass die von der Kommission ins Auge gefasste "Abwendung einer erheblichen Gefährdung der Tragfähigkeit der Systeme der sozialen Sicherheit" einschlägig sein könnte, wurde in den EBRV nicht vorgetragen und wäre nach Ansicht des Vorlagegerichts mit den Vorteilen iZm der Warenverkehrsfreiheit, der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit zu messen.

48 Der Europäische Rat ist zweifellos ebenfalls eine "hochrangige Ebene", jedoch nicht der Unionsgesetzgeber. Ergänzend zu Rz 21 dieses Beschlusses bleibt auszuführen, dass die Änderung der VO 883/2004 nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren gemäß der Artikel 289 iVm Art 294 AEUV zu erfolgen hätte, die den Rat und das Europäische Parlament als gleichberechtigte Mitgesetzgeber bestimmen (Leidenmühler, aaO, 98). Damit zeigt sich in aller Deutlichkeit, dass das Recht auf Gehör der Personen, deren Rechte eingeschränkt werden, nicht gewahrt wird, was nochmals den fehlenden Konsens verdeutlicht.

49 Im Zusammenhang mit dem Recht auf Gehör wird an das Sozialrechtsübereinkommen Österreich-Türkei erinnert. Bevor das derzeit in Geltung befindliche Abkommen vom , BGBl III 219/2000, geschlossen wurde, hatten Österreich und die Türkei aufgrund eines bilateralen Abkommens beschlossen, dass die österreichische Familienbeihilfe nur mehr in reduzierter Höhe exportiert wurde, bevor Österreich das Abkommen am gekündigt hat. Aber bereits dieser Vorgang zeigt, dass eine Herabsetzung der Familienbeihilfenbeträge für Nichtinländer mit Wohnort im Ausland nur auf Ebene des Völkerrechts durch Konsens erreicht werden kann.

50 Somit wäre die Einführung der §§ 8a FLAG nF, 33 Abs 3 Z 2 EStG nF in der strittigen Fassung nicht gerechtfertigt.

Verhältnismäßigkeit

51 Da beide Rechtfertigungsgründe nicht geeignet sind, erübrigte sich die Auseinandersetzung mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, in deren Rahmen das kohärente Verhalten Österreichs zu prüfen wäre. Sicherheitshalber wird ausgeführt:

52 Zweifelhaft könnte sein, ob sich Österreich mit Einführung der §§ 8a FLAG nF, 33 Abs 3 Z 2 EStG nF kohärent verhalten hat, weil Bediensteten der Gebietskörperschaften bei Entsendung ins EU-Ausland nach wie vor Familienbeihilfe in ungekürzter Höhe gewährt wird, wie sich aus § 53 Abs 5 FLAG nF iVm § 26 Abs 3 BAO ergibt. Unter den Begriff der Bediensteten der Gebietskörperschaften fallen Botschafter und anderes entsendetes Botschaftspersonal, das nicht der sur place-Regelung unterfällt. Auch wenn jedenfalls der konkret ernannte ao. und bev. Botschafter sowie die ernannten Attachés nach Ansicht des anfragenden Gerichts unter die Bereichsausnahme des Art 45 Abs 4 AEUV fallen dürften, steht dieser Umstand dem Vergleich von Wanderarbeitnehmern mit dieser Berufsgruppe ausschließlich zum Zweck der Beurteilung des kohärenten Verhaltens eines Mitgliedstaates nach Ansicht des Vorlagegerichts nicht entgegen.

53 Zur Verhältnismäßigkeit ist auf die stRSp des EuGH hinzuweisen, wonach "[nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfüllen müssen: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist]" (zB -55/94, Gebhard Rn 37 mwN).

54 Ebenfalls nicht kohärent erscheint bei einem Anpassungsfaktor für Tschechien auf zwei Jahre von 0,619 gem § 2 Abs 2 EU-Anpassungsverordnung, also einer Abwertung der Familienbeihilfe um 38,1 %, wenn im selben Zeitraum die Kaufkraftausgleichszulage wegen des höheren Preisniveaus vor Ort für das nach Prag entsendete Botschaftspersonal iHv 7 bis 10 % im Vergleich zum Inlandspreisniveau zu bemessen war. Die Kaufkraftausgleichszulage steht nicht zu, wenn im Empfangsstaat gleiche oder günstigere Kaufkraftverhältnisse herrschen wie im Inland. Da die Kaufkraftausgleichszulage für Prag über den ganzen Streitzeitraum hindurch zu bemessen war, ist von einem kontinuierlich höheren Preisniveau in Prag auszugehen. Dass die Kaufkraftausgleichszulage nur zur Landeshauptstadt Prag ergangen ist und die Bf in ländlichen Bereich an der Staatsgrenze wohnt, ändert an dieser Beurteilung nach Ansicht des BFG nichts, weil auch im Inland regionale Preisunterschiede (Schlagwort: günstiges Wohnen im Speckgürtel) keinen Einfluss auf die Höhe der in einem einfachen Bundesgesetz geregelten Familienbeihilfe haben.

55 Gründe des Allgemeininteresses führen weder das Gutachten noch die EBRV ins Treffen. Das in Wahrheit hinter der Indexierung stehende Rechtfertigungsziel der Einsparung steht nicht im Einklang mit dem Unionsrecht. Nach all dem erscheint die Verhältnismäßigkeit der Einführung der Indexierung zweifelhaft.

Frage 6

56 Die Frage knüpft an die in Rz 14f dieses Beschlusses zitierte Rs Simmenthal II an, wonach möglicherweise die strittigen Gesetzesbestimmungen nicht ordnungsgemäß zustande gekommen sein könnten. Die in der Rs Simmenthal II getroffenen Aussagen würden dem in Österreich geltenden Grundsatz des Fehlerkalküls der Rechtsordnung derogieren, wonach rechtswidrige Rechtsnormen grundsätzlich solange gelten und Teil der Rechtsordnung sind, bis sie durch die zuständige Rechtsschutzeinrichtung aufgehoben werden. Im Fall eines einfachen Bundesgesetzes wäre die zuständige Rechtsschutzeinrichtung der Verfassungsgerichtshof, im Fall des gegenständlich angefochtenen Bescheides ist die berufene Rechtsschutzeinrichtung das Bundesfinanzgericht. Wären die von einer nicht rechtswirksam zustande gekommenen generellen Norm abgeleiteten individuellen Rechtsnormen nach Unionsrecht ebenfalls als nicht rechtswirksam zustande gekommenen anzusehen, so hätte das Auswirkung auf die Gestaltung des Spruches des vom Vorlagegericht abschließend zu ergehenden Erkenntnisses.

Frage 7

57 Diese Frage wurde dem Gerichtshof bereits zu do Zahl EuGH C-372/20 als Frage 2 des Vorabentscheidungsbeschlusses des begrenzt auf Absatz 1 und 5 des § 53 FLAG unterbreitet, jedoch besteht die Möglichkeit, dass sie vom EuGH nicht zu beantwortet ist. Mit dem Beschluss wird die Frage nach dem Umsetzungsverbot von Verordnungen einerseits zu § 53 Abs 1 und 5 FLAG sinngemäß wiederholt sowie auf Absatz 4 des § 53 FLAG erstreckt.

58 § 53 FLAG wurde mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 vom , BGBl I 142/2000, eingeführt und bestand in der Stammfassung aus den Absätzen 1 und 2 (OZ 19, Seite 81). Weder den Erläuternden Bemerkungen zur damaligen Regierungsvorlage noch den weiteren parlamentarischen Materialien sind zu dieser Gesetzesänderung Informationen zu entnehmen. Die Bestimmung steht jedenfalls nicht in Zusammenhang mit dem Betritt Österreichs per zum EWR bzw per zur Union.

59 In der Literatur wird § 53 Abs 1 FLAG im Hinblick auf 34/73, Rs Variola, kritisch gesehen (Gebhart in Lenneis/Wanke, aaO, § 53, Rz 47f). Zur unmittelbaren Geltung von Verordnungen hat der EuGH in den Randnummern 10 und 11 des genannten Urteils Folgendes ausgeführt:

60 "Die unmittelbare Geltung setzt voraus, daß die Verordnung in Kraft tritt und zugunsten oder zu Lasten der Rechtssubjekte Anwendung findet, ohne daß es irgendwelcher Maßnahmen zur Umwandlung in nationales Recht bedarf. Die Mitgliedstaaten dürfen aufgrund der ihnen aus dem Vertrag obliegenden Verpflichtungen, die sie mit dessen Ratifizierung eingegangen sind, nicht die unmittelbare Geltung vereiteln, die Verordnungen und sonstige Vorschriften des Gemeinschaftsrechts äußern. Die gewissenhafte Beachtung dieser Pflicht ist eine unerläßliche Voraussetzung für die gleichzeitige und einheitliche Anwendung der Gemeinschaftsverordnungen in der gesamten Gemeinschaft.

61 Insbesondere dürfen die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen ergreifen, die geeignet sind, die Zuständigkeit des Gerichtshofes zur Entscheidung über Fragen der Auslegung des Gemeinschaftsrechts oder der Gültigkeit der von den Organen der Gemeinschaft vorgenommenen Handlungen zu beschneiden. Infolgedessen sind Praktiken unzulässig, durch die die Normadressaten über den Gemeinschaftscharakter einer Rechtsnorm im Unklaren gelassen werden. Die Zuständigkeit des Gerichtshofes, namentlich aufgrund von [Artikel 267 AEUV], bleibt ungeschmälert, unbeschadet aller Versuche, Normen des Gemeinschaftsrechts durch nationales Gesetz in innerstaatliches Recht zu transformieren."

62 Anders als in der Rs Variola verfolgt § 53 Abs 1 FLAG nicht das Ziel, den Zeitpunkt der Anwendung der Wanderarbeitnehmerverordnung zu verschieben. Nach Ansicht des anfragenden Gerichts ändert das jedoch nichts daran, dass § 53 Abs 1 FLAG dem Rechtsunterworfenen den Blick auf unmittelbar geltendes Unionsrecht verschleiert, nämlich darauf, dass der Begriff der Inländergleichtstellung ein Begriff des Unionsrechts ist, der seinerseits vom Diskriminierungsverbot abgeleitet ist, wodurch das Auslegungsmonopol des EuGH verschleiert wird.

63 § 53 Abs 1 FLAG erwähnt zunächst nicht die Schweiz. Das Gebot der Inländergleichstellung ergibt sich bereits aus Bestimmungen von Unionsverordnungen, nämlich aus Art 4 VO 883/2004 und aus Art 7 Abs 2 VO 492/2011, die unmittelbar in der österreichischen Rechtsordnung gelten und anzuwenden sind. Weiters wiederholt § 53 Abs 1 FLAG teilweise den Art 67 VO 883/2004, erfasst aber nur die Kinder, nicht jedoch die in der Verordnung genannten Familienangehörigen. Schließlich verdeckt § 53 Abs 1 FLAG die gemeinsam mit Art 67 VO 883/2004 zu lesenden Art 68 VO 883/2004, 60 VO 987/2009. Nicht zuletzt aufgrund dieser Unvollständigkeit erschwert § 53 Abs 1 FLAG den Zugang zum Unionsrecht. Aufgrund der unmittelbaren Geltung der genannten Normen des Sekundärrechts besitzt § 53 Abs 1 FLAG nach Ansicht des Vorlagegerichts keine eigenständige Normativität.

64 Absatz 4 des § 53 FLAG idF des Bundesgesetzes vom , BGBl 83/2018, (OZ 16 Seite 62, OZ 20, Seite 83, konsolidierter Gesetzestext) schränkt iVm der Einführung der Indexierung die Berechtigung nach Absatz 1 ein, die diesem jedoch mangels Normativität ohnehin nicht zukommt. Damit zeigt Absatz 4 leg.cit. deutlich die Gefahr, die von zunächst nur repetierendem Recht ausgeht, weil die Ausnahme nach Absatz 4 dem Absatz 1 eine konstitutive Wirksamkeit unterstellt. Kurz gesagt: Hält Abs 1 leg.cit. der Kontrolle des EuGH nicht stand, so hätte diese rechtliche Beurteilung nach Ansicht des Vorlagegerichts automatisch den Entfall von Absatz 4 zur Folge.

65 Auf die Problematik von § 53 Abs 5 FLAG wurde bereits unter dem Punkt der Verhältnismäßigkeit, kohärentes Verhalten Österreichs eingegangen (Rz 51ff dieses Beschlusses).

Frage 8 bis 12, die gemeinsam zu prüfen sind

Frage 8

66 Laut Sachverhalt hat die belangte Behörde über die Ansprüche der Bf mit "Mitteilungen über den Bezug der Ausgleichszahlung" abgesprochen und daher § 4 FLAG angewendet (OZ 7-9). Auch Inländern wird bei Auslandssachverhalten mit Drittstaaten oder anderen Mitgliedstaaten der Union nach dieser Bestimmung die Familienbeihilfe in Form der Ausgleichszahlung gewährt, daher erscheint auf den ersten Blick die Inländergleichstellung nicht in Frage gestellt. Inländern, die einen Inlandssachverhalt verwirklichen, wird davon abweichend eine Mitteilung allein nach § 12 FLAG ausgestellt, die nicht erst jährlich nach Ablauf des Kalenderjahres auszustellen ist, sondern im Voraus ausgestellt wird, was zur Folge hat, dass die Familienbeihilfenbeträge monatlich im Voraus ausbezahlt wird. Dass die belangte Behörde in der Ausgangssituation teilweise von der Jahresfrist abgewichen ist (insbes OZ 7, Seite 16), ändert an der objektiven Rechtslage nichts.

67 Nach dem Rechtsverständnis des Vorlagegerichts bezweckt das Unionsrecht, die Gleichstellung mit jenem Inländer zu bewirken, der einen Inlandssachverhalt verwirklicht. Die Finanzämter halten dem entgegen, dass sich Rückforderungen gegen bestimmte Wanderarbeitnehmer nicht oder nur erschwert durchsetzen lassen und § 4 FLAG ihnen die rechtliche Handhabe zur zeitlichen Begrenzung gebe, sodass gegebenenfalls der uneinbringliche Rückforderungsteil überschaubar bleibe.

68 Nach Ansicht des BFG übersieht diese Rechtsansicht, dass das Unionsrecht die Mitgliedstaaten zur Prüfung nach der Unionsbürgerrichtlinie verpflichtet, den rechtmäßigen Aufenthalt im anderen Mitgliedstaat zu überprüfen (s das in den EBRV erwähnte , Kommission/Vereinigtes Königreich). Mit diesem Urteil hat der EuGH zu Recht erkannt, dass der Träger des Mitgliedstaates im Kindergeldverfahren befugt war, den rechtmäßigen Aufenthalt der Wanderarbeitnehmer als Vorfrage zu prüfen. Es liegt auf der Hand, dass eine Prüfung des rechtmäßigen Aufenthalts in bestimmten Fällen in regelmäßigen Abständen zu wiederholen sein wird, um Missbrauch entgegenzuwirken. Jedoch müssen die Überprüfungen nach dem rechtmäßigen Aufenthalt verhältnismäßig sein, mit dem Unionsrecht in Einklang stehen und sachlich gerechtfertigt sein. Auch die Zusammenschau von §§ 3 Abs 1, 2 und 8 iVm der Wanderarbeitnehmerverordnung gestattet im konkreten, begründeten Einzelfall eine Befristung der Leistungen.

69 Da nach Ansicht des BFG § 53 Abs 1 FLAG aufgrund unmittelbar geltenden Sekundärrechts nicht anwendbar ist, bestünde der Anspruch der Bf in Österreich aufgrund der VO 883/2004 allein iVm §§ 3 Abs 1 FLAG und den übrigen, nichtdiskriminierenden Erfordernissen des § 2 FLAG iVm § 8 Abs 1 bis 3 FLAG. § 3 Abs 1 FLAG gewährleistet, dass sich die Bf in Österreich rechtmäßig iSd Unionsbürgerrichtlinie aufhält, sodass sie wie eine Inländerin zu behandeln ist und die Mitteilung allein nach § 12 FLAG, und damit ohne zwingende Befristung wie in § 4 leg.cit. vorgesehen, auszustellen wäre. Bei dieser Sichtweise würde dem Gebot der Inländergleichstellung vollends entsprochen, weil nach Rechtsanschauung des Vorlagegerichts das Gebot der Inländergleichstellung den Inländer, der einen Inlandssachverhalt verwirklicht, als Vergleichsmaßstab heranzieht.

Frage 9

70 Art 68 Abs 2 VO 883/2004 verpflichtet einerseits den Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften vorrangig gelten, zur Gewährung der Familienleistung (argumento … "werden die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gewährt, die … Vorrang haben") und andererseits den Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten (meist der Wohnortstaat), erforderlichenfalls zur Leistung des Unterschiedsbetrages in Höhe des darüber hinausgehenden Betrags, um so dem Wanderarbeitnehmer bei gleichzeitig vermiedener Kumulierung von Ansprüchen den Höchstbetrag an Familienleistungen zu garantieren. Zur Vermeidung der ungerechtfertigten Kumulierung von Ansprüchen werden gemäß Art 68 Abs 2 S 2 HS 1 VO 883/2004 die Ansprüche nach den nachrangig geltenden Rechtsvorschriften bis zur Höhe des nach den vorrangig geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Betrags ausgesetzt.

71 Die neue Koordinierung hat die unionsrechtlichen Antikumulierungsvorschriften der Art 76 ff VO 1407/71 und Art 10 VO 574/72 umgedreht. Im Geltungsbereich der alten Verordnung hat die mitgliedstaatliche Antikumulierungsvorschrift die unionsrechtliche Antikumulierungsvorschrift ergänzt. Die Umkehrung der Antikumulierungsvorschrift iVm der Prioritätenumkehr hat nach Ansicht des BFG zur Folge, dass die Problematik des im Wohnortstaat fehlenden Antrags endgültig weggefallen ist. Für diese Rechtsansicht spricht weiters, dass die neue Koordinierung Art 76 Abs 2 VO 1408/71, der die fehlende Antragstellung ausdrücklich geregelt hat, nicht übernommen hat.

72 Im Geltungsbereich der neuen Koordinierung ist das nicht mehr der Fall, vielmehr zielt § 4 Abs 1 bis 3 FLAG im Geltungsbereich der VO 883/2004 darauf ab, jenen Betrag an ausländischer Familienleistung zu kürzen, der kraft Unionsrecht ausgesetzt ist. Das heißt, dass der kraft Unionsrecht ausgesetzte Betrag gar nicht mehr geleistet werden darf.

73 Das BFG fragt sich daher, ob Art 68 Abs 2 S 2 HS 1 VO 883/2004 als unionsrechtliche Antikumulierungsvorschrift die nationale Antikumulierungsvorschrift des § 4 Abs 1 bis 3 FLAG im Wege des Anwendungsvorranges verdrängt. Der Betrag einer Geldleistung, die bereits unionsrechtlich ausgesetzt ist und die folglich nicht gewährt werden darf, kann nicht mehr Gegenstand einer Kürzung einer mitgliedstaatlichen Antikumulierungsvorschrift sein.

74 Auch wenn im konkreten Fall die Falllösung auch über die Auslegung des in § 4 FLAG auslegungsbedürftigen Begriffs "eines Anspruchs auf eine gleichartige ausländische Beihilfe" erfolgen kann und zum selben rechtlichen Ergebnis führen wird, ändert das nach Ansicht des Vorlagegerichts nichts daran, dass der Anwendungsvorrang des Unionsrechts zwingend zu beachten ist.

Frage 10

75 Die Frage zielt darauf ab, dem nach Unionsrecht vorrangig zuständigen Mitgliedstaat Gewissheit zu verschaffen, dass er darauf vertrauen kann, dass der nachrangig zuständige Mitgliedstaat den nach Art 68 Abs 2 S 2 HS 1 VO 883/2004 ausgesetzten Betrag tatsächlich nicht leistet, und zwar auch dann nicht, wenn nach mitgliedstaatlichen Vorschriften die Gewährung für dieselben Familienangehörigen und für dieselben Zeiträume in einer anderen Rechtssache erfolgen würde. Nach österreichischem Recht liegt beispielsweise eine andere Rechtssache vor, wenn zwar die Zeiträume und Kinder unverändert wären, jedoch der Beihilfenwerber eine andere Person ist. Nach Ansicht des BFG müsste die Aussetzung des Art 68 Abs 2 S 2 HS 1 VO 883/2004 gegenüber allen Personen wirken, die von Art 60 VO 987/2009 angesprochen werden.

Frage 11

76 Nach den vorliegenden Formularen E411 der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer (OZ 6, Seite 14, OZ 8 Seite 18) wurden Anträge in Tschechien gestellt, was sich im Umkehrschluss daraus ergibt, dass das Kästchen bei "kein Antrag gestellt" nicht angekreuzt wurde. Der tschechische Träger hat ein Kreuz gesetzt bei "keinen Anspruch auf Familienleistungen, weil" und ergänzend angemerkt "höhere Einnahmen". Da ein Antrag behördlich zu erledigen ist, ist bei lebensnaher Interpretation davon auszugehen, dass der Antrag vom tschechischen Träger wegen Überschreitung der Verdienstgrenze abgewiesen wurde. Aufgrund des Anwendungsvorranges der Antikumulierungsvorschrift des Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004 hätte die Abweisung des Antrages jedoch auf das Unionsrecht und die sich daraus für Tschechien zu beachtende Aussetzung seines Kindergeldes gestützt werden müssen.

77 Die Auskunft, die nach Ansicht des BFG aufgrund des Anwendungsvorranges des Art 68 Abs 2 S 2 HS 1 VO 883/2004 der tschechische Träger zu erteilen hätte, wäre, dass die Aussetzung der tschechischen Familienleistungen befolgt wird, zB mit Bekanntgabe des Datums des Abweisungsbescheides, und dass der tschechische Träger den österreichischen Träger verständigen wird, sofern sich daran -zB iZm einer Wiederaufnahme des Verfahrens - etwas ändern sollte. Sollte beim zuständigen Träger des Mitgliedstaates, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, kein Antrag gestellt worden sein, so wäre die Aussage des Mitgliedstaates, dass er die Aussetzung des Art 68 Abs 2 S 2 HS 1 VO 883/2004 im Fall einer späteren Antragstellung beachten werde, ausreichend.

Frage 12

78 Diese Frage knüpft an die vorigen Fragen 10 und 11 an, weil das derzeit noch in Verwendung stehende Formular E411 der Verwaltungskommission für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer in seinen Punkten 6 und 7 nach Ansicht des BFG nicht mehr den Anforderungen der neuen Koordinierung entspricht. In diesem Formular ist nicht vorgesehen, dass der Mitgliedstaat, dessen Rechtsvorschriften nachrangig gelten, dem anderen Mitgliedstaat bekannt geben kann bzw bekannt zu geben hat, dass er die unionsrechtlich angeordnete Aussetzung beachtet hat oder im Fall einer späteren Antragstellung beachten wird. Eine dogmatische Falllösung wäre jedoch wegen des Anwendungsvorranges von Unionsrecht der Ausstieg auf Stufe des Art 68 Abs 2 S 2 VO 883/2004, was zur Folge hat, dass es diesfalls auf die Erfüllung oder Nichterfüllung von mitgliedstaatlichen Anknüpfungsmerkmalen (Verdienstgrenzen, Höhe der Familienleistung) nicht ankommen kann.

Frage 13:

79 Diese Frage steht in Zusammenhang mit der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, der die Rechtsbereinigungspflicht, also die Verpflichtung, dem Unionsrecht entgegenstehendes mitgliedstaatliches Rechts aus dem Rechtsbestand zu beseitigen oder anzupassen, ausschließlich den mitgliedstaatlichen Parlamenten aufgetragen hat. Beschlüsse des Nationalrates sind von Mehrheiten abhängig. Der gegenständliche Fall hat gezeigt, dass es an der gebotenen Sorgfalt (culpa in contrahendo) gemangelt haben könnte, indem als Gutachter mit Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal kein ausgewiesener Europarechtsexperte betraut wurde. Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal ist ein österreichischer Rechtsexperte in den Bereichen des Arbeits-, Sozial- und Medizinrechts, der seinerseits das Mandat des ehemaligen Bundeskanzlers Mag. Christian Kern angenommen hat. In anderen Fällen des Europarechts hingegen hat die Politik sehr wohl Experten des Europarechts herangezogen. So wurden iZm der deutschen Maut (, Österreich/Deutschland) Univ.-Prof. Dr. Walter Obwexer, Studiendekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Institut für Europarecht und Völkerrecht an der Universität Innsbruck, sowie iZm Beihilfen des Vereinigten Königreichs für das Atomkraftwert Hinkley Point (EuGH ) Univ.-Prof. Dr. Franz Leidenmühler, Vorstand des Instituts für Europarecht an der Universität Linz, betraut. Des Weiteren hat der Fall gezeigt, dass zur Beantwortung der Gutachtensfrage über das Europarecht hinaus auch das Verfassungsrecht Rechtsfragen aufwirft. Schließlich hat der Fall gezeigt, dass zur Erstellung der Regierungsvorlage ebenfalls kein Europarechtsexperte hinzugezogen worden sein dürfte, wie der ins Treffen geführte Rechtfertigungsgrund der "sachlichen Rechtfertigung der hohen EU-Ebene" vermuten lässt. Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs sind anders als Entscheidungen des Gesetzgebers, der Politik in Normen gießt, ausschließlich von rechtlicher Überzeugung aus der Sicht der Verfassung getragen. Aus der Sicht des Unionsrechts könnte es sogar ohne Belang sein, welche der im Mitgliedstaat geschaffenen Einrichtungen die Rechtsbereinigung vornimmt. Angesichts obiger Ausführungen wäre jedoch der Verfassungsgerichtshof als höchste Instanz vorzuziehen.

Frage 14:

80 Im Fall EuGH C-372/20 hat das , eine vorläufige Anordnung bis zur Entscheidung über die Vorlagefragen durch den EuGH getroffen, um den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Trägern zu durchbrechen. Gegen diesen Beschluss hat die belangte Behörde den Rechtsbehelf der außerordentlichen Amtsrevision ergriffen, obgleich das Vorabentscheidungsersuchen Fragen zu dem Beschluss enthielt und Österreich im Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH Rechtsschutz und Gehör gewährt wird.

81 Aus der Zusammenschau von § 254 iVm § 212a BAO ergibt sich, dass positivrechtlich eine aufschiebende Wirkung ausschließlich auf Antrag und nur für den Fall vorgesehen ist, dass ein Abgabenbescheid eine Abgabenschuld bemisst, deren Entrichtung bis zu Erledigung der damit zusammenhängenden Beschwerde hinausgeschoben werden kann. Ein Antrag auf aufschiebende Wirkung wurde von der Bf nicht gestellt. Einerseits die amtswegige Zuerkennung einer aufschiebenden Wirkung derart, dass der auf Abweisung eines Antrages lautende Spruch des angefochtenen Bescheides in eine Antragsstattgabe andererseits umgekehrt wird, ist von der innerstaatlichen Rechtslage nicht gedeckt.

82 In der Literatur wird vertreten, dass sich iVm Art 4 Abs 3 EUV unter Beachtung der vom EuGH [zu Art 278, 279 AUEV] entwickelten Rechtsprechung "(zB , Factortame) eine (über nationales Recht wie zB § 212a hinausgehende) Pflicht zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes, wenn die [Unions]rechtskonformität nationaler Verwaltungsakte zweifelhaft ist, [ergeben würde]".

83 Aus dieser Rechtsprechung [sei] im Unterschied zu § 212a … [abzuleiten], dass der vorläufige Rechtsschutz zu gewähren ist:

•nicht nur auf Antrag,

•nicht nur in Höhe der Nachforderung,

•von allen Instanzen des Rechtsmittelverfahrens" (Ritz, BAO, 6. Aufl. 2017, § 254, V. Vorläufiger Rechtsschutz nach Art 4 Abs 3 EUV, Tz 22 mwN).

84 Zunächst ist das Vorabentscheidungsersuchen als ein Zwischenverfahren im mitgliedstaatlichen Rechtsmittelverfahren eingerichtet. Die Befassung der nationalen Höchstgerichte des öffentlichen Rechts vor Ergehen des Urteils des EuGH würde diesem unionrechtlichen Konzeption zuwiderlaufen.

85 Wie die Vorlagefragen zeigen, hegt das Bundesfinanzgericht Zweifel an dem rechtswirksamen Zustandekommen der die Indexierung der Familienbeihilfe regelnden generellen Normen und geht daher solange von der Gültigkeit der Art 4 und 7 VO 883/2004 aus, bis der EuGH zu Recht erkennt, dass die Indexierung der Familienbeihilfe, wie sie mit Bundesgesetzes vom , mit dem das Familienlastenausgleichsgesetz 1967, das Einkommensteuergesetz 1988 und das Entwicklungshelfergesetz geändert werden, BGBl I 83/2018, eingeführt wurde, den Art 4, 7 VO 883/2004 nicht entgegensteht. Mit der Frage nach der Gültigkeit von unmittelbar geltendem Sekundärrecht ist die mit (OZ 25), getroffene vorläufige Anordnung zur Gewährung der Familienbeihilfe und des Kinderabsetzbetrages in ungekürzter Form untrennbar verbunden, weil das Unionsrecht das mitgliedstaatliche Gericht, und zwar auch das nicht letztinstanzliche Gericht, im Fall der Gültigkeitsfrage an den EuGH dazu verpflichtet. Aufgrund des Anwendungsvorranges gültigen Unionsrechts als Teil der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung iVm der Frage nach seiner Gültigkeit in einem Vorentscheidungsersuchen steht in diesem Fall den Parteien auch das Rechtsinstitut der außerordentlichen Revision, die das BFG nach innerstaatlichem Recht nicht auszuschließen vermag, nicht offen. Bei der Frage nach der Gültigkeit (bzw Ungültigkeit) der Handlungen der Unionsorgane handelt es sich materiell um eine Nichtigkeitsklage iSd Art 263 AEUV, zu dessen Beurteilung allein der EuGH berufen ist, dem allein das Verwerfungsmonopol von Sekundärrecht zukommt. Der Beschluss über die vorläufige Anordnung ist daher akzessorisch zum die Gültigkeitsfrage umfassenden Vorabentscheidungsersuchen und beide Rechtsakte bilden eine untrennbare Einheit, die nur einer einheitlichen Rechtskontrolle unterliegen können. Folglich unterliegt auch der Beschluss über die vorläufige Anordnung ausschließlich der Kontrolle des EuGH.

86 Aufgrund dieser Überlegungen hat das BFG im Beschluss über die vorläufige Anordnung die außerordentliche Revision kraft Unionsrechts ausgeschlossen.

VII Zweifel

87 Das Bundesfinanzgericht hegt keinerlei Zweifel an der Gültigkeit der Art 4 und 7 VO 883/2004, sondern an dem rechtswirksamen Zustandekommen der die Indexierung der Familienbeihilfe regelnden generellen Normen in den österreichischen Rechtsvorschriften. Zweifel bestehen über die Auslegung des Unionsrechts in anderen Bereichen, zu denen nach den Feststellungen des Vorlagegerichts eine Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fehlt.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
Art. 288 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Art. 73 VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2
Art. 76 VO 1408/71, ABl. Nr. L 149 vom S. 2
§ 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 26 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 30a VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 254 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 4 EUV, EU-Vertrag, ABl. Nr. C 202 vom S. 1
Art. 68 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 60 VO 987/2009, ABl. Nr. L 284 vom S. 1
Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung, BGBl. II Nr. 318/2018
§ 33 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988
Art. 4 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
§ 8a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 12 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
§ 53 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967
Art. 7 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 67 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1
Art. 140 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 21 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 25a VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
Art. 10 Abs. 1 Z 17 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
Art. 133 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 212a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Art. 48 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Art. 263 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Art. 267 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Art. 45 AEUV, ABl. Nr. C 83 vom S. 47
Verweise


242/83
104/84

41/84


314/85
EuGH, C-372/20



34/73




733/79
Anmerkung
siehe über die vorläufige Anordnung
Zitiert/besprochen in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2020:RE.7100004.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at